Wieder einmal ließ ich mein zu Hause hinter mir und machte mich auf den Weg, diesmal allein. Als ich in dem Betondschungel ankam, der Glasgow zu sein schien, mit einer eher wenig vorgeplanten Reise vor mir, inmitten einer Menge betrunkener Teenager, wollte ich einfach nur umdrehen und nach Hause zurückkehren. Aber ich entschloss mich, es nicht zu tun. Ich brauchte einen Tag, um ein paar Sachen zu kaufen, die mir fehlten, und einen weiteren, um den Mut wiederzugewinnen, der mir gefehlt hatte. Dann setzte ich einen Zug nach Milngavie, um den West Highland Way zu starten.
Der West Highland Way ist ein Fernwanderweg (über 50 km) im Nordwesten Schottlands, der sich durch die westlichen Highlands schlängelt. In den 1980ern wurde der West Highland Way (WHW), der zum Teil entlang früherer ‘Military Roads’ verläuft, als erster offizieller Fernwanderweg Schottlands eingeweiht. Seitdem wird er jedes Jahr von über tausenden von Wanderern besucht. Einmal im Jahr, zur Sommersonnenwende, findet dort das ‘West Highland Way Race’ statt, bei dem die 150 km lange Strecke zu einem schottischen Ultramarathon wird.
Die Strecke lässt sich in verschiedene Etappen einteilen, je nach Lust und Laune, Erfahrung und Wetterlage. In der Regel lässt sich der West Highland Way in sechs bis acht Tagen zurücklegen. In meinem Fall waren es sechs Tage und fünf Nächte.
In diesen sechs Tagen habe ich viel erlebt. Ich bin nass und wieder trocken geworden. Und wieder nass, und dann wieder trocken. Ich habe Schutz vor dem Regen und dem Wind der Highlands gesucht und gefunden. Ich habe gelernt, dass es kein schlechtes Wetter gibt, sondern nur schlechte Kleidung (und gute oder schlechte Campingausrüstung). Ich war in einem typischen Bothy, eine Berghütte, die Schutz vor Regen bietet und in der man zur Not auch übernachten könnte. Ich habe Highland Rinder, Schafe und Hirsche gesehen, bin den Midges, kleinen britischen Mücken, begegnet, habe winzig kleine Pilze und Frösche gesehen. Und auch große.
In den Munros bin ich an unzähligen Bens und Glens vorbei gewandert, habe viele Lochs, Wasserfälle und Flüsse gesehen und alle ihre lustigen Namen ausgesprochen: Falls of Falloch, Loch Leven, Crianlarich und so weiter. Ich habe auf der Erde geschlafen, im strömendem Regen, bin kilometerweit durch Hügel und Prärien, zwischen Wildblumenwiesen, über Felsen und Brücken und steile Treppen hinauf gelaufen. Ich bin über Pfützen gesprungen und durch Schlamm gewatet. Ich habe das Moos berührt. Der Weg führte mich über Erde, Sand, Kies, Gras und Asphalt. Durch dichte Nadelwälder und auf Wind- und Wetter ausgesetzte Hügel. Die ganze Wanderung über waren meine Socken nass und meine Schuhe stanken.
Aber ich lauschte den Geschichten der alten schottischen Clans, vom Glen-Coe-Massaker, dem Streit der Campbells und der McDonalds, und von Robert the Bruce mit seinem großen Zweihandschwert.
Ich hatte die Chance, ein echtes schottisches Frühstück zu Essen, mit Ei, Sausages, Beans und Haggis, um Energie zu tanken. Und Tee habe ich getrunken. Und Bier. Auch wie man Whisky richtig trinkt, habe ich gelernt und dass sich seine vielen Aromen erst mit einem Tropfen Wasser entfalten: rauchig, salzig, süß oder torfig (denn die Distilleries auf Islay brennen mit Torf).
Ich habe den Weg zwar allein begonnen, aber unterwegs war ich die meiste Zeit in wunderbarer Gesellschaft. Schottische, deutsche, schwedischsprachige Finnen, Norweger.
Die Etappen
Milngavie bis Drymen: 19 km
Dieser Teil der Strecke ist gut, um die Füße warm zu laufen. Er startet in dem kleinen Dorf Milngavie (ausgesprochen wird das etwa wie “Mulngai”) an einem Obelisk. Der Weg ist sehr gut ausgeschildert, relativ flach und angenehm zu laufen, ohne Schwierigkeiten. Es geht an kleinen Lochs vorbei, an der Glengoyne Distillery und zwischendurch auch an einem kleinen Ponyhof.
