Im Juni wurde ich zu einer neuen Folge “13 Fragen” eingeladen, einer TV-Debatte im ZDF, bei der es darum geht, bei umstrittenen Fragen mögliche Kompromisse zu finden. Die Teilnehmer der Diskussion starten nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich an unterschiedlichen Standpunkten und können symbolische Schritte nach vorn oder zurück machen, um ihr Einverständnis mit den Standpunkten der Gegenseite deutlich zu machen. Ziel ist es, dass am Ende beide Teams möglichst viele Gemeinsamkeiten finden und zu einem Kompromiss gelangen.
Screenshot aus „13 Fragen“ (ZDF) ©
Schluss mit dem Massentourismus
Dieses Mal ging es um das Thema Massentourismus. Muss man etwas gegen Overtourism unternehmen? Sollte man die Touristenströme besser lenken? Gibt es überhaupt so etwas wie ein Recht auf Reisen? Was passiert mit der Wertschöpfung? Wohin fließen die Gewinne, die der Tourismussektor erwirtschaftet und wer profitiert eigentlich davon? Mit in der Runde waren Klimaaktivisten und Unternehmer von nachhaltigen und herkömmlichen Reisenportalen, aber auch Influencer, die eine nicht ganz unwichtige Rolle beim Werben für diese Destinationen spielen.
Gefühlt war meine Rolle in dieser Runde als eine von den Folgen des Massentourismus betroffene Person, darauf aufmerksam zu machen, wie sich die Auswirkungen im Leben der Bewohner einer Destinationen zeigen. Mein Ausgangspunkt war ganz klar: Man muss etwas gegen den Massentourismus unternehmen.
Tourismus schafft Arbeitsplätze
Das wichtigste Argument für den Tourismus ist seine große wirtschaftliche Rolle. Tourismus schafft Arbeit und damit Geld. Aber was sind das für Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen?
Während der Pandemie wurde auf Mallorca und anderswo, sehr schnell klar, wie abhängig man vom Tourismus ist. Durch den kompletten Zusammenbruch des Tourismussektors von einem auf den anderen Tag, verloren viele Menschen ihre Jobs uns landeten auf der Straße. Eine solche Abhängigkeit von einem einzelnen Sektor kann fatale Folgen für die gesamte Wirtschaft haben.
Massentourismus verursacht Probleme
Soziale Kosten:
Wer kommt für die Kosten auf, die der Massentourismus im Sozialsystem verursacht? Schlaflose Nächte der Menschen, die in beliebten Ausgehviertel leben, immer weiter steigende Preise von Lebensmitteln, vollgepinkelte Hauseingänge oder Betrunkene, denen die Kinder am Morgen auf ihrem Weg zur Schule ausweichen müssen.
Wohnungsnot:
Durch AirBnB oder ähnliche Plattformen oder gar illegale Vermietung von Ferienapartments (auch für Digital-Nomads monatsweise) können Vermieter in kurzer Zeit viel Geld verdienen. Mehr, als durch langfristige Vermietung des Wohnraums an junge Menschen oder Studierende, sogar Familien. In touristisch überfüllten Destinationen wird es für die Einheimischen immer schwieriger oder gar unmöglich, bezahlbaren Wohnraum zu finden. In Barcelona kommt es immer wieder zu Zwangsräumungen, besonders bei einkommensschwachen Familien mit Kindern und Rentern. Die Gentrifizierung reicht mittlerweile weit über die Stadt hinaus. Denn immer mehr Menschen aus der Stadt ziehen aufs Land, in nahe gelegene Vororte und treiben dadurch dort die Preise der Wohnungen in die Höhe.
Wassermangel:
Während ich meine Tomaten sorgsam mit der Gießkanne gieße, damit kein Tropfen Wasser verloren geht, das kalte Wasser aus der Dusche aufbewahre und viele Gemeinden Maßnahmen zum Wassersparen ergreifen, duschen Touristen in Hotels mehrmals täglich, und planschen in den Hotelpools. In Barcelona verbraucht ein Tourist fünfmal mehr Wasser als ein Einheimischer (Quelle beteve.cat). Dabei ist die Dürre in Spanien extrem. Der Wasserspiegel aller Staudämme ist im letzten Jahr dramatisch gesunken. Ein Beispiel ist der Pantà de Sau, in dem man vorher bestenfalls die Spitze des Kirchturms sehen konnte und nun die ganze Kirche auf dem Trockenen steht. Viele Flüsse führen kaum noch Wasser oder sind ausgetrocknet. Doch die Pools der Hotels sind gefüllt und der Rasen frisch und grün.
