Immer wieder dringen Schlagzeilen vom katalanischen Schrei nach Unabhängigkeit auch nach Deutschland. Doch viele wissen gar nicht, was genau da eigentlich passiert. Was ist das für eine Bewegung? Gibt es eine breite Mehrheit oder ist es nur eine laute Minderheit, die da von sich reden macht? 

Katalonien Unabhängigkeit

Katalonien – Thema Unabhängigkeit

Um diese Auseinandersetzung zu verstehen, muss man zunächst einmal einen kleinen Ausflug in die Geschichte machen. Bevor Europa ein Europa der Nationalstaaten wurde, bestimmten Herzogtümer, Grafschaften und kleine Königreiche die politische Landschaft. Frankreich beispielsweise wurde erst nach der Französischen Revolution, mithilfe aktiver und gewaltsamer Unterdrückung sämtlicher Regionalsprachen, kulturell geeint. In Spanien versuchten viele Machthaber in Madrid Ähnliches, aber mit weniger Erfolg. Katalonien war und blieb über viele Jahrhunderte hinweg wirtschaftlich und politisch selbstständig. In Barcelona florierte der Handel über das Mittelmeer und auch das erste Parlament Europas (der „Rat der Hundert“, Consell de Cent) entstand in der katalanischen Hauptstadt.

Als Spaniens Gold- und Silbereinkommen aus Amerika zur Neige gingen und das Volk schon hungerte, erhob der spanische König noch mehr Steuern. Als Spanien Krieg gegen Frankreich führen wollte, mussten katalanische Bauern (und andere) das spanische Heer in ihren Dörfern und Häusern versorgen. Schlimme Lebensbedingungen, Hunger, Vergewaltigungen durch die Soldaten etc.trugen nicht unbedingt zu einer Steigerung der Beliebtheit des spanischen Hofes in Katalonien bei.

Katalonien Unabhängigkeit

1714

1714 war ein entscheidendes Jahr für die Katalanen. Während des Spanischen Erbfolgekrieges wurde fast ganz Europa in den Kampf um den leeren Thron in Madrid verwickelt. Nachdem Carlos II starb ohne einen Sohn gezeugt zu haben, waren die zwei wichtigsten Kandidaten seiner Nachfolge Felipe V, ein Franzose, Neffe des französischen Königs, und ein Habsburger, Karl III. Die Katalanen paktierten mit den Engländern und unterstützten den Habsburger. Die Engländer wollten nicht das Frankreich zu mächtig wird, und die Katalanen fühlten sich von dem bourbonischen Prädentenen eher bedroht. Als sich nach einigen Jahren der Kriegswirren auf katalanischem Boden die Engländer mit den Franzosen einig wurden, stand Katalonien plötzlich allein da. Die Sache ging nicht gut aus.

Mit der militärischen Belagerung und dem anschließenden Fall der Stadt Barcelona am 11. September 1714 endete der Erbfolgestreit. Felipe V wurde König und Katalonien verlor seine bis dahin geltende Selbstverwaltung. Spanien wurde zentralisiert. Katalanische Institutionen wurden aufgehoben, Universitäten wurden geschlossen, die katalanische Sprache wurde verboten. Und Nord-Katalonien (Roussillon) ging an die französische Krone.

Aber…

Weite Landstriche Spaniens waren nur dünn besiedelt und lebten von der Landwirtschaft. Hier war eine kulturelle Dominanz des Hofes nur schwer durchzusetzen. Diese Tatsache ist sicherlich einer der Gründe, warum Katalonien trotz zahlreicher Verbote und Strafen dennoch so lange an seiner eigenen Sprache und Kultur festhalten konnte – während in Frankreich alle Minderheitensprachen fast ausgestorben sind.

Katalonien Unabhängigkeit

„La Diada“ – Nationalfeiertag am 11. September

In Katalonien trugen auch nach dem Verlust der Selbstverwaltung, Kultur und Sprache dazu bei, dass die katalanische Identität über die Jahrhunderte nicht verloren ging. Abgelegen auf ihren Höfen, weit weg vom prunkvollen Königspalast in Madrid, tanzten die Katalanen weiterhin Sardanas und aßen pa amb tomàquet. Die bessere Gesellschaft Spaniens, die höher gestellten Klassen und der spanische Hof blickten von oben herab auf die ländlichen, einfältigen Katalanen. Man betrachtete Katalanisch als einen „Bauerndialekt“. Und dennoch waren diese einfachen Leute stolz auf ihr Land und ihre Bräuche. Jedes Jahr am 11. September, gedachte man der bei der Belagerung Barcelonas Gefallenen oder später hingerichteten Anführer der Truppen, die für den Habsburger gekämpft hatten. Man legte Blumen nieder und erinnerte sich.

Unter Primo de Rivera und unter Franco wurde nicht nur diese Gedenktage verboten, sondern die katalanische Sprache gleich mit. Dieses Mal waren die Strafandrohungen härter. Man musste mit Repressalien, Gewalt und Gefängnis rechnen, wenn man dabei erwischt wurde Katalanisch zu sprechen. Erst mit dem Ende der Diktatur wurde 1976 erstmals wieder öffentlich am 11. September ein katalanischer Gedenktag gefeiert.

Katalonien Unabhängigkeit

Katalonien heute

Viele Jahre der Unterdrückung katalanischer Kultur mischen sich jetzt, in Zeiten der schweren Wirtschaftskrise, mit einer großen Unzufriedenheit gegenüber der Regierung in Madrid. Die Forderung nach Unabhängigkeit wird von einer immer breiteren Masse getragen. Bei über 500 Referenden in den Städten und Gemeinden stimmten die Einwohner zwischen 2009 und 2011 mehrheitlich für die Unabhängigkeit, allerdings mit einer Wahlbeteilung von nur rund 20%.

Mittlerweile haben auch katalanische Politiker die Stimmung aufgenommen und versuchen sie in Wählerstimmen umzusetzen. Nach dem Marsch am 11. September 2013 organisierten die Katalanen in diesem Jahr eine gigantische Menschenkette, von den Pyrenäen bis kurz vor Valencia, einmal längs durch ganz Katalonien. Sehr emotionale Momente, nicht nur für die Katalanen, live und per TV.

Für mich ist die Frage nach der Unabhängigkeit Kataloniens ein beeindruckender Themenkomplex, den ich sozusagen mittendrin und doch außenstehend, gespannt verfolge. Letztendlich sind es immer Menschen, die die Geschichte der Welt schreiben: Menschen, die auf die Straße gehen, Menschen die kommunizieren, Menschen die an der Welt teilnehmen, können diese Welt verändern. Aber wohin soll es gehen? Ich bin gespannt.

Der Spiegel