Wie entsteht so ein Bleiglasfenster?
Ich baue mir ein Fenster, ein Bleiglasfenster genau gesagt. So ein Buntes, wie die in der Kirche, nur nicht ganz so groß. Auch die Architekten des berühmten Modernisme mochten Bleiglasfenster offenbar gern, denn in vielen modernistischen Bauten in Katalonien findet man aufwendig gearbeitete Glasfenster.
Bleiglasfenster in der Kathedrale von Girona
Fenster in der Casa Masó Girona
Pünktlich stehen Lina und ich vor Annas Werkstatt. Sie soll uns in die Kunst der Bleiglasfenster einweihen. In der Werkstatt stehen riesengroße, wunderschöne alte Fenster, die sie gerade restauriert. Es sieht ziemlich kompliziert aus – ob ich das überhaupt hinkriege?
Anna restauriert und baut immerhin sein über zehn Jahren solche Glasfenster. Sie hat Kunst studiert und in einer kleinen Werkstatt gearbeitet, bevor sie sich selbstständig gemacht hat. Extra für mich hat sie ein relativ „einfaches“ Motiv ausgesucht, das ich nachbauen soll: Die Vorgabe ist Teil eines Fensters aus der Casa Masó.
Kreativ in Annas Werkstatt:
Meine erste Aufgabe besteht darin, mir das Glas aussuchen, mit dem ich arbeiten will. Schnell merke ich, dass das komplizierter ist, als gedacht. Es gibt nicht nur ganz verschiedene Farben, sondern auch sehr unterschiedliche Maserungen im Glas! Und dann gibt es das handgefertigte Glas aus der Glasbläserei und die industriell gefertigten Scheiben. Ich gucke und staune und entschließe mich schließlich für rotes, glattes Glas vom Glasbläser, gelbes mit einer schönen Maserung und einfaches, weißes Glas aus einer industriell gefertigten Scheibe.
Mit Papierschablonen male ich die Umrandung auf das Glas. Das geht so weit noch ganz gut. Die einzelnen Teile habe ich jetzt auf das Glas übertragen. Aber das Schneiden muss ich dann doch lieber erst mal üben. Anna gibt mir ein kleines Stück einer ganz einfachen Glasscheibe und erklärt mir ganz genau, wie das geht. Den Stift zum Schneiden ganz gerade aufsetzen, exakt an der Linie entlang fahren und nicht absetzen zwischendurch. „Das Gerät, dieser Stift, schneidet nur dann, wenn es dieses Geräusch macht (…)“, sagt Anna. Ich spitze die Ohren. Ein leises „sss“ ist zu hören. „Wenn du das nicht hörst, hast du nicht wirklich geschnitten.“ Feine Ohren brauche ich also auch noch. Als ich ansetze und schneide, macht es zum Glück das richtige Geräusch. Bevor ich aber das Glas an dieser gezogenen Linie, dieser Sollbruchstelle, mit der Zange abbrechen kann, klopft Anna noch von unten, unter die Schnittlinie. „Durch das Klopfen kannst du den Schnitt öffnen.“ Ich klopfe auch ganz vorsichtig, kann aber nicht erkennen, ob mein Schnitt nun geöffnet ist oder nicht. Anna sagt, das sei schon prima und mit einem geschickten Griff zeigt sie mir, wie man das Stück Glas abkneift. Dann gibt mir die Zange. Knack macht es und schon habe ich die Scheibe entlang meines Schnitts in zwei Teile getrennt. Gut, dann mache ich mich nun an das bunte Glas.
