Plötzlich wird mir heiß. Wie eine Welle rollt die Hitze durch meinen Körper. Habe ich Fieber? Bin ich das, oder ist es hier einfach gerade sehr warm? Ich sehe mich um. Offenbar schwitzt niemand außer mir. Es ist wohl soweit. Das sind also die Wechseljahre.

Selten habe ich mich so unbeschwert gefühlt, wie jetzt mit 53. Mein Leben war bisher eigentlich immer von Erwartungen begleitet. Erwartungen, die ich an mich selbst hatte, von denen ich dachte, sie seien notwendig für meine Familie, den Job oder die Gesellschaft. Ich lebe ja nicht allein in dieser Welt, sondern in einer Gemeinschaft. Und das bedeutet eben, dass man sich manchmal auch an die Bedürfnisse anderer Menschen anpassen muss. Mittlerweile denke ich, ich habe mir vielleicht viel zu viel Druck gemacht. Erstaunt stelle ich fest, dass die Menschen, die mich lieben und mir nahe sind, mich einfach so lieb haben, ohne dass ich etwas dafür leisten oder toll aussehen muss. Ich muss weder die Schönste, noch die Fleißigste, die Klügste oder die Lustigste sein. Es ist OK, so wie ich bin.

unterwegs cardedeu

Jedenfalls, wenn ich einen guten Tag erwische und mich in meiner älter gewordenen Haut wohl fühle. Die paar Kilos mehr, die ich mit mir herumschleppe seit ich nicht mehr rauche, haben sich zu einem gemütlichen Kuschelpolster entwickelt. Seit Corona sind es sogar noch ein paar mehr geworden. Dafür bin ich nun endlich weniger gestresst, liebe es, an der frischen Luft spazieren zu gehen und habe es nicht mehr dauert so eilig. Kein Stress, keine Hektik. Es gibt gerade (fast) keine Deadlines, (fast) keine Termine mehr einzuhalten. Einfach mal back to the basics.

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht gern meine frühere Figur zurück hätte, von sagen wir mal Ende 30 oder Anfang 40. Wenn das mit einem Fingerschnipp ginge, ohne mich mit Hungerkuren quälen oder Kette zu rauchen und tiefe Depressionen zu durchleben, dann gern. Doch damals war ich vermutlich nur deshalb so dünn, weil ich an so vielen Seiten zur gleichen Zeit gekämpft habe und es mir gesundheitlich eigentlich gar nicht gut ging. Den Job habe ich ziemlich oft gewechselt, sobald mich jemand schräg von der Seite angesehen hat, war seelisch null belastbar und ständig kurz vor dem nächsten Abgrund. Eine Zeit lang waren Depressionen meine ständigen Begleiter. Heute frage ich mich, ob ich vielleicht so schlank war, weil ich mich gar nicht getraut habe, mehr Raum in dieser Welt einzunehmen. Je dünner ich war, umso weniger Angriffsfläche bot ich der Welt um mich herum.

Mit über 50 bin ich diesen ganzen Druck irgendwie los. Ich muss nicht mehr hetzen, ich muss nicht schön sein oder Karriere machen. Ich heiße die ersten weißen Haare auf meinem Kopf willkommen und freue mich sogar über neue. Wie es wohl aussehen wird, wenn ich ganz weiß geworden sein werde? Die Vorstellung hat etwas Schönes für mich, etwas von Ruhe und Erfahrung, von behütet und geborgen sein.

Natürlich ist es schwer zu sagen, was gerade an den Veränderungen in mir den Wechseljahren, was der Corona-Krise oder anderen Umständen zuzuschreiben ist. Die Befreiung von dem Druck, den ich mir jahrelang selbst auferlegt habe, hat jedenfalls zur Folge, dass ich mich selbst einfach nicht mehr so Ernst nehme und viel mehr über mich selbst lachen kann. Dadurch hat das Leben wieder etwas „Kinderleichtes“. Der Alltag ist nicht mehr minutiös verplant und getaktet, keinen strengen Abläufen mehr unterworfen, ich habe keine Scheu ungelenk zu tanzen und mich auch mal „daneben“ zu benehmen (jedenfalls zu Hause im Kreis der Familie).

Auf der anderen Seite habe ich auch (endlich!) gelernt, dass mich nicht alle Menschen mögen müssen. Diese unlösbare Aufgabe, die ich mir natürlich selbst gestellt hatte, brachte mich oft dazu, mich klein und möglichst unsichtbar zu machen. Bloss, um nicht anzuecken, nicht zu stören oder aufzufallen. Das war ein Schutzmechanismus, um nicht angegriffen oder nicht gemocht zu werden. Unglaublich, dass ich so lange gebraucht habe, um zu verstehen, dass ich mich gar nicht wie ein Hund auf den Rücken werfen, und mich nicht schon prophylaktisch ergeben muss.

Aber natürlich gibt es auch die anderen Tage in dieser Hormongeschichte, die in meinem Körper gerade abläuft. Hormone sind sicher zum Teil auch dafür mitverantwortlich, dass ich derzeit wieder gewissen Stimmungsschwankungen unterworfen bin. Zum Glück hält sich das noch relativ in Grenzen. Jedenfalls musste ich noch nicht mitten im Supermarkt anfangen zu heulen, weil mein Lieblingskaffee ausverkauft war. An manchen Tagen falle ich aber wieder in die alten Muster zurück, vergleiche mein Aussehen mit 30 Jahre jüngeren Frauen, und gleichzeitig ängstigt es mich, wenn Menschen in meinem Alter plötzlich sterben. Das Leben liegt nicht mehr „unendlich“ vor mir. Es ist wie eine immer wieder herausgeschobene Schwelle zum Erwachsenwerden, die „nun aber wirklich“· darauf besteht, dass ich das Leben ab jetzt ernst nehme und alles anders sein wird.

Manchmal fallen die Wechseljahre, wie in meinem Fall, mit dem Auszug erwachsen gewordener Kinder zusammen. Erst geht das eine Kind, dann das andere, und auf einmal bin ich mit dem Schatz wieder „allein“. So viele Aufgaben und Verantwortlichkeiten, an die ich mich gewöhnt hatte, fallen plötzlich weg, da ist es gar nicht so leicht, die wiedergewonnene Freiheit, freudestrahlend zu begrüßen. Im ersten Moment fühlte es sich wie eine große Leere an, wie eine Art Trauer. Doch es ist einfach nur das Ziel des Lebensabschnitts, das neu definiert werden darf. Über 50 ist endlich einmal Zeit dafür, an sich selbst zu denken. Stundenlange Spaziergänge, in der Badewanne liegen, Podcasts hören, im Garten wühlen, es gibt so viel Schönes zu tun.

Natürlich ist diese Zeit für jede Frau anders. Jeder Körper und jede Seele erlebt ganz eigene Abenteuer. Für mich ist es so, als wäre ich einen Marathon gelaufen, hätte es bis ins Ziel geschafft und darf nun auf der Aftershow-Party abfeiern. Ich habe so vieles erledigt und darf jetzt einfach mal genießen.