Ein Thema, das mich in den letzten Wochen echt beschäftigt hat: Wo sind die Frauen Ü40, die noch Lust auf große Reisen haben? Die alleinreisenden Frauen, die ich unterwegs treffe, sind fast immer Mitte zwanzig bis Mitte dreißig. Dann hört es plötzlich auf. Es kann doch nicht sein, dass ab vierzig alle zu Hause bleiben? Manchmal kriege ich fast schon Komplexe, und frage mich, ob ich vielleicht einfach zu alt bin und es nur noch nicht gemerkt habe. Kann es sein, dass ich mich mit meiner Rumreiserei und dem Bloggen Ü40 lächerlich mache? Ehrlich gesagt, hatte ich mir bisher keine großen Gedanken über so etwas wie eine „Zielgruppe“ gemacht, ich wollte einfach reisen und schreiben. Ob und wer meine Geschichten dann liest, steht nicht mehr in meiner Macht – dachte ich. Dass das so nicht stimmt, ist mir schnell klar geworden. Die große Frage ist also, für wen schreibe ich eigentlich? Will überhaupt jemand lesen, wie sich das Reisen als Frau jenseits der 40 anfühlt? Ist es denn so anders, als mit 20 die Welt zu entdecken?

Ich schreibe so viel, fast jeden Tag. Geschichten, die in meinem Kopf passieren und die einfach unbedingt auf das Papier müssen. Halbe Bücher, angefangene Erzählungen, Texte, die nie fertig werden und es nie in die Öffentlichkeit schaffen. Weil es zusammenhangloses Zeug ist? Weil das kein Mesch lesen will? Oder weil ich Angst davor habe, mich nackig zu machen?

Wer sich nackig macht (=öffentlich im Internet seine Meinung, Ideen, Gedanken ausdrückt), muss Kritik einstecken können. Und nicht nur konstruktive Kritik, sondern manchmal eben auch einfach blöde Kommentare ertragen. Ich gebe zu, ich habe Angst vor Kritik und bösen Kommentaren. Ich will niemandem auf den Schlips treten und mir soll auch keiner auf den Schlips treten. Ich bin eher so ein Friede, Freude, Eierkuchen – Typ. Ich habe Angst mich lächerlich zu machen und kann doch nicht aufhören mit dem öffentlichen Erzählen. Es gibt noch so viel zu erleben. Muss ich mich vielleicht entscheiden? Entweder auf Kritik zu pfeiffen lernen oder meinen Schnabel zu halten?

Zu alt zum Reisen?
Mein erster Alleinflug: Mexiko 89

Backpacker haben einen anderen Schreibstil als Pauschalreisende oder Kreuzfahrer. Jeder hat da so seine Gemeinde. Aber wo um Himmels Willen ist meine Nische? Um von mehr Leuten, als nur von Mama gelesen zu werden, braucht man schon irgendeinen Plan. Das ist auch mir klar. Backpacker? Auch wenn ich oft mit dem Rucksack reise, kann aber muss ein 12-Zimmer im Hostel nicht immer unbedingt sein. Kreuzfahrten? Ich liebe Boote, aber Kreuzfahrtschiffe reizen mich so gar nicht. Lifestyle? Ganz davon ab, dass ich bis heute nicht verstanden habe, was der Begriff genau meint, erscheine ich nur sehr ungern auf Fotos. Erst recht kann und will ich mich nicht mit Bikinifotos verkaufen. Es ist ja total OK, wenn so manch einer damit Likes sammelt, aber das ist eben definitiv nicht meins. Neulich habe ich zum ersten, einzigen und letzten Mal dann doch wider besseren Wissens, ein unschuldiges Foto meiner Knie am Strand gepostet. Eigentlich war nicht viel drauf zu sehen, nur viel Sand und meine Knie eben. Das passte gerade zum Thema Relaxen am Strand, dachte ich jedenfalls. Prompt habe ich damit einen Kommentar mit dem Titel “Hot dog legs” geerntet. Definitv nicht mein Spielplatz. Ich hätte es besser wissen müssen. Reflexartig habe ich den Kommentar gelöscht, das Foto auch beinah. Aber dann eben doch nicht. Ein persönliches Mahnmal, das mich daran erinnert, dass ich lernen muss, mit Kritik umzugehen.

