Still ist es hier oben. Und grün. Weit ab vom bunten Treiben an den Stränden liegt das Kloster Sant Quirze. Beziehungsweise das, was davon noch übrig geblieben ist. Ein ganzes Dorf stand früher einmal um das Kloster herum. Doch davon sind heute nicht mehr als ein paar vereinzelte Steine drüben auf dem Feld zu sehen. Nur die alte Dorfkirche steht noch.
hier stand früher das Dorf Sant Quirze de Colera
Ein paar Kühe weiden dort, wo einst die Häuser der Leute von Sant Quirze standen. Zäune gibt es nicht. Wo sollen die Kühe auch hin? Hier ist weit und breit nur Natur. Genüsslich kauend liegt vor mir eine Kuhdame im Gras. Neben ihr liegt ein Kalb, das mich ängstlich aber auch neugierig anblickt. Als ich mich nähere, springt es schnell auf und geht ein paar wacklige Schritte – hinter die Mama. Und so bahne ich mir einen Weg durch die Kuhfladen zur Ruine des Klosters.
Das kleine Dorf Sant Quirze, von dem nichts mehr übrig geblieben ist, gehörte früher zu Colera, das direkt hinter dem Hügel an der Küste liegt. Bis ins späte Mittelalter gab es nämlich fast keine Siedlungen direkt am Meer. Die Gefahr den Piratenangriffen zum Opfer zu fallen, war einfach zu groß. Und so siedelten die Menschen weiter im Inland, wie in Sant Quirze de Colera. Erst nachdem die Piraterie im neunzehnten Jahrhundert verboten wurde und die Küsten wieder sicherer waren, zogen die Menschen zurück ans Mittelmeer. Zurück blieben die älteren Dörfer im Hinterland. Die wurden immer kleiner und leerer. Viele von ihnen waren bald ganz verlassen und verschwanden von den Landkarten.
Heute führen zahlreiche Wanderwege durch den Naturpark der Serra de l‘Albera. Die alten Gebäude des Klosters liegen verlassen in der grünen Landschaft. Ein Paradies für Schildkröten und Kühe, mit wunderschön blühenden Ginsterbüschen, die weithin gelb leuchten. Doch früher muss hier rege Betriebsamkeit geherrscht haben.
So nahe der Küste sind die letzten Ausläufer der Pyrenäen, denn das sind die Berge hier vor uns, leicht zu überqueren. Bevor die Autobahnen und Eisenbahnlinen gebaut wurden, lag das Kloster daher an einem der wichtigsten Eingangswege auf die iberische Halbinsel. Von Frankreich aus musste man mehr oder weniger durch Sant Quirze, um nach Spanien zu gelangen, denn seit dem Pyrenäenfrieden von 1659 führt hier die „neue“ Grenze entlang. An so einem zentralen und strategisch wichtigen Punkt, spielte das kleine Benediktinerkloster mit Sicherheit eine bedeutende Rolle.
Quim ist die gute Seele und eine Art Hausmeister, der in den Ruinen von Sant Quirze de Colera nach dem Rechten sieht. Das sanfte Geläut der Kuhglocken begleitet uns, während er die Geschichte des Klosters erzählt.
Ganz sicher weiß man nicht, wann die Klosterkirche genau gebaut wurde. Aber der Legende nach wurde sie von zwei Brüdern ungefähr im zehnten Jahrhundert gegründet. Die beiden Brüder gehörten zu den Soldaten, die mit Karl dem Großen in die Spanische Mark gezogen waren, um das christliche Europa vor den Angriffen der Mauren zu schützen. Doch sie ließen sich auf diesem schönen Fleckchen Erde nieder, blieben hier und gründeten angeblich das Benediktinerkloster.
Nach einer kurzen Zeit des Wohlstands ging es mit dem Kloster jedoch bergab. Ein Erdbeben hatte einen Teil der Kirche zerstört. Die Mönche hatten offenbar in aller Eile versucht ihr Gotteshaus zu reparieren und bauten die Rückwand wieder auf. Nur war die Kirche nun wesentlich kürzer als vor dem Beben. Doch noch zwei weitere Erdbeben erschütterten die kleine Gemeinde. Hinzu kamen dann noch Katastrophen der ganz anderen Art. Vermutlich war der Vorteil so nahe an der Grenze zu liegen, auch der größte Nachteil Sant Quirzes. In den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen wurde das Kloster gleich mehrmals Opfer der plündernden und brandschatzenden Heere, die hier entlangzogen.
