Es ist schon ein bisschen aufregend, als ich endlich wieder vor der alten Brücke stehe, die nach Córdoba hineinführt. Viele Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal durch die engen Gassen der Altstadt gebummelt bin. Jung und komplett ahnungslos hatten der Schatz und ich damals mitten im Sommer einen Zwischenstopp in Andalusien eingeplant. Ich weiß gar nicht mehr, woher wir kamen oder wohin wir wollten, vermutlich nach Portugal. Ich erinnere mich nur noch daran, dass es viel zu heiß war. Heute, ein paar Jahre und viele Erfahrungen reicher, bin ich an einem sonnigen Novembertag also wieder hier, bereit mit meiner Stadtführerin Miriam in das maurische Erbe Andalusiens einzutauchen.
Die alte Brücke, el Puento Viejo, wurde ursprünglich von den Römern gebaut. Im Laufe der Jahrtausende ist sie zwar mehrfach erneuert worden, doch genau hier verlief einst die Via Augusta. Sobald wir die Brücke überquert haben erreichen wir ein altes Stadttor, die Puerta del Puenta. Dahinter liegt bereits die Rückseite der Mezquita, doch mein Weg führt mich zunächst am Alcazar de los Reyes Cristianos vorbei in das San Basilio Viertel. Das ist nämlich bekannt für seinen hübschen Patios.
Los Patios de Córdoba
Die Menschen dieses Viertels haben ihre hinter hohen Mauern verborgenen Innenhöfe in kleine, grüne Paradiese verwandelt. Sie hegen und pflegen diese Gärten das ganze Jahr über wie wertvolle Schätze. In San Basilio sind die Innenhöfe sehr viel mehr, als hübsche Gärten. Sie sind ein Lebenswerk, in das die Menschen viel Zeit und Arbeit investieren.
Inzwischen sind die Patios nicht nur zu einer Sehenswürdigkeit Córdobas geworden, sondern sie stehen sogar auf der UNESCO Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Damit wir Besucher die Schönheit der Patios bewundern können, öffnen einige Bewohner:innen ihre Höfe. Wie ein inoffizielles Eintrittsgeld hinterlässt man auf einem Teller oder in einem Schälchen einen kleinen Obolus, denn die Instandhaltung der Blumenpracht ist zeitaufwendig und kostspielig.
Die kleinen Gärten sind wirklich umwerfend, egal wohin man schaut. Auf wenigen Quadratmetern haben die Bewohner des Viertels wunderschöne Oasen der Ruhe erschaffen. Bunte Blumentöpfe und grüne Pflanzen zieren die Wände bis in die hintersten Ecken. Kein Fleck darf unbegrünt bleiben! Jeder Zentimeter Wand wird mit Pflanzen verschönert, sodass die meist weiß getünchten Wänden kaum noch zu sehen sind. Einige der Innenhöfe heben auch traditionelle, architektonische Besonderheiten hervor oder zeigen altes Handwerk, wie die feinen Silberarbeiten im „Filigrana“-Stil, für die Córdoba seit dem Mittelalter berühmt ist. Aber auch alte Kochstellen oder Brunnen werden liebevoll dekoriert und erzählen die individuelle Geschichte des Hauses. (Plata Cordobesa)
Jedes Jahr im Mai findet ein richtiger Wettbewerb, das Festival de los Patios, statt, bei dem eine professionelle Jury die Innenhöfe besucht und am Ende die schönsten Patios auszeichnet. Der Ehrgeiz ist groß. Natürlich wollen alle gerne den Preis für den schönsten Patio mit nach Hause nehmen. Deswegen darf kein trockenes Blatt den perfekten Eindruck dieser kleinen, grünen Paradiese stören. Das ist keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die unzähligen Pflanzen einzeln gegossen werden. Bei denen, die leicht erreichbar sind, ist es eine reine Fleißarbeit. Richtig kompliziert wird es jedoch, wenn man die obersten Blumentöpfe erreichen muss. Doch längst haben die Cordobesen dafür ein passendes Werkzeug entwickelt. Mit an lange Stangen gebundenen Behältern können auch die weit oben hängenden Blüten gewässert werden.
