Atemberaubend ist das Wort, das mir spontan einfällt, als ich auf das türkisblaue Wasser in der Schlucht unter mir blicke. Gerade bin ich über die schwankende Brücke geschritten und kämpfe mich ein paar Meter bergauf, um den Wanderweg zu erreichen, der in Congost de Mont-rebei direkt in die Felswand gehauen wurde.
Die spektakuläre Schlucht liegt genau auf der Grenze zwischen Katalonien und Aragon. Gänsegeier und Steinadler kreisen in den Lüften über uns, während unten im Fluss orange, blaue und leuchtend rote Kajaks auf dem Wasser dahin gleiten. Wer unten in einem der Boote unterwegs ist, muss sich auf der Fahrt durch die Schlucht einen Helm aufsetzen. Zu oft kommt es vor, dass sich hier oben Steine vom Weg lösen und bis zu 500 Meter in die Tiefe sausen. Bei der Höhe kann auch ein kleines Steinchen großen Schaden anrichten. Ein Geländer gibt es hier übrigens nicht. Lediglich ein schmaler Draht dient zum Festhalten, wenn sich an besonders schmalen Stellen zwei Wanderer entgegenkommen und niemand „außen“ gehen will, dann kann es nämlich etwas eng werden.
Anstrengend ist zunächst der kleine Aufstieg. Jedenfalls für mich. Für geübte Wanderer und Bergsteiger wie Nadine und Hugo von @kulturnatur ist es eher ein Spaziergang. Ungewohnt ist es nur, so viele Menschen auf einer Wanderung zu treffen. Denn zufälligerweise haben wir gerade ein langes Festtageswochenende erwischt, sodass heute viel mehr Leute unterwegs sind, als an normalen Tagen.
Ich stapfe also brav zwischen den beiden Profiwanderern die kleine Anhöhe hinauf und bestaune immer wieder die Aussicht. Vor mir schreitet Nadine fast schon meditativ, Schritt für Schritt, vorwärts. In einem ganz langsamen, aber sehr regelmäßigen Rhythmus setzt sie einfach einen Fuß vor den anderen. Bei ihr sieht alles ganz leicht aus. Ich versuche, es ihr gleichzutun und konzentriere mich auf meine Schritte. Trotzdem muss ich immer wieder stehen bleiben und Luft schnappen.
Auf der aragonesischen Seite haben sie sogar Treppen außen an die Felswand gehängt. Das habe ich unten, vom Wasser aus gesehen. Hier auf der katalanischen Seite des Congost de Mont-rebei verläuft der Weg zum Glück ziemlich gerade. Nur ab und zu gibt es hier ein paar Stufen, die teilweise so hoch sind, dass ich mir vorkomme, wie ein kleines Kind, das versucht auf einen Stuhl zu klettern.
Der Weg schlängelt sich regelrecht durch die Bucht. Immer wieder biegt er um eine enge Kurve und verschwindet. An den Eckpunkten stehen Bänke, auf denen man sich kurz ausruhen kann. Ein Pärchen hat dort gerade seine Butterbrote ausgepackt und macht Mittagspause. Auf einer anderen Bank posiert ein junges Mädchen in die Kamera ihrer Freundin. Die beiden halten kurz inne und lassen uns vorbei.
Nach nicht ganz einem Kilometer endet die Schlucht und der Weg wird ebener. Jetzt suchen wir uns auch ein ruhiges Plätzchen und futtern unsere mitgebrachten Brote vor dem atemberaubenden Ausblick auf die Schlucht.
Auf dem Rückweg zum Embarcadero, dem improvisierten Anleger bei Corçà, fahren wir übrigens ganz gemütlich im Boot. Wenn Dir dann der frische Fahrtwind ins Gesicht weht und Du nach der kleinen Wanderung einfach nur die Beine ausstrecken kannst, fühlt sich das schon ziemlich perfekt an!
Das Kloster der „Haselnüsse“
Unweit des Congost de Mont-rebei, ganz im Westen Kataloniens, erhebt sich das Jahrhunderte alte Monestir de les Avellanes. In dem kleinen Kloster, umgeben von Feldern und Weinbergen, werden wir heute übernachten.
Ramón ist Botaniker und einer der Marister-Brüder, die hier im Kloster zuhause sind. Er führt uns durch die Anlage, erzählt uns die Geschichte des Klosters, zeigt uns die Weinberge und die Garten. Und natürlich auch die Kirche Santa Maria de Bellpuig.
