Ganz still ist es hier. Nur die Vögel zwitschern. Keine Autos, kein Mensch, außer uns weit und breit. Hélène zeigt mir die Gegend zwischen Bouchemaine und Savennières, dort wo Maine und Loire zusammenlaufen und wo der Savennières Wein angebaut wird.

bouchemaine loire und Maine

Am späten Nachmittag komme ich in Angers an. Hélène holt mich im Hotel ab. Statt direkt in die Stadt zu gehen, fährt sie mit mir an die Loire. Geniale Idee! Es ist richtig heiß heute. Das Thermometer zeigt dreißig Grad, und das, obwohl es fast schon Abend ist. Bevor wir die Stadt verlassen, trinken wir im Hafen noch ein kühles Glas leckeren Weißwein, natürlich einen aus der Region Anjou, einen Savennières.

savennieres angers anjou wein

Hélène kennt die Geschichte dieser Appellation. In den sechziger Jahren stand nämlich das Aus der Saviennières Weine kurz bevor. Viele Weinbauern konnten nicht mehr vom Ertrag ihrer Reben leben, die meisten gaben auf. Doch hier, südlich von Angers, waren es die Frauen, die die Weinstöcke nicht einfach verlassen wollten. Normalerweise ist der Weinanbau bis heute eher von Männern dominiert. Noch immer gibt es nur wenige Frauen, die ein Weingut unterhalten, mit Rebsorten und Anbaumethoden experimentieren und dabei so erfolgreich sind wie die Damen in Savennières. Hélène kennt sie sogar beim Namen: Mme Jessey, Mme La Roche und Mme Joly * waren es, die den Wein retteten.

boot Loire Angers Anjou toue

Früher gab es sehr viel Bootsverkehr auf der Loire. Kleine Barkassen, Fischerboote und auch größere Schiffe transportierten Waren oder auch Personen von einem Ort zum anderen. Die Fischer lebten vom Fang der Aale, Zander oder Neunaugen. Heute gibt es nur noch wenige der traditionellen Boote (Toues, Gabares und Futreaux). Manchmal kann man aber noch einen Teilzeitfischer bei der Arbeit beobachten oder auf einer für Besucher umgebauten Barkasse eine Bootstour machen.

Besonders hellhörig werde ich, als Hélène die Hausboote erwähnt, mit denen man auf der Maine gemütlich durch die Gegend schippern kann. Auf der Loire geht so etwas natürlich nicht, dazu ist sie ein viel zu großer und viel zu schneller Strom, der ja auch noch als Verkehrsweg genutzt wird. Aber weiter nördlich, auf den Nebenflüssen der Maine, soll man prima fahren können, auch ohne Bootsführerschein. Hausboot fahren wollte ich immer schon mal. Das kommt jetzt ganz nach oben auf meinem Reise-Wunschzettel. Die Gegend ist einfach ideal, um sie vom Wasser aus zu erkunden.

Blick auf die Kathedrale von Angers Anjou
Hafen Angers Anjou
Enten hafen Angers

Von dem kleinen Hafen aus kann ich nicht nur die Boote auf dem Wasser schaukeln sehen. Ein Mann füttert Enten. Er kommt sicher öfter her, denn die Enten scheinen ihn zu kennen. Sie watscheln vertrauensvoll hinter ihm her, in der Hoffnung noch eine Brotkrume zu erhaschen. Doch irgendwann ist die Tüte einfach leer. Weiter hinten ragen die mächtige Festung von Angers und die weiß leuchtende Kathedrale in den blauen Himmel. Aber all das werde ich mir morgen ansehen. Denn wir fahren jetzt in südliche Richtung, nach Savennières.

Savennieres Hintergrund loire
savennieres Weinstock bei Bouchemaine
weinstöcke SAvennieres Anjou

Hélène zeigt mir zwei der Weingüter. Hoch oben auf einem Hügel über dem kleinen Ort stehen die Reben in sauberen Reihen mit Blick auf die Loire. Wieder entdecke ich gleich einige Rosensträucher neben den Rebstöcken. Die Domaines Roche aux Moines und Coulée de Serrant liegen wirklich direkt nebeneinander.
zusammenfluss maine et loire bei Bouchemaine Angers Anjou

Wir verlassen den kleinen Hügel und fahren zu der Stelle, an der sich Loire und Maine vereinigen. Die Maine ist mit nur elf Kilometern Länge ein ziemlich kurzer Fluss, der aus dem Zusammenfluss der Mayenne und der Sarthe entsteht, kurz bevor er bei Bouchemaine schon wieder in die Loire mündet.

