Zitronenfalter fliegen dicht über dem Boden. Zwischen den lila Malven, die den Wegrand zieren, sitzen heimlich Wilderdbeeren, die glauben, sie könnten sich vor mir verstecken. Es ist Juni in den Pyrenäen und alles grünt. In der Ferne ertönt ein schrilles Hupen, das vom Echo der Berge verstärkt wird. Es ist die Cremallera, die „Reissverschlussbahn“ ins Vall de Núria, die die Touristen und Arbeiter ins Tal bringt.
Ein Stück weiter vorn kann ich auf einem hölzernen Schild ‚Camí Vell de Núria‘, der alte Weg nach Núria, lesen. Wir sind also auf dem richtigen Pfad. Es ist zwar schon 11 Uhr und die Sonne knallt, aber die Berge bieten mitten in der Hitzewelle, die Katalonien gerade überfällt, wenigstens frische Luft und ab und zu schattige Stellen. Ich bereue es keinesfalls, hierhergekommen zu sein.
Der Wanderweg Camí Vell beginnt in Queralbs, einem typischen kleinen Pyrenäendorf aus alten Steinhäusern, abseits der kosmopoliten Welt gelegen. Von dort aus ist der Weg gut sichtbar ausgeschildert. Meist folgt er dem Flussbett des Freser, der sich flüchtig seinen Weg aus den Bergen gesucht hat, und mehr oder weniger auch dem Verlauf des Cremallera Zugs. Zwischendurch hört man ihn immer wieder. Er ist blau, nicht besonders schnell, und tuckert langsam auf seinen Gleisen hoch und runter, bis er wieder im nächsten Tunnel verschwindet.
Das Vall de Núria ist das Ziel unserer Wanderung. Für viele ist es aber erst der Startpunkt. Das Tal ruht beschützt von einer Gebirgskette mit Gipfeln, die knapp unter 3000 Metern liegen, in der Olla de Núria, dem sogenannten Kessel von Núria. Dahinter liegt Frankreich. Bergsteiger und Trailrunner laufen und besteigen hier eifrig die Gipfel, die bis über die Wolken ragen. Im Winter ist die Landschaft schneeweiß, und das Tal verwandelt sich in ein Skigebiet. Dann führen die „Telehuevos“ Kabinen zur Herberge hinauf, wo ich vor über zehn Jahren, in der 7. Klasse übernachtete, als wir mit der Schule von hier aus den Puigmal hochgewandert sind.



Es gibt mehrere Wasserfälle auf dem Weg. Einer davon, kurz vor dem Ende der Strecke, ist die besonders beeindruckende Cua de Cavall. Wenn man davor steht, fühlt man sich neben Mutter Natur ganz winzig und unwichtig. Während der ganzen Wanderung hat man das Rauschen des Wassers im Ohr, weil der Fluss den Weg begleitet. Auch der Ter, der an seiner Mündung so kräftig wirkt, entsteht hier oben in den Pyrenäen als kleiner Babyfluss. Auf Katalanisch entstehen Flüsse übrigens nicht, sondern sie „werden geboren“.
Schließlich kommen wir links vom See im Tal an. Das Santuario de la Virgen de Núria mit dem Anbau, in dem sich jetzt der Hotelkomplex befindet, füllt fast das ganze Tal. Weiße und braune Kühe grasen im Hintergrund. Auf einer der Bergspitzen liegt jetzt im Juni noch ein Fleckchen Schnee, dass die Tauzeit trotzig überstanden hat. Grüne Weiden und trockene, steinerne Bergspitzen, das sind die westlichen Pyrenäen, Hochgebirge mit Mittelmeerflair.
Tipps zum Wandern ins Vall de Núria:
- Das Ticket für die Cremallera-Bahn vorher online kaufen. Die Anzahl der Plätze ist begrenzt (Plaçes limitades) und der letzte Zug, der um 18.30 Uhr abfährt, ist immer am meisten ausgebucht.
- Der Cremallera hält in Ribes de Freser, Queralbs und Núria.
- Im Tal selbst gibt es nicht so viele Übernachtungsmöglichkeiten. Besser du suchst eine Unterkunft in Ribes de Freser, Queralbs oder Planoles.
- Wer gern auf dem See paddelt oder rudern will, kann für eine halbe Stunde ein Kajak für 6,50 Euro, oder ein kleines Ruderboot für 10 Euro mieten.
- In der Nähe: Ripoll – Kloster und viele Vies Verdes (ruta del ferro i del carbó geht von Olot bis dahin)
- Auch ganz in der Nähe, bevor man zum Bahnhof von Queralbs kommt, gibt es den Wanderweg zum Salt del Grill, der auch vom Fluss begleitet wird, und auf dem ganzen Weg mehrere Gelegenheiten bietet, sich kurz zu erfrischen.
Tolle Beschreibung. Da bekommt man Lust zu wandern.