Alba ist eine junge Spanierin, die weiß, was sie will. Zusammen mit ihrem Partner Fernando hält sie eine Herde Schafe, die auf den Wiesen des Valle de Roncal, ganz oben in den Pyrenäen, grasen. Nördlich der beiden Hauptorte des Tals, Roncal und Isaba, erstreckt sich eine naturbelassene Gegend. Hier dürfen keine Skipisten, Diskotheken, Hotels oder Wohnhäuser gebaut werden, nur Schäferhütten oder Ställe sind erlaubt. In Navarra nimmt man den Schutz und Erhalt dieser einzigartigen Landschaft sehr ernst.
Almadía in Burgui
In Burgui, dem Eingangstor des Valle de Roncal, holt mich Alba ab. Der kleine Ort ist in Spanien aufgrund der Flößerei bekannt, denn einmal im Jahr findet zu Ehren des heute ausgestorbenen Berufs, ein großes Fest statt. Natürlich gab es Flößer, almadieros, auch in anderen Dörfern und Tälern der Pyrenäen. In Burgui hat man außer diesem besonderen Fest jedoch auch einen kleinen Spazierweg, die Ruta de los Oficios angelegt, der an die alten Berufe der Gegend erinnert.
Neben einer Waschfrau, einem Bäcker, einem Flößer und einer Köhlerin (das umsichtige Stapeln der Holzhaufen und das Herstellen der Holzkohle galt im Valle de Roncal als Frauenarbeit), steht hier ein echtes Floß. Das Holz ist zwar schon etwas verwittert, aber die Ausmaße dieses Gefährts sind wahrlich beeindruckend. Gelenkt wurde es mit den Rudern an beiden Enden, doch sehr leicht war es sicher nicht, diese aneinandergebundenen Stämme durch die Fluten zu lenken.
Viele Jahrhunderte lang waren die Flüsse der einzige Weg, das geschlagene Holz zur Weiterverarbeitung ins Flachland zu transportieren. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erleichterte eine Art Seilbahnkonstruktion den Menschen diese Arbeit. Bis dahin mussten sie damit leben, ständig feuchte Kleidung zu tragen, die Füße in manchmal breiten Rillen zwischen einzelnen Stämmen zu verklemmen oder verdrehen oder mit dem Floß in eine heftige Strömung gezogen oder gegen eine Felswand geschleudert zu werden.
Leichter hatten es die Bäcker, die mussten “nur” früh aufstehen. In der unscheinbaren Panadería Ezker Okindegia wird bis heute das Brot im Holzofen gebacken. Einen hübsch dekorierten Laden mit einer Theke, in der die Backwaren präsentiert werden, sucht man hier allerdings vergebens. Der Bäcker reicht seine Brote und Kuchen durch ein Fenster direkt aus der Backstube herüber. Als ich an der Reihe bin, entscheide ich mich für ein traditionelles süßes Gebäck. Es ist noch warm und duftet so lecker nach Anis, dass ich vor der Tür gleich ein Stück abbeiße.
Ruta de las Golondrinas
Mit Alba fahre ich von Burgui aus zum Mirador de Larra-Belagua hinauf. Auf einer kurvigen Straße geht es bis zu dem Aussichtspunkt, von dem aus man das ganze Tal im Blick hat. Unten in dem kleinen Buchenwald zu unseren Füßen beginnt ein besonderer Wanderweg, die Ruta de las Golondrinas. Zu Beginn des 20sten Jahrhunderts machten sich jeden Herbst viele junge Frauen auf den mehrtägigen Weg über die Berge, um während der Wintermonate in den Alpargata-Fabriken in Mauléon, jenseits der Pyrenäen, zu arbeiten.
Sobald der Schnee geschmolzen war und die jungen Frauen wieder auf den Äckern und Feldern ihrer Heimat gebraucht wurden, kamen sie zurück ins Valle de Roncal. Da sie auf dem Rückweg nach Spanien jedoch kein Geld einführen durften, mussten sie ihren Lohn in Gegenstände eintauschen, die sich hier wieder verkaufen ließen. So kommt es, dass in manchen abgelegenen Hütten französische Möbel, Uhren o.ä. zu finden sind. Ursprünglich wurden die fleißigen Damen Hormigas (Ameisen) genannt, aber ihrer schwarz-weißen Kleidung wegen, sagt man heute Golondrinas, Schwalben.
