Heute muss ich mal ein paar Gedanken loswerden, die nur in zweiter Linie mit dem Reisen zu tun haben. In erster Linie geht es um unseren Umgang mit einem wertvollen Gut, dem Wasser.
Endlich Regen!
Die letzten Tage des April haben endlich den lang ersehnten Regen gebracht. Wie viele Monate haben wir darauf gewartet? Ich habe aufgehört zu zählen, aber es war allerhöchste Zeit, dass ein paar ordentliche Schauer die völlig vertrocknete Natur wiederbeleben. Ob es schon ausreicht, um die Stauseen, die die Dörfer und Städte mit Trinkwasser versorgen, wieder aufzufüllen, sei dahin gestellt. Dazu müsste es vermutlich den gesamten Mai durchregnen. Denn die Pegelstände sämtlicher Stauseen in Katalonien sind auf einem katastrophal niedrigen Strand, sodass bereits vor Wochen Einschränkungen im Wasserverbrauch verhängt wurden. Und der Sommer kommt erst noch! Hier wird so manchem ganz schwindelig bei dem Gedanken, dass in den kommenden Monaten Millionen Touristen anreisen, die in ihren Hotels ausgiebig duschen und in Swimming Pools planschen wollen. Ein Streit darum, ob die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen oder der Golfplätze wichtiger sei, ist längst ausgebrochen.
Wie konnte es so weit kommen? Ist es allein das Klima? Oder hätten wir Menschen mit einem besseren Wassermanagement die vorhandenen Mengen besser nutzen und verteilen können? Mit meiner Freundin Julia habe ich mich auf den Weg nach Vilanova de Sau gemacht, einem kleinen Dorf in den waldigen Guilleries, nördlich des Montsenys, um die Menschen dort zu fragen, wie sie mit dem dramatischen Tiefstand des Wasserpegels umgehen und wie sich der Wassermangel hier auswirkt.
Die Gemeinde des beschaulichen Vilanova de Sau hat eine besondere Geschichte hinter sich. Rund um die romanische Kirche Sant Romà de Sau lagen früher ein paar kleine Höfe, die noch zu Vilanova de Sau gehörten. Doch das kleine Poblet, dessen Ursprung sich bis ins 10. Jahrhundert zurückverfolgen lässt, wurde Mitte des letzten Jahrhunderts zur Schaffung eines Staudamms überflutet. 38 Personen lebten in dem Dörfchen und mussten ihre Häuser verlassen. Sie waren nicht die einzigen, die in dieser Zeit zwangsumgesiedelt wurden. Aufgrund der großen Staudammprojekte, die in ganz Spanien realisiert wurden, erlitten in den 60er Jahren mehrere Dorfgemeinschaften ein ähnliches Schicksal. Manche dieser Zwangsumsiedlungen verliefen hochdramatisch.
bei niedrigem Pegel schaut der Kirchturm aus dem Stausee heraus
Doch zurück ins Heute, in die stillen und friedlichen Wälder der Guilleries, wo das Wasser normalerweise so reichlich aus dem Boden sprudelt, dass mehrere Mineralwasserfabriken seit vielen Jahren von den unterirdischen Quellen leben. Der Pantà de Sau hatte sich längst zu einem beliebten Ausflugsziel in den Sommermonaten entwickelt. Historisch interessante Wanderwege, wie die Routen des Räubers Serrallonga führen hier entlang. Bisher konnte man hier nicht nur Wandern, sondern auch Kajak fahren oder Spaß bei diversen anderen sportlichen Aktivitäten auf dem Wasser haben. Wie gesagt, bisher. Denn das Highlight der Bootsausflüge, die Kirchturmspitze zu umrunden, die bei niedrigem Wasserstand aus dem Stausee heraus ragte, können die Kajakvermieter nun nicht mehr anbieten. Nicht nur, weil schwimmen und Bootfahren auf dem Stausee derzeit verboten ist, sondern weil die ganze Kirche komplett auf dem Trockenen steht und zu Fuß erreichbar ist. Der Pantà ist fast leer. Nur ein matschiger Untergrund und die deutlich sichtbare Begrenzung der einstigen Uferlinie erinnern daran, dass dieses ganze Gebiet normalerweise unter Wasser liegt.