Im jüdischen Viertel
Vom San Basilio Viertel aus gehen wir in das ehemals jüdische Viertel Córdobas. Hier sind die Gassen eng und bunt. Die Menschen schieben sich auch jetzt im Winter durch hübschen, schmalen Straßen, um die Auslagen der kleinen Boutiquen zu bestaunen oder um sich einen Tisch in einem der Restaurants oder einer Teestube zu suchen.
Vom einst blühenden jüdischen Leben sind nach der Eroberung der Stadt durch die Katholischen Könige nur noch die Reste einer ehemaligen Synagoge geblieben. An das Zusammenleben der Kulturen und Religionen erinnert aber die Statue des Maimonides, eines bedeutenden Gelehrten des Mittelalters. Maimonides war Arzt, Rechtsgelehrter, Philosoph und Theologe, aber er war auch Jude und musste wie seine maurischen und jüdischen Nachbarn nach 1492 seine Heimat verlassen.
Nur wenige Schritte von der einstigen Synagoge Córdobas entfernt, liegt die Casa de Sefarad, ein kleines Museum, das sich der jüdischen Geschichte Córdobas widmet. Ehe alle Nicht-Christen aus Spanien vertrieben wurden, hatten jüdische Gelehrte, Dichter, Ärzte und Händler das Leben hier mitgeprägt. Auch in vielen Bereichen des Alltags hinterließ die jüdische Kultur ihre Spuren. Die Ausstellung der Casa de Sefarad erklärt jüdische Bräuche und Traditionen, wichtige Feste, wie Hanuka, Pesah oder Purim, aber auch die jüdische Sprache. Einer der Räume des unteren Stockwerks erinnert an bedeutende jüdische Frauen und in der oberen Etage ist ein ganzer Saal dem Gelehrten Moses Maimonides gewidmet.
Nach den ausführlichen Erklärungen überrascht der Guide die Besucher am Ende der Führung mit einer kleinen Zugabe im Hof (SPOILER – wenn du überrascht werden willst, musst du den nächsten Satz überspringen). In dem hübschen Innenhof trägt er zur Freude seiner Zuhörer traditionelle, jüdische Lieder vor. Es ist schon eine sehr besondere Atmosphäre, wenn seine klare Stimme die alten Melodien aufleben lässt.
Die Mezquita
Durch die engen, mit bunten, kleinen Läden bevölkerten Straßen, bahne ich mir einen Weg zur Mezquita. Dieses unglaubliche Bauwerk hat mich schon bei meinem ersten Besuch in Córdoba total in den Bann geschlagen. Für mich war die Mezquita damals mein erster Kontakt mit maurischer Architektur. Völlig verzaubert war ich von diesen Hufeisenbögen auf einem Wald hoher Säulen, den feinen Elementen der islamischen Baukunst. Ehe die Mezquita zur Kathedrale umfunktioniert wurde, soll sie mit 23.000 m² die größte Moschee der westlichen Welt gewesen sein.
Den Grundstein der im Laufe der Jahrhunderte immer wieder vergrößerten und umgebauten Moschee legte Abd al-Rahman I im Jahre 785. Zu dieser Zeit waren die aus Syrien stammenden Omayyaden, über Nordafrika auf die Iberische Halbinsel gekommen und eroberten sie im Handumdrehen. Abd al-Rahmann gründete in Córdoba ein unabhängiges Emirat und nutzte zum Bau der ersten Moschee Materialien einer visigotischen Kirche, die zuvor an dieser Stelle stand. Daran, dass keine Säule der anderen gleicht, erkennt man bis heute diesen ältesten Teil der Anlage.
Bald jedoch wurde die Moschee zu klein und sein Sohn Abd al-Rahmann II vergrößerte das Gebäude im 9. Jahrhundert. Statt wie sein Vater Baustoffe zu recyclen, nutze der neue Emir nur edelste Materialien. Er erweiterte nicht nur die Moschee, sondern ließ schon bald ein neues Kalifat ausrufen und machte sich zum ersten Kalifen. Mit der Medina Azahara stampfte er sogar eine neue, noch prächtigere Stadt aus dem Boden. Den von ihm gebauten Teil der Mezquita erkennt man an den ebenmäßigen Säulen aus Marmor.
Doch auch diese Erweiterung war schnell zu klein. Im 10. Jahrhundert errichte Al Hakam einen neuen Gebetsturm und einen dritten Anbau. Sein Nachfolger Almanzor, dessen blutige Eroberungszüge die gesamte Iberische Halbinsel erzittern ließen, verdoppelte die Größe der Moschee bei einem letzten Erweiterungsbau, kurz bevor das mächtige Kalifat in viele kleine, untereinander zerstrittene Taifas zerfiel.
