Es ist früh am Morgen und ich fahre von Isaba aus nach Otsagabia, ein authentisches kleines Dorf in den Pyrenäen. Der Fluss Salazar, der dem Valle seinen Namen verliehen hat, plätschert durch den Ort. Wunderschöne alte Steinbrücken verbinden die beiden Seiten der kleinen Siedlung. Von hier aus will ich mit zwei Einheimischen die Selva Irati erkunden, einen der größten Buchen- und Fichtenwälder Europas (eine größere Waldfläche hat nur der Schwarzwald). Gustavo und Rakel leben hier im Valle und kennen jeden Stein. “Kaixo!” begrüßen mich die beiden fröhlich, denn in diesem Teil der Pyrenäen sind baskische Sprache und Kultur sehr lebendig.

ochagavia

Alle Wettervorhersagen zum Trotz scheint die Sonne am Himmel, als sei es Mitte Juli. Auch wenn wir natürlich Wasser dringend brauchen, bin ich wahrlich nicht böse, dass es gerade heute doch nicht regnet. Mit dem Auto fahren wir zum Centre de Montaña Irati – Abodi hinauf. Von dort startet unsere Wanderung.

Statt auf der breiten Schotterpiste zu gehen, folgen wir einem kleinen blauen Pfeil in den Wald hinein. Ein Trampelpfad verläuft ein paaar Meter parallel des breiteren Weges, doch bald schon sind wir in die grüne Welt der dicht stehenden Bäume eingetaucht. Hoch über uns fällt das Licht durch das schützende Blätterdach der schlanken Buchen. Der weiche Waldboden aus Moos, kleinen Ästen und trockenen Blättern federt unsere Schritte. Vögel zwitschern ganz in der Nähe und ich atme tief ein, denn die Luft schmeckt frisch und sauber.

Auch wenn weite Teile des Irati bis heute fast unberührt geblieben sind sind, ist er kein Urwald, sondern ein “genutzter” Wald. Menschen und Tiere leben von und mit dem Irati. Sie erhalten ihn, indem sie ihn säubern und umsichtig bewirtschaften. Weder schnell wachsende Bäume, die mehr Profit versprächen, noch die Errichtung von Ski-Stationen hat sich hier oben durchgesetzt.

Die Menschen lebten vom Verkauf des Holzes. Doch es war Knochenarbeit, die Bäume zu schlagen und in die Täler hinabzutransportieren. Lange Zeit nutzte man vor allem die Flüsse als Transportwege. Almadías, mächtige Flöße, baute man aus den gefällten Stämmen, um sie aneinandergebunden, in die weiter südlich liegenden Ortschaften zu manövrieren. Die Flößer wurden meist nicht alt, es war eine harte Arbeit. Als die aus Bergamo stammenden Brüder Moretti zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine Art Seilbahn zum Abtransport der Bäume einführten, wie sie bereits in den Alpen eingesetzt wurde, empfanden die Menschen das als eine ernorme Erleichterung. Doch auch die Errichtung dieser Seilbahnstrecken war aufwendig und “Kabelzieher” zählte bald zu den harten, aber einträglichen Berufen des Tals.

Gustavo erzählt, dass diese Installation nach dem Spanischen Bürgerkrieg und im Zweiten Weltkrieg genutzt wurde, um Menschen, die vor den Nazis flohen, in Sicherheit zu bringen. Ein belgischer Arzt und ein baskischer Hirte nahmen mit Hilfe der Einheimischen auf spanischer Seite der Grenze die Serrería de Mendive, eine 1924 von den Brüdern Alexis und Paul Pédelucq als Compagnie d’Iraty gegründete Anlage wieder in Betrieb. Statt Baumstämme zu transportieren, war das eigentliche Anliegen des Telefericos nun Flüchtlinge unter die Arbeiter zu mischen, die von hier aus weiter nach England gelangen konnten. Auch wichtige Dokumente und Informationen fanden so ihren Weg aus Frankreich heraus. (Buchtipp: Meg Ostrum “Le chirurgien et le berger”)

