Im quietschgrünen Wagen holt Gerlinde mich in Taipa ab. Wie aus Reflex, will ich vorne rechts als Beifahrer einsteigen. Aber ich bin in Neuseeland, und hier sitzt der Fahrer rechts. Gerlinde schmunzelt verständlicherweise. Bestimmt bin ich nicht die Erste, der das passiert. Gerlinde ist meine Workaway-Gastgeberin. Das heißt, ich darf bei ihr wohnen und essen, im Gegenzug für ein paar Stunden Arbeit am Tag.

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Auf dem Weg zu ihrem Grundstück erfahre ich, dass sie Lehrerin ist, und einiges an Te Reo, die Sprache der Māori, beherrscht und sich für ihren Erhalt einsetzt. Als wir an einem großen, zeltförmigen Haus vorbeikommen, erklärt mir Gerlinde, das sei das Whāre Nui (großes Haus), das Haus der Maori Gemeinde dieses Fleckchen Lands. Hier im Norden der Nordinsel wohnt der größte Anteil der Maori Bevölkerung Neuseelands.

Als wir ihre Einfahrt erreichen, kommen uns zur Begrüßung schon die gackernden Hühner entgegen. Grundstück und Haus hatte ich schon auf den Fotos vorher gesehen, aber in Wirklichkeit ist es noch viel schöner. Wie eine Hobbithöhle oder das Haus einer Fee, passt sich das Gebäude mit wenigen Ecken und geraden Linien, dafür aber mit vielen Kurven und Rundungen, der Landschaft an. An der Veranda vor dem Eingang rangelt sich eine Maracuja empor. Gerade jetzt ist Blütezeit! Das komplette Haus ist selbst gebaut, auch den Garten hat Gerlinde selbst angelegt und gepflegt, die Bäume und Blumen drumherum gepflanzt. Sogar auf dem Dach wachsen Sukkulenten und Gras zur Isolierung.

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Im gemütlichen Inneren ist auch die Einrichtung in Handarbeit entstanden, bis ins kleinste Detail. Türgriffe und Türen aus Holz geschnitzt und getischlert, Bambusstangen dienen als Gardinenhalter oder tragen in der Küche Töpfe und Pfannen. Bunte Glasflaschen verzieren die Wände aus Lehm, die Fenster in der Decke malen Quadrate aus Licht auf den Parkettboden, die sich im Laufe des Tages mit dem Stand der Sonne durch den Raum bewegen. Es ist schon beeindruckend zu sehen, was hier alles selbst erschaffen wurde.

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In der kleinen Hexenküche zaubert Gerlinde leckere Gerichte mit frischem Gemüse aus ihrem Garten. In der Vorratskammer häufen sich Einmachgläser mit den unterschiedlichsten Konfitüren, Soßen, Chutneys und Sonstiges. Gerlinde mahlt ihr eigenes Mehl, backt ihr eigenes Brot, braut ihr eigenes Bier und kocht Gemüse, das sie im Garten erntet.

Neuseeland

Eine meiner Hauptmotivationen Neuseeland zu bereisen ist es, Menschen zu treffen, die im Einklang mit der Natur leben. Menschen, die ein nachhaltiges Leben führen. Da Neuseeland zu den letzten  Flecken der Erde zählt, die von Europa aus besiedelt und kolonisiert wurde, hoffe ich, hier noch möglichst viel Natur zu finden. Schon bei meiner Ankunft habe ich das Gefühl, dass man hier großen Wert auf die Umwelt legt, denn die Einreisebestimmungen sind streng. Zur Einfuhr von Lebensmitteln werden am Flughafen strenge Kontrollen durchgeführt. Nicht das kleinste Sandkorn oder Saatgut kann in dieses Land gelangen.

Es scheint, dass Umweltbewusstsein und die Pflege einheimischer Arten tief in der Kultur verankert sind. Deshalb möchte ich Menschen treffen, die nach diesen Grundsätzen leben, naturnah und, soweit möglich, nachhaltig und autark. Als ich die Möglichkeit des Workaways bei Gerlinde entdeckte, wollte ich darum sofort hierher, um sie zu treffen und zu sehen, wie sie lebt.

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Sobald ich mein Gepäck eingeräumt habe, zeigt mir Gerlinde als erstes ihr Stück Land. Im Gemüsegarten gibt es nichts, das hier nicht gedeiht: Zitrusfrüchte, Avocadobäume, Chirimoyas, aber auch Rhabarber und Spargel. Kartoffeln, Erdbeeren, Salat, Mangold, Kohl, … unzählige Gemüsesorten wachsen hier fast das ganze Jahr über. Hinter dem Garten ist noch eine Weide, auf der manchmal Kühe grasen, gerade sind sie aber fort. Ein Stück weiter unten hat der Nachbar seine Bienen, denn der macht seinen eigenen Honig.

