Canto jo i la muntaya balla – Singe ich, tanzen die Berge. Schon der Titel ist ungewöhnlich, aber auch die Erzählung ist besonders. Es ist eine Geschichte, wie ein Bild, das man aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Es geht um das Leben in einem kleinen Ort in den Pyrenäen, um die Vergangenheit und das Jetzt, und darum, dass alles mit allem zusammenhängt. Das ganze Buch ist wie ein Theaterstück, in dem man beim Lesen abwechselnd in die Rollen der erzählenden Charaktere hineinschlüpft. Singe ich, tanzen die Berge ist aber nicht deswegen ein ungewöhnliches Buch, weil es Wolken, Rehe, Geister und sogar den Erdstoß, der die Pyrenäen erschaffen hat, sprechen lässt. Es ist ungewöhnlich, weil jedes einzelne Kapitel trotz aller Schroffheit dieses kleinen, abgeschotteten Kosmos inmitten der Berge eine raue Schönheit zeigt, die einen beim Lesen schlichtweg überwältigt.
Irene Solà erzählt eine Geschichte, die sich beim Lesen wie ein Puzzle aus verschiedenen Teilen zusammensetzt. Jedes Puzzleteil hat eine eigene Sprache, eine eigene Sicht des Geschehens. Erst wenn alle Teile ihren Platz gefunden haben, ergeben sie ein ganzes Bild.
Die Geschichte vom Leben in den Pyrenäen ist eigentlich traurig, hart, unnachgiebig, teilweise sogar grausam. Durch die vielen Wechsel der Erzählperspektive empfindet man die abgelegene, in-sich-geschlossene Welt des Bergdorfes aber dennoch als liebenswert. Aber es geht nicht nur um die Handlung, die man in wenigen Sätzen zusammenfassen kann. Denn wer den Inhalt so konzentriert bündelt, dem erschließt sich nur ein Teil der Faszination, die dieses Buch ausmacht. Es geht darum, dass man beim Lesen in die Bergwelt eintaucht, in dieses kleine Universum aus Mythen und Legenden, aus Aberglauben und Tradition. Der Autorin gelingt es, das Alte mit dem Neuen zu versöhnen, ohne jemanden oder etwas zu verurteilen. Ein wenig erinnert es mich an Tomasi di Lampedusas Gatopardo: Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt wie es ist.
Singe ich, tanzen die Berge ist viel mehr als nur die Geschichte der Familie Domènecs, eines Mannes, der plötzlich vom Blitz getroffen wird. Auf mich wirkt das Buch fast so, wie die Autorin Mias Aussehen beschreibt. Mia ist eine der vielen erzählenden Figuren, die Tochter des vom Blitz getroffenen. Eine Frau, deren Gesicht etwas derb und grob sei, aber dennoch von einer magisch anziehenden Schönheit. Oder wie Oriol an einer Stelle sagt, „dass man von ihr wahrgenommen werden möchte, dass sie von meiner Existenz weiß”.
Infos zum Buch:
Das Buch spielt in den Pyrenäen, in einem winzigen Dorf kurz vor der französischen Grenze, irgendwo in der relativ einsamen Gegend zwischen Camprodon und Prats de Molló. Domènec wird eines Tages vom Blitz getroffen, seine Frau bleibt mit den Kindern allein zurück. Sein Leben und das Leben seiner Familie erschließt sich aus den Erzählperspektiven seiner Umwelt.
Deutsch:
Singe ich, tanzen die Berge
Autorin: Irene Solà
Trabanten Verlag
März 2022
ISBN 978-3-9869700-0-0
Originaltitel Katalanisch:
Canto jo i la muntaya balla
Autorin: Irene Solà
Verlag: Llibres Anagrama
Mai 2019
ISBN 978-84-339-1568-9
EAN 9788433915689
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