Der Weg beginnt an einer kleinen Hütte und führt zunächst durch eine ungewöhnliche “Allee”. Die hohen Buchen erinnern mit ihren langen, kahlen Stämmen an die Säulen einer Kathedrale. Die Bäume überbieten sich gegenseitig auf der Suche nach Sonnenlicht und breiten weit oben ihre Blätter aus, das wie ein grünes Dach den Wald bedeckt.
Alba macht mich auf eine Mutterbuche aufmerksam, die man daran erkennt, dass ihre Äste überall in die Breite gewachsen sind, als würde sie ihre Arme ausbreiten und ihre Kinder umarmen. Denn die Samen, die der einst einzeln stehende Baum von sich geworfen hat, mussten möglichst gerade und weit nach oben wachsen, um mehr Licht zu haben, als die Geschwisterbäume.
Statt bis nach Frankreich zu laufen, wie die Golondrinas damals, spazieren wir nur auf einem Rundweg und kehren in der Hütte nahe dem Parkplatz ein. Dort brennt ein gemütliches Kaminfeuer und es gibt leckere Tortilla. Zu meiner großen Überraschung stellt sich heraus, dass die Betreiberin der Hütten-Bar „Bitxitoza“ Deutsche ist und seit über dreißig Jahren hier lebt. Ich schwatze kurz mit Karin, dann geht es weiter zur Cascada de Arrako.
Cascada de Arrako
Das Valle de Belagua ist ein Gletschertal, das schon seit Jahrtausenden von Menschen bewohnt wird. Hinter den massiven Mauern einer kleinen Kapelle, der Ermita de Arrako, überqueren wir einen Fluss und steigen eine ziemlich steile Anhöhe hinauf. Zum Glück ist der Weg hinauf nicht lang. Von dort weist ein Schild auf den Fernwanderweg GR 321, der von Isaba hinauf zum Refugio de Belagua führt, und den circa fünfeinhalb Kilometer langen Rundweg des Arrako SN LA 80.
Wir nehmen eine Abzweigung des zweistündigen Wanderwegs, die uns zu einem Wasserfall führt. Lange bevor ich sie sehe, höre ich die Cascada de Arrako. Einem Trampelpfad folgend erreichen wir bald die Stelle, an der das Wasser mit mächtigen Getöse den Felsen herunter schnellt. Vom Blätterdach des Waldes geschützt, wie in einer luftigen grünen Höhle, lasse ich mich von diesem Ort verzaubern. Das türkis schimmernde Wasser lockt – trotz der frischen Temperaturen – zu einem Sprung in das kleine Becken. Wirklich verführisch, so sauber und frisch. Aber mir ist es doch ein wenig zu eisig, um mehr als die Hand darin zu baden. Das Besondere an dieser Cascada ist ein riesiger, zwischen den Felsen eingeklemmter, runder Stein. Wie auf eine von zwei dicken Esstäbchen gehaltener Ball, stürzt das Wasser auf ihn ein.
Queso Roncal „Marengo“
Auf unserem Weg zurück treffen wir gleich hinter der Ermita eine Herde Schafe, die sich auf der grünen Wiese satt frisst. Es sind Albas und Fernandos Schafe, die hier friedlich grasen, bis ich näher komme. Schafe seien sehr schreckhaft erklärt Alba mir, deswegen muss man viel mehr auf sie aufpassen, als etwa auf Kühe oder Pferde, die den ganze Sommer allein auf den höher gelegenen Weiden verbringen können.
Während Fernando die Tiere zu einer anderen Futterstelle begleitet, fahre ich mit Alba zur Käserei. Dort machen sie aus der Milch ihrer eigenen Schafe den berühmten Roncalkäse. Die meisten Käsereien haben ihre Herden längst aufgegeben und kaufen die Milch stattdessen. Nur die Produktion des Käses findet noch im Tal statt. Nicht so Alba und Fernando. Auch wenn die Arbeit hart ist und sie trotz modernster GPS Technologie, des Nachts manchmal raus müssen, um die Schafe zu suchen. Die beiden lieben jeden einzelnen Handgriff ihrer Arbeit. Sie mögen sowohl ihre Herde, als auch die Käseproduktion, die gleich neben dem kleinen Stall in einer kleinen Anlage erfolgt.