Nach über 30 Jahren, die Gerlinde hier wohnt, kennt sie mittlerweile jede kleine Ecke ihres Grundstücks. Jeden einzelnen Grashalm praktisch mit Vorder- und Rückseite. Jedem Vogel, der hier vorbeifliegt, kann sie eine passende Melodie entgegenpfeifen: dem Tui, dem Kingfisher, dem Keruru. Und sie weiss auch genau, welche Vögel in Neuseeland gern gesehen werden, und zu welcher Jahreszeit sie sich zeigen. Sie kommuniziert mit ihrem Land und steht in ständiger und enger Verbindung mit ihrer Umgebung. Je nach Wetterlage und Jahreszeit, weiß Gerlinde was der Boden, die Erde und die Pflanzen brauchen. Manchmal ist es Pflege und Aufmerksamkeit, manchmal mehr Ruhe.

Wwoofing in Neuseeland

Seit Gerlinde in den 80er Jahren das Wwoofen in Neuseeland für sich entdeckt hatte, wusste sie sofort, dass sie nicht mehr nach Wien zurückkehren würde. Sie braucht die Nähe zur Natur. Deswegen ließ sie sich im „Far North“ nieder, denn hier herrscht subtropisches Klima. Es gibt jede Menge Wasser und prima Bedingungen, um das ganze Jahr über pflanzen zu können. Als sie dieses Fleckchen Erde im Norden Neuseelands fand, blieb sie hier.  In Zeiten, als es noch kein Internet gab und man Kontakte im Telefonbuch suchen musste, war Gerlinde viele Jahre selbst Wwoofer und half anderen Familien dabei, sich ein naturnahes Leben auf dem Land einzurichten. Seit sie ihr eigenes Stück Land hat, bietet sie nun Wwoofern wie mir die Möglichkeit, an ihrem Leben teilzuhaben und versucht immer auch etwas von der Kultur ihrer Besucher aufzuschnappen. Aktuell ist Gerlinde auf HelpX und Workaway zu finden.

Während sie mir vom Leben hier in der Natur erzählt, fällt ihr Blick immer wieder durch das Fenster auf die Baumkuppen. Es kommt mir vor, als sei Gerlinde ständig auf der Lauer, um stets im Blick zu behalten, welche Vögel sich gerade draußen herumtreiben. Sie engagiert sich für die Natur und es liegt ihr sehr am Herzen, nicht zur Zerstörung von Mutter Erde beizutragen. Aber mit der Zeit hat sie gelernt, dass man auch nicht zu streng sich selbst sein darf. Ein guter Ansatz ist wichtig, aber man muss ein gesundes Gleichgewicht finden – zwischen dem, was man leisten kann und möchte, und dem was tatsächlich machbar ist. Das eigene Leben nicht zu sehr eingrenzen, denn alles machen geht auch nicht. Auf den “Common Sense“, also einen gesunden Menschenverstand, sollte man sich verlassen können.

Unkraut rupfen, Opossumfallen aufstellen, die Hühner füttern und Eier sammeln, den Rasen mähen, Feuerholz sammeln und stapeln, das Haus pflegen – das alles gehört zu Gerlindes Alltag. Ganz schön viel, wenn man hauptberuflich auch noch Lehrerin ist. Doch Gerlinde ist nichts davon lästig, sie macht das alles gern. Was andere als eine mühsame, anstrengende Arbeit betrachten, macht ihr gute Laune, denn es gehört für sie zum Leben mit der Natur dazu.

Gerlinde erzählt, dass das Leben auf dem Land gut ist, wenn man einen Job hat, durch den man in der Gemeinde aktiv bleibt, so wie sie in der Schule. So pflegt sie soziale Kontakte, tauscht sich mit anderen aus und ist nicht isoliert. Obwohl man heute dank des Internets auch digital vernetzt ist und Familie und Verwandte jederzeit einfach erreichen kann. Über meine Frage, ob ihr manchmal etwas fehle, muss sie lange nachdenken, denn ihr fehlt kaum etwas. Alles, was sie braucht, findet sie hier, und wenn doch mal etwas fehlt, wird es einfach selbst gemacht.

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Auch wenn Gerlinde stets damit beschäftigt ist, die Welt zu einem etwas besseren Ort zu verwandeln, findet sie doch immer eine ruhige Minute, um einen leckeren Apple Crumble zu backen.

Informationen zum Wwoofing in Neuseeland:

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