Ziemlich grau, das ist so ungefähr alles, an das ich mich von meinem ersten Besuch in Erfurt 1990 noch erinnere. Ich war damals mit meinem Freund für einen Tag hier. Die meisten Häuser waren ziemlich reparaturbedürftig, doch was mich am meisten erstaunt hat, war der Mangel an Farbe. Es war wie mitten in einem Schwarzweiß Film.

erfurt Krämerbrücke

Und nun? Jetzt stehe ich auf dem Anger, umgeben von kunterbunten Gebäuden aus der Gründerzeit, gemischt mit Barock, Jugendstil und Bauhaus. Entweder war ich damals sehr verliebt und komplett blind oder es hat sich hier richtig viel verändert. Vermutlich beides. Es ist unglaublich, wie viel und wie gut erhalten die Altstadt Erfurts ist. Vom Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont, wurden nur 7% der Stadt beschädigt. In DDR Zeiten hatte man nicht genügend Geld, um Altes abzureißen und viel Neues zu bauen. Sicher gibt es auch im Zentrum von Erfurt ein paar Plattenbauten, aber die aufwendig restaurierten Gebäude vergangener Jahrhunderte dominieren eindeutig das Stadtbild. Manche Gebäude wirken für meinen Geschmack fast schon zu bunt und kitschig. Doch bei den Renovierungsarbeiten sollen sich die Fachleute an alten Farbpigmenten orientiert haben.

erfurt Krämerbrücke

erfurt Krämerbrücke

Aber die Altstadt ist nicht nur echt schön, sondern auch enorm groß! Während viele andere Städte sich mit einer Handvoll mittelalterlicher Straßen begnügen müssen, kannst Du in Erfurt den ganzen Tag kreuz und quer laufen und findest kaum ein Ende. Und es gibt wirklich so viel zu entdecken: Anger, Domplatz, Fischmarkt, Wenigemarkt, die Zitadelle und natürlich die Krämerbrücke!

Diese Brücke ist das absolute Highlight der Stadt. Bis heute haben verschiedene Künstler und Handwerker nicht nur ihre Werkstätten und Läden auf der Krämerbrücke, sondern sie wohnen dort auch. Nebeneinander findest Du hier Maler, Bildhauer, Goldschmiede, Chocolatiers, Puppenmacher, einen süßen kleinen Buchladen und sogar einen Färber. Vor dessen Tür wächst ein ganz besonderes Kraut: Waid. Ein hübsches grünes Gewächs, das ganz bestimmte Bedingungen braucht, um gedeihen zu können. Nur in rund dreihundert Dörfern Deutschlands findet das Waid diese idealen Bedingungen. Durch ein kompliziertes Trocken- und Gärungsverfahren, in das auch Urin verwickelt ist, kann aus diesem Kraut ein Pulver gewonnen werden, das wundervolle Blautöne erzeugt.

erfurt waid

erfurt blau waid
Das so unschuldig aussehende grüne Waid war im frühen Mittelalter einer der wichtigsten Rohstoffe zum Blaufärben. Ein seltenes und entsprechend teures Gut. Der Waidmarkt in Erfurt war das Handelszentrum für das „blaue Gold“ und bescherte vielen Leuten der Gegend Wohlstand und Reichtum. Jedenfalls bis im siebzehnten Jahrhundert das billigere und leichter zu gewinnende Indigo den Markt eroberte und das Färberwaid schlicht und einfach verdrängte.

erfurt luther kaufmannskriche

Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts begann Luther sein Studium in der pulsierenden Metropole Erfurt. Nachdem er bereits den Titel eines Magisters erlangt hatte, verließ er jedoch die Universität und ging ins Kloster. Das Augustinerkloster gehört leider zu den wenigen im Zweiten Weltkrieg beschädigten Gebäude. Doch einige Teile sind erhalten geblieben und beherbergen heute ein Hotel. In der Kaufmannskirche, vor dem ein Denkmal des Reformators in den Himmel erhebt, predigte Luther dann bei seinen späteren Besuchen in der Stadt.

erfurt augustinerklsoter

Der große Anger, heute die zentrale Einkaufsmeile mitten in der Stadt, war früher ein wichtiger Marktplatz. Er zieht sich vom Angerbrunnen auf der einen Seite bis zum Kaufhaus Römischer Kaiser auf der anderen Seite. Die beiden Figuren am Angerbrunnen symbolisieren, die beiden wichtigsten Bereiche, mit denen Erfurt sich zu einer reichen Stadt entwickeln konnte, nämlich Gartenbau und Textilindustrie.

erfurt angerbrunnen

erfurt anger roemischer kaiser kaufhaus

Das alte Kaufhaus Römischer Kaiser erinnert mit der schweren Prunkbauten an die glitzernden Seite der zwanziger Jahre. Nach dem Ersten Weltkrieg ging es gerade wieder bergauf. Damals leuchteten hier schrille Neonreklamen von dem modernen Einkaufstempel. Der Römische Kaiser brachte das neue Konzept des Warenhauses in die Stadt, fast so hipp wie in New York, denn hier konnte nun jedermann zu erschwinglichen Preisen einkaufen. Eine revolutionäre Shoppingphilosophie, die den bald an die Macht gelangenden Nationalsozialisten allerdings gar nicht gefiel.

