Tatjana spaziert mit mir durch Girona. Ich werde in mittelalterliche Legenden und Sagen eingeweiht, die es hier fast an jeder Straßenecke zu entdecken gibt. Zuerst laufen wir über die alte Via Augusta zu einem baño arabe, einem Arabischen Badehaus, das eigentlich gar nicht arabisch ist.
Banys arabs
Die Mauren waren nämlich nur rund siebzig Jahre hier oben in Katalonien. Also nicht lange genug, um großartige Bauten zu errichten wie z.B. in Cordoba. Aber die Tradition der Bäder hat den Gironesen damals offenbar gut gefallen. Jedenfalls errichteten sie gegen Ende des zwölften Jahrhunderts ein Badehaus im „arabischen Stil“ ein.
Hier trafen sich Christen, Juden und sicher auch ein paar Mauren. Frauen und Männer nutzten diesen exklusiven Treffpunkt scheinbar sehr gern, und nicht nur um hier zu baden. Während die Frauen hier Hochzeiten arrangierten und verhandelten, wickelten die Männer geschäftliche Verhandlungen ab. Es muss ein richtiger angesagter „Club“ gewesen sein, so eine Art Luxus-Spa für die Gutsituierten, denn der Besuch der Baños Arabes war nicht gratis!
Obwohl alle Einwohner der Stadt die Bäder genießen konnte, wenn sie denn genug Geld hatten, gab es natürlich ganz bestimmte Tage und unterschiedliche Zeiten, zu denen die verschiedenen Religionen und Geschlechter sich hier nass machen durften. Frauen am Montag, Männer am Dienstag, Juden von 10 bis 3, Christen von 5 bis 8… so ähnlich muss das gewesen sein.
Irgendwann ging es mit dem Badehaus dann zu Ende. Die schöne Anlage der Baños Arabes ging in den Besitz eines Klosters über. Jahrhundertelang wuschen dann die Nonnen hier ihre schmutzige Wäsche, bis man sich eines Tages, irgendwann in den dreißiger Jahren, der Einmaligkeit dieses einzigartigen Überbleibsels maurischer Kultur in Girona erinnerte, alles restaurierte und diesen kleinen Schatz der Öffentlichkeit zugänglich machte.
Tatjana will mir unbedingt noch die alte Stadtmauer und einen besonderen Turm zeigen. Leider gab es im Mittelalter in Girona, wie auch in den meisten anderen, europäischen Städten zahlreiche Judenprogrome. Die Juden flüchteten hier auf einen kleinen Hügel am Stadtrand, in den Gironella Turm. Dort warteten sie auf die Hilfe des Condes, unter dessen Schutz sie standen. Bis der endlich anrückte, belagerte die wütende Bevölkerung den Turm aber schon mal mehrere Wochen. Mithilfe netter Mitbürger, die Wasser und Nahrungsmittel zum Turm schafften, hielten die Juden es mehrere Wochen aus.
Dann wurden sie vor ein Ultimatum gestellt: Entweder sich taufen zu lassen oder im Turm verharren. Womöglich für immer. Das war natürlich kein Zustand und viele gaben auf. Eine traurige Legende besagt, dass ein jüdischer Geschäftsmann schließlich dem Druck nachgeben und zum Christentum übertreten wollte. Der Sitte nach, musste seine Frau ihm Gehorsam leisten und folgen. Die junge Jüdin wollte aber partout keine Christin werden und stürzte sich in ihrem Dilemma lieber vom Gironella-Turm. Welch ein Drama.
Die Kathedrale
Wir spazieren weiter durch die engen Straßen des mittelalterlichen Gironas und stehen plötzlich vor der Kathedrale. Die hat im Laufe der Jahrhunderte so einige Umbauten erlebt. Ganz, ganz früher stand hier auf dem Hügel ein Forum Romanum, das die Römer direkt an der Via Augusta errichtet hatten. Irgendwann baute man dann an eben dieser Stelle, die erste christliche Kirche, aber eben nur eine kleine. Das Christentum wurde immer wichtiger, also musste auch die Kirche vergrößert werden. So wurde sie immer größer und größer, bis sie schließlich die Ausmaße der heutigen Kathedrale annahm.
