Weite Ackerflächen, Weinreben und rosa blühende Mandelbäume säumen die Straßen durch Castilla la Mancha. Das Land ist flach und scheint endlos. Während wir auf dem Weg in den Süden sind, erklärt mir der Schatz, dass die Gegend als die Kornkammer Spaniens galt – das habe er so in der Schule gelernt.
Klingt einleuchtend, denn auch heute erstrecken sich Getreidefelder rechts und links der Autobahn, dazwischen immer wieder große Flächen mit Fotovoltaikanlagen und Windrädern. Für erneuerbare Energien ist hier offensichtlich Platz. Niemand stört sich an dem Anblick der riesigen, sich im Wind drehenden Flügel. Aber schließlich sind wir auch im Land des Don Quijote.
In Castilla La Mancha soll der Ritter von der traurigen Gestalt gegen Windmühlen gekämpft haben. So hat Cervantes sich das jedenfalls gedacht, als er sein berühmtestes Werk schrieb. Der tragische Held hielt die Windmühlen nämlich für böse Riesen, die es zu besiegen galt. Damals, im 16. Jahrhundert, war die Landschaft Kastiliens geradezu übersät mit Molinos. Vielleicht sind die Menschen in dieser Region deswegen an den Anblick von Windrädern gewöhnt.
In Consuegro und bei Alcázar de Sant Juan gibt es noch viele der alten Molinos, die übrigens auf der Iberischen Halbinsel ganz anders gebaut wurden, als in Nordeuropa. Die Mühlen sind hier runde, feststehende Häuser, bei denen lediglich das Dach, an dem die Flügel befestigt sind, beweglich ist.
In Campo de Criptana, einem beschaulichen Ort abseits der großen Straßen, kann man ein ganzes Feld der alten Mühlen bestaunen. Von den dicht an dicht stehenden weißen Bauten sind jedoch nur drei original erhalten, die anderen sieben wurden auf den Überresten bereits zerfallener Mühlen wieder aufgebaut. Diese jüngeren Molinos sind innen mehr oder weniger „hohl“, während die aus dem 16. Jahrhundert stammenden Originale noch über ein intaktes, funktionierendes Mahlwerk verfügen. An jedem ersten Sonntag im Monat wird hier tatsächlich Mehl gemahlen. Zwar nur für die neugierigen Besucher, aber immerhin.
Wenn der Wind in die mit Stoff bezogenen Flügel blies, konnten die Windmühlen hohe Geschwindigkeiten erreichen. Bei Winden von ungefähr 3,5 m/s setzen sich die Flügel in Bewegung und arbeiten optimal bei 11 m/s, was ungefähr 30-40 km/h entspricht. Die Müller mussten sich gut mit den herrschenden Windverhältnissen auskennen, denn zu starke Böen können die Flügel auf bis zu 25 m/s beschleunigen. Doch ein solches Tempo war gefährlich und musste unbedingt vermieden werden. Wenn die Flügel zu schnell und heftig drehten, konnte die ganze Mühle vibrieren und Schaden nehmen.
Die obere Fensterreihe unter dem Dach der Mühle diente übrigens dazu, die Windrichtung zu erkennen. Die zwölf winzigen Fensterchen entsprechen den zwölf Winden, die hier oben auf dem Hügel wehen. In Campo de Criptana unterscheidet man (im Norden beginnend) : Cierzo, Matacabras, Solano alto, Solano fijo, Solano hondo. Drei Fenster im Süden zeigen den Südwind Mediodía an, dann folgen im Westen Ábrego hondo, Ábrego fijo und Ábregeo alto und Toledano.
Zum Mahlen gibt es allerdings gute und weniger gute Winde. Je nachdem, aus welcher Himmelsrichtung er kommt, bringt der Wind gewisse Eigenschaften mit. Der Müller tat gut daran, sie alle zu kennen und die Flügel seiner Mühle entsprechend auszurichten.
Es ist unglaublich beeindruckend, zwischen diesen stolzen, weißen Riesen zu stehen, von denen einige schon so alt sind, dass sie wirklich und wahrhaftig Cervantes inspiriert haben könnten. Ich spaziere quasi durch ein Stück spanische Literaturgeschichte und nehme mir zum x-ten Mal vor, endlich den Don Quijote zu lesen, denn ich muss zugeben, dass ich bisher einen ehrfürchtigen Bogen um den dicken Wälzer gemacht habe.
Obwohl ich Bücher liebe und keine Angst vor vielen Seiten habe, empfand ich Cervantes Klassiker immer sehr respekteinflößend. Eigentlich ist diese Reise ein guter Grund, mich endlich an den Meister zu wagen und all die Stellen und Kapitel nachzulesen, von der die Dame bei der Führung in Campo de Criptana geredet hat. Im Schrank steht noch eine Schulbuchausgabe der Kinder. Vielleicht sollte ich damit anfangen. (Wenn ich es schaffe, melde ich mich hier, versprochen!)
