Schon lange hat mich dieses Haus fasziniert. Direkt neben der berühmten Casa Batlló erhebt sich, von vielen Touristen fast unbeachtet, die Casa Amatller. Das Gebäude am Passeig de Gracia 41 war 1898 das erste der drei bekanntesten Bauten dieses Häuserblocks in der neu entstehenden Eixample. Das Haus ist ein Werk des Modernisten Puig i Cadafalch, einer der berühmtesten Architekten Barcelonas zur Zeit der Jahrhundertwende. Noch vor Gaudí und vor Domènech i Montaner begann Puig i Cadafalch mit den Entwürfen zum Umbau. Da die beiden anderen Stars des Modernisme kurz nach der Fertigstellung der Casa Amatller mit der Umgestaltung der Nachbarhäuser beauftragt wurden, erhielt der gesamte Block im Volksmund schon bald den Namen “Manzana de la Discordia”. Die Architekten selbst soll das aber nicht gestört haben. Schließlich arbeiteten sie nicht gegeneinander, sondern waren Teil der Renaixença, des sozialen und kulturellen Booms der katalanischen Identität, die den Jugendstil in Barcelona so stark beeinflusste.

Barcelona Casa Amatller Manzana de la discordia

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Antoni Amatller war ein reicher Industrieller. Sein Metier war die Schokolade. Bereits sein Großvater hatte damit begonnen, Schokolade aus Kakaobohnen, die aus den neuen Kolonien jenseits des Atlantiks nach Barcelona kamen, zu produzieren. Was der Opa noch in kleinem Maßstab betrieb, wurde unter seinem Sohn, Antoni Amatllers Vater, auf industrielles Niveau gebracht. Die Schokoladenindustrie florierte. Antoni Amatller selbst war sehr an Kunst und Kultur interessiert. Er sammelte wertvolle, antike Glasgefäße, war ein leidenschaftlicher Hobbyfotograf und reiste durch ganz Europa. Bis nach Marokko, Ägypten und in die Türkei führten die Reisen, auf denen seine Tochter Teresa ihn begleitete. Unter seiner Leitung begann die Schokoladenfirma zu einem richtigen Imperium heranzuwachsen. Er kaufte bei seinen Reisen in die Schweiz nicht nur die mondernsten Maschinen zur Kakaoverabeitung, sondern begann auch mit einer richtigen Marktingstrategie. Berühmte Künstler seiner Zeit, wie zum Beispiel Ramon Casas, malten Amatller-Werbeplakete und es gab sogar kleine Bildchen zum Sammeln. Ein Riesenerfolg!

Barcelona Chocolate Amatller

Ein großes Geheimnis scheint Frau Amatller zu sein. Das Paar trennte sich offenbar ziemlich bald nach der Geburt Teresas. Bei meinem Besuch in der Casa Museu erklärt Helena, die die Führung macht, dass man lediglich von einer Abmachung weiß, nach der die Tochter bis zum siebten Geburtstag bei ihrer Mutter bleiben sollte. Von da an lebte sie dann mit ihrem Vater zusammen und Frau Amatller verschwand irgendwo ins Ausland.

Als das Haus 1900 fertig gestellt war, zogen also nur der Papa und seine damals schon dreißig Jahre alte Tochter Teresa in die Wohnung im ersten Stock. Das war damals in allen schicken Palästen die Etage der Wohlhabenden, meist der Besitzer. Die anderen Etagen, die übrigens nicht modernistisch umgebaut wurden, vermietete man einfach. Im Erdgeschoss befanden sich damals wie heute Geschäfte. Im hinteren Teil der Casa Amatller gab es eine supermoderne Garage mit einer Drehscheibe zum Wenden des Autos, die Räume der Bediensteten und die Küche des Hauses. Heute ist dort ein nettes Café, in dem es auch Amatller Schokolade zu kaufen gibt. Bei schönem Wetter kann man sogar draußen, auf einer Gartenterrasse sitzen. Denn im Gegensatz zur Casa Batlló und zur Casa Morera, gehörte früher ein großes Grundstück zur Casa Amatller. „Ein richtiger kleiner Wald war das“, meint Helena.

Casa Amatller Barcelona Cafe

Küche Amatller Cafe

Aber die Garage mit Drehscheibe war nicht das einzige technische Wunderwerk. Als vor über hundert Jahren gerade mal fünf Prozent der Gebäude in Barcelona über elektrischen Strom verfügten, hatte die Casa Amatller schon einen elektrischen Aufzug für das Essen aus der Küche und elektrische Lampen. Wobei die Beleuchtung so konstruiert war, dass man sie mit einem Schalter auch auf Gas umschalten konnte.