Während wir auf dem Tramfelpfad bergan spazieren, entdeckt Rakel Walderdbeeren und verschiedene Pflanzen, die am Wegesrand sprießen. Plaudernd folgen wir den blauen Markierungen an den Bäumen bis wir auf einen Weg stoßen. Ein rundes, blau-weißes Schild lässt uns die Wahl entweder nach links zurück zum Zentrum oder nach rechts weiter in den Wald zu laufen. Wir gehen rechts weiter und kommen nach ein paar hundert Metern zu einem arbol monumental, einem prächtigen Nadelbaum, der aus der Menge der schlanken Buchen heraussticht.

Schließlich überqueren wir eine Schotterpiste, an der die Wegweiser uns auf eine grüne Wiese hinauf schicken. Wie eine riesige Lichtung liegt der Bergkamm der Sierra Abodi vor uns. Obwohl es zum Mirador, dem höchsten Punkt, recht steil bergauf geht, fallen mir die Schritte leicht. Ein glückliches Grinsen macht sich unkontrolliert in meinem Gesicht breit. Ich strahle vor mich hin mit Bildern von Heidi und dem Geißenpeter im Kopf. Innerlich hüpfe ich diesen Berg hoch. Die Sonne scheint als wäre schon Sommer. Nur ein paar Wölkchen zieren den blauen Himmel. Hier oben fühlt sich das Leben so leicht und unbeschwert an.

Blick auf die Pyrenäen

orchidee Selva Irati

Ast blick auf Irati von Sierra Abodi

Auch wenn ich eigentlich mehr ein Meer-, als ein Bergmensch bin, macht diese Landschaft etwas mit mir. Die Dreitausender ragen weit hinten auf und sind gut zu erkennen, aber sie sind weit genug weg, um nicht die unglaubliche Aussicht vom Abodi zu “stören”. Fast wie auf dem Meer scheint der Blick hier unendlich weit in die Ferne zu reichen. Vielleicht gefällt es mir genau deswegen so gut, weil ich mich hier nicht eingeengt, sondern unendlich frei fühle.

Immer wieder bücke ich mich, um die lila und gelben Orchideen zu bewundern, die inmitten der Wiese wachsen, über die wir laufen. Zusammen mit Löwenzahn und Gänseblümchen verteilen sich die fröhlich bunten Punkte in dem satten Grün, das ich so vermisst habe. Bei uns im Dorf herrscht seit Monaten Wassermangel. Hier hingegen strahlt die Wiese gesund und kräftig.

Orchidee-Wiese-Abodi

Irati-Wald-Spanien

Ein Roter Milan zieht über uns seine Kreise. Oder ist es ein Adler? Vorbei an einer Schafstränke folgen wir nun der rot-weißen Markierung des Fernwanderwegs GR 11, der die Pyrenäen als “Transpirenaica” durchquert. Geradeaus durch eine kleine Baumgruppe hindurch geht es immer weiter bis zum Bergkamm. Am höchsten Punkt angelangt, steht, warum auch immer, eine Art Vogelhäuschen am Boden. Ich tippe auf Geocoaching, aber vielleicht ist es auch etwas ganz anderes. Rund 17 Hektar Wald liegen nun zu unseren Füßen und Gustavo erklärt die Aussicht, die ich am liebsten in mir aufsagen würde.

Milan-Wanderung-Irati-Wald

Nördlich von hier erstreckt sich der Irati bis in die französische Basse Navarre, Nieder-Navarra. Im Westen reicht er bis Roncesvalles und im Osten stellt der mit Schnee bedeckte Ohri das Ende dieser beeindruckend großen Waldfläche dar. Ein pyramidenartiger Gipfel, der in südlicher Richtung im Nebel gerade noch erkennbar ist, befindet sich auf der Höhe von Pamplona, so Gustavo. Es ist einfach unglaublich, wie weit der Blick von hier aus reicht! Ich kann mich gar nicht satt sehen, an den grünen Bäumen und Hügeln um mich herum. Egal wohin ich schaue, es ist traumhaft schön.