Kurz vor der Gemeinde Drymen liegt der Campingplatz Drymen, meine erste Haltestelle. Anfangs fiel mir auf, dass die meisten Wanderer auf diesem Weg bloß kleines Gepäck mit sich tragen. Doch gegen Abend treffen immer mehr Leute mit großen Rucksäcken auf dem Platz ein. Ich bin also doch nicht die einzige Verrückte, die sich zu viel vorgenommen hat und die ganze Zeit ein Zelt mitschleppen will. Dort treffe ich Vanina aus Deutschland, die auch alleine mit ihrem Zelt unterwegs ist. Den nächsten Wandertag beschließen wir gemeinsam zu laufen.
Drymen bis Rowardennan: 24 km
Von Drymen bis Balmaha gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man geht an der Strasse entlang oder über den Conic Hill. Zuerst zweifeln Vanina und ich, denn das wechselnde Wetter, der Regen, der immer dann wieder anfängt, wenn man gerade die Regenjacke eingepackt hat, geht uns ein wenig auf die Nerven. Doch David, ein netter Schotte, der in seinem Kilt wandert, rät uns, über Conic Hill zu gehen, der Aufstieg lohne sich, denn von dort oben sei der Blick auf den Loch Lomond prächtig. Schnell sind wir überredet. Die Aussicht lohnt sich auf jeden Fall, doch oben auf dem Conic Hill fängt es plötzlich an, in Strömen zu regnen. Nie in meinem Leben bin ich so sehr dem Regen ausgesetzt gewesen. Ich zweifle, ob ich den Weg zu Ende bringen werde.
Nach einer kurzen Zwischenpause in Balmaha, müssen wir die nassen Sachen wieder anziehen und weiter gehts. David erzählt, dass es in Rowardennan einen ‘Drying-Room’ gibt. Also versuchen wir unser Glück und wandern bis dorthin.
Rowardennan ist bloß ein einziges Gebäude, eine Herberge. Davor, ein knallgrüner Rasen, mit einem Steg, der in den Loch führt. Aus der Freude heraus, den nassen Tag überstanden zu haben, springen wir ins Wasser. Der Loch ist frisch, aber das Wasser des Atlantiks ist noch kälter. Die Herberge hat warme Duschen, eine riesige Küche mit allem drum und dran und zum Glück auch ein ‘Drying-Room’, in dem wir unsere Sachen trocknen können. Auf der Hinterseite gibt es eine Camping-Area, um Zelte aufzustellen.
Rowardennan bis Beinglas Farm: 21.6 km
Dieser Abschnitt der Strecke ist etwas „technischer“. Er verläuft die ganze Zeit am östlichen Ufers des Loch Lomonds entlang. Auf dem Weg kommt man an vielen kleinen Buchten vorbei. Wenn ab und zu die Sonne scheint, kommt sogar ein wenig Strandgefühl auf. Der zurückzulegende Höhenunterschied ist nicht besonders hoch, doch durch das ständige Auf und Ab auf steilen Felsen kommt man eher langsam voran.
In Inversnaid lohnt sich eine Verschnaufpause beim Wasserfall. Es ist der erste von vielen, denen man auf dem West Highland Way noch begegnet wird. Der Weg geht immer noch am Ufer des Lochs entlang, doch langsam spürt man, dass die Highlands näher kommen. Hier verabschiedet sich Vanina von uns. Ab jetzt wandern David und ich zu zweit weiter.
Wir übernachten in Beinglas Farm. Ein Campingplatz mit allen notwendigen ‘facilities’.
Beinglas Farm bis Bridge of Orchy: 30 km
Auf dieser Etappe lassen wir den Loch hinter uns, nun geht es am Faloch River entlang. Nach einem Aufstieg weist mich David auf den letzten Blick, dass ich hier zum letzten Mal den Loch Lomond sehen werde. Danach geht es über Crianlarich, das Tor zu den Highlands, nach Tyndrum, wo ich einen letzten Einkauf mache, bis Kingshouse. Ab hier verändert sich die Landschaft. Die Berge werden höher und um uns herum ist in alle Richtungen nur noch Grün zu sehen.
