Keiner kennt sich so gut an der Nordsee aus wie Elke. Sie weiß, wie und wann die Friesen einst aus Holland hierher gekommen sind und wo es den besten Eiergrog gibt. Bei meinem kleinen Abstecher nach Nordfriesland muss ich natürlich bei ihr vorbeischauen. Mit dem Auto holt mich Elke in Husum ab, dann geht es zusammen ans Meer. Leider muss ich zugeben, dass ich bisher noch nie in Sankt Peter-Ording war. So lange ich in Hamburg gelebt habe, sind wir zwar immer mal wieder an die Nordsee gefahren, aber diese, und noch einige andere Ecken, habe ich komischerweise nie kennengelernt.

Sankt Peter-Ording

Irgendwie ist es ja oft so, dass man das, was man direkt vor der Haustür hat, am wenigsten kennt. Dieses Gefühl von „da kann ich ja immer noch hin“, treibt uns meistens weit weg in die Ferne. Dabei liegen so viele schöne Dinge direkt vor unserer Nase.

Sankt Peter-Ording

Ich hole also endlich nach, was ich jahrzehntelang versäumt habe und entdecke Sankt Peter-Ording. In der Ferne türmen sich hohe Dünen und versperren den Blick aufs Meer. Um zum Strand zu gelangen, muss ich richtig weit laufen! Eine breite Holzbrücke führt eine gefühlte Unendlichkeit in Richtung Nordsee. Ein frischer Wind weht mir um die Ohren. Es ist, als sei diese Brücke der Weg in eine andere, sehr einfarbige Welt. Die ganze Küste ist weißgrau bis sandbeige. Eine Welt aus minimalen, seichten Tönen. Selbst der Himmel und das Wasser unterscheiden sich nur in Nuancen von Grau. Es ist wunderschön!

Sankt Peter-Ording Nordsee

Sankt Peter-Ording Nordsee

Sankt Peter-Ording Nordsee

Das Meer hat eine erstaunlich beruhigende Wirkung. Die Nordsee ist nicht unbedingt einladend. Sie ist kein kleiner Badeteich, sondern ein mächtiges Meer und hält die Menschen eher auf Abstand. Respektvoll und doch völlig fasziniert blicke ich auf die Brandung. Vermutlich zieht sie einen gerade deswegen so in den Bann, weil sie so unnahbar und Respekt einflößend ist. Ich wickle mich enger in meine Jacke und ziehe mir das Halstuch über den Kopf. Der Wind weht heftig. Auch die Strandkörbe sind jetzt im Oktober schon weggeräumt.

Mitten im Sand stehen zwei Gebäude auf Stelzen. Ein Restaurant und ein Klohaus. Die Toiletten erreicht man nur über eine Treppe. Oben angekommen kann man durch die breiten Spalten zwischen den Bodendielen nach unten blicken. Ein Klo mit Aussicht!

Der Eiergrog

Nachdem wir vom Herbstwind frisch durchgepustet sind, wird es Zeit für etwas Warmes. Elke führt uns zu einer netten Schankwirtschaft. Schon der gediegene Name gefällt mir außerordentlich gut. Wir fahren ein bisschen links, ein bisschen rechts, und dann gleich hinter dem Deich, liegt die Schankstube. Eine Gastwirtschaft, die bereits seit 1600 besteht. Viele Generationen der Familie haben in diesem Häuschen schon die Gäste bewirtet.

Heute sind in den vielen kleinen Räumen des alten Bauernhauses gemütliche Sitzecken untergebracht. Kuschelige Sofas mit rotem Samt, hölzerne Tische und Stühle laden zum gemütlichen Kaffee oder Tee trinken ein. Drei Sorten selbst gebackene Kuchen warten in einer Vitrine darauf, vernascht zu werden. Die Aussicht ist … eingeschränkt. Von meinem Platz auf dem Sofa blicke ich direkt auf den Deich vor dem Fenster. Allemal die Räder eines vorbeifahrenden Autos sind zu sehen. Aber wegen des Ausblicks kommt man auch nicht hierher.

eiderstedt Schankwirtschaft Andresen eiergrog

Wir bestellen leckere Kuchen und Eiergrog. Das ist die Spezialität des Hauses, sagt Elke. Und es sei der beste Eiergrog, den man in der Gegend kriegen kann. Glas für Glas wird er nach einem uralten Rezept frisch zubereitet.

Als der hübsche Grog dann serviert wird, muss ich sofort an eine ganz spezielle Medizin meiner Oma denