Mein Schwager hat uns zu einer Bootsfahrt auf dem Canal du Midi eingeladen. Als wir in Le Somail losfahren, muss er ans Steuer, denn als einziger von uns hat er einen Sportbootführerschein. Wir anderen haben alle keine Ahnung, sind aber hoch motiviert. Längs des Kanals gibt es unzählige Anbieter, bei denen man kleine oder größere Hausboote mieten kann, die auch ohne Führerschein zu lenken sind. Sich zumindest ein wenig mit Booten auszukennen ist aber vor allem am Anfang durchaus hilfreich. Wir stürzen uns also – mehr oder weniger gut vorbereitet – gemeinsam in das Abenteuer.

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Lange schon habe ich mir gewünscht, einmal im Hausboot auf dem Canal du Midi zu fahren, diesem Jahrtausendbauwerk, das die Franzosen quer durch das Hexagon gezogen haben. Ursprünglich hieß dieser künstliche Fluss, der sich auf immerhin 240 Kilometer durch das Land erstreckt, Canal Royal. Die klügsten Köpfe des 17. Jahrhunderts hatten viele knifflige Aufgaben zu lösen, ehe Atlantik und Mittelmeer mit einer Wasserstraße verbunden werden konnten.

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In gemächlichem Schritttempo tuckern wir zunächst Richtung Westen. Als die erste Schleuse in Sicht kommt, macht sich Aufregung breit. Der Kapitän erteilt Befehle, jede Menge, und wir hühnern eilig hin und her. Zum Glück wartet vor uns bereits ein anderes Boot auf die Öffnung der Schleuse und wir stellen uns einfach dahinter.

Das Anlegemanöver haben wir schnell raus. Einer springt an Land und zieht das Tau an einem Poller fest. Zum Glück darf man fast überall anlegen. Erste Lektion: Wenn man gegen den Strom fährt, das Boot zuerst vorn festmachen, wenn man mit dem Strom fährt zuerst hinten, denn sonst treibt die Strömung das Boot in die Mitte.

Prompt kommt ein nettes deutsches Pärchen auf uns zu. Die beiden stammen aus Düsseldorf und fahren seit vielen Jahren auf dem Kanal. Sie geben uns noch ein paar gute Tipps, dann geht es auch schon weiter. Wir fahren in die erste Schleuse. Es ist viel einfacher als gedacht. Hinter uns schließen sich die Tore und wir steigen mit dem einströmenden Wasser im Nullkommanichts ein paar Meter in die Höhe. Dann geht das andere Tor auf und wir fahren weiter.

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Nach gefühlten 30 Minuten oder weniger stehen wir vor der nächsten Schleuse. Dieses Mal ist es eine Doppelte. Doch alles klappt wie am Schnürchen. Ich springe an Land, Michi zieht das Tau stramm und wir heben uns mit dem steigenden Wasser. Dasselbe Prozedere machen wir ein paar Mal. Die Aufregung schwindet schnell, denn die Schleusenwärter sind supernett und hilfsbereit. Ich bin total begeistert, wie freundlich und geduldig sie uns empfangen und durch ihre Anlage helfen. Auch die Leute auf den anderen Booten sind nett. In einem bunten Sprachenmix aus Französisch, Deutsch und Spanisch helfen wir uns selbstverständlich alle gegenseitig. Niemand ist genervt oder unfreundlich.

Dann ist es kurz nach zwölf als wir wieder an einer Schleuse ankommen. Bis 13 Uhr geht es nicht weiter. Mittagspause. Und danach ist zuerst die andere Seite dran. Wir haben jetzt also eineinhalb Stunden Zwangshalt. Zuerst ist es ungewohnt, so unerwartet ausgebremst zu sein. In unserer schnelllebigen Gesellschaft, in der alles auf Tempo ausgerichtet ist, steht man plötzlich da und nichts anderes tun als zu warten. Aber die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und wir haben Zeit. Schnell ist der Schalter im Kopf auf Urlaub umgestellt. Jeder findet eine gemütliche Ecke zum chillen, ausruhen oder lesen. Michi und ich laufen ein Stückchen am Ufer entlang und legen uns ins Gras, wo die Sonnenstrahlen uns wärmen.

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Schnell ist die Wartezeit um. Zackzack, zurück aufs Boot. Die mittlerweile gewohnte Hektik beim Einfahren in die Schleuse: Wer geht nach vorn? Wer geht nach hinten? Wer springt an Land? Wer wirft das Seil? Läuft!

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Im Schneckentempo geht es an hübschen Dörfern vorbei, Weinberge reichen bis zum Horizont. Immer wieder ziehen rosa blühende Sträucher oder ganze Felder lilafarbener Blumen am Ufer an uns vorbei. Lavendel ist es nicht, vielleicht Eisenkraut? In den Dörfern ziert Flieder die Hauswände und Kirsch- oder Pflaumenbäume die Vorgärten. Es ist Ostern, die Natur blüht und duftet nach dem langen Winterschlaf.

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Am Abend entdecken wir ein nettes Restaurant direkt am Ufer und parken das Boot in der Nähe. Die erste Nacht an Bord überstehen wir ohne Probleme. Als wir am Morgen aufwachen, treibt das Boot nicht, wie mein Schwager befürchtet hatte, steuerlos mitten im Kanal, sondern liegt sicher vertäut am Ufer. Mit jeder Schleuse werden wir eingespielter. Am zweiten Tag sind wir schon „alte Hasen“ und helfen einer Gruppe junger Franzosen, die sichtlich aufgeregt in ihre allererste Schleuse einfahren, die richtigen Seile zu lösen.

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Zum Mittag picknicken wir irgendwo am Ufer, im Schatten der Bäume. Total entschleunigt machen wir gefühlt nichts anderes als essen und schlafen. Nur unser zwölfjähriger Neffe geht ab und zu von Bord und läuft eine Weile auf dem ehemaligen Treidelpfad, der den Kanal begleitet, neben dem Boot her. Ich habe keine Ahnung wie viele, bzw. wenige Stundenkilometer wir fahren, aber es Schrittgeschwindigkeit. Radfahrer überholen uns.

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Ich liebe Bootfahren total, aber wenn ich die Radfahrer so sehe, kriege ich total Lust auf eine Fahrradtour entlang des Kanals. Das muss super schön sein, denn die Strecke ist eben und einfach zu fahren. Man radelt durch schöne Landschaften und überall gibt es hübsche kleine Chambres d’hôtes.

Immer wieder kommen wir an Hausbooten vorbei, die fest verankert am Ufer liegen. Viele Leute scheinen diese Boote als Feriendomizil zu nutzen. Einige sind sogar zu mieten! Hübsche Blümchen und Gardinen zieren diese alten, restaurierten Schiffe. Manche wirken fast schon luxuriös, andere wirken eher, als hätte ich selbst zu Hammer und Säge gegriffen. Aber sie schwimmen. Jedenfalls die meisten. Denn ein paar traurigen Booten, die verlassen und vergessen oder gar halb versunken  im Wasser vor sich hindümpeln, begegnen wir auch.

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Unsere Bootsfahrt geht in Richtung Carcasonne, allerdings nur bis Homps. Dort drehen wir um und fahren zurück. Kurz vor unserer letzten Schleuse passiert es dann. Als ich gerade mit dem Tau in der Hand an Land springen will, kriege ich von hinten einen unerwarteten Schubs, reagiere natürlich nicht rechtzeitig und lande mit einem Fuß im Wasser. Das Seil habe ich irgendwie noch ans Ufer geworfen und halte mich mit den Händen irgendwie zwischen Boot und Grasnarbe fest, um nicht vollends in den nicht unbedingt sauberen Fluten zu versinken. Die rettende Hand meines Neffen befreit mich aus meinem kniffligen Spagat und zieht mich ans Ufer. Die Socke wird ausgewrungen und der Schuh kommt zum Trocknen in die Sonne. Echter Abenteuerurlaub eben 🙂