Bevor aber der Besuch der Wohnung beginnt, müssen wir Besucher uns blaue Operationsschlappen über die Schuhe ziehen. „Die Wohnung ist fast komplett original erhalten. Die Möbel, die Fußböden und Fliesen sind die, in den die Familie damals lebte, zum großen Teil von Puig i Cadafalch selbst entworfen“, erklärt Helena uns während sie die blauen Überzieher verteilt. Die Modernisten machten das damals so. Sie entwarfen zum Haus die Möbel gleich mit, alles im selben Stil. Ob die künstlerischen Architekten dem Geschmack der reichen Auftraggeber nicht so richtig trauten und Angst hatten, ihr Werk würde durch profanen Kitsch, den die reichen Ehefrauen eventuell anschleppen könnten, nicht mehr richtig zur Geltung kommen? Oder war die Highsociety sogar zu faul, eigene Möbel auszusuchen? Egal, wir laufen jedenfalls ganz vorsichtig durch die heiligen Hallen, in denen nach dem Tod von Teresa und ihrem Vater Antoni Amatller niemals irgendjemand anders gelebt hat. Als Teresa in den sechziger Jahren kinderlos starb, hatte sie wohl schon geplant, das alles hier zu bewahren und bereits eine Fundaciò gegründet.

Helena führt uns als Erstes in das Esszimmer. Von hier hat man einen unglaublich schönen Blick aus dem Fenster, wo sich früher der kleine Wald befunden haben muss, von dem sie uns vorhin erzählt hat. Heute guckt man zwar auf die Hinterhöfe, aber es fällt viel Licht in den Raum und das mittelalterlich anmutende Fesnter ist an sich schon ein echter Hingucker. Kein Wunder also, dass sich die Amatllers dazu entschlossen haben, die repräsentativen Räume, in die auch Besucher gebeten wurden, nach hinten zu verlegen, statt wie sonst damals üblich, nach vorn zur Straße hin.

Casa Amatller Barcelona esszimmer

Spinne Deko Casa Amatller Barcelona

Ein riesiger Kamin beherrscht den Raum. „Es ist der einzige Kamin im Haus“, sagt Helena. Dann muss es im Winter aber ganz schon frisch gewesen sein, denke ich nur. Mit nur einem Kamin für die ganze große Wohnung! Geschmückt ist diese pompöse und den Raum dominierende „Heizung“  mit einer Skulptur. Sie stellt zwei Frauen auf einem Boot dar. „Das soll die Kontinente Amerika und Europa symbolisieren“, erklärt Helena „Denn die Amatllers sind ja mit den Kakaobohnen, die aus Amerika kamen und hier in Europa zu Schokolade verarbeitet wurden, reich geworden“. Auch über den Türen finden sich jede Menge Symbole, im Esszimmer zum Beispiel eine Languste und Weintrauben. „Die stehen für Üppigkeit, luxuriöse Hülle und Fülle“, erklärt Helena. Eines der Viecher an der Wand sieht allerdings eher aus wie ein Spinne, finde ich, aber das sage ich lieber nicht.

Wir bewundern das Musikzimmer, den Flur mit einem großen Waschbecken zum Händewaschen – sogar mit warmem Wasser, denn das Becken befindet sich an der Rückseite des Kamins! – und den modernen elektrischen Essensaufzug in einem der kleinen, schmucklosen Räume für die Bediensteten. Von diesen Funktionsräumen gibt es noch Einige. So konnten die Bediensteten unaufällig kommen und gehen und ihre Arbeiten erledigen. Ein richtiges Badezimmer gibt es nicht, aber es gibt einen winzigen Raum nur für das Klo, einen anderen mit einer Badewanne und mehrere Ankleideräume mit Waschbecken, alles schön getrennt voneinander. An den Wänden hängen Gemälde von mittelalterlichen und modernistischen katalanischen Künstlern, die Böden sind aus feinem Holzparkett oder aus Mosaiken. Ein Motiv taucht besonders häufig auf, der Mandelbaum, denn das bedeuet der Name Amatller wenn man ihn übersetzen würde. Bunte Kacheln im maurischen Stil, aus Sevilla geliefert, zieren die Wände. In jedem Raum mit einem anderen Muster. Die Amatllers haben an nichts gespart.

