Entstanden ist das mächtige Castell Sant Ferran, das auf einem Hügel vor den Toren von Figueres wacht, in der Folge des Dreißigjährigen Krieges, denn mit dem Pyrenäenfrieden von 1660 verschob sich die Grenze zwischen Frankreich und Spanien nach Süden. Da das Castell de Bellaguarda bei Pertus und die Gegend um Perpignan statt zum nördlichen Teil Kataloniens seither zur französischen Krone gehörten, mussten südlich der Pyrenäen neue Bollwerke errichtet werden, um mögliche Angriffe an dieser neuen Grenze rechtzeitig abwehren zu können.
Die Burganlage ist eine der größten Bauten Kataloniens und erstreckt sich über 320 000 m2. Der beinah uneinnehmbare Koloss ist ein wahres Meisterwerk der Ingenieurskunst seiner Zeit. Die fortschrittlichste Bautechnik wurde nicht nur zu militärischen Zwecken eingesetzt. Das Castell de Sant Ferran war auch Prestigeprojekt der spanischen Krone. 1753 begannen unter der Herrschaft König Fernando VI de Borbóns die Bauarbeiten an der ehrgeizigen Festung. Tausende Arbeiter trugen Erde ab, bearbeiteten den Felsen und schleppten Steine, um diese immense Anlage zu errichten, in der eine Garnison von 4000 Soldaten untergebracht werden sollte. Doch das Bauwerk verschlang Unsummen. Die Arbeiten kosteten so viel, dass Teile der Festung nicht mehr fertiggestellt werden konnten. Nach dem Tod des Königs kam der Bau nur noch schleppend voran. Einige der ursprünglich geplanten Gebäudeteile, wie zum Beispiel die Kirche, wurden zwar begonnen, sind aber bis heute nicht abgeschlossen.
Lina und ich spazieren zunächst allein durch die Anlage. Kurz hinter dem Eingang erklärt ein Film sehr ausführlich die Geschichte der Burg. Als wir über die Brücke in das eigentliche Herz der Festung gehen, wird mir erst die unglaubliche Größe der Festung bewusst. Die Kirche sieht aus wie eine Ruine. Hätte ich nicht gewusst, dass sie unvollendet geblieben ist, wäre ich wohl davon ausgegangen, dass eine Bombe diese Ruine hinterlassen hat.
Ein nummerierter Weg führt durch die verlassenen Gemäuer auf die Mauer der Festung. Heute ist alles Grün. Blumen blühen auf den Wiesen zwischen den einzelnen Gebäudeteilen. Doch das war sicher nicht immer so. Während hier tausende Männer stationiert waren, liefen alle Arten an Abwässern in den Graben, der die äußere Mauer von der inneren Mauer trennt. Da dieser Graben jedoch nie mit Wasser gefüllt war (es wäre schlicht unmöglich gewesen, die dafür benötigten Wassermengen auf den Berg zu befördern), muss es schlimm nach Urin gerochen haben. Die Burg ist wesentlich spannender, als ich es vermutet hatte. Eine ungewöhnliche Mischung aus Lost Place und gepflegtem Altersruhesitz, denn nachdem die letzten Garnison abgezogen war, richtete man hier eine Residencia Militar ein.
Schließlich ist es Zeit für unsere Rundfahrt, denn wir haben uns zu einer Catedral de l’Aigua Tour angemeldet. Mit dem Jeep geht es dabei 3.125 Metern entlang der mächtigen Mauern, einmal rund um die Festung. Unterwegs erklärt ein Guide die Schildkrötenform dieses Bollwerks und macht uns auf viele kleine Details aufmerksam.
Als wir eine Stelle mit etwas Schatten erreichen, hält der Jeep. Alle steigen aus und der Guide verteilt Helme. Nun geht es unter die Erde. Theoretisch war das Castell Sant Ferran uneinnehmbar. Die Mauern waren mehrere Meter dick, kein Angreifer konnte ungesehen die Festung erklimmen. An der einzigen Stelle, an der die Burg nicht auf festem Felsgestein errichtet wurde, hätten Feinde möglicherweise Tunnel graben können, um von unten einzudringen. Doch auch dafür hatte man vorgesorgt. Wir laufen durch einen langen Tunnel, der sich in mehrere Kammern verzweigt. Hier unter der Erde horchten die Soldaten, ob sich ein Feind mit Hacke und Schaufel einen Weg zu graben versuchte. Im Notfall hätte man dann die Minen der Angreifer schnell geortet und gesprengt. Letztendlich konnte die Festung nur durch eine Belagerung Napoleons besiegt werden.