Im zwölften Jahrhundert haben sich die ersten Prämonstratenser Mönche hier niedergelassen. Ramon Berenguer IV, Graf von Barcelona, hatte dem Orden ein Stück Land als Dank dafür geschenkt, dass sie ihm 1048 bei der Schlacht um Tortosa beigestanden hatten. Mit der tatkräftigen Hilfe der Glaubensmänner konnte der Graf damals die Mauren besiegen. Zu dieser Zeit war die Gegend des heutigen Kataloniens noch Teil der Spanischen Mark, ein Grenzpuffer, der die Mauren von der Eroberung des christlichen Europas fernhalten sollte. Großzügig verschenkten die christlichen Herrscher damals Land und Boden, um durch die Entstehung von Dörfern und den Bau von Klöstern in der Grenzgegend ihr neu gewonnenes Land zu sichern. Doch entlang der Grenze kam es immer wieder zu kämpferischen Übergriffen.
Die Mönche merkten bald, dass es gar nicht so leicht war, in diesem Grenzgebiet zu leben. Schließlich zogen einige von ihnen weg, andere ließen sich in Höhlen in der Nähe nieder und lebten dort als Eremiten ein bescheidenes Dasein. Bei der Bevölkerung waren die Männer hoch geschätzt. Bald vereinten sich die eremitischen Mönche wieder mit denen des neu gegründeten Klosters. Einige Jahrhunderte lang kehrte Ruhe ein und alles ging gut, bis im Spanischen Erbfolgekrieg weite Teile des Klosters zerstört wurden.
Als der spanische König Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die leeren Staatskassen auffüllen musste, wurden Mithilfe eines Gesetzes, der Desamortització de Mendizábal, viele Kirchen und Orden im ganzen Land enteignet. Ihre Güter und Besitztümer wurden verstaatlicht und reiche Privatleute kauften für wenig Geld große Ländereien. Auch das Kloster de les Avellanes landete so in privaten Händen. Die neuen Besitzer verkauften wertvolle Kunstgegenstände und liessen das Gebäude mehr oder weniger verfallen. Erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zogen die Marister-Schulbrüder hier ein, renovierten fleißig und erweckten das alte Kloster wieder zu neuem Leben.
Als gegen Abend ein wunderschönes Licht in den Kreuzgang fällt, erreichen wir die Kirche. Sowohl der Kreuzgang als auch die Kirche sind angenehm schlicht gehalten. Die Mönche legten Wert darauf, dass ihr Gotteshaus einfach und funktionell gestaltet sein sollte.
Leider wurden die schönsten Kirchenschätze aber von einem der privaten Besitzer verkauft und sind jetzt in „The Cloisters“ im New Yorker Museum of Art (MET) zu bewundern. Doch Ramón ist zuversichtlich, dass es hier bald eine virtuelle Darstellung der historischen Sarkophage und Statuen geben wird. Ausgemessen und gefilmt ist bereits alles. Derzeit ruhen die sterblichen Überreste der Grafen von Urgell und ihrer Gattinnen, die beim Verkauf der „geleerten“ Sarkophage hier geblieben waren, in seitlichen Nischen neben dem Altar.
Doch auch das schlichte Kirchenschiff ist etwas Besonderes. Bei dem Umbau 1303 von einem romanischen zu einem gotischen Kirchenbau wollte Graf Ermengol X das Familienpantheon zu einer großen Basilika in Form eines lateinischen Kreuzes erweitern. Doch der Graf starb, ehe das Werk vollendet werden konnte. So blieb das eigentlich längere Ende des Kreuzes kurz und die Kirche ist heute mehr breit als lang.
Bevor wir uns am Abend auf den Weg ins nahe gelegene Observatorium machen, kosten wir im Restaurant des Klosters noch ein ganz besonderes Sternen-Menü. Auf der Speisekarte stehen blaue Riesen, Venuskrater, Mitternachtssonne und eine Kollision der Galaxien.
Sterne gucken im Montsec
Sterne gucken ist immer ein aufregendes Erlebnis, besonders in Gegenden, in denen keine Lichtverschmutzung den Blick auf das Himmelszelt trübt. In Spanien gibt es besonders viele solcher Regionen, die einen ganz „unverschmutzten“ Blick auf das Firmament ermöglichen. Der Montsec ist einer dieser Plätze, die zu den anerkannten Starlight Reserves gehören. Weil der Nachthimmel hier so schön strahlt und nur selten Regenwolken die Sicht verdecken, hat man hier eines der besten Teleskope Kataloniens aufgestellt.
In freudiger Erwartung nehmen wir in den bequemen Liegesesseln des Observatoriums Platz. Ein Guide hat 3D-Brillen verteilt, mit denen wir gleich das Spektakel in der großen Kuppel über uns verfolgen sollen. Ein wunderschön gemachter Film erklärt, woher wir kommen. Angefangen vom Urknall bis zur Entstehung der Menschen fliegen Atome und Planeten direkt über unsere Köpfe hinweg. Mir wird fast schwindlig, so nah fliegen wir über den Saturn! Ein echt toll gemachter Film, bei dem ich lerne, dass wir letztendlich irgendwie doch alle aus Sternenstaub bestehen.
