Unser Tag beginnt in Lárrede, wo ich die erste von ein paar sehr besonderen, kleinen Kirchen sehen werde. Vor über Tausend Jahren wurde die romanischen „Iglesias del Serrablo“ in den kleinen Dörfern zu Füßen der Pyrenäen errichtet und stehen dort bis heute. Delia, die mich ein paar Tage lang durch das Valle de Tena begleitet, erklärt, dass man diese so abseits der wichtigsten Handelsstraßen gelegenen Kirchen erst recht spät entdeckte. Dabei ist ihre Architektur eine ungewöhnliche Mischung aus romanischen und mozarabischen Baustilen.

Diese bescheidenen, aber ungewöhnlichen Gotteshäuser sind deshalb so einzigartig, weil sie in einer Zeit gebaut wurden, als das Christentum gerade erst dabei war, den bis dahin in den Pyrenäen verbreiteten Naturglauben zu verdrängen. Im neunten und zehnten Jahrhundert, als maurische Truppen weite Teile der Iberischen Halbinsel erobert hatten und kleine Königreiche und Fürstentümer sich gegenseitig bekämpften, flüchteten viele Menschen in die Pyrenäen. Die Handwerker, die in den Bergen diese christlichen Kirchen errichteten, brachten neben ihrer Sprache und Kultur auch ihren eigenen Baustil mit. Unter ihnen auch mozarabische Baumeister, also Menschen, die im maurischen Kulturkreis aufgewachsen, aber christlichen Glaubens waren.

Ruta Serrablo(San Pedro de Lárrede)

Alle Kirchen, die man heute zur Ruta Serrablo zählt, standen ursprünglich links des Rio Gállego. Die wenigen Ausnahmen, die sich an der rechten Uferseite befinden, wurden erst später dorthin “umgezogen”.

Neben der Zeit ihrer Entstehung, zwischen 950 und 1050 gebaut, gibt es ein paar auffällige Elemente, die die Kirchen gemeinsam haben. Da ist zunächst eine halbkreisförmige Absis, die mit einem Fries aus senkrechten Balken abschließt. Türen und Fenster sind fast immer von einem Alfizrahmen umgeben und oft sind sogar Fenster in der typischen Hufeisenform des mozarabischen Stils zu erkennen. Je nachdem in welcher Phase sie errichtet wurden, haben einige Bauten sehr hohe Kirchtürme, die beinahe einem Minarett gleichen und als Wachturm dienen konnte. Andere, die aus der späteren Phase stammten, werden von massiven Türmen begleitet.

San Pedro de Lárrede

In Lárrede ist der ursprünglich schlicht rechteckige Grundriss des Kirchenschiffs gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu einer Kreuzform mit zwei seitlichen Kapellen erweitert worden. Das Fenster der Absis ist nach Osten ausgerichtet, damit das erste Licht des Tages die kleine Kirche erhellt. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich zwei schmale, hufeisenförmige Fensterchen. Neben den christlichen Symbolen kommen hier uralte Elemente des Naturglaubens zum Tragen, denn das Gebäude ist so konstruiert worden, dass jeweils zur Sommer- bzw. Wintersonnenwende, die Sonnenstrahlen direkt auf die Fenster treffen und das Kirchenschiff in ein magisches Licht tauchen. Alle übrigen Fenster befinden sich stets auf der Südseite der Kirche, niemals auf der Nordseite.

San Peddro de Larrede Aragon Ruta serrablo

Um die Kirchen damals zu “magischen Orten” zu machen, wurden sie nicht nur geschickt konstruiert, sondern auch bunt mit Geschichten der Bibel bemalt. Sie waren voller Symbole, die alle Gläubigen damals verstanden, selbst wenn sie nicht lesen und schreiben konnten.

Larrede Kirche Aragón

Direkt gegenüber der Iglesia San Pedro de Lárrede darf ich mit Delia ein typisches, altes Haus betreten, dessen Grundstruktur unglaublich gut erhalten ist. Hier kann man sich gut vorstellen, wie der Alltag der Menschen in den Bergdörfern früher aussah.