In Bouchemaine stehen wir direkt am Ufer, ein kleines Paradies auf Erden. Hier ist die Loire noch sauvage, noch wild. Jedes Jahr gibt es Hochwasser, wenn der Fluss mal wieder über die Ufer tritt. In dem sogenannten Schwemmland darf nicht gebaut werden. Die Industrie hat sich also weit weg, in Nantes und Tour, niedergelassen. Die alte Bahnstrecke entlang der Loire hat die Gegend vor dem Bau einer Autobahn bewahrt.

Boote am Ufer Maine et Loire Anjou ANgers
Boot Maine zufluss Loire Anjou
Bouchemaine boot Anjou

Die Feuchtgebiete hier an der Mündung sind noch intakt. Sie stehen unter Naturschutz und das Loiretal ist sogar Teil des UNESCO-Welterbes. Die weiten Uferwiesen bieten Vögeln wie Graugänsen, Lachmöwen, Eisvögeln oder Graureihern ein Plätzchen zum Nisten. Auf dem fruchtbaren Boden gedeihen auch die verschiedensten Obstsorten, Blumen und natürlich Weinreben hervorragend. Nicht umsonst nennt man die Gegend um Angers auch den Obstgarten Frankreichs.

Im grünen Gebüsch an den Ufern zwitschert, zirpt und quakt es. Hier geht es beschaulich zu. Es riecht ein wenig nach feuchtem Gras. Ganz leise fließt das Wasser an uns vorbei, und das gar nicht so langsam. Die Loire ist wohl aufgrund ihrer Tiefe, ein überraschend schneller Fluss. Vor uns versucht ein junges Pärchen sein Glück beim Angeln. Vielleicht wollen sie Aale fangen, die sollen hier eine Spezialität sein. Bis auf das Kreischen und Piepen der Vögel ist es einfach nur still und friedlich. Diese ländliche Ruhe ist richtig ansteckend. Wer hier wohnt, kann unmöglich gestresst sein. Ich weiß gar nicht, wie lange ich am Ufer umherstreife, hier und da ein Foto mache und total entspannt diese unglaubliche Natur genieße. Ich glaube ich bleibe hier.

Ufer der Maine Natur Anjou

Doch dann ist es Zeit, essen zu gehen. Na gut, mein Magen ist einverstanden. Wir fahren zur Philippe ins Noé. Das Restaurant heißt Noah, wie der mit der Arche, weil es regelmäßig überschwemmt wird. Man kennt das hier und ist darauf vorbereitet, so gut es geht. An der Loire gehören die Überschwemmungen zu den Jahreszeiten wie anderswo Hitze oder Schnee.

Philippe führt seine Arche Noah seit fünf Jahren – und der Laden brummt. Drinnen und draußen sitzen die Leute an den Tischen und genießen den lauen Sommerabend am Ufer der Maine. An der Wand hängt ein Beweisfoto: Tische und Bänke des kleinen Restaurants stehen komplett unter Wasser.

foto bar überflutet

Das Noé ist klein, es gibt nur wenige Gerichte, eine einfache ehrliche Küche regionaler Produkte. So etwas mag ich ja viel lieber als schickes Gedöns. Als Vorspeise bestellen wir eine Velouté mit Champignons. Der Großteil der berühmten Champignons de Paris stammt nämlich aus dem Anjou. Besonders in der Gegend um Saumur ist der Boden ja fast wie ein Schweizer Käse, voller Höhlen, unterirdischer Gänge und Tunnel. Früher züchtete man in diesen Höhlen eben auch Champignons. Heutzutage wird das wohl auch weitgehend modernisiert worden sein. Ob es wohl noch eine oder zwei Höhlen gibt, in denen Pilze gezüchtet werden? Oder vielleicht eine Museumshöhle? Das hätte ich mir gern angesehen. Ich muss definitiv noch mal wieder kommen.