In Richtung Osten kommt dann eine mehrstündige Strecke ganz ohne Schleusen. Erst kurz vor Beziers wartet dafür eine richtige Schleusentreppe! Bei den Écluses de Fonseranes ist das Gefälle so hoch, dass man neun Schleusen hintereinander gebaut hat! Jetzt zu Ostern ist noch wenig Verkehr auf dem Kanal, aber im Sommer kommt es dort bestimmt zu langen Wartezeiten. Nichtsdestotrotz ist das sicher ein aufregendes Spektakel, das wir uns aber ein anderes Mal ansehen müssen. Wir erreichen kurz vor Einbruch der Dunkelheit Capestang. Sobald die Sonne untergeht, darf man nämlich nicht mehr weiterfahren.

Kurz hinter Capestang liegt der Tunnel du Malpas, ein Abschnitt des Kanals, der durch einen Berg hindurch gebaut wurde. Den hätte ich mir zu gern angesehen, aber vielleicht schaffe ich das bei einer Fahrradtour, die in meinem Kopf schon langsam Gestalt annimmt.

Geschichte des Canal du Midi

Pierre Paul Riquet war im 17. Jahrhundert so besessen von der Idee, einen Kanal zu bauen, dass es ihm gelang, die Minister und Kardinäle des Sonnenkönigs Louis XIV von seinem Vorhaben zu überzeugen. In nur 15 Jahren gelang es, dieses beeindruckende Bauwerk zu erschaffen. Zwölftausend Männer und Frauen halfen mit einfachsten Mitteln, nur mit Schaufeln und Hacken ausgestattet, die unglaublichen Pläne Riquets in die Tat um zu setzen. Talsperren, Schleusen und Aquädukte mussten für den neuen Wasserlauf errichtet werden. Sogar ein Berg wurde untertunnelt, damit Schiffe vom Atlantik bis ins Mittelmeer fahren konnten.

Das Projekt verursachte immense Kosten, doch Riquet ließ seine Leute gut bezahlen. Für die damalige Zeit bot er den Arbeitern sogar vorbildliche Verträge. Der Sonnenkönig und seine Minister versprachen sich von diesem Unsummen verschlingenden Jahrtausendprojekt, nicht nur hohes Ansehen, sondern auch einen wirtschaftlichen Vorteil. Handelsschiffe konnten dank des Kanals die Meerenge von Gibraltar und den langen Weg um die Iberische Halbinsel herum ersparen. Eine mühselige und gefahrvolle Strecke, denn außer Meer und Wetter bedrohten auch Piraten auf dieser Route die Schiffe. Eine Abkürzung über den Canal du Midi war eine durchaus vielversprechende Alternative. Neben den Steuereinnahmen der passierenden Schiffe, die nun nicht mehr dem spanischen König zugutekämen, erhoffte sich der französische Herrscher auch Handelsvorteile für den Süden seines Landes.

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Nach Fertigstellung des Canal du Midi, der Sète und Toulouse miteinander verbindet, veranlasste der berühmte Festungsbaumeister Vauban noch ein paar Verbesserungen des Bauwerks. Später leitete man den Kanal noch so um, dass er durch Toulouse und Carcassonne führte. Doch erst als im 19. Jahrhundert der Bau des Canal latéral à la Garonne, der von Toulouse bis zum Atlantik führt, beendet wurde, war der durchgehende Canal des Deux Mers endlich fertig.

Diese einmalige Wasserstraße brachte dem Süden Frankreichs tatsächlich wirtschaftlichen Aufschwung. Allerdings nur für kurze Zeit, denn mit dem Aufkommen der Eisenbahn (und später dem Bau der Autobahn) wurde der Warenverkehr von den Schiffen auf die schnellere Schiene verlegt. Heute sind auf dem Canal du Midi ausschließlich Freizeitboote unterwegs.