Kreuzfahrtschiffe:
Kreuzfahrtschiffe sind nicht nur eine schwere Belastung für die Umwelt. Wenn in Barcelona rund 5000 Teilnehmer einer solchen Kreuzfahrt gleichzeitig in die Stadt strömen, dabei aber weder Hotels benötigen noch Restaurants besuchen, weil sie auf dem Schiff bereits alles bezahlt haben, dann haben die kleinen Familienunternehmen in der Stadt, Restaurantbesitzer, Hotelbetreiber oder kleine Ladenbesitzer absolut nichts von diesen Massen, die durch ihre Straßen strömen. Und im Schnitt liegen nicht ein oder zwei, sondern drei, vier oder fünf Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Barcelona vor Anker…
Verzicht aufs Fliegen:
Ein ausschlaggebender Faktor ist natürlich auch der ökologische Fußabdruck (bzw. CO2 Ausstoß) den wir beim Reisen hinterlassen. Mitten in der Klimakrise fliegen viele Menschen nicht mehr guten Gewissens in den Urlaub, sondern sind stattdessen mit Bus und Bahn unterwegs. Gleichzeitig scheint dieser Verzicht wirkungslos, wenn das Luftverkehrsaufkommen zu Veranstaltungen wie Olympia oder Fußballweltmeisterschaften wieder in die Höhe schnellt. Lohnt es überhaupt, sich so viele Gedanken zu machen oder sind wir machtlos?
REISEN – EIN RECHT ODER EIN PRIVILEG?
Gibt es einen Kompromiss?
Eine universelle Lösung für das Phänomen des Massentourismus und seine Folgen gibt es leider nicht. Ich kann und will niemandem vorschreiben, ob oder wie er oder sie zu reisen hat. Mir geht es einfach nur darum aufmerksam zu machen, wie Tourismus am “Urlaubsort” erlebt wird. In einem wohlhabenden Land wie Deutschland wird das Reisen oft wie ein “Recht“ betrachtet, das jedem zusteht. In einem Land, das wie Spanien vom Tourismus abhängig ist, sehe ich aber auch, dass oft die Umwelt und auch das Wohl der Menschen, sozial, finanziell oder auch gesundheitlich, unter eben diesem Tourismus leiden.
Reisen an sich ist nicht das Problem. Was kann jeder einzelne tun? Vielleicht müssen alle in Zukunft mehr darauf achten, wie sie reisen und die Folgen jeder Kauf- oder Buchungsentscheidung bedenken. Lieber ein kleines familienbetriebenes Hotel als eine große internationale Kette zu buchen, nicht nur überlaufene Hotspots, sondern auch mal die kleineren Orte in der Nähe besuchen. Statt in der Hauptsaison lieber in der Nebensaison zu reisen, anstelle eines Wochenendtrips lieber länger an einer Stelle bleiben.
Städte wie Amsterdam und Venedig haben bereits erste Maßnahmen zur Lenkung oder zum Einschränken der Tourismusströme ergriffen. Auch Barcelona hat mit Ex-Bürgermeisterin Ada Colau das ausufernde Wachstum der Ferienvermietungen versucht in den Griff zu kriegen. Und natürlich brauchen Länder wie Spanien dringend zusätzliche Standbeine für eine stabilere Wirtschaft um nicht von dieser einen Branche abhängig zu sein.
Die ganze Sendung kannst Du hier im ZDF sehen oder Du findest sie auf Youtube.
Mein Buchtipp:
In der Diskussionsrunde steht Milena Glimbvoski, Aktivistin und Gründerin von Original Unverpackt (Unverpacktladen) auf meiner Seite, für eine Abschaffung des Massentourismus. Milena vertritt einen sehr konsequenten Standpunkt. In ihrem Buch ‚Über Leben in der Klimakrise‘, das vor Kurzem erschienen ist, schreibt sie von Klimaangst und Klimaanpassung. Viel zu viel Schaden sei längst angerichtet und nicht mehr rückgängig zu machen. Was uns bleibt, ist aber die Möglichkeit, die Zukunft zu gestalten, uns aktiv an eine Welt mit verändertem Klima anzupassen.
Über Leben in der Klimakrise
Milena Glimbovski
Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 01.06.2023
Verlag: Ullstein Taschenbuch
ISBN 978-3-548-06805-3
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