Aber ganz so einfach ist das dann doch nicht. Die erste Schwierigkeit besteht darin, dass ich die aufgemalte Linie auf dem roten Glas gar nicht so gut erkennen kann, wie auf dem weißen Glas vorher. Anna gibt mir den Tipp, mich auf Augenhöhe mit dem Glas zu begeben. Das sei bedeutend einfacher. Also Popo herausstrecken, Kopf runter, bis fast auf den Tisch, bis ich Auge in Auge mit der Glasscheibe stehe. Sieht bestimmt sehr lustig aus, aber es funktioniert! Zum Glück kennt mich hier ja niemand. Ich treffe die Linie auf Anhieb und ziehe meine Schnitte mit einem „ssss“ über die schöne rote Fläche. Dann klopfe ich vorsichtig links, vorsichtig rechts, und peng – springt eine Ecke Glas ab. Oh je! Das war zu doll geklopft. „Das macht nichts“ lacht Anna „Aber du musst noch einmal neu anfangen“. „Kann man das denn nicht kleben?“, frage ich hoffnungsvoll. Offenbar nicht. Anna sucht eine neue Scheibe, ich übertrage noch einmal meine Schablone auf das Glas und schneide. Beim Klopfen bin ich jetzt aber viel, viel vorsichtiger, damit mir nichts mehr kaputt geht. Glas ist ganz schön zerbrechlich. Total konzentriert arbeite ich weiter, Anna immer an meiner Seite. Sehr aufregend das Ganze! Jedes Mal, wenn ich wieder einen Schnitt ansetze und klopfe, bin ich gespannt wie ein Flitzbogen. Poker, Annas großer lieber Hund, schnarcht derweil unter dem Tisch. Sicher träumt er gerade etwas Schönes, während ich oben am Arbeitstisch ins Schwitzen komme.
Schließlich habe ich dann doch irgendwann alle Teile ausgeschnitten. Anna zaubert mit einer Maschine die kleinen Unebenheiten meiner Glasstücke weg. Dann legen wir alles auf eine große, von unten beleuchtete Platte. Sieht schon ganz schön aus, aber die einzelnen Teile müssen ja noch irgendwie zusammengeklebt werden. „Nee, geklebt wird hier nicht“ lacht Anna. „Die einzelnen Glasteile werden mit Bleiruten verbunden!“ Bei den vielen Kurven im Glas ist das gar nicht so einfach. Alles muss ganz genau angepasst werden. Das Blei ist ganz weich und beweglich. Es lässt sich leicht abkneifen, denn nichts darf überstehen oder gar fehlen.
Insgesamt dauert es fast zwei Stunden, bis mein kleines Fenster fertig ist. Zur Sicherheit sollen wir aber noch die Knotenpunkte verlöten, an denen sich die Bleistreifen treffen. „Damit stellen wir sicher, dass das Fenster auch wirklich stabil ist“, meint Anna. Ich überlasse Lina den Job mit dem heißen Eisen. Und sie macht das echt selbstbewusst. Schon nach wenigen Minuten sitzt alles bombenfest: Fertig ist unser erstes Fenster. Jetzt müssen wir zu Hause nur noch ein passendes Loch in der Wand finden 🙂
Lina ölt und lötet unser Bleiglasfenster zusammen
Als wir in Girona durch die Straßen bummeln, entdecken wir jetzt überall schöne Bleiglasfenster. Vor einem kleinen Laden bleiben wir stehen. Der obere Teil des Schaufensters besteht ebenfalls aus bunten Glasbildern. Wir betrachten das Werk nun ganz genau, bewundern die verschiedenen Farben und Formen, und stellen fest, dass das ganz schön kompliziert zu bauen gewesen sein muss!
Bleiglasfenster im Museu d’Art in Girona:
Im Museu d’Art neben der Kathedrale gibt es gerade eine kleine Ausstellung zu den Fenstern der Kathedrale, die wir uns natürlich auch ansehen wollen. In einem besonderen Raum des Museums können wir uns die bunten Fragmente der Kirchenfenster aus nächster Nähe ansehen.
Carme, die Direktorin des Museums, erklärt uns, wie die Kirchenfenster früher entstanden sind. Die Glaser (im Sinne von Fenstermacher) waren Wanderarbeiter und zogen durch das Land. Wurde irgendwo eine Kirche oder Kathedrale gebaut, so dauerte dies natürlich seine Zeit. Oft zog sich die Errichtung eines solchen Gotteshauses ja über Jahrhunderte hin und lockte viele Handwerker an.
Das Glas stellten die Glaser nicht selbst her. Das war und ist die Aufgabe der Glasbläser. Der Glaser verarbeitet vielmehr das Material, nach Vorgabe des Architekten oder Designers, zu bunten Fenstern. Oft wurden die verschiedenen Glaspuzzleteile bemalt.
Auf den Fragmenten im Museum kann man zwei verschiedene Epochen erkennen: Während die Glasscheiben auf der einen Seite besonders schöne Formen, aber eine relativ einfache Bemalungen zeigen, sind auf den Scheiben gegenüber sehr filigrane Linien zu sehen. Die Bemalung ist wesentlich feiner und detaillierter.
