Die Torre Bellesguard:

Barcelona Bellesguard gaudi

Ganz oben am Berg ist Barcelona fast schon ein Dorf. Ruhig und abgeschieden wirkt die Gegend, wenn man aus dem brodelnden Zentrum der Stadt hierher kommt. Auf dem Hügel am Fuße des Collserola, befand sich früher eine Burg. Die katalanischen Könige liebten diesen Ort, nicht nur wegen der schönen Aussicht, auch wegen der taktisch guten Lage. Im Mittelalter kamen einige der katalanischen Herrscher lieber hier herauf, als unten, im muffigen Gewirr der engen Gässchen längere Zeit zu verweilen. In der Nähe der restaurierten Mauern um die Anlage Bellesguard herum, haben Archäologen sogar Reste antiker Siedlungen gefunden. Die Geschichte dieses Ortes ist also alt. Richtig alt.

Die Torre Bellesguard ist noch heute in privatem Besitz und erst seit knapp einem halben Jahr der Öffentlichkeit zugänglich. Da die Familie teilweise noch in dem Gebäude wohnt, kann man nur zu ganz bestimmten Uhrzeiten an den geführten Rundgängen teilnehmen. Das hab ich heute gemacht! Und ich bin so was von begeistert von der Anlage, dass ich sie hiermit zu einer der schönsten Sehenswürdigkeiten Barcelonas erkläre. Allein die Geschichte des Ortes, den Gaudí für die Errichtung der Torre Bellesguard gewählt hat, ist echt filmreif.

Ferran, der unsere kleine Gruppe von vier Leuten durch den Garten und das Haus führt, erzählt die Geschichte von Bellesguard als wäre es eine Geschichte aus Game of Thrones! Völlig gebannt lauschen wir alle seinen bilderhaften Schilderungen der Ereignisse, die hier vor so langer Zeit stattgefunden haben. Dramen, Intrigen und wichtige historische Ereignisse überschlugen sich nur so. Ich will versuchen, Euch so viel wie möglich nachzuerzählen:

Barcelona Bellesguard gaudi

Die spannende Geschichte der Burg Bellesguard

So um das Jahr 1400, als Katalonien seine größte Expansion erreicht hatte, wurde Martí I, Martin der Humane, Herrscher über das Königreich, das von Barcelona bis hinunter nach Valencia und nördlich bis in das heutige Südfrankreich reichte. Auch Mallorca, Sizlilien und Sardinien gehörten damals zu Katalonien. Da König Martin der Humane zwar sehr kultiviert und gebildet, leider aber auch ziemlich dick war und echte Probleme mit der Gesundheit hatte, verschrieb ihm sein Arzt frische Luft. So kam es, dass Martin oben am Berg eine Burg errichten liess, von der aus er auf die Stadt Barcelona und das Meer herab blicken konnte.

Der Standort wurde übrigens auf eine für uns heute sehr merkürdige Art und Weise gewählt: Man teilte eine Ziege oder irgendein anderes Tier in vier Stücke und verteilte diese an vier unterschiedlichen Stellen der Gegend. Dort wo der Tierleichnams am längsten brauchte, bevor der Zerfall einsetzte, sollte die Luft am besten sein, nahm man an. Und so baute man hier die Festung.

Martin I, der dicke König, hatte zwar jede Menge Kinder, fast alle starben aber relativ jung. Nur sein Sohn Martin zog erfolgreich im Mittelmeer für sein Land in die Schlacht. Mit 23 starb allerdings auch dieser einzig verbliebene Sohn. Der Schicksalsschlag traf den König in fortgeschrittenem Alter. Er hatte keinen Erben mehr. Wer sollte nun sein Nachfolger werden? Die Königin, Maria de Luna, war schon seit einigen Jahren verstorben. Ein neuer Thronfolger musste her, und zwar schnell, denn um die Gesundheit des Königs stand es schlecht.

Es blieb nicht die Zeit, unter den Prinzessinnen Europas zu suchen oder irgendeiner Adeligen lange den Hof zu machen. Eine halbwegs gebildete, aber vor allem junge und hoffentlich sehr fruchtbare junge Frau musste gefunden werden. So kam es, dass nur 2 Monate nach dem Tod des Sohnes König Martin wieder heiratete. Die Vermählung mit Margarita de Prades wurde hier auf Bellesguard sogar von dem in Avignon abgesetzten Gegenpapst Benedikt – Papa Luna – (wahrscheinlich mit der verstorbenen Königin verwandt) gesegnet. Trotz des päpstlichen Segens starb König Martin allerdings 1410, nur wenige Monate nach der Hochzeit, ohne einen Sohn gezeugt zu haben.

