Die Île Gorée ist eine kleine Insel im Süden Dakars, die im Senegal auch als „Sklaveninsel“ bekannt ist.
Stündlich fahren die Fähren vom Hafen in Dakar auf die Insel. Normalerweise ist hier nicht so viel los, sagt Alexis. Gerade heute sind aber viele Schulklassen unterwegs und es ist brechend voll. Die Tür zum Fahrkartenschalter wird nur ab und zu geöffnet, so dass sich die Wartenden stoßweise reindrängeln. Nach einem kleinen Bad in der Menge schaffen wir es auch durch diese enge Tür und stehen nun am Ticketschalter in der Schlange. Mit dem Ticket in der Hand geht es weiter mit der Drängelei. Jeder will noch mit auf das nächste Boot. Hautnah vor mir steht eine junge Frau in einem eleganten, gelben Kleid mit einer Schleppe, auf die ich andauernd fast drauf trete. Es ist eng. Mir ist heiß und es sind für meinen Geschmack definitiv zu viele Menschen. Mir ist ein bisschen mulmig. Aber nur ein bisschen.
Nicht nur die gelbe Frau vor mir, sondern alle Frauen haben sich heute unglaublich in Schale geschmissen. Die Kleider sind nicht nur bunt, sondern glitzern überall und sehen einfach wirklich vornehm aus. So als würden sie nicht auf eine Insel, sondern auf eine Cocktailparty gehen wollen. Obwohl ich gerade alle Hände voll zu tun habe, Alexis in der Menge nicht zu verlieren, bin ich echt beeindruckt von diesen Kleidern!
Hinter der Absperrung löst sich das Gedränge endlich auf. Jetzt geht es schnell weiter durch die Wartehalle zum Anleger. Wir besteigen ein kleines Boot, das wegen der vielen Leute heute zusätzlich zu den normalen Fähren eingesetzt wird. Es gibt keine Sitzbänke. Alle stehen oder lehnen sich einfach irgendwo an, wo sie gerade Platz finden. Die Dame mit dem gelben Kleid ist oben in das Fahrerhaus (oder auf die Brücke?) geklettert, und lehnt dort in der Tür. Das Boot legt ab. Geschafft.
Die Überfahrt dauert nur 20 Minuten. Der frische Wind tut gut. Am Anleger von Gorée schmeißen sich badende Inselkinder laut kreischend direkt vor der ankommenden Fähre ins Wasser. Die haben definitiv ihren Spaß. An dem kleinen Strand herrscht ein fröhlich-heilloses Durcheinander. Wir machen uns auf die Suche nach Pap, der schon auf uns wartet.
Es riecht nach frischem Gemüse. Auf einem Platz, mitten im Gewirr der Sandwege, schnippeln bunt gekleidete Frauen gerade grüne Paprika. Scheinbar kochen sie hier zusammen. An der Gabelung zweier Wege sitzen ältere Männer und Frauen auf Plastikstühlen. Sie sehen ein wenig aus, wie die Dorfältesten. Vorsichtshalber grüßen wir freundlich.
Die ganze Insel wirkt wie ein kleines Museum. Es gibt keine Autos, nur Hütten und enge, kleine Sandwege. Schließlich finden wir Pap. Pap ist total nett. Wir unterhalten uns eine Weile und gehen dann bei „Napoleon“ eine Cola trinken. Ich entdecke auf den Steinen, nur ca. zwei Meter von unserem kleinen Tisch entfernt einen unbeweglichen, fetten Vogel auf einem Stein sitzen. Ist der da aus Holz oder ist der echt? frage ich Alexis. Der lacht nur über mich und meine Kurzsichtigkeit. Das ist ein Pelikan mit Durchfall – meint er schließlich grinsend. Dann sehe ich es auch, der schwarze Stein auf dem der Pelikan sitzt ist ziemlich voll mit weißem Vogelpups. Hoops.
Da wir über Nacht bleiben wollen, stellt Pap uns Thomas vor. Thomas ist ein total lieber, älterer Herr, der uns eine günstige Unterkunft besorgen kann. Aber vorher müssen wir noch „wohin“.
Rechts und links geht es durch die kleinen Straßen. Bevor ich so recht weiß, wo wir gerade sind, stehen wir vor einem Hauseingang. Überall stehen und sitzen Leute. Wir werden dem Bürgermeister der Insel, einer imposanten Persönlichkeit, vorgestellt. Ich schüttle viele Hände und verdrücke mich etwas schüchtern in eine Ecke. Keine Ahnung, ob das hier ein offizieller Empfang ist, in den wir gerade reinplatzen, oder ob der Bürgermeister so eine große Familie hat. Eigentlich bin ich ja nicht auf den Mund gefallen, aber heute warte ich mal artig, bis Alexis mit dem Bürgermeister die neusten Sportereignisse durchgegangen ist. Das ist gleich nach der Frage, wie es der Familie geht, immer das wichtigste Thema.