Aus Norden kommend schiebt sich langsam ein dichter Nebel heran. Wie eine weiße Decke kriecht er über den Orhi, den Gipfel auf dem der baskischen Legende zufolge Mari, die Göttin der Natur, lebt. Obwohl diese kuschelige Wolkendecke recht schwer aussieht, kommt sie nicht näher, sondern löst sich unterhalb des Gipfels wieder auf. Manchmal, so Raquel, liege diese Boira so auf dem Berg, als trage der Ohri eine Txapela (Baskenmütze).

Wandern-Irati-Wald-Spanien

Nur ungern trenne ich mich vom Abodi und folge meinen Begleitern querfeldein über die Wiese nach unten. Wir nehmen nicht exakt denselben Weg, auf dem wir gekommen sind, sondern steuern auf einen einzlenen, weiter unten stehenen Baum zu. Noch bevor wir ihn erreichen, halten wir an. Wir haben einen Bunker der “Linia P” erreicht, die Verteidigungslinie, die Franco zwischen 1944 un 1947 in den Pyrenäen errichten ließ. In einem der kältesten Winter wurde von den Zwangsarbeitern aus Andalusien und der Bizkaia nicht nur diese Bunker gebaut, sondern auch zahlreiche Straßen angelegt, die eine schnelle Truppenbewegung erleichtern sollte. Haarsträubende Geschichten.

abstieg vom Mirador

Bunker Linea P Pyrenäen
Aus Angst vor möglichen Angriffen der Alliertien, die Hitler und Mussolini bereits besiegt hatten, begann Franco nach dem Ende des Zweiten Welkriegs diesen massiven Verteidigungswall von 10.000 Bunkern in den Pyrenäen zu planen. Letzlich wurden rund 6.000 tatsächlich gebaut, die ihm auch als Schutzschild gegen die Maquis diente, die antifaschistische Guerilla, die sich nach dem Spanischen Bürgerkrieg in die Berge zurückgezogen hatte.

Cruz de Osaba Abodi

Irati-Wald-Spanien

Weiter geht es bergab bis wir wieder auf einen breiten Weg stoßen. An einem verwitterten Wegweiser mit der Aufschrift Zaraitzutarren ibilbidea – Ruta de los Salacencos, wenden wir uns nach links. Bald gabelt sich der Weg und auf der breiten Schotterpiste an der rechten Seite gelangen wir zum Cruz de Osaba, einem Aussichtspunkt, der aus zwei am Boden befestigten Holzstämmen besteht. Der Blick fällt auf einen grünen Felskamm, an dessen Ende ein einsamer Baum steht. Unser Weg schlängelt sich an diesen von der Sonne beschienenen Blumenwiesen zurück zum Centro de Montaña, wo wir uns ein leckeres Mittagmenü, natürlich mit den traditionellen Migas, schmecken lassen.

Migas traditionelles Essen

Noch mehr Selva Irati:

Otsagabia heißt auf Spanisch übrigens Ochagavía.

Die Legende des Barden Gartxot

Eine Legende die Gustavo und Rakel mir auf der Wanderung erzählt haben, ist die Geschichte des Barden de Itzaltzu. Dieser Barde, Gartxot, hatte einen Sohn namens Mikelot, der so schön sang, dass fremde Mönche, die aus Frankreich in die Gegend gekommen waren, ihn hörten und mitnahmen. Doch Garxot will seinen Sohn zurück haben, sucht und findet ihn schließlich. Als er ihn endlich befreien kann und auf dem Rückweg ist, entdecken die Mönche die beiden Fliehenden.