Nun gingen die Kämpfe um die Nachfolge los. Schließlich setzte sich Ferdinand von Aragon als neuer König durch. Ferdinand I. war nur leider kein Katalane. Mit Martin und seinem Sohn starb das katalanische Königshaus und die Macht verlagerte sich von nun an in den Süden, nach Aragon, denn weder Ferdinand I, noch sein Sohn Ferdinand II, zeigten besonderes Interesse an Barcelona. Ferdinand II interessierte sich mehr für das Reich seiner Frau Isabell von Kastillien und die neu entdeckten Länder Amerikas. Das Mittelmeer und damit auch die Hafenstadt Barcelona, verloren immer mehr an Bedeutung.

Genauso wie die Festung Bellesguard, vor den Toren Barcelonas. Die Burg verfiel und diente der Legende nach eine zeitlang einem berühmten Räuber als Unterschlupf: Serrallonga, einem katalanischen Robin Hood. So wie Ferran uns die Geschichten erzählt, kann man sich richtig gut vorstellen, wie damals ein Räuber hier in den nebelverhangenen Ruinen seinen Unterschlupf fand, die Reichen beklaute, um den Armen zu helfen und vor den Soldaten floh. Echt filmreif!

Barcelona Bellesguard GAUDI Burg

Gaudí und die neue Torre Bellesguard

Antoni Gaudí fand nur noch Ruinen vor, als er um 1900 diesen Flecken Land für sich entdeckte. Er war sich der historischen Bedeutung des Orts so sehr bewusst, dass er seine ganz eigenen Pläne an genau dieser Stelle verwirklichen wollte. Bellesguard ist sicherlich eines der „persönlichsten“ Werke Gaudís. Die für ihn sonst relativ untypischen geraden Linien zollen dem Mittelalter Respekt. Das Gebäude sollte trotz Modernismus auch noch etwas von einer „Festung“  haben um an die die Burg des letzten katalanischen Herrschers und die ruhmreiche Zeit Kataloniens zu erinnern.

Barcelona Bellesguard GAUDI

Nach der Besichtigung der Burgruine geht es dann zum eigentlichen Gaudí-Haus. Mitten in einem parkähnlichen Garten steht man vor diesem Gebäude. Ich staune und bin echt beeindruckt. Das Wetter spielt mit und die Sonne läßt alles in den schönsten Farben leuchten.

In der Torre Bellesguard sind viele typische Elemente des Modernisme zu erkennen: handgeschmiedetes Eisen, blumige Verschnörkelungen, Buntglasfenster, mythologische Figuren und bunte Scherben-Mosaike. Aber es gibt noch viel mehr zu sehen! Bellesguard ist voller Symbole, voller „persönlicher“ Aussagen Gaudís. Aber da geht es mit der Interpretation auch schon los. Jeder liest scheinbar etwas anderes in die Werke des berühmten Architekten hinein. Fest steht allerdings, dass Antoni Gaudí nicht nur ein sehr religiöser, sondern auch ein sehr patriotischer Mensch war. Die Deutung der Bilder und Details ist jedem selbst überlassen. Hier nur ein paar Denkanstösse:

– Die Turmspitze, die man schon von Weitem sehen kann, enthält gleich mehrere Symbole: ein Kreuz als Zeichen für die Heilige Mutter Gottes, eine Krone und die katalanische Fahne, die Senyera.

Barcelona Bellesguard GAUDI

– Die drei Fenster an der Vorderfront sollen die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiliger Geist symbolisieren.

Barcelona Bellesguard GAUDI

– Die Darstellungen des Sant Jordi, des Drachentöters, könnten nicht nur Abbildungen einer mythologische Figur sein. Sant Jordi steht auch symbolisch für Katalonien.

Barcelona Bellesguard GAUDI

– Auch die Königskrone ist ein wiederkehrendes Motiv und Symbol. Sie kommt in Mosaiken oder – auf den Kopf gestellt- sogar als Leuchter vor.

Barcelona Bellesguard GAUDI

Barcelona Bellesguard GAUDI

– Die untergehende Sonne mit dem Segelschiff am Horizont kann als eine Anspielung auf die Nachricht des auf Sardinien verstorbenen Thronfolgers, die Marti I. hier oben in Bellesguard erhalten haben muss, verstanden werden. Eine Nachricht, die das Ende des katalanischen Königshauses einläutete…

Barcelona Bellesguard GAUDI

Barcelona Bellesguard GAUDI

Nach der Außenbesichtigung dürfen wir dann auch das Haus selbst betreten. Die Architekten des Modernisme entwarfen damals nicht nur die Gebäude, sondern auch das Mobiliar, einfach alles, weil sie das Werk als ein Ganzes verstanden. Der Modernismus in Katalonien war nämlich im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Jugendstil- Bewegungen viel mehr als nur ein Kunststil. In Katalonien stand der Modernisme auch für gesellschaftliche und politische Veränderung, mit einem Schuss Patriotismus.