Neben Fußball sind die Senegalesen nämlich vor allem Fans eines Sumo-ähnlichen Sports. Zwei Gegner bereiten sich monatelang auf einen Kampf vor, der dann im Radio und im Fernsehen übertragen wird. Tänze, Spiele und jede Menge Kommentatoren begleiten das Spektakel. Der Kampf selbst ist in wenigen Minuten vorbei. Gewisse Regeln gibt es wahrscheinlich auch, es sieht aber sehr wild aus. Fällt einer der beiden Kämpfer zu Boden, hat er verloren und das Spiel ist aus.
Ich hab den Kampf einfach mal vom Fernseher abfotografiert:
Nach dem ich den Besuch beim Bürgermeister ohne größeren Faux-Pas überstanden habe, werden wir zu einer kleinen Pension begleitet, in der wir unsere Sachen abladen können. Ich glaube, es ist gibt auch nur noch eine andere Unterkunft auf der ganzen Insel. Aber da wir in Begleitung eines Goreaners (oder wie nennt man einen Einwohner von Gorée ? 🙁 ) kommen, kriegen wir einen guten Preis. Egal. Jetzt geht es erst mal ab an den Strand, zum Abkühlen.
Der Strand ist übersät mit rostigen Dosen, Scherben, Handyteilen, Muscheln und allem möglichen Krimskrams. Ich überlege, wie lange meine letzte Tetanusimpfung her ist. Vorsichtshalber suchen wir uns einen Platz weiter hinten, in der Nähe des alten Forts, wo große Steine am Strand liegen und es keinen Müll gibt. Als ich ins Wasser will, stelle ich jedoch schnell fest, dass die Idee wohl doch nicht so prima war. Die Steine sind mega rutschig und ich stolpere mehr ins Wasser, als dass ich gehe. Auch die Strömung ist nicht zu unterschätzen. Andauernd werde ich wieder gegen die glitschigen Steine gedrückt und finde keinen Halt. Ich paddle also nur kurz vor mir hin und rette mich dann wieder ans sichere Ufer. Aber super schön war es doch, das kurze Bad im Meer.
Bevor der Tag zu Ende geht, will ich auf jeden Fall noch das weltberühmte Sklavenhaus besuchen. Der Legende nach soll die Insel nämlich einer der Hauptumschlagsplätze für den Export schwarzer Sklaven nach Amerika gewesen sein. Das ist angesichts der geringen Größe der Insel (nur 1 km lang und 300 m breit) ein wenig schwer vorstellbar, aber gut. Seit den 60er Jahren sind schon mehrere amerikanische Präsidenten, Nelson Mandela und sogar der Papst hier gewesen und haben der verschleppten Sklaven gedacht. Genauere Untersuchungen einiger Geschichtsforscher haben aber ergeben, dass der Mythos um die Sklaveninsel eben wohl doch nur ein Mythos ist. Sicher wurden hier auch Sklaven gehalten und verschifft, aber in diesem Haus eben nicht zu Tausenden und Millionen, wie das in Sant Louis oder anderen afrikanischen Städten an der Westküste der Fall war. Dennoch kommt dem Maison des Esclaves eine besondere Bedeutung als Gedenkstätte zu.
Ein dicker, in traditionell bunte Gewänder gekleideter Führer erzählt uns also die Geschichte des Hauses. Auch wenn nicht alles so hundert Prozent wirklich hier auf der Insel passiert ist, ist doch die große Geschichte wahr, egal von wo aus die Sklaven nun in Massen verschickt wurden. In einer Singsang-Stimme erzählt er davon, wie die gefangenen Sklaven zunächst gewogen und sortiert wurden. Ein Mann musste mindestens sechzig Kilo wiegen, um für den „Export“ geeignet zu sein. Nur die Kräftigsten und Gesündesten wurden auserwählt, um nach Übersee verschifft zu werden. Alte und Kranke wurden aussortiert, aber nicht freigelassen. Sie mussten auf französischen Besitzungen in der Nähe bleiben und wurden einfach billiger verkauft. Irgendwie muss ich fast automatisch an den Film „Roots“ denken.
Die Entwicklung der Brüste war angeblich der Indikator für die Jungfräulichkeit der Mädchen. War die Brust voll entwickelt, galt ein Mädchen als Frau. War die Brust zu klein, galt sie entweder als krank oder eben noch als Kind. In den kleinen Kammern der Kellergewölbe mussten die Auserwählten dicht zusammengedrängt auf dem Boden schlafen und dort auf ihren Abtransport warten. Wenn der große Tag gekommen war, ging es durch die Tür ohne Wiederkehr, in schwere Fesseln gelegt, auf das Schiff.