Ganz traditionell wird die ausgeflockte Masse gepresst und in ein Salzwasserbad getaucht, bevor die Laibe dann zum Ruhen in einer Kühlkammer gelagert werden. Auf dem Roncal Käse dürfen sich “gute” Schimmelsorten bilden, damit eine Kruste entsteht, die den weichen Innenteil der Laibe schützt. Ich bin ganz begeistert von diesem lustig abstehenden Mantel aus weichem Flaum, der später natürlich abgewaschen wird, ehe der Käse abgepackt und verkauft wird. Zum Schluss darf ich ihn endlich kosten, den Queso Roncal – und er schmeckt megalecker. Dickes Lob an Alba und die Schafe 😉 !
Roncal
Neben Isaba ist Roncal eines der größeren Dörfer im Tal. Heute ist der Dia del Euskera, der Tag der baskischen Sprache, die hier als Teil der baskischen Kultur mit viel Musik und traditionellen Tänzen gefeiert wird. Das Besondere in diesem Jahr ist, dass zum allerersten Mal einer der traditionellen Tänze aus dem Örtchen Ochagavía, auch von Frauen getanzt werden darf. Konservative Vereine beharren nämlich noch immer auf der traditionellen Trennung der Geschlechter, sodass in einigen Dörfern die Teilnahme der Frauen an diesen Aufführungen umstritten ist.
Getanzt wird auf dem großen Feld am Roncal-Fluss, das ursprünglich ein riesiges Open-Air Fronton Feld war. Fronton ist das typisch baskische Ballspiel, das ähnlich wie Tennis oder Squash funktioniert, nur spielen die Basken lieber mit der bloßen Hand.
Bei einem Bummel durch die engen Straßen von Roncal fallen die großen Wappen auf, die die prächtigsten der alten Häuser zieren. Ein maurischer Kopf thront dort nämlich über der Steinbrücke von Yesa. Dieses Wappen geht angeblich auf die Legende zurück, nach der die mutigen Männer aus Roncal die Truppen des ersten Emirs von Córdoba besiegten und eine entschlossene Frau dem Herrscher das Haupt abgeschlagen haben soll. Eindeutig starb Abderramán I (oder auch Abd ar-Rahman I. 731-788) unter dessen Herrschaft die kulturelle Dominanz der Iberischen Halbinsel schnell vorangeschritten war, nicht in Roncal. Vermutlich war es einer seiner Heerführer, der hier einen Kopf kürzer gemacht wurde. Aber die Geschichte, den Emir selbst besiegt zu haben, macht eben mehr her.
Auf dem etwas außerhalb gelegenen Friedhof sticht ein Mausoleum sofort ins Auge. Es ist die letzte Ruhestätte des Opernsängers Julián Gayarre, der in Roncal geboren und beigesetzt wurde. Im Ausland zu Weltruhm gekommen, ließ der Tenor es sich nicht nehmen, in seinem Heimatdorf eine Schule zu bauen. Auf dem Grundstück seines Elternhauses wurde ein kleines Museum errichtet.
Schlafen und Essen im Valle de Roncal
Gegessen habe ich in dem kleinen Restaurant auf dem Campingplatz Urrutea in Garde, einem der wenigen Dörfer, das nicht direkt an der durch das Tal führende Nationalstraße liegt. Hinter einem kleinen Park mit dem Denkmal eines lokalen Erfinders, muss man eine kleine Brücke überqueren, um zu dem Platz zu gelangen. Wohnwagen oder Campervans müssen daher draußen bleiben. Auf dem Camping kann man entweder im Zelt oder in einem der Bungalows übernachten. Das Mittagsmenü war einfach aber gut und es gab sogar vegetarische Optionen (was in den Bergen nicht selbstverständlich ist).
Geschlafen habe ich im Hostal Lola, einem sehr netten kleinen Hotel in Isaba, dem nördlichsten und größten Ort des Valle de Roncal. Das Zimmer war hell, groß und gemütlich, das Abendessen köstlich. Aus dem Fenster des Restaurants blickt man direkt auf einen großen Gemüsegarten!
Hostal Lola Website
Hinweis: Zu Übernachtung und Essen im Valle de Roncal wurde ich von Turismo Navarra eingeladen (Pressereise). Die hier beschriebenen Erfahrungen sind meine ganz persönliche, ureigene Meinung.
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