Es ist Frühling. Die Vögeln zwitschern. Und ich verschwinde für drei Tage hinter dicken Klostermauern. Ich bin neugierig, neugierig auf das Leben, auf die Menschen, auf ihre Geschichten. Manchmal vielleicht sogar gierig, statt nur neugierig. Wie in einem Sog werde ich mitgezogen, getrieben von einer unbestimmten Gier. Ich bin auf der Suche. Aber nach was eigentlich genau? Diese gierige Suche macht, dass ich oft einfach viel zu schnell bin. Meistens kriege ich das selber nicht einmal mit. Erst hinterher wird es mir bewusst. Zumindest manchmal. Unsere ganze Gesellschaft ist auch schnell. Vor ein paar Jahren habe ich mal einen Film gesehen, Speed. Darin geht es darum, dass sich ein Typ auf den Weg macht herauszufinden, wo denn seine Zeit bleibt. Trotz der vielen Maschinen und neuer Technik, die uns das Leben erleichtern soll, sind wir alle immer gehetzter. Wieso? Trotz einiger kleiner Schwächen insgesamt ein toller Film, der mich auf jeden Fall mal wieder daran erinnert hat, ab und zu zu entschleunigen.
Mehr oder weniger darum ging es auch bei meinem Entschluss, ein paar Tage in einem Kloster zu verbringen: Einen Ort zu finden, an dem ich ein paar Tage zur Ruhe kommen kann. Natürlich spielte wie immer auch eine gewisse Neugier eine Rolle. Ich bin neugierig darauf, Menschen kennenzulernen, die ihr Leben diesem einen großen Zweck widmen, Gott zu dienen. Wie ist es wohl, hinter Klostermauern zu leben?
Als ich an der grauen Pforte klingele, nimmt Nuria mich in Empfang. Sie ist keine Nonne, sondern kümmert sich um diversen Papierkram im Kloster und so einiges anderes. Als Erstes darf ich mein Zimmer sehen. Ich bin positiv überrascht. In einem modernen Anbau ist der Trakt für die Gäste untergebracht. Die Zimmer haben den Charme einer Jungendherberge: Alles ist schlicht und funktional, aber mit allem eingerichtet, was man so braucht. Sogar WIFI gibt es in jedem Zimmer. Es ist lange nicht so karg, wie ich es mir vorgestellt hatte. Scheinbar kommen öfter mal Studenten hierher, um in Ruhe wichtige Abschlussarbeiten zu machen, zu lernen oder was auch immer. Manchmal halten auch Firmen kleine Seminare oder Kongresse hier ab. Jetzt gerade ist außer mir aber nur ein Student hier, Gerard, den ich später beim Mittagessen noch treffen werde.
Aber zunächst macht Nuria mit mir einen Rundgang und erzählt mir die Geschichte des Klosters. Gegründet wurde das Monestir Sant Daniel vor ganz genau tausend Jahren. Laut dem ältesten schriftlichen Dokument fällt die Gründung in das Jahr 1015.
Die Gräfin Ermessenda von Carcassone, Gründerin des Klosters, war eine kluge, ehrgeizige, einflußreiche und sehr mächtige Frau. Ungefähr zur Zeit der Gründung des Klosters beginnt auch die Geschichte Kataloniens. Durch den Zusammenschluss verschiedener Grafschaften entstand aus der karolingischenden Spanischen Mark („marca hispánica“) der Embryo des katalanischen Reichs, das sich später über das ganze Mittelmeer ausdehnen sollte.
Der ebenfalls aus Carcassonne stammende Guifré el Pelòs, Wilfrid der Haarige, hatte nur rund zweihundert Jahre zuvor vom karolingischen König den Titel mehrerer Grafschaften in der Spanischen Mark erhalten. Diese Titel wurden ausschließlich vom König verliehen. Nach dem Tod des legendären Guifré, über den es viele spannende Legenden gibt, gelang es seinen Nachfahren jedoch diese Grafschaften zu vererben. Er wird daher als eine Art Stammvater der Dynastie der Grafen von Barcelona betrachtet, die später ein Reich schaffen sollten, das sich über den gesamten Mittelmeerraum ausdehnte.
Ermessenda aus Carcassonne heiratete Ramon de Borrell, Urenkel des haarigen Wilfrieds. Mit dem Grafen von Barcelona hatte sie drei Kinder. Bis zum Tode ihres Mannes war sie offizielle Mitregentin. Statt zu Weinen oder ins Kloster zu gehen, übernahm Ermessenda in ihren besten Jahren die Regierungsgeschäfte für ihren noch zu jungen Sohn Berenguer Ramon. Später regierte sie eine Zeit lang mit ihm zusammen, aber es kam oft zu heftigen Streitereien und Auseinandersetzungen. Nach dem frühen Tod des nicht besonders charakterstarken Sohnes, mischte sich die rüstige Ermessenda auch noch in die Regierung ihres Enkels Ramon Berenguer I ein. Ihren Enkel ließ sie sogar vom Papst exkommunizieren, weil dessen Frau Almodis ihr so gar nicht Recht war – aber das ist wieder eine andere Geschichte. Die Saga der Grafen von Barcelona hat nämlich noch mehr zu bieten. Später stritten sich die Zwillingssöhne ihres Enkels, also ihre Urenkel, um das Erbe. Das ging so weit, dass einer den anderen umbrachte. In der Kathedrale Gironas sind die Überreste des ermordeten Ramon Berenguer II in einem Sarkophag aufbewahrt. Der Brudermörder Berenguer Ramon II musste ins Heilige Land ziehen und kehrte niemals zurück. Eine mega spannende Geschichte, die noch ein paar Jahrhunderte so weiter geht.