Irgendwann im fünfzehnten Jahrhundert verließen die Mönche Sant Quirze de Colera dann schließlich. Die Kirche zerfiel immer mehr. Als in ganz Spanien im neunzehnten Jahrhundert kirchliche Güter enteignet und an Privatleute verkauft wurden, ging vermutlich auch Sant Quirze in den Besitz einer wohlhabenden Familie über. Die lebte zwar weit weg in einem großen stattlichen Haus, unterhielt aber die Klosterkirche wie ein Familienpantheon und bestattete hier ihre Toten.
Der einzige Mensch, der noch viele Jahre in Sant Quirze gelebt hat, war ein Hirte, weiß Quim zu berichten. Dieser Hirte hatte sich in dem ehemaligen Palast des Abtes eingerichtet. Der ist heute jedoch so baufällig, dass ich ihn nicht mehr betreten kann. Dafür darf ich aber in das alte Refektorium, den Speisesaal der Mönche. Der Raum ist riesig! Der Größe nach müssen hier viele Mönche gelebt haben. Natürlich frage ich Quim danach, aber der sagt, das wisse man leider nicht mehr so genau. Einige Forscher behaupten bis zu achtzig Mönche seien es gewesen, andere sind der Überzeugung, hier könnten höchstes zwanzig Mönche gelebt haben.
Erst in den neunziger Jahren verkauft dann die letzte Nachfahrin der Familie den alten Klosterkomplex an die Gemeinde von Rabós. Die versuchte zum Glück zu erhalten, was noch zu erhalten war. Für eine aufwendige Restaurierung fehlt jedoch das Geld, leider.
Die Mönche bauten die Klosteranlage damals geschickt so, dass sie Schutz vor der Tramontana, dem Fallwind aus den Pyrenäen, bot. Im Norden der Anlage errichten sie nämlich die Kirche und in deren Windschutz bauten sie dann die Wohn- und Arbeitsräume. Als ich in der fast komplett leeren Kirche stehe, zeigt Quim mir durch ein Fenster an der Rückseite, wo die gotische Säulenhalle ursprüngliche einmal geendet haben muss. Gottesdienste werden hier schon lange nicht mehr gehalten. Aber ab und zu gibt es aber geführte Touren, bei denen die Gründung des Klosters nachgespielt wird.
Wandmalereien, die erst kürzlich durch Zufall gefunden wurden
Eigentlich ist es zwar schade, dass diese alte Anlage nicht restauriert wird, so schön wie sie ist. Andererseits finde ich es aber auch gerade gut. Denn diese unperfekte, leicht verfallene Schönheit verleiht dem Ort so eine angenehme Ruhe. Durch diese Stille wirkt hier oben alles so friedlich. Auch die gut genährten, glücklichen Kühe, die hier weiden.
Infos Sant Quirze de Colera:
Infos zu geführten Touren findest Du bei terramar.org
Adresse:
Camí de Rabós a Vilamaniscle s/n
17754 Rabós
GPS Koordinaten:
X: 3.0268643666878896
Y: 42.379558454753095
Im Sommer (Juli-August) täglich geöffnet 11-13 und 15-19 Uhr
Sonst nur an den Wochenenden von 11 bis 13.10 Uhr
Mittwochs geschlossen
Eintritt: 3 Euro
Auch wenn man das Gefühl hat, in die völlige Abgeschiedenheit der Berge zu fahren, gibt es dort oben am Kloster ein kleines Restaurant! Als ich dort war, war es allerdings gerade geschlossen.
Dieser Artikel entstand mit Unterstützung des Patronat de Turisme Girona Costa Brava. Die hier dargestellte Ansicht drückt einzig und allein meine persönliche Meinung aus.
Danke für diesen wunderbaren und sehr fundierten Beitrag. Die Albera ist mir in vielen Jahren zur zweiten Heimat geworden mit unvergesslichen Erinnerungen. Port de la Selva, Cap Creus, Sant-Quirze, Garriguella mit dem Centre de tortugues, Vilamaniscle, Rabós – all das berührt mein Herz.
Ich freue mich sehr, diese Website entdeckt zu haben, die viel mehr bietet als die üblichen Reiseführer, nämlich fundiertes Wissen, das weit über die üblichen Beschreibungen hinausgeht und zeigt: Da ist jemand wirklich ins Detail gegangen.
Ich werde mich hier wohl noch sehr oft einfinden, nachdem Reisen in meine geliebte zweite Heimat aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich sind. Ein großes Dankeschön an die Verfasser!
ganz vielen lieben Dank Anita 🙂
Wunderschöne Gegend und auf dem ersten Bild hat das Haus ein Gesicht. 🙂
Liebe Grüße
Haha jetzt wo Du es sagst, sehe ich es auch! Und es ist wirklich wudneschón odrt! Nur wenige Kilometer von den Stränden entfernt, ist es dort oben in den Bergen so still und ruhig! Wunderschön! 🙂
Liebe Grüße!!!!