Besonders stolz ist die Direktorin auf zwei Holzbalken. Es sind die einzigen noch erhaltenen Arbeitsbänke, auf denen die Gläser ihre Glaspuzzle für die Fenster der Kathedrale damals zusammengesetzt haben. Die Schnittlinien und Markierungen für Farbe und Muster sind noch ganz deutlich zu erkennen. Die längliche Form der Holzbretter war aber nicht nur für die Glaser praktisch. Als die Fenster längst ihren Platz in der Kathedrale gefunden, und die Arbeiter weitergezogen waren, fanden die Mönche und Priester diese Bretter eigneten sich perfekt für den Bau der Kirchenbänke. So blieben die jahrhundertealten Skizzen auf der Unterseite der Bänke gut versteckt und haben sich bis in unsere Zeit erhalten.
Nützliche Infos:
Bleiglasfenster sind nicht aus Bleiglas! Bleiglasfenster nennt man bunte Fenster, die wie ein Mosaik aus verschiedenen flachen Glasscheiben mit einer Schiene aus Blei, der sogenannten Bleirute, zusammengehalten werden. Bleiglas, oder auch Bleikristall, ist eine besondere Sorte Glas, die einen hohen Anteil an Bleioxid enthält.
Vitralls Can Pinyonaire
Stained Glass Studio
Anna Santolaria Tura
Travessia Auriga 5
17004 Girona
Website: www.canpinyonaire.com
Museu d’Art de Girona
Temporäre Ausstellung: Vitralls. La llum de la Catedral de Girona
noch bis zum 22. Mai 2016
Website: www.museuart.com
Hinweis: Vielen Dank an Anna für die Hilfe beim Bau meines ersten Bleiglasfensters 😉 und an das Patronat de Turisme de Girona für die Unterstützung bei der Recherche.
Das Glasfenster sieht Großartig aus. Ich bin ein großer Fan von Glas-Kunst und Glasereien. Das fasziniert mich schon seit ich ein Kind bin.
Mein Onkel ist derzeit auf der Suche nach einer Glaserei. Dabei ist es gut zu wissen, dass man buntes Bleiglas auch selbst basteln kann. Ich hoffe, dass er einen passenden Anbieter finden wird.
Danke für die Info, dass Bleiglasfenster nicht aus Bleiglas sind, sondern nur die Schiene aus Blei ist. Ich mag farbige Glaskunst total gerne. Besonders schön ist es, wenn die Sonne durch scheint. Ich finde, es passt aber nur richtig gut zu Altbau.
Leider kann man es sich nicht leisten solche großen Fenster zu kaufen. Wenn kann sind es nur kleine Modell leisten. Diese haben jedoch nicht das Monumentale der großen Modelle. wenn wir im Urlaub sind fotografieren wir die Kirchenfenster des öfteren. Der Effekt geht auf den Fotos aber irgendwie verloren.
das stimmt – für zu Hause wäre das wohl zu teuer, aber schön sind sie schon 🙂
Klein, als Deko geht ja auch 🙂
Lg
Nicole
Vielen Dank für diesen schönen Artikel. Kann eine normale Glaserei sowas auch? Großartige Fotos auf jeden Fall!
Ich möchte solche Fenster auch haben. Oder Sachen die so ähnlich sind. Ich habe von einem Glaser gehört der macht alles mögliche. Ich habe vor mich mal bei diesem Gläser umzuschauen. Danke für die tolle Anregung. Falls jemand Interesse hat: http://www.glaswockenfuss.de/
Eine sehr schöne Erfahrung war das ganz sicher. Ich bin auch ein Fan von Bleiglasfenstern, und vor einigen Jahren angefangen, sie zu studieren. Zum Glück wohne ich ein paar km von Chartres entfernt; vielleicht weisst Du ja, dass sich in der Kathedrale von Chartres die schönsten Original Bleiglasfenster – 2500 m2 – aus dem 12/13. Jh befinden.
Also, falls Du mal nach Paris kommst, – Chartres ist 1 Std. 10 Min mit dem Zug entfernt. Ich zeige Dir gerne die Fenster. Zumal die Kathedrale jetzt innen restauriert wurde. Melde Dich, es würde mich freuen.
Oh Danke! Das würde ich mir tatsächlich gern einmal ansehen! Ich melde mich auf jeden Fall, wenn ich mal in der Nähe von Chartres bin!
LG
Nicole