Diese Ermessenda, deren Sarkophag ebenfalls in der Kathedrale von Girona aufbewahrt wird, war jedenfalls auch die Gründerin des Benediktinerklosters, in dem ich nun drei Tage verbringen werde.
Als wir bei unserem Rundgang in die Klosterkirche kommen, bin ich überrascht, wie einfach, fast schön ärmlich die Einrichtung ist. Hier prunkt nichts in barockem Gold. Es wirkt genügsam und bescheiden. Ich finde diese Schlichtheit sehr sympathisch. Mit Gold vollgestopfte Kirchen haben mir noch nie so richtig gefallen.
Als Nuria mir erklärt, dass früher nur die Töchter der Adeligen Nonne werden konnten, bin ich ganz erstaunt. Ich hatte immer gedacht, dass vor allem arme Bauernmädchen ins Kloster gegangen seien. Aber dem war wohl nicht so. Die jungen Frauen brauchten schon eine Mitgift und einen guten Stand in der adeligen Gesellschaft. Scheinbar war es für viele junge Frauen die einzige Alternative zu einer (ungewollten) Heirat. Immerhin konnten sie hinter Klostermauern studieren, lesen, vielleicht sogar etwas freier leben, als wenn sie mit einem alten, reichen Mann zwangsverheiratet worden wären. Mädchen aus armen Verhältnissen hatten nur die Möglichkeit als Dienerinnen im Kloster zu arbeiten. Wobei „Dienerin“ nicht so niedrig angesehen war, wie man das vielleicht heute meinen könnte, erklärt mir Nuria. Die Arbeit dieser Mädchen und Frauen im Kloster war geachtet, sie waren eben nur keine Nonnen.
Die Geschichte des Klosters ist superspannend, wie in einem alten Roman. Ich bin hin und weg und hänge an Nurias Lippen, um ja nichts zu verpassen. Die acht Nonnen, die heute noch hier leben, sind autark. Sie erhalten keine dicken Fördergelder vom Bischof oder von der Stadt. Sie arbeiten und verdienen ihren Unterhalt mit Wäschereiarbeiten, mit Nähen und Sticken. Seit ein paar Jahren auch mit der Aufnahme von Gästen. Reisende waren natürlich schon immer im Kloster willkommen. Ganz früher war ein Kloster oft die einzige Möglichkeit für Reisende, unterwegs, außerhalb der Städte, eine sichere Unterkunft für die Nacht zu finden. Um ihre kargen Einkünfte etwas aufzubessern, haben sich die Nonnen also vor ein paar Jahren entschlossen, vermehrt Zimmer an Gäste zu vermieten. Für ein kleines Entgelt darf man dann ein paar Tage hier einziehen. Essen ist inklusive. Es gibt drei einfache Mahlzeiten. Wir essen dasselbe, was auch die Nonnen essen, aber im Speiseraum für Gäste.
Im gesamten Gästetrakt kann ich mich völlig frei bewegen. Es gibt einen Aufenthaltsraum, eine Bibliothek und den Speisesaal. Aus dem Fenster blicke ich direkt auf den doppelstöckigen Kreuzgang, auf dem sich auf der oberen Ebenen die Zellen der Nonnen befinden. Unten gehen die ganzen hauswirtschaftlichen und andere Räume vom Kreuzgang ab. Zur Kirche gelangt man hier natürlich auch. Das ist das zu Hause der Nonnen.
Nach meinem Rundgang, besonders der Kreuzgang hat es mir angetan, ist es schon fast Mittagszeit. Nuria hat mir so viel vom Klosterleben erzählt, dass die Zeit wie im Flug vergangen ist. Unterwegs habe ich auch schon mit einigen Nonnen Bekanntschaft gemacht. Sie sind alle sehr herzlich, aufgeschlossen und total lieb und unterhalten sich scheinbar auch ganz gern mit den Gästen. 🙂
Ich gehe kurz in mein Zimmer und dann in den Speisesaal. Auf einem kleinen Buffet ist das Essen für Gerard den Studenten, und für mich vorbereitet. Es gibt Lasagne, Salat, Brot, Wasser, Saft und einen süßen Wein. Gerard hat schon an dem großen Esstisch Platz genommen. Er ist hier für ein paar Monate zu Hause. Seine Eltern zahlen den Aufenthalt, damit er hier in Ruhe arbeiten kann. Ablenkung gibt es hier ja nun wirklich nicht. Als die Köchin ihm noch einen Hauptgang bringt, lehne ich dankend ab. Die Lasagne hat mich mehr als gefüllt. Sehr lecker übrigens. Ich schnappe mir noch einen Joghurt zum Nachtisch und Gerard zeigt mir, wie ich mir noch einen löslichen Kaffee machen kann. Echter Kaffee wäre natürlich schöner, aber löslicher geht auch. Dann zieht es mich nach draußen.