CAsa Amatller Schlafzimmer Tochter

Casa Amatller Privaträume Privaträume antoni Amatller Casa Amatller

Im Zentrum der Wohnung, strategisch günstig gelegen, mit Blick auf das Treppenhaus und Türen, die zu beiden Flügeln des Hauses führen, befindet sich das Büro des Herrn Amatller. Die privaten Räume, die Schlafzimmer von Vater und Tochter, liegen ganz vorn, zur Straße hin. Aus dem Fenster kann ich die Menschen sehen, die nach links, zur Casa Batlló herauf starren und fotografieren. Während Teresas Zimmer mit allen Attributen und Symbolen der Weiblichkeit ausgestattet ist, wirkt das Schlafgemach des Vaters da schon gediegener und herrschaftlicher. Alles ist in dunklen Tönen gehalten, mit viel dunklem Holz und weinroten Stoffen. Auf einem kleinen Tischchen hat jemand ein paar Bücher des reiselustigen Schoko-Industriellen aufgeschlage: Ägypten. Ich glaube, wenn Herr Amatller nicht so mit der Schokolade beschäftigt gewesen wäre, wäre er sicher Reiseblogger geworden. Nur gab es damals ja noch kein Internet. Aber er reiste durch die Welt, las viel und fotografierte die Tower Bridge in London und die Kamele in der Wüste. Sowohl Vater als auch Tochter waren aktive Mitglieder im Club d‘ Excursionistes de Barcelona (ein Wander- und Ausflugsclub). Das weiß man heute, weil sie dort oft Vorträge über ihre Reisen gehalten haben.

Casa Amatller Barcelona Fassade

Die Geschichte der Familie ist ja echt spannend, aber viel faszinierter bin ich nach wie vor von den ganzen mythischen Figuren an der Fassade. Wieder weiß Helena natürlich Bescheid und erklärt mir die Bedeutung der Symbole. An der Fassade findet man nämlich Zeichen für die drei wichtigsten Interessen der Bewohner: Schokoladenindustrie, Fotographie und das  Sammeln von teuren Glasgefässen.

Symbole Fassade Casa Amatller

Die Frösche blasen Vasen aus Glas und stehen für den Sammeleifer des Herrn Amatller. Die Ratten und Affen sind arbeitend, mit verschiedenen Werkzeugen dargestellt und sollen Industrie symbolisieren. Das Pferd und der Hase (wenn es denn Pferd und Hase sein sollen) lesen konzentriert in einem Buch. Das steht für das Literatur- und Kunstinteresse des Mäzens. Auch die wichtigste Leidenschaft Amatllers ist natürlich abgebildet worden: Ein Fotograf, der hinter seiner Kamera steht und gerade ein Bild macht. Was natürlich in keinem Bau des Modernisme fehlen darf, ist die Darstellung eines Sant Jordi. Hier ist der Drachentöter direkt neben der Eingangstür abgebildet. Die merkwürdig eckige Form des Giebels soll übrigens an eine Tafel Schokolade erinnern, habe ich mal gehört.

Casa Amatller Barcelona zimmer Teresa Tochter FrontStatt eines Balkons hat das Zimmer der Tochter des Hauses einen reich geschmückten Erker, ein Privileg, das normalerweise der Dame des Hauses vorbehalten war.

Casa Amatller Barcelona Schokolade

Die heißen Sommer verbrachten die Amatllers allerdings nicht hier in Barcelona, sondern fuhren, wie viele reiche Leute damals, in die Sommerfrische in die Berge, nach Ripoll.

Nützliche Infos:

Casa Amatller
Passeig de Gracia 41
Barcelona
Website Casa Museu: www.amatller.org

Eintritt: 15 Euro

Man kann an Führungen durch die Wohnräume auf Englisch, Spanisch oder Katalanisch teilnehmen. Die Caféteria im hinteren Bereich des Erdgeschosses kostet keinen Eintritt. Dort befanden sich früher die Küche und die Räume der Bediensteten.

Chocolate Amatller

Website Chocolate Amatller: www.chocolateamatller.com
Gerade habe ich noch etwas für Schokoladenliebhaber entdeckt. Eibt es eine Webseite, auf der die besten Schokoladensorten der Welt beurteilt werden. Wenn Du also wissen willst, wie gut die Amatller-Schokolade schmeckt, einfach herkommen und probieren!

Casa Amatller Barcelona Fassade
Casa Amatller Barcelona fliesen
Casa Amatller Barcelona Flur
Das große Treppenhaus im Eingang der Casa Amatller erinnert mich total an einen anderen modernistischen Palast in Barcelona, den von dem Architekten Raspall entworfenen Palau Mornau, in dem sich das Hanf und Cannabis Museum befindet:

Casa Amatller Barcelona Glasdach Treppenhaus
Casa Amatller Barcelona Treppenhaus
Kamin Casa Amatller BarcelonaFiguren am Kamin
Klo Casa Amatller Barcelona Das Klozimmer der Jahrhundertwende