Die traditionellen Häuser der Pyrenäen hatten ursprünglich einen rechteckigen Grundriss. In späteren Zeiten, wenn die Bewohner zu etwas Wohlstand gekommen waren und sich mehr Tiere leisten konnten, baute man eine Mauer um das Hauptgebäude, sodass eine Casa Patio, ein Haus mit Innenhof entstand, dem nach Bedarf kleinere Nebengebäude zugefügt werden konnten. Wenn ein Mann für den König gekämpft und sich in der Schlacht bewährt hatte, konnte er vom Herrscher mit einem Wappen beschenkt werden. Zurück im Dorf, mit Ruhm, Ehre und einem gewissen Wohlstand, wurde das nun größere und prächtiger gestaltete Haus seiner Familie zu einer Casa Infanzona.

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Das Haus, das wir betreten, war solch eine Casa Infanzona. Durch die Eingangstür gelangen wir zunächst in einen Innenhof. Von dort geht es in das Hauptgebäude, dessen untere Etage früher als Stall gedient haben muss. Die Tiere strahlten Wärme aus, die das obere Stockwerk quasi mit „heizte“. Der Fußboden besteht aus einem filigranen, steinernen Muster, der eher an den Straßenbelag eines mittelalterlichen Gässchens erinnert. Auch oben zieren diese schwarzen Steine den Boden. Der zentrale Raum ist Küche, Wohn- und Esszimmer in einem. Längs der großen offenen Feuerstelle, die zum Heizen und Kochen diente, fand das Familienleben statt. Auf den Bänken sassen die Alten, auf Stühlen und an den Tischen der Rest der Familie.

Es sieht unglaublich gemütlich aus. Das nette Ehepaar hat es irgendwie geschafft, die uralte Struktur des Hauses nicht nur instand zu halten und zu bewahren, sondern zu einem heimeligen Ort zu machen. Ich könnte mir gut vorstellen, mich hier mit einem Buch in der Hand neben dem brennenden Feuer auf eine Bank zu kuscheln. Doch dazu ist leider keine Zeit. Wir müssen weiter, denn schließlich gibt es noch ein paar Kirchen der Ruta Serrablo zu bewundern.

San Juan de Busa

Die nächste Kirche ist keine Pfarrkirche, sondern steht einsam am Wegesrand. Ob es mal ein Dorf rund um San Juan de Busa gegeben haben mag? Der auffälligste Unterschied zu Lárrede ist, dass ich hier einen Kirchturm vergeblich suche. Die lustig gebogene Form der Absis erinnert ein wenig an den Bug eines Schiffes. Die Fenster sind quadratisch und über der Tür prangt eine mysteriöse Inschrift. Sind es wirklich florale Verzierungen, wie das Hinweisschild uns erklärt? Oder ist es vielleicht doch ein arabischer Schriftzug? Delia meint, es könne durchaus “Allah ist groß” heißen, aber so ganz sicher weiß man es nicht.

 san juan de busa aragon ruta serrablo

inschrift

Die Tür steht offen und als wir das Kirchenschiff betreten, fällt auf, dass das Gebäude irgendwie unfertig wirkt. Die hübschen Säulen tragen keine Bögen, denn das Dach besteht aus einer einfachen Holzkonstruktion. Entweder wurden die Menschen, die San Juan de Busa errichteten, vertrieben, ehe sie die Kirche fertigstellen konnten, oder das Dach der Kirche wurde irgendwann zerstört und konnte nur notdürftig wieder repariert werden. Doch in der näheren Umgebung des Kirchleins ist man auf keinerlei Überreste eines Kirchturms oder einer Wohnsiedlung gestossen. Sehr mysteriös.

Besonders schön finde ich das Fenster der Rückwand. Drei längliche, hufeisenförmige Auslassungen im Mauerwerk, die wie überdimensionale Schlüssellöcher aussehen, erinnern an den Baustil im einst maurisch geprägten Andalusien.

San Martín de Oliván

Die dritte Kirche auf unserer Route liegt im Dörfchen Oliván und ist von einem kleinen Friedhof umgeben. Der Turm ist kein Wachturm mehr, dafür ist er nicht hoch genug, sondern ein reiner Glockenturm. Hufeisenförmige Fenster kommen bei diesem Gebäude nicht mehr vor. Der Eingang wurde irgendwann an die Seite verlegt. Besonders hübsch sind die Reste bunter Malereien in der nachträglich angebauten Kapelle.