Trotz des angesagten Regens hat sich der Himmel etwas aufgezogen und die Sonne scheint. Ich lasse also die Klostermauern hinter mir und wandere einfach drauf los in den Wald. Es gibt viele Routen für Wanderer, Jogger, für Fahrradfahrer und sogar Mountainbiker. Damit ich mich nicht gleich am ersten Tag verlaufe, beschließe ich einen Rundweg zu nehmen. Die Wege sind zwar noch ein bisschen matschig, aber es geht. Im Wald ist wunderbar ruhig. Nur ein paar Vögel zwitschern munter irgendwo in den Bäumen und ein kleines Bächlein plätschert laut und keck vor sich hin. Alles ist friedlich, frisch und grün. Der Frühling hat schon die ersten Blüten hervorgelockt und so sprießt es hier und dort in gelb, rosa, lila und weiß aus den grünen Wiesen. Irgendwo in der Ferne bellt ein Hund. Da muss wohl ein Bauernhof sein. Unterwegs treffe ich andere Wanderer und Spaziergänger. Wir grüßen uns freundlich und bestätigen uns gegenseitig, dass wir jeweils in der richtigen Richtung unterwegs sind. Zwischendurch hatte ich nämlich ein wenig die Orientierung verloren. Einen Stadtplan gibt es im Wald ja nicht. Aber alles geht gut, ich gehe nicht verloren und komme irgendwann wieder am Kloster an.
Da es noch hell ist, statte ich der Bibliothek einen Besuch ab. Eine Reihe Geschichtsbücher zieht mich magisch an. Ich schnappe mir eines davon, und beginne zu lesen. Gut zwei Stunden verbringe ich stöbernd in der Bibliothek. Über Ermessenda habe ich leider nichts gefunden. Dann ist es Zeit für das Abendgebet.
Die Nonnen beten mehrmals am Tag. Im Eingang sind die genauen Uhrzeiten angegeben. Als Gast darf man auch gern in die Kirche kommen, man muss nur vorher Bescheid geben. Ich hatte mich für die Vespres, das Abendgebet, angemeldet.
Auf dem Weg zur Kapelle verlaufe ich mich fast im Kloster. Zum Glück kommt eine der Nonnen mir entgegen. „Ich wollte dich gerade abholen“, ruft sie mir lächelnd entgegen und begleitet mich zur Kirche. Dann drückt sie mir zwei Büchlein mit Liedern und Gebeten in die Hand. Sie hat mir sogar schon Lesezeichen an die Stellen getan, die heute dran sind, damit ich auch mitkriege, was sie da machen. Mit Liturgien und so kenne ich mich überhaupt nicht aus und bin etwas verunsichert. Und katholisch bin ich ja auch nicht. Hoffentlich mache ich nichts falsch. Aber die Nonnen sind total unbefangen. Fröhlich laden sie mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Etwas schüchtern nehme ich in der hintersten Reihe Platz und lausche. Das Abendgebet dauert nur ungefähr fünfzehn Minuten. Andächtig singen und beten sie und danken für den Tag. Ich bedanke mich auch so ganz im Stillen für diesen Tag, dieses Erlebnis und für diese friedliche Ruhe, die mir echt gut tut.
Website des Klosters: www.santdaniel.com
Mir hat diese Mischung aus Abgeschiedenheit und Ruhe, aber dennoch ganz in der Nähe der Altstadt Gironas zu sein (nur zehn Minuten Fußweg ins Zentrum), echt gut gefallen. Wenn Du nicht gleich eine Auszeit im Kloster nehmen willst, aber die ganze Geschichte auch so spannend findest wie ich, kannst Du auch einen geführten Besuch im Monestir Sant Daniel machen!
Hinweis: Vielen Dank an das Patronat de Turisme Girona, die mir diese ganz besonderen Auszeit ermöglicht haben!
Da werde ich mich bestmmt einmal niederlassen !!!! Danke!
Mach mal! Es wird Dir bestimmt gefallen :-)!
Ich finde das großartig! Seit einigen Jahren liebäugle ich schon mit so einem Retreat, hier ganz in der Nähe, allerdings auf der niederländischen Seite der Grenze, kann man in einem alten Herrenhaus in Klausur gehen. WiFi & Co. gibt es dort allerdings nicht. Telefon und Laptop sind tabu : ) Mal sehen. Scheint mir auf jeden Fall eine gute Erfahrung! Sonnige Grüße, Jutta
Danke Jutta! Ich kann es nur empfehlen! Leider war ich nur drei Tage dort, aber es hat mir so gut gefallen, dass ich mit dem Gedanken spiele bald wieder hinzufahren. Und dann für länger und ohne Wifi: nur Natur, Ruhe und mal kein Internet. 🙂