Ich dreh mich im Kreis. Was beschäftigt andere Frauen Ü40? Doch nicht nur Frisuren, Diäten und Mode? Wo sind denn die Frauen, die nicht nur im eigenen Garten Urlaub machen oder Pauschalreisen buchen, weil es so schön praktisch ist? Wo sind all die Leute hin, die ich damals unterwegs getroffen habe, als ich anfing zu reisen? Die sitzen sicher nicht alle brav zu Hause. Wen das Reisefieber einmal gepackt hat, den lässt es nicht wieder los. Auch wenn man ein paar Jahre “trocken” bleibt, ein harmloser “Urlaub” kann das Fieber sofort wieder auslösen.

Ein vager Verdacht macht sich in mir breit. Als ich das erste Mal meinen Rucksack gepackt habe, gab es noch keine Mobiltelefone und kein Internet und Fotos brachte man zum Entwickeln in den Laden. Ich habe die schwere Vermutung, dass das Bloggen und Social Media an und für sich einfach bisher nicht wirklich bei der Mehrheit der Frauen meiner Generation angekommen sind. Ein gewisses Misstrauen dem Internet gegenüber, gepaart mit einem vollbeschäftigten Alltag (Kindererziehung und/ oder Karriere) – kann das die Erklärung sein?

zu alt zum reisen?
lang ist’s her 1993

Ein paar Leute muss es doch geben, die ihre Kinder großgezogen und die Neugier auf die Welt und das Leben dabei noch nicht ad acta gelegt haben?! Oder bin ich einfach der komische Vogel, der den Absprung nicht geschafft hat? Solange die Kinder klein waren, stand die Familie immer an erster Stelle, nicht der Job. Das würde ich heute genauso wieder machen, wenn ich nochmal von vorn anfangen müsste. Aber Kinder werden groß, und wenn man einigermaßen was richtig macht, werden sie unabhängig und fliegen aus dem Nest. Wenn ich mal alt bin, möchte ich wie eine typische, italienische Mamma sein und unter einem Baum im Garten meine 20-köpfige Familie, Kinder und Enkelkinder um mich scharen und alle bekochen. Aber bis dahin ist es noch Zeit. Noch bin ich ein culo inquieto, wie die Spanier so schön sagen, und mit dem Entdecken längst noch nicht fertig.

Ich mache mir manchmal ernsthaft Sorgen, ob ich vielleicht ein Problem mit dem Älterwerden oder was auch immer habe. Komme ich in die Wechseljahre? Zum Glück habe ich den besten Mann der Welt an meiner Seite. “Du bist einfach Du” sagt er mir immer. Mein Leben war und ist nicht auf eine steile Karriere, sondern irgendwie eher “breit” angelegt. Ich habe viel gearbeitet, viel Neues ausprobiert und bin nach einer Weile immer “weitergezogen”. Ich kann viele Dinge ganz gut, aber ich bin nicht in einer einzigen Nische “überragend”. Meine “Fähigkeiten” sind wohl eher gestreut, wenn man das so sagen kann.

Du bist eben kein Haifisch, der sich jahrtausendelang auf seine Nische spezialisert hat und jetzt der König der Meere ist, sondern eher ein Mangroven-Fink auf den Galaposinseln” sagt mein Fels in der Brandung, “ein kleiner Fink mit einem dicken Schnabel, davon gibt es eben nicht so viele”.

Dann mach ich mich wohl mal auf die Suche nach anderen Mangroven-Finken, die noch Lust darauf haben, die Welt zu entdecken, schöne Dinge zu erleben, neue Landschaften kennenzulernen, die Welt zu hören, zu fühlen, zu sehen und zu schmecken…

 

freibeuter-reisen

 


Ein paar Gedanken in eine ähnliche Richtung habe ich übrigens bei Entdecker(g)reise gefunden. Auch Gitti Müller schreibt zum Thema „Von wegen zu alt„. Unbedingt lesen!