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Unser Fazit:

Wir haben nur das klitzekleine Stück des Kanals zwischen Homps und Capestang befahren. Keine Ahnung, ob das unbedingt der schönste Abschnitt des Canal du Midi war. Vorher hatte ich Bilder eines Baum umsäumten Kanals im Kopf, davon habe ich allerdings eher weniger gesehen. Meist waren wir zwischen Weinbergen unterwegs und hätten bestimmt an der einen oder anderen Stelle auch einen Weinkeller besuchen können.

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Im Nachhinein habe ich gelesen, dass die typischen Platanen, die den Kanal säumen, von einem Erreger befallen waren und gefällt werden mussten. Das erklärt, warum wir so viele junge Bäume am Ufer gesehen haben. Die Platanen werden nachwachsen und gemischt mit anderen Bäumen in ein paar Jahren sicherlich wieder postkartengemäß am Ufer emporragen.

Wie der Erhalt des Canal du Midi in Zukunft mit dem voranschreitenden Wassermangel vereinbart werden kann, ist mir noch nicht so richtig klar. Irgendwo muss das Wasser ja herkommen, und wenn Trinkwasser für die Bevölkerung und die Landwirtschaft gebraucht wird, ist das natürlich wichtiger als die Schleusen. Da muss ich mich noch mal schlaumachen.

Le Somail:
Niedliche mittelalterliche Brücke überquert den Kanal. Links und rechts säumen kleine Restaurants das Ufer. Ein lustiges Supermarkt-Boot bietet regionale Spezialitäten an und in einem tollen alten Buchladen kann man nach gebrauchten Büchern stöbern! In der Office du Tourisme gibt es außer einem kleinen Film über die Geschichte des Canal du Midi und jeder Menge Infos auch eine Schleusenkarte. Die supernette Dame dort ist übrigens Deutsche 🙂 liebe Grüße!

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Ventenac-en-Minervois:

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Paraza:
Au bord de l’eau, ein winziges kleines Café, super nett und mit schönem Blick auf den Kanal. Dahinter führen zwei, drei kleine Straßen durch das hübsche Dorf.

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Argens Minvervois:
In dem kleinen Dörfchen neben dem Hafen gibt es nicht viel zu sehen, aber allein das Restaurant La Guinguette lohnt den Halt. Eine Art Strandbar am Kanalufer mit echt leckerem Essen und sehr netter Bedienung.

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Capestang:
Das Dorf liegt unterhalb des Canal du Midi, d.h. zum Dorfzentrum geht es bergab! Vor der beeindruckenden Kirche liegen ein paar Bars und Restaurants an einem kleinen Platz. Ein Gedenkstein erinnert an die vielen Menschen, die von deutschen SS-Soldaten auf dem Platz erschossen oder in ein Konzentrationslager deportiert wurden und nie wieder zurückkehrten.

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canal-du-midi-capestang-kircheCollégiale Saint-Étienne de Capestang

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Aufregende Technik:
Aquädukte, spannende Wasserbrücken, in denen man mit dem Boot kleinere Flüsse überquert, Schleusentreppe, Rundschleuse, Tunnel – die technischen Meisterleistungen dieses Bauwerks sind schwer beeindruckend.

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Die Menschen in den kleinen Dörfern entlang des Kanals sind alle unglaublich nett und hilfsbereit. In den Restaurants, Häfen, Schleusen, waren alle so lieb und freundlich, dass ich mich glatt wieder in Frankreich verliebt hätte – wenn nur diese französischen Öffnungszeiten nicht wären! Irgendwie haben wir seit Jahren das Pech, wenn wir auf der anderen Seite der Pyrenäen zu Besuch sind, ständig vor verschlossenen Türen zu stehen. Dieses Mal haben wir es zumindest geschafft, uns an die französischen Essenszeiten zu halten und dabei ein paar tolle Restaurants gefunden. Statt des typischen “Cuisine fermée”, auf das wir bei Frankreichbesuchen inzwischen eingestellt sind, waren dieses Mal Museen, Kirchen, Geschäfte und alles andere geschlossen.

      nachts im Hafen