Während wir andächtig durch das Kirchenschiff schlendern, hat Tatjana schon wieder eine Geschichte für mich. Wir stehen vor dem Sarkophag eines Ritters, zu dessen Füßen ein kleines Hundchen ruht und mich anguckt. „Ist hier etwa ein Hund begraben?“, frage ich.
„Der Hund ist nur ein Symbol“, erklärt Tatjana mir. „Er steht für die Treue.“ In der Geschichte des toten Ritters geht es nämlich um einen treuen Falken, der seinem Herrn bis in den Tod folgte. Und die Legende geht so:
Es waren einmal zwei Brüder, die Söhne des Grafen Ramon Berenguer I von Barcelona. Als die Frau des Grafen Zwillinge gebar, benannte man die beiden praktischerweise Ramon Berenguer II und Berenguer Ramon II. Aus einem unerfindlichen Grund wusste man aber nicht, wer von beiden der ältere, ergo der Thronfolger sei. Der Graf bestimmte also, dass die Söhne nach seinem Tode abwechselnd regieren sollten, jeweils sechs Monate einer, dann der andere.
Eigentlich eine gute Lösung, das Problem war nur, dass die beiden sich so überhaupt gar nicht verstanden. Die beiden Brüder waren unterschiedlicher, als sie nicht sein konnten. Die Streitereien um die alleinige Macht standen auf der Tagesordnung.
Ramon Berenguer II war groß und blond, was ihm beim Volk den Namen Cap d’Estopes, Flachskopf, einbrachte. Als Ramon eines Tages von einer Jagd im Montnegre (im Montseny bei Hostalric) nicht zurückkehrte und später sogar tot aufgefunden wurde, verdächtigte man sofort den Bruder, Berenguer Ramon, der für sein jähzorniges Temperament bekannt war. Beweise für einen Brudermord gab es keine, aber der Verdacht haftete an ihm. Kurz nach dem traurigen Tod Ramon Berenguers kam es zu einer Begegnung zwischen dem noch lebenden Bruder und dem Falken des Verstorbenen. Der Falke war seinem Herrchen treu ergeben gewesen. Als er nun den Zwillingsbruder gewahr nahm, flog er sofort auf ihn zu, pickte und hakte auf ihm herum, als wisse er ganz genau, dass dieser die Schuld am Tode seines Herren trage.
Auf dem Weg zur Beisetzung des Ritters in der Kathedrale von Girona, soll der Falke den ganzen Weg über dem Sarg seines Herren geflogen, und erst im Kirchschiff angelangt, tot zu Boden gefallen sein. Geht man durch den kleinen Torbogen, über dem der tote Ritter aufgebahrt ist, findet man auf der anderen Seite einen weiteren, kleinen Sarkophag, der wie ein Kindersarg aussieht. Der ist dem treuen Falken gewidmet.
Der treulose Bruder wurde zwar der neue Herrscher, musste aber versprechen, dass sein noch minderjähriger Neffe ihm auf dem Thron folgen würde. So löste dann Ramon Berenguer III seinen Onkel auf dem Thron ab und den Brudermörder schickte man zum Bußetun ins Gelobte Land, von wo er nie wieder zurückkehrte.
Nützliche Infos
Baños Arabes
www.banysarabs.org
Eintritt 2 €
Kathedrale:
www.catedraldegirona.org
www.pedresdegirona.com
Eintritt: 7 €
Tipp: Früh da sein- am Eingang stehen die Leute Schlange!
Hinweis: Vielen Dank an das tolle Team des Patronat de Turisme Costa Brava Girona für die Einladung zu dieser Zeitreise #incostabrava
Ich schreibe gerade an meinem Reisebericht über Girona und bin durch die Recherche auf deine Seite gestoßen. Mir gefällt das Du dir die zeit nimmst den Spirit einer Stadt zu entdecken und nicht alla Checklist- Modus vorgehst. Was mir an dem Bericht über das Judenviertel in Girona jedoch fehlt ist die Tatsache das die Juden dort vertrieben worden sind. Nichtsdestotrotz gefällt mir dein Schreibstil. Mach weiter so!
Danke 🙂