Wieder im hellen Sonnenschein beenden wir die Umrundung des Burggrabens und fahren mitten hinein ins Zentrum. Eine Festung dieser Größe musste natürlich die Wasserversorgung der Bewohner, der Soldaten, die hier teilweise mit ihren Familien lebten, sicherstellen. 250 000 Liter Regenwasser wurde von den Gebäuden aufgefangen. In unterirdischen Zisternen, die L-Form angelegt im Herzen des Hügels gebaut wurden, konnte man jedoch bis 9 Millionen Liter Wasser speichern. Damit hätte man eine monatelange Belagerung ausharren können.
Wieder heißt es Helm aufsetzen und Licht anschalten. Inmitten des großen Innenhofs führt eine unscheinbare Tür in das überlebenswichtige Wasserdepot. Ein paar schmale Stufen geht es hinunter in einen Tunnel. Dieses Mal ist es jedoch ein breiter, modern wirkender Raum unter der Erde. An den Seitenwänden führen Leitern auf einen erhöhten Podest. Wir klettern hinauf und befinden uns in einem ca. 1,5 m hohen Zwischengang, dahinter plätschert das Wasser. Unser Guide wartet bereits in einem Schlauchboot auf uns! Das einzige Licht kommt von unseren spärlichen Helmlampen. Ohne diese kleinen Lichter wäre hier unten rabenschwarze Nacht. Doch unser Guide lacht und rudert los. Er versichert uns, dass er auch in völliger Dunkelheit den Weg findet. Um von einer Zisterne in die andere zu gelangen, manövriert er uns geschickt durch die seitlichen Bögen hindurch. Es ist so eng, dass wir unsere Köpfe einziehen müssen. Wir sind völlig fasziniert und bewundern das kristallklare Wasser. Das reinigt sich nämlich durch Verdunstung praktisch selbst und hinterlässt Kalkspuren an den Wänden.
Auch die Akustik unter der Erde ist ungewöhnlich. Leider sind weder der Guide noch wir sonderlich musikalisch, aber wenn du gut singen kannst, muss das hier unten fantastisch klingen! 🙂 Mit diesem Highlight endet die ungewöhnliche Rundfahrt durch diese ganz besondere Festung.
Während das Castell Sant Ferran im letzten Jahrhundert als Kaserne genutzt wurde, verbrachte Salvador Dalí hier seine Militärzeit. Später wurde in den Gebäuden ein Gefängnis untergebracht, in das u.a. Kriegsdienstverweigerer gesteckt wurden, die unter Franco mit hohen Haftstrafen zu rechnen hatten.
Informationen Castell Sant Ferran
Pujada del Castell,
17600 Figueres (Girona)
Website castellsantferran.com
Parken kann man auf einem großen Parkplatz direkt vor der Burg.
Öffnungszeiten:
Im Sommer (1. Juli bis 31. August) täglich von 10.00 bis 20.00 Uhr.
Im Winter (Ende Oktober bis Ende März) täglich von 10.30 – 15.00 Uhr außer montags,
sie restlichen Monate: 10.00 bis 18.00 Uhr.
Eintritt:
Die Besichtigung auf eigene Faust kostet 5 Euro. Besichtigung, Rundfahrt im Jeep durch den Graben und Catedral de l’Aigua (die man allein nicht ansehen kann): 16 Euro. Vorher anmelden. Für Menschen mit Klaustrophobie ist der Ausflug in die Catedral de l’Aigua eher nicht zu empfehlen, neugierige Entdecker werden mega Spaß haben.
Das Castell Sant Ferran gilt als die größte Festung der modernen Epoche in ganz Europa.
Die meisten Besucher kommen nur wegen des Teatre Museo Dalí nach Figueres, doch es lohnt sich, ein bisschen mehr Zeit für die kleine Stadt ganz im Norden Kataloniens einzuplanen.
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