Die christlichen Herrscher im Norden machten sich die Uneinigkeit der islamischen Familien zunutze und eroberten das einst so wehrhafte al-Andalus. Als dem Rey Católico Fernando III Córdoba 1236 in die Hände fiel, wurde die Moschee zur Kirche umfunktioniert. Die ersten christlichen Umbauten, wie die Capilla Real, wurden jedoch im islamischen Baustil gehalten, denn die Handwerker, die die Arbeiten ausführten, waren maurischer Abstammung. Erst im 16. Jahrhundert sollte eine ganz neue Kathedrale entstehen. Die Einwohner Córdobas wehrten sich gegen diesen Eingriff, denn die Mezquita war wunderschön und sie wollten ihre Zerstörung nicht zulassen. Gegen den Willen des Bischofs verbot die Stadt daher den Handwerkern unter Androhung von Strafe, an dem Bau der Kathedrale und der Zerstörung der Mezquita mitzuwirken.
Es kam zum Patt zwischen Bischof und Stadtregierung. Der spanische König Carlos sollte eine Entscheidung fällen. Carlos I, der gleichzeitig als Kaiser Karl der V. über das Heilige Römische Reich herrschte, gab – ohne Córdoba zu kennen – dem Bischof Recht, sodass die Kathedrale gebaut wurde. Als der König Jahre später nach Córdoba kam und sah, was gebaut wurde, war er entsetzt über seine Entscheidung. Doch es war zu spät. Man sagt, er habe ausgerufen: „Ihr habt etwas Einzigartiges zerstört, nur um etwas Gewöhnliches, das es auch anderen Orts zu finden gibt, zu errichten.“ Tatsächlich wirkt die Kathedrale inmitten der Mezquita plump und dunkel. Sie ist wie ein Störfaktor in der harmonischen Architektur. Manche sehen in ihr auch ein Zeichen für ein Miteinander der Religionen.
Plateria Filigrana de Córdoba
Nach dem beeindruckenden Besuch der Mezquita machen Miriam und ich uns auf den Weg zu einer der ältesten Silberschmieden Córdobas. Schon mit den Mauren gelangte die filigrane, aus Mesopotamien stammende Technik der Verarbeitung feinster Metallfäden auf die Iberische Halbinsel. Da Córdoba lange Zeit nicht nur politisches, sondern auch kulturelles Zentrum des maurischen al-Ándalus war, und das Handwerk der “Plateros” als eine edle Kunst galt, ließen sich viele Silberschmiede in der Stadt nieder.
Heute scheint das alte Handwerk vom Aussterben bedroht zu sein. Nur noch wenige Gold- und Silberschmiede gehen in den Gassen Córdobas ihrer Kunst nach. Eine der Werkstätten, die bis heute nach den althergebrachten Techniken arbeiten, ist die Plateria Califat der Brüder Angel und Manuel Cerezo. In der vierten Generation fertigen die Brüder dort Schmuckstücke mit maurischen Motiven wie dem Lebensbaum oder floralen Mustern an. Als Vorbilder dienen ihren die Dekorationen in den heute noch erhaltenen maurischen Palästen und Moscheen. In dem kleinen Atelier kann man Ángel dabei zu sehen, wie er aus dünnen Fäden feine Blüten und Blumen formt und einzigartige Kunstwerke, filigrane Broschen, Ohrringe, Armreifen, Kettenanhänger und andere Schmuckstücke entstehen.
Er ist supernett und erklärt mir, dass er und sein Bruder zu den letzten ihrer Zunft gehören. Dann zeigt er mir noch ein ganz besonderes Instrument. Es ist eine uralte Lötlampe, die er von seinem Urgroßvater übernommen hat. Behutsam bläst er in einen speziellen Schlauch, damit an der Lötlampe eine Flamme entsteht. Damit kann er die feinen Silberfäden erhitzen und bearbeiteten. Die wunderschönen Schleifen und Blumen sind so fein gearbeitet, dass man wirklich eine Lupe braucht!
(to be continued)
Kurze Pause – geht bald mit nützlichen Informationen weiter. 🙂
(Bereist im November 2023)
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