San MArtin de Olivan Aragón Ruta serrablo
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Santa Eulalia de Susín

Von Oliván aus geht es nun zum spannendsten Kirchlein auf dieser Route. Die Iglesia Santa Eulalia de Susín ist nur zu Fuß erreichbar. Der Wegweiser führt uns aus dem Dorf hinaus, zunächst geht es auf einer breiten Straße bergab Richtung Fluss. Nachdem wir eine Brücke überquert haben, steigt der Weg langsam an, bis es an einer Markierung auf einem Trampelpfad weitergeht. Längs einer zum größten Teil eingefallenen Mauer stampfe ich über grobe Steine, vermutlich Überreste der Mauer, bergauf. Das Dörfchen Susín ist längst verlassen. Zu schwierig die Lebensbedingungen, zu hart das Leben ohne Strom und fließendes Wasser, wenn man nicht mehr von der Landwirtschaft leben kann. Die jungen Menschen suchten zu Beginn des letzten Jahrhunderts lieber eine besser bezahlte und weniger harte Arbeit beim Bau der neuen Eisenbahnstrecken oder in einer der Städte.

Ruta Serrablo Aufstieg Susín

Das Dorfsterben und die Abwanderung der Bevölkerung trafen diesen Teil Huescas besonders heftig. Einerseits waren die schwierigen Lebensbedingungen dafür verantwortlich, aber hinzukam die Zwangsräumung vieler Dörfer zur Errichtung zahlreicher Stauseen, die in den 50er und 60er Jahren unter Franco gebaut wurden.

Wegweiser Gr Aragón ruta Serrablo

Susín verlassene Dörfer Aragón

Der Aufstieg ist steil. Ungefähr eine halbe Stunde geht es nur bergauf, bis wir endlich die grüne Hochebene erreichen. Aber die Mühe lohnt sich. Die verlassenen Häuser von Susin werden von einem Verein liebevoll instand gehalten. Die einzige Straße des Dorfes führt uns zur Kirche, wo die letzte Bewohnerin, Angelines Villacampa, erst 2013 nahe der Eingangspforte begraben liegt. Im Gegensatz zu den anderen Kirchen der Ruta Serrablo ist Santa Eulalia de Susín verschlossen. Von außen bewundern wir die Absyss mit dem Balkenfries und die hufeisenförmigen Fenster auf der Südseite. Die schleifenförmigen Einkerbungen in den Steinen des Mauerwerks sind heute das Symbol des Dörfchens.

Santa Eulalia de Susín Ruta del Serrablo

Susín
Garten Susín

Ehe wir uns nach einem kleinen Picknick wieder an den Abstieg machen, führt Delia mich durch die engen Mauern Susíns hinaus zu einer Kapelle. Einsam auf einem Felsvorsprung liegt die Ermita de Nuestra Señora de las Eras und blickt auf die umliegenden Wälder und Felder hinab.

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Infos zur Ruta Serrablo

„Serrablo“ heißt diese Route entlang der alten Kirchen deshalb, weil das der Name einer mittelalterlichen Comarca (in etwa so etwas wie heute vielleicht ein Landkreis) war. Vieel tolel Infos gibt es auf der Webseite des Vereins Amigos del Serrablo.

Wanderrouten Aragón

Zur Ruta Serrablo gehören noch viel mehr Kirchen. Ich habe (bisher!) nur vier besucht, die oben kurz beschriebenen Santa Eulalia de Susín, San Martín de Oliván, San Juan de Busa und San Pedro de Lárrede. Der Plan ist aber, möglichst bald wiederzukommen und auf einer kleinen Wanderung noch mehr dieser ungewöhnlichen Kirchlein zu entdecken.

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Die noch fehlenden Kirchen der Ruta Serrablo sind:
San Martín de Arto
San Bartolomé de Gavín
Santa María de Isún de Basa
Iglesia de Javierrelatre
San Pedro de Lasieso
San Miguel de Latre
San Martín de Ordovés
San Miguel de Orna
Santa Eulalia de Orós Bajo
San Juan de Orús
San Andrés de Satué

Neben den Kirchen der Provinz Alto Gállego gibt es weiter östlich in der benachbarten Provinz Sobrabe ein paar Kirchen, die sehr ähnliche Elemente aufweisen, offiziell aber nicht mehr zur Ruta Serrablo gezählt werden, die nur die am Gállego entlang errichteten Kirchen einschließt. Mehr Infos findest Du hier www.turismodearagon.com. Delia organisiert übrigens unter dem Namen Spanish Immersion Travels vor allem nachhaltige Reisen, auf denen man gleichzeitig Spanisch lernen kann.

Wandern in Aragón

Hinweis: Zu der Pressereise ins Valle de Tena wurde ich von Turismo Aragón eingeladen.