Wir erreichen Bridge of Orchy, wo ein winzig kleiner Bahnhof gleichzeitig als Herberge dient. In einem ‘Honesty Shop’ können wir unsere Vorräte auffüllen. Ich schlage mein Zelt unten an der Brücke auf einer kleinen Wiese mit Blick auf den Fluss auf.
Bridge of Orchy bis Kinlochleven: 34 km
Dieser Teil ist die anstrengendste Etappe des West Highland Ways. Der Devil’s Staircase (die Teufelstreppe) ist ein steiler Anstieg, den wir bezwingen müssen, ehe wir den Glen Coe erreichen. Aber die Landschaft ist atemberaubend. Je weiter wir laufen, desto weiter entfernen wir uns von der Straße. Man hört nichts, außer ein paar Schafen. David erzählt vom Glen Coe Massacre und den Klans der MacDonalds und der Campbells. Über die Highlander, und wie sie ihr acht Meter langes Kilt auch als Decke und Schutz vor dem Regen nutzten, wenn sie diese Landschaften durchquerten.
Ich Zelte diese nacht auf dem Campingplatz in Kinlochleven.
Kinlochleven bis Fort William: 24 km
Dieser Teil ist etwas erholsamer. Ein erster anspruchsvoller Anstieg, aber ab dann bleibt es relativ flach. Das Highlight ist der Blick auf den Ben Nevis der höchste aller Munros (so nennen die Schotten ihre Berge, die über 910 m hoch sind), und gleichzeitig der höchste Berg Großbritanniens.
Endspurt bis Fort William. Ende der Fernwanderstrecke ist die Skulptur des ‘Tired Walkers’.
Ich übernachte auf dem Campingplatz Glen Nevis, mit Blick auf Ben Nevis. Der West Highland Way ist zwar hier zu Ende, aber meine Reise führt mich noch ein paar Tage weiter, auf die Isle of Skye.
Tipps
- Unterkunft: Mit dem Zelt campen oder in Herbergen schlafen?
Wildes Campen ist in Schottland zwar erlaubt, aber im Sommer gibt es in manchen Naturparks bestimmte Einschränkungen. Also sollte man gut im Voraus planen und sich rechtzeitig ansehen, wo und ob man sogenannte ‚Permits‘ braucht. Eine Regel gilt immer: ‚leave no trace‘, hinterlasse also die Stelle, an der du campst genauso wie du sie vorgefunden hast. Wer lieber auf offiziellen Campingplätzen zeltet, kann meist am selben Tag (oder ein Paar Tage im voraus um sicher zu gehen) reservieren.
Wer lieber etwas bequemer in Herbergen oder Hotels unterkommt, bucht seine Unterkünfte besser 1-2 Tage im Voraus. Generell können Herbergen (oder auch Zeltplätze) aber auch kurzfristig gebucht werden, da es tendenziell viele Absagen gibt, weil die Leute manchmal aufgrund des Wetters nicht die geplante Strecke laufen können.
Fazit: Meiner Erfahrung nach ist es gut, die Strecke der nächsten paar Tage im Blick zu haben. Hätte ich vom ersten Moment an für alle Nächte einen Campingplatz gebucht, dann hätte ich mich nicht anderen Leuten anschliessen oder flexibel auf Erschöpfung oder Wetterlage reagieren zu können. - Regen und schlechtes Wetter sollte man unbedingt einplanen. Die schottische Wettervorhersage ist eher unzuverlässig, worauf man sich jedoch verlassen kann sind spontane Wetterumschwünge. Regenjacke und -hose sowie eine Schutzhülle für den Rucksack sind ein Muss. Zum Glück gibt es an vielen Stellen ‚Drying Rooms‘ wo man alles trocknen lassen kann.
- Midges und Zecken im Sommer – Es wird viel vor den Highland Insekten gewarnt. Ich hatte zum Glück keine Probleme, aber sie können wohl wirklich unangenehm werden, deswegen ist es ratsam, sich mit einer Zeckenzange und einem Midges-Netz auszurüsten.
- Licht – da die Highlands ziemlich weit im Norden liegen, wird es im Sommer erst spät, im Winter hingegen früh dunkel. Das sollte man im Kopf behalten, weil man dadurch im Sommer längere Etappen einplanen kann, als im Winter.
- Aktuelle Infos findest du auf der Webseite vom West Highland Way.
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