Wasserstand April 2023 🙁
Erstaunlicherweise sind wir jedoch nicht die Einzigen hier. Als wir nach unseren Gesprächen mit dem Bürgermeister und dem Betreiber eines Kajakverleihs an den Parkplatz am Seeufer kommen, stehen dort überraschend viele Autos, sogar eines mit deutschem Nummernschild. Ganz offensichtlich zieht es Besucher, vorwiegend aus Barcelona, aber auch aus anderen Regionen hierher. Der Bürgermeister hatte uns vorgewarnt: der Dürretourismus entwickelt sich zu einem neuen Problem. Denn während die eigentlich wasserreiche Gemeinde händeringend nach Lösungen sucht, um in den nächsten Wochen und Monaten nicht auf die Versorgung mit teuren Tankwagen zurückgreifen zu müssen, werden sie an den Wochenenden auch noch mit Besuchern überschwemmt, die nur für ein Selfie mit dem Kirchturm herkommen. Sie interessieren sich nicht für die Gegend, besuchen keine Restaurants, buchen keine Aktivitäten, sondern verschwinden wieder, wie ein Heuschreckenschwarm, der weiterzieht, wenn es nichts mehr zu fressen gibt. Das größte Problem dabei ist, so der Bürgermeister, dass vereinzelte Besucher im matschigen Untergrund des einstigen Seebodens steckenbleiben und von der Feuerwehr gerettet werden müssen, weil sie sich selbst nicht mehr aus ihrer misslichen Lage befreien können. Obwohl das Gebiet weiträumig gesperrt ist, werden die Warnschilder gern übersehen.
Kein Wunder, dass die Menschen der 300-Seelen-Gemeinde langsam die Geduld verlieren. Als sei die weltweite Klimakatastrophe nicht schon schlimm genug, sorgen Politik und Wirtschaft, in Gestalt der Wasserkraftwerke, durch schlechte Planung und zweifelhafte Prioritätensetzung für ein mehr als fragwürdiges Management des wenigen verbliebenen Wassers.
Während die Kajakvermieter versuchen, sich mit Bogenschießen “über Wasser zu halten” und der Bürgermeister verzweifelt darum kämpft, die Grundversorgung seiner kleinen Gemeinde sicherzustellen, werden in der nahen Umgebung noch immer diverse Golfplätze begrünt. In Barcelona sprudelt gar seit 15 Jahren Wasser aus einem Leck, das die die Behörden nicht repariert kriegen. Wenn dann noch sensationshungrige Touristen die Straßen und Wege verstopfen, für die die Trockenheit des Stausees offenbar ebenso anziehend ist, wie ein Unfall auf der Gegenfahrbahn der Autobahn oder die leider häufigen Waldbrände, kann ich gut verstehen, dass die Grenzen der Geduld erreicht sind.
Vor diesem Hintergrund ist die Freude, die hier über den Regen herrscht, sicher jedem verständlich. Was mir persönlich dennoch Sorgen macht, ist die Tatsache, dass uns die heißen Sommermonate erst noch bevorstehen. Nicht nur in unserer Gemeinde gibt es schon jetzt Einschränkungen unserer Wassernutzung. Wenn sich bald die Campingplätze und Hotels mit Touristen füllen, die im Urlaub nicht auf sommerlichen Badespaß verzichten und ausgiebig duschen wollen – woher soll das Wasser kommen? Ist es sinnvoller die Touristenhochburgen an den Küsten oder die Landswirtschaft mit Wasser zu versorgen? Wer kann eher verzichten? Wo liegen die Prioritäten? Vermutlich wäre es schlau gewesen, sich mit den landwirtschaftlichen Verbänden rechtzeitig an einen Tisch zu setzen und Absprachen bezüglich der zur Verfügung stehenden Wassermengen zu treffen, damit die Bauern entscheiden können, welche Saat sie auf ihren Feldern aussähen. Doch genau diese Koordination scheint derzeit das schwierigste Problem zu sein neben der Tasache, dass es sich für die Betroffenen anfühlt, als richteten die Entscheidungsträger in den Amtsstuben ihre Massnahmen nicht danach aus, was vor Ort notwendig ist, sondern wie sie bei den anstehenden Wahlen punkten können.
Mehr Infos:
Einen sehr ausführlichen Artikel zum Thema gibt es von der lieben Julia Macher in der Zeit www.zeit.de, ein Audio findest Du auf www.deutschlandfunkkultur.de
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