champignons veloute anjou

Aal traditionelles Gericht Loire Maine Restaurant

fische aus der Loire frittiert

Auch bei der Hauptspeise bleiben wir der regionalen Küche treu und wählen Friture de Loire, das sind kleine Gründlinge oder Rotaugen, frittiert, und Matelotte d’anguille, mit Knoblauch und Rotwein zubereiteten Aal. Auch wenn wir beide Fisch bestellt haben, will ich heute den Rotwein kosten. Hélène hilft bei der Auswahl. Es wird ein frischer, aber trockener Anjou.

rotwein Anjou

Während wir uns hungrig auf unser Abendessen stürzen, wird es immer voller im Lokal. Die Einheimischen begrüßen sich mit Namen. Man kennt sich hier. Wer drinnen keinen Platz findet, sitzt an einem der Tische draußen. Ein perfekter Sommerabend.

restaurant Noe bouchemaine ufer

Zwischendurch kommt eine alte Bekannte vorbei, Hélène kennt sie jedenfalls. Ihr Mann war ein bekannter Künstler in der Gegend und hat eine der vielen Höhlen als Kunstwerk umgestaltet. Er muss ein spannender Mensch gewesen sein, ein Charakterkopf sagt man wohl. Hélène erzählt, dass es jede Menge Höhlen gibt, in denen die Menschen früher ihre Wohnungen hatten. Sie lebten praktisch unter der Erde. Habitat troglodytique nennt sie diese Höhlenbehausungen. Irgendwann im Laufe der Zeit verließen die Leute ihre Höhlen. Wer es sich leisten konnte, baute eben ein wesentlich bequemeres und moderneres Haus über der Erde. Mittlerweile sind die Troglodyten aber wieder angesagt und es gilt als schick, in einer in den Felsen geschlagenen Wohnung zu leben. Immer mehr Künstler und Leute, die das notwendige Kleingeld haben, ziehen in die alten Höhlen. Es gibt sogar Restaurants und Hotels! Das muss gleich auf meine Liste der Dinge, die ich bei dieser Reise verpasst habe aber auf alle Fälle noch sehen muss.

Unser Essen ist köstlich, aber die Portionen sind so reichlich, dass weder Hélène noch ich unseren Teller leer kriegen. Philippe, der Besitzer, lädt uns noch auf ein Glas bulles ein: Blasen nennen die Leute hier ihren Sekt. Er erzählt, wie er den Laden zusammen mit einem Freund übernommen hat. Der Betrieb ist klein und familiär, aber kein Familienbetrieb im eigentlichen Sinne. Philippes Frau arbeitet nämlich nicht hier. Sie hat ein eigenes Atelier für Glasmalerei. Im Restaurant sind ein paar ihrer Werke zu sehen.

Mittlerweile ist es bald Mitternacht und wir müssen morgen alle früh aufstehen: Ich will aufs Schloss von Angers und Hélène muss ins Büro. Wir verabschieden uns und ich schreibe mir im Kopf eine Liste mit all den Punkten, warum ich unbedingt wieder herkommen muss.

Nützliche Infos über Bouchemaine – zum Nachreisen: 

Restaurant Le Noé
Quai de la Noé
49 080 Bouchemaine

le noé restaurant bouchemaine

*Appelation Savennières:

savennieres domaine anjou

Die engagierten Damen von einst haben die Weingüter mittlerweile an ihre Töchter weitergegeben, Evelyne de Pontbriant und Tessa Laroche. Bei Mme Joly ist zur Zeit Sohn Nicolas Joly, der sehr erfolgreich in die Fußstapfen der Mutter tritt. Aber auch hier wird voraussichtlich in der nächsten Generation wieder eine Frau übernehmen: Virginie Joly.

Mme Jessey – Evelyne de Pontbriant
Domaine du Closel, Chateau des Vaults
Website: www.savennieres-closel.com

Mme La Roche – Tessa Laroche
Domaine aux Moines
Website: www.domaine-aux-moines.com

Mme Joly und Nicolas Joly
Vignobles de la Coulée de Serrant
Website: coulee-de-serrant.com

Anjou Maine Zufluss der Loire

Naturpark: www.parc-loire-anjou-touraine.fr

boot bouchemaine Anjou

Hinweis: Meine Reise entlang der Loire wurde von Atout France unterstützt. Besonderen Dank an Hélène, die mir diese wundervollen Plätze gezeigt hat! Die hier dargestellte Meinung spiegelt selbstverständlich ausschließlich meine eigenen Ansichten und Erlebnisse wieder.