erfurt bauhaus dhv
Und auch die im nahegelegenen Weimar gegründete Bauhaus Universität hat in Erfurt Spuren hinterlassen. Zwar stellten die Nationalsozialisten in Erfurt bereits 1930 die Landesregierung, doch 1929 konnte der Architekt Heinrich Herrling noch zwei Aufträge für bedeutende Geschäftsleute der Stadt umsetzen. Herrling war selbst zwar kein Bauhaus Schüler, aber deutlich vom Stil der Neuen Sachlichkeit inspiriert, entwarf er das Schellhorn Kaufhaus mit seiner abgerundeten Ecke und der horizontal strukturierten Fassade und das sechsstöckige DHV Gebäude, das mit seinen ebenfalls abgerundeten Ecken an moderne Transportmittel, wie die vorbeifahrende Straßenbahn erinnert, und als ältestes Hochhaus in Erfurt gilt.

erfurt bauhaus schellhorn kaufhaus

erfurt AOK Bauhaus

Auch das Sparkassengebäude und der Bau der AOK, beide um 1929/30 entstanden, sind noch vom Bauhaus beeinflusst. Gerade Linien und Funktionalität kennzeichnen sowohl den Entwurf des Bankhauses von Johannes Klaas als auch das Krankenkassengebäude von Theo Kellner.

erfurt bauhaus sparkasse

Im Kunstmuseum am Anger befand sich bis in die zwanziger Jahre eine bedeutende Sammlung moderner Kunst. Der jüdische Kaufmann Alfred Hess sponserte den Ankauf von Werken der Expressionisten und Mitgliedern des Bauhaus Schule, wie Emil Nolde, Ernst Barlach, Lyonel Feininger, etc. Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde fast die komplette Sammlung als entartete Kunst bezeichnet und zerstört. Erich Heckel, bedeutender Expressionist und Mitbegründer der Künstlergruppe die Brücke, hatte in einem kleinen, kirchenähnlichen Raum seine Ansichten von Liebe, Trennung und wichtige persönliche Momente verewigt.

angermuseum erfurt kunst
erfurt Heckelraum

Dank einer Mitarbeiterin des Museums konnte allein der Heckelraum vor der Vernichtung bewahrt werden. Man mauerte die Tür des Zimmers kurzerhand zu und schob einen Schrank davor. Als die Schergen anrückten, erklärte die Direktorin einfach, das Zimmer gäbe es längst nicht mehr. Da die angereisten Nationalsozialisten keine Kunstexperten waren, wussten sie nicht wo sie hätten suchen sollen und konnten den Raum nicht finden. Heute gehören die Werke zu den wenigen in Deutschland noch erhaltenen Wandmalereien des Expressionismus.

Wenn Du heute am Hauptbahnhof in Erfurt ankommst, stehst Du gleich vor einem wichtigen Gebäude der Stadt, dem ehemaligen Hotel Erfurter Hof  in dem Willy Brandt 1970 die ersten „heimlichen“ Gespräche mit Willi Stoph führte. Doch natürlich blieb dieser erste hohe Besuch aus dem Westen nicht unbemerkt und bald schon sammelte sich die Bevölkerung Erfurts vor dem Hotel und rief „Willy ans Fenster“. Die überdimensionalen Lettern auf dem Dach erinnern an diese Begebenheit.

willy ans fenster erfurt

Neben eines Café-Restaurants befindet sich in der unteren Etage des ehemaligen Hotels auch die Tourismusinformation Thüringens, der Du unbedingt gleich zu Anfang einen Besuch abstatten solltet. Dort kannst Du nämlich mit dem eleganten Roboterarm und einer 3D-Brille nicht nur die bekannten Sehenswürdigkeiten Thüringens in 360 Grad bestaunen, sondern auch ganz unbekannte, sehr spannende Seiten dieser Gegend entdecken!

360 grad thueringen entdecken erfurt

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Infos zu Erfurt

Bauhaus – Neue Sachlichkeit:

DHV Gebäude
Am Anger 81
99084 Erfurt

Schellhorn Kaufhaus
Neuwerkstraße 2
99084 Erfurt

Sparkassen Gebäude
Am Anger 25
99084 Erfurt

AOK Verwaltungsgebäude
Augustinerstraße 38
99084 Erfurt

Hotel in Erfurt: 

Geschlafen habe ich im Hotel Zumnorde mitten in der Altstadt. Die Familie Zumnorde, die eigentlich für ihre Schuhhäuser bekannt ist, hat in Erfurt ein kleines privates Gästehaus geschaffen, mit Glockenturm und Dachgarten, einer Bierstube, in der auch ein im Haus gebrautes Bier ausgeschenkt wird und einem gediegenen Tabaksalon, der mich sofort an den Orientexpress erinnert. Die Bierstube mit dem Craft Beer habe ich leider erst am nächsten Morgen entdeckt – zu dumm! Das Restaurant kannst Du aber auch besuchen, wenn Du kein Hotelgast bist. Und wer kein Bier mag: hausgemachte Brause gibt es auch noch!

zumnorde erfurt hotel

Hotel Zumnorde
Anger 50 – 51
99084 Erfurt
(Weinstube und Biergarten sind auch über den Seiteneingang zu erreichen:)
Grafengasse 2 - 6
99084 Erfurt

erfurt Krämerbrücke

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise zu der ich von Thüringen entdecken eingeladen wurde. Die hier dargestellten Ansichten sind davon unbeeinflußt und geben wie immer ausschließlich meine persönliche Meinung wieder.