Der junge Mikelot will lieber sterben, als zu ihnen zurückzukehren. In die Enge getrieben, sieht Garxot keinen anderen Ausweg, nimmt sich ein Herz und tötet seinen Sohn, um sich anschließend selbst umzubringen. Doch die Mönche halten ihn vom Selbstmord ab und verurteilen ihn für den Totschlag seines Sohnes dazu, lebendig eingemauert zu werden. In einer Höhle verbringt der arme Mann den Rest seiner Tage, ernährt von den Menschen des Tales, die ihm Essen und Trinken bringen.

Wie in vielen anderen Ländern lebten während der Romantik auch hier alte Märchen und Legenden auf. Arturo Campión sammelte die Geschichten der Pyrenäen und dramatisierte die alten baskischen Sagen. Die Legende des Gartxot gilt als Erinnerung an die baskische Kultur, die im Zuge der Christianisierung und Lateinisierung Navarras im elften und zwölften Jahrhundert die einst in den ganzen Pyrenäen verbreitete Sprache immer weiter zurückdrängte.

(Filmtipp www.filmin.es/pelicula/gartxot)

Casa Irati und Kuboko ur-jauzia

Die Casa Irati ist ein Dokumentationszentrum mitten in der Selva Irati. Wenige Meter oberhalb des großen Parkplatzes mit dem Infostand, liegt das kleien Museum mit Café-Restaurant. Hier unten im Tal fließen der Urbeltza und der Urtxuria zusammen, die beiden in den Bergen entspringenden Flüsse, die an dieser Stelle in den Irati münden. Aus dem Baskischen übersetzt, bedeuten ihre Namen blaues  bzw. weißes Wasser (Ura ist Wasser). Wir laufen ein kleines Stück den Weg am Urbeltza entlang bis zu einem Wasserfall. Die Cascada Cubo, auf Baskisch Kuboko ur-jauzia, diente bei den Dreharbeiten des Films Selva Irati, der bei verschiedenen spanischen Filmfestspielen mehrere Nominierungen und Preise einheimsen konnte (Filmfestival Sitges und Premios Goya), als Kulisse, vor der ein historisches Ereignis erzählt wird (Filmtipp: Selva Irati, einen Trailer findest Du auf youtube). Echt Toller Film!!!!

Wasserfall Cubo Irati-Wald-Spanien

Euskal Txerri – Borda xaki

Euskal txerris sind eine besondere, baskische Schweinchenrasse mit schwarzen Flecken und großen Schlappohren. Ganz in der Nähe von Otsagabia/Ochagávia züchten Andoni und Iñaki auf einem kleinen Hof seit sieben Jahren diese Tiere. Um ihren Traum von einem Leben auf dem Land zu erfüllen, war ihnen klar, dass sie von der Tierzucht leben würden.Statt für Schafe, von denen es im Valle Salazar schon recht viele gibt, entschieden sie sich für die baskischen Schweine. Wild grunzend rennen die Sauen und ihre Ferkel auf den Feldern herum. Haben sie eines gründlich abgegrast, dürfen sie umziehen, auf eine neue Wiese, damit sich das Stück Land, gut gedüngt, von den Schweinen wieder erholt.

Euskal Txerri schweine

Ochagavia Schweinzuechter

Neben den 20 Sauen sind zwei Eber für die Vermehrung der Zucht ständig. Im Stall treffen wir nur zwei Muttertiere an, die ihre Ferkel noch säugen. Auch wenn es ein hartes Stück Arbeit ist, strahlen Iñaki und Andoni beim Anblick ihrer Tiere. Von klein auf kannten sie das Landleben aus den Dörfern ihrer Großeltern und sind glücklich, endlich selbst von der Landwirtschaft hier im Tal leben zu können.

baskische Traditionen in Navarra Borda Xaki
Euskal Txerri Schweine

abodi

Hinweis: Mein Ausflug in die Pyrenäen wurde unterstützt von Turismo Navarra (Pressereise). Die Begeisterung für dieses Fleckchen Erde und die Menschen die hier leben, drücken meine ganz  persönliche Meinung aus.