Wir gehen also hinein, in Gaudís ganz persönliches Traumhaus. Von den ursprünglichen Möbeln ist leider nichts mehr erhalten.  Irgendwann war in dem Gebäude nämlich ein Waisenhaus untergebracht und in dieser Zeit hat man alles, was aus Holz war verheizt – gegen die Kälte. Nur Eisen und Gips haben diese harten Zeiten „überlebt“.

Barcelona gaudi Bellesguard

Barcelona gaudi Bellesguard

Im zweiten Obergeschoss befindet sich ein „unfertiges“ Zimmer, in dem die Stützbalken und Bögen noch nicht mit Gips versehen worden sind. Da ist dem Bauherrn wohl das Geld ausgegangen. Dafür kann man hier prima die Konstruktionsweise Gaudís erkennen, bevor die typischen anthropomorphen Strukturen mit Gips geformt wurden.

Barcelona Bellesguard GAUDI

Barcelona Bellesguard GAUDI

Ein absolutes Aha-Erlebnis hatte ich auf dem Dach! Wie Ihr Euch bestimmt erinnert, spielen Sant Jordi und der Drache eine wichtige Bedeutung bei Gaudí. Das Dach der Casa Batllo soll ja einen Drachen darstellen, in dessen Rücken bereits das Schwert des Heiligen Drachentöters steckt (so behaupten einige Katalanen jedenfalls, andere wiederum halten das für Blödsinn). Hier in der Torre Bellesguard kann man jedenfalls ganz sicher einen Drachen finden, wenn man aus einem ganz bestimmten Winkel guckt. Dann steht man direkt Auge in Auge mit einem riesigen, aber sehr lieb guckenden Drachen. Mich hat er (oder sie?) ein wenig an die Drachenfrau aus Shrek erinnert.

Barcelona Bellesguard GAUDI

 

Barcelona Bellesguard

Barcelona Bellesguard

Barcelona Bellesguard

Barcelona Bellesguard

Barcelona Bellesguard

Barcelona Bellesguard

 

Nützliche Infos Torre Bellesguard:

Adresse: Torre Bellesguard
Carrer Bellesguard 16-20
Barcelona
Anfahrt: Ferrocariles L7 Av.Tibidabo
Man muss von der Haltestelle noch ca. 15-20 Minuten zu Fuß laufen (bergauf ) – aber die Mühe lohnt sich!

Führungen gibt es auf Englisch (um 11 Uhr), Spanisch und Katalanisch (12 Uhr), auf Anfrage auch in anderen Sprachen.

Mit einem Audioguide kann man die Gartenanlage auch allein erkunden. Ich würde aber auf jeden Fall die Führung machen, bei der man das Haus und das Dach besichtigen kann!
Eintritt + Führung: 16 Euro

Website: www.bellesguardgaudi.com

Torre Bellesguard in Barcelona

Kurze Info zu einigen Hauptdarstellern des historischen Dramas:

Martin I. lebte von 1396 bis 1410. Er war König von Aragon, Sardinien, Sizilien, Graf von Barcelona, Empuries, Rosselló und Herzog von Montblanc. Auf Katalanisch heißt er Martí l’Humà (oder l’Humanista oder auf Spanisch el Humano)

Papst Benedikt XIII. war von 1394 bis 1423 Gegenpast in Avignon, konnte sich aber nicht gegen Rom durchsetzen. Er stammte aus Aragon und hiess mit bürgerlichem Namen Pedro Martínez de Luna y Gotor, wesegen er auch Papa Luna genannt wurde.

Serrallonga nannte man den als Joan Sala i Ferrer geborenen, katalanischen Robin Hood. Er lebte von 1594 bis 1634 in der Gegend um Barcelona. Nach seinem Tod wurden viele Gedichte und Romane über den Räuber geschrieben. Die romantischen Legenden inspirierten sogar zu einer Oper. Bis heute gibt es in einigen Dörfern einen Serrallonga Tanz, bei dem auf den Straßen die Geschichten und Abenteuer des Räubers tanzend dargestellt werden.

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P.S. Ach ja: super schicke Klos gibt es dort auch!  Und in der Nähe der Anlage befindet sich ein kleines Café (Café Blau) , in dem man kurz Pause machen kann, bevor man den Rückweg antritt…