Ganze Schulklassen kommen zur Maison des Esclaves, um sich diesen Teil der Geschichte Afrikas anzuhören. Auch wenn wahrscheinlich niemals ein Schiff direkt an den Felsen hinter der Tür ohne Wiederkehr angelegt hat, haben doch Millionen Schwarzafrikaner das beschriebene Schicksal erlitten. An vielen anderen Orten gab es sicher ein ähnliches Tor, einen Weg auf das Boot, das die Männer, Frauen und Kinder in andere Welt trug, aus der sie niemals zurückkehren würden.
Am nächsten Morgen frühstücken wir noch in unserer kleinen Pension. Wir sind die einzigen Gäste. Aber es gibt warmen Kaffee, ein Stück Brot und sogar ein Glas Marmelade. Ausgeruht und frisch gestärkt, besteigen wir den kleinen Hügel der Insel. In engen Hütten, Felsspalten und Löchern leben ein paar Künstler, die ihre Werke hier rund um eine alte Kanone aufgebaut haben. Bilder, Figuren, Holztiere hängen in den Bäumen oder stehen auf dem Boden. Alles ist sehr still.
Ein alter Mann kommt auf uns zu. Seinen Namen habe ich leider nicht behalten. Er erzählt vom Frieden hier oben, von seinem Glauben daran, dass es keine Hautfarben gibt und dass wir innen drin alle gleich seien, nicht schwarz oder weiß sondern rot, wie das Herz und das Blut. Er zeigt uns seine Figuren, die er aus alten Blechdosen, Muscheln, Teilen einer alten Uhr, einer Fernbedienung, Stoffen und anderem Schrott gebastelt hat. Alexis kauft ihm drei kleine Affen ab. Ich widerstehe heute und kaufe ausnahmsweise einmal nichts.
Irgendwie bewege ich mich bei der Hitze nur sehr langsam. Wir bummeln über die Insel und sehen uns ein Fußballspiel an, bei dem wir eigentlich den Bürgermeister noch mal treffen sollten. Der ist aber nirgends zu sehen. Mitten auf dem Spielfeld steht ein dicker Baum. Das stört die Spieler aber nicht weiter. Nach einer Weile gehen wir langsam weiter. Eine Ziege, die gerade „fotogen“ um die Ecke gerannt kommt, ist mal wieder leider zu schnell für mich. Diese Viecher meckern denn ganzen Tag so laut rum, dass man sie doch eigentlich rechtzeitig sehen müsste. Sie sind jedenfalls nicht zu überhören. Aber bevor meine Kamera einsatzbereit ist, ist die Ziege schon wieder verschwunden. Da kündigt ein lautes Tuten die Ankunft der Fähre an. Jetzt müssen wir uns doch etwas beeilen.
Auf dem Rückweg ist das Schiff fast leer. Wir ergattern schnell zwei Sitzplätze im Schatten und lassen uns die frische Meeresbrise ins Gesicht wehen, während die Insel hinter uns immer kleiner wird …
Infos:
Fähre von Dakar nach Gorée:
5200 XOF (CFA / Senegalesische Franc) ist der Preis für Non Resident Afrique Adult
Das Ticket gilt für Hin- und Rückfahrt.
Als Touristensteuer muss man bei Ankunft auf der Insel noch einmal 500 CFA/ XOF pro Person zahlen
Eintritt ins Maison des Esclaves:
500 CFA (XOF)
Es lohnt sich auf eine geführte Tour zu warten, da das Haus sehr klein ist und man sonst nicht wirklich viel mitkriegt.
Unterkunft:
La Maison du Marin
Es gibt einfache Einzel-, Doppel- Drei- und Vierbettzimmer. Auf den Preis für die Übernachtung wird noch ein Touristenaufschlag von 1.000 CFA pro Kopf aufgeschlagen .
Je nach Größe des Zimmers liegt der Preis zwischen 20.000 – 35.000 CFA. die Zimmer haben WIFI, TV und Dusche. Klo ist auf dem Flur. Frühstück ist inklusive.
Umrechnung:
Stand Juni 2014 ist 1 € ca. 659 CFA /XOF
Die rosa und gelb getünchten Häuser erinnern an den Mittelmeerraum. Total hübsch! Hast du herausgefunden, warum die Frauen so aufgehübscht waren? Bürgermeisterempfang? : )
Interessanter Bericht, liebe Grüße, Jutta
Der Bürgermeisterempfang war schon heftig. Lag wohl daran, dass der Freund, mit dem ich da war, für Gorée Handball spielt und der Bürgermeister gleichzeitig Direktor des Handballvereins ist oder so was…. Warum die Frauen sich so aufgehübscht haben weiss ich leider nicht. Ich habe nur rausgefunden, dass sie das am Wochenende immer machen. Muss so was wie Sonntags-Ausgeh-Kleidung sein.
Ganz interessante Eindrücke, wahnsinnig tolle Fotos und Fotothemas, cool!! Liebe Grüße
Danke Dir!!! Dabei habe ich fast alle Fotos leider nur mit dem Handy gemacht, weil ich mich oft nicht getraut habe, die Kamera rauszuholen… dass hätte dann wirklich zu „tourimässig“ ausgesehen