Barrio del Albaicín
Doch außer den beeindruckenden Mühlen gibt es in dem Viertel ganz oben auf dem Hügel noch mehr zu sehen, denn das Barrio del Albaicín versteckt hinter den kalkweiß und indigoblau getünchten Fassaden ein paar spannende Besonderheiten. Ungefähr gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen ärmere Bevölkerungsschichten, die es sich nicht leisten konnte, ein richtiges Haus im Ort zu bauen, Höhlen in das Gestein des Hügels zu schlagen. Zu Füßen der Windmühlen entstanden so die Höhlenwohnungen, die casas cueva im ärmsten Viertel Campo de Criptanas.
Die meisten dieser Höhlen werden heute als Weinkeller oder zum Lagern von anderen Dingen genutzt, aber eine der Wohnungen ist als Museum eingerichtet und kann besichtigt werden. Das Prinzip ist dasselbe, wie im süditalienischen Matera, nur dass hier alles viel kleiner ist. Die Menschen schlugen einfach so gut sie konnten habitáculos in die Felsen, niedrige Hohlräume, die als Schränke oder Zimmer dienten. Im Winter bot ein Kamin in der Wohnhöhle Schutz vor der Kälte draußen, im Sommer fanden die Menschen in den Höhlen angenehm frische Temperaturen. Doch es war eng und dunkel, man musste ohne Wasser und ohne Strom auskommen, im Winter schliefen Kinder und Vieh oft in einem Raum. Ein außen vorgelagerter Stall diente gleichzeitig als Abtritt, denn eine Toilette gab es natürlich auch nicht.
So begehrt die verbliebenen casas cueva heute als Weinkeller oder Ferienwohnung sein mögen, weil die Temperatur so angenehm konstant bleibt, Menschen, die hier ursprünglich lebten, waren froh, als sie ihre Wohnhöhlen verlassen konnten und anderswo Arbeit und Wohnung fanden.
Kalkweiß und Indigoblau
Selbst die Farben der hübschen Fassaden der Häuser des Albaicín von Campo de Criptana verbergen ihre eigene kleine Geschichte. In früheren Jahrhunderten wurden die Wände der Häuser mit Kalk geweißt, um die Erwärmung der Wände durch Sonneneinstrahlung möglichst gering zu halten und weil die einfachen Steinmauern so einfach weniger ärmlich aussahen. Ein zusätzlich nützlicher Nebeneffekt war die antiseptische Wirkung der weißen Kalkfarbe, die durch ihre hohe Alkalinität desinfizierend wirkte und die Tiere weniger krank wurden.
Doch weiße Wände sind auch anfällig für Schmutz, besonders wenn sich Tiere an ihnen schubbern. Irgendwann begannen die Menschen also den unteren Teil der Wände mit indigoblau zu streichen. So fielen die schmuddelig gewordenen Stellen nicht so schnell auf und alles wirkte sauber und ansehnlich. Später soll man dem weiß-blauen Anstrich auch eine Schutzfunktion gegen das gefürchtete mal de ojo, den bösen Blick, und andere Verhexungen zugesprochen haben.
Angeblich versucht man im Rathaus durch das kostenlose Verteilen der weißen und blauen Farbe mehr Anwohner dazu zu bringen, ihre Fassaden in den traditionellen Farben des Viertels zu bemalen. Doch in den Köpfen der Bewohner ist diese Farbkombination dermaßen mit dem Arme-Leute-Image des Viertels behaftet, dass kaum jemand freiwillig sein Haus weiß blau streicht. Schade eigentlich, doch irgendwann ist sicher auch dieses negative Bild aus den Köpfen der Leute verschwunden.
Zum Sonnenuntergang füllt sich das Feld auf dem Hügel. Junge und nicht mehr ganz so junge Leute versammeln sich zwischen den Windmühlen, Musik erklingt aus irgendwelchen Ecken und alle sehen gebannt zu, wie die Sonne am Horizont versinkt.
Castilla La Mancha – Wein und Windmühlen
Unser Besuch war nur kurz, aber wir waren überrascht, wie angenehm ruhig es in Kastilien La Mancha zugeht. Im Vergleich zu den dicht bevölkerten Küsten, leidet man hier nicht unter überfüllter Enge. In den gefühlten endlosen Weiten Kastiliens gibt es viel Platz und Luft zum Atmen.
Bei unserer Abfahrt in den Süden sind wir an noch mehr Weinstöcken vorbeigekommen. In Castilla La Mancha sind Weine wie die Viña Albali aus dem D.O. Valdepeñas, Jumilla oder La Mancha zuhause.
Übernachtet haben wir im Hotel Restaurante Ego’s, einem rustikalen, sauberen, kleinen Hotelito – quasi mit Familienanschluss, denn die Besitzer kümmern sich persönlich um ihre Gäste.
Das Feld mit den Windmühlen kann man kostenlos besuchen. Es lohnt sich aber eine Führung mitzumachen, bei der die Casas Cueva gezeigt werden und man einige der zehn Mühlen besichtigen darf. In einem Molino ist das Museum der spanischen Schauspielerin und Sängerin Sara Montiel untergebracht, die aus Campo de Criptana stammte. Ein Weinmuseum ist noch in Planung.
Infos: Campo de Criptana
Der Eintritt mit Führung (alles inklusive) kostet pro Person 10 Euro. Wenn man in Campo de Criptana übernachtet, gibt es eine Ermässigung.
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