Als der Film vorbei ist, zeigt der Guide uns an einer originalgetreuen Nachbildung des nächtlichen Himmels über uns die einzelnen Sterne und Planeten. Er zoomt mal eben Jupiter ran, dann dreht er ab zu einem der anderen Himmelskörper. Den Großen Wagen hätte ich ja noch gefunden, aber all die anderen Sternzeichen wohl nicht. Dann kommt noch eine Überraschung. Ein Vorhang geht langsam auf. Ich bin sehr neugierig. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich endlich merke, dass es gar kein Vorhang ist, sondern die Kuppel über uns, die sich gerade öffnet. Wir sitzen unter dem freien Himmelszelt und blicken in die Sterne! Mit einem Laserpointer (oder so etwas in der Art) gehen die Erklärungen weiter. Mit offenem Mund und großen Augen höre ich staunend zu. Wahnsinn!
(Foto Observatorium Montsec © by Nadine Ormo )
Congost de Mont-rebei zum Nachreisen:
Wandern im Congost de Mont-rebei:
Die atemberaubende Schlucht gehört zum Naturpark Noguera Ribagorçana Mont-rebei. Der Fluss Noguera Ribagorçana formt die Schlucht auf seinem Weg durch die Serra del Montsec. Weit weg von den großen Verkehrswegen gibt es hier keine Straßen oder Eisenbahnlinien, nicht mal eine Stromtrasse, die die Schlucht durchqueren. Entlang des kleinen Grenzflusses führt daher eine der wohl spektakulärsten Wanderrouten Kataloniens. Die klassische Route durch den Congost de Mont-rebei ist der GR1, eine insgesamt vierstündige Wanderung, die in der Nähe des Dörfchens Corçà startet und endet.
Mit dem Kajak kannst Du unten auf dem Fluss durch die Schlucht paddeln oder Du kannst oben zu Fuß an den Felsen entlang wandern. Es gibt auch Möglichkeiten beides zu kombinieren. Wenn Du nicht wandern kannst oder willst, kannst Du Dich sogar auf einem der Boote durch den Congost de Mont-rebei schippern lassen. Von der Brücke am Embarcadero aus haben wir die Rückfahrt auf dem Boot mit dampfenden Füßen echt genossen!
Tipp: Wegen der immer größeren Beliebtheit des Wanderwegs solltest Du die Wochenenden meiden und lieber unter der Woche herkommen.
Montsec Activa
Carrer de la Font, 11
25691 Àger, Lleida
Website: www.montsecactiva.com
Übernachtung im Monestir de les Avellanes:
Als Botaniker zeigt uns Ramón natürlich auch stolz die drei Lledoners (Celtis Australis), die sich vor dem Kloster in den Himmel recken. Diese drei Zürgelbäume sind mehrere hundert Jahre alt und signalisierten den Reisenden einst drei Dinge, nämlich dass sie hier Schutz, Obdach und eine Mahlzeit erhalten würden.
Im Kloster leben heute noch dreizehn Maristen- Schulbrüder. Offiziell heißt es Monestir de Santa Maria de Bellpuig de les Avellanes. Den Ursprung des Namenszusatzes „avellanes“ (Haselnüsse) leitet Ramón eher von dem Wort „abelles“ (Bienen) ab. Denn Haselnüsse habe es hier in der Gegend nicht gegeben, meint er.
Die Zimmer sind sehr einfach und schlicht eingerichtet, eben einem Kloster entsprechend, aber wirklich nett. Und es gibt alles, was man braucht und sogar eine Kaffemaschine.
25612 Monestir d’Avellanes, Lleida
Website: www.monestirdelesavellanes.com
Observatorium Montsec
Nach der Filmvorführung im Observatorium gibt es noch zwei weitere Teile, die zur Besichtigungstour gehören. In einer anderen Kuppel durften wir dabei sein, wie das Teleskop live Bilder von weit entfernten Galaxien macht. Anschließend ging es nach draußen, wo wir Jupiter mit bloßem Auge durch kleinere Teleskope sehen konnten.
Parc Astronómic Montsec
Camí del Coll d’Ares, s/n
25691 Àger, Lleida
Website: www.parcastronomic.cat
Starlight Reserves: www.fundacionstarlight.org
Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips durch die Provinz Lleida, zu dem wir von der Diputació de Lleida eingeladen wurden.
Mensch das ist ja mal ein toller Mitnehmbericht, große Klasse , danke für die inspirierenden Worte und Fotos Gruß Meike
Mensch das ist ja mal ein toller Mitnehmbericht, große Klasse , danke für die inspirierenden Woter und Fotos. Gruß Meike
Traumhauft schön. Wie der Caminito del Ray, aber viel schöner, viel natürlicher. Müsste mir aufschreiben…für irgendwann.
Liebe Grüße, Andrea
unbedingt! das würde Dir gefallen! aber komm besser nicht im Hochsommer! Frühjahr oder Herbst ist wesentlich angenehmer zu laufen!
Liebe Grüße!