Interpretationszentrum Sant Jorge:
Direkt am Ufer des Guadalquivir, des großen Flusses, wie er auf Arabisch heißt, steht das Castillo Sant Jorge. Viel ist von der ehemaligen Burg eigentlich gar nicht mehr zu sehen. Es gibt einen hübschen Turm, der zu einer kleinen Kapelle gehört, und die Markthallen von Tirana, in denen Fisch, Fleisch und Obst und Gemüse verkauft werden. Doch darunter verbirgt sich ein dunkler Teil der Geschichte Sevillas. Hier befand sich nämlich im Mittelalter der Sitz der Spanischen Inquisition. Heute weist nur noch eine kleine Gasse mit dem Namen „Callejón de la inquisición“ auf diese grausige Geschichte hin.
Unter dem Markt, in den unterirdischen Resten der Burganlage, ist heute ein Dokumentationszentrum der Toleranz eingerichtet. Dort, wo im Mittelalter im Namen des Glaubens schreckliches Unrecht geschah, versucht man heute ein Plädoyer für die Glaubens- und Religionsfreiheit zu halten. Was für ein immer noch aktuelles Thema und offenbar nach wie vor notwendiges Anliegen!
Carmen und ich betreten in stummer Erwartung den ersten Saal des Museums. Es ist ein „sensorischer“ Raum, in dem kurze Videos zum Thema Toleranz gezeigt werden. Über eine App kann man sich Infos aufs Handy laden. Das funktioniert praktisch wie ein Audioguide, nur hat mein Handy leider nicht mehr genug Platz für diese App. Zum Glück hat Carmen aber noch Speicherplatz, sodass wir abwechselnd den Erklärungen auf ihrem Handy lauschen können.
Dann geht es in den Keller. Wir befinden uns jetzt in den Ruinen des Castillos und wandern praktisch auf denselben Wegen, wie damals die Verfolgten. Hier wurden die angeblichen Ketzer verurteilt, gefoltert und hingerichtet. Dabei waren es gar nicht unbedingt Häretiker, Hexer oder Ungläubige. Meist ging es ganz banal darum, dass irgendjemand den Besitz oder die Position eines Anderen haben wollte und seinen Mitbürger einfach als Ungläubigen vor der Inquisition anschwärzte. Furchtbar, zu was wir Menschen aus Macht- und Habgier in der Lage sind.
Die Angeklagten wurden nämlich nicht nur ihres Lebens beraubt. Bevor sie auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis geworfen und dort festgehalten wurden, enteignete man sie zuerst. Auch die Angehörigen der angeblichen Häretiker mussten um ihr Leben und um ihr Hab und Gut bangen. Eine so schwerwiegende Anklage, wie die eine Hexe oder ein Ketzer zu sein, kriegte man oft über Jahrhunderte nicht aus der Familiengeschichte getilgt. Noch die Enkel eines oder einer Beschuldigten hatten also unter diesen haltlosen Vorwürfen der Inquisition zu leiden.
Dennoch, all dieser Schrecken zum Trotz, gab es immer wieder vereinzelte Menschen, die diese Anklagen verurteilten und sich wissentlich der Gefahr der Folter aussetzen. Viele von ihnen ließen dabei ihr Leben oder wurden später – von der katholischen Kirche – heiliggesprochen, wie zum Beispiel Santa Teresa de Jesús, San Juan de Ávila oder Fray Luis de León.
Noch heute soll angeblich ein Gespenst sein Unwesen in der Nähe des Castillos treiben. Marktleute, die früh am Morgen ihre Stände auf dem Mercado de Triana aufbauen, und Nachtwächter, die hier für Ruhe und Ordnung sorgen sollen, berichten davon, dass sie eine geisterhafte Erscheinung gesehen haben wollen: das verschwommene Bild eines weiß gekleideten Mädchens, das immer mal wieder unerwartet auftaucht und wieder verschwindet. In Sevilla gibt es noch viele Geschichten über unheimliche Geräusche und unerklärliche Erscheinungen rund um das Castillo.
Obwohl Carmen und ich ganz neugierig nach solchen Phänomenen Ausschau gehalten haben, ist uns leider überhaupt nichts Merkwürdiges aufgefallen. Kein Geist und kein Spuk weit und breit. Aber über einen Ort mit einer so dramatischen Vergangenheit wie die des Castillo Sant Jorge, lassen sich halt immer schön gruselige Geschichten zaubern.
Nützliche Infos:
Eintritt : Frei
Website: centro tematico del castillo de sant jorge
Das Personal am Eingang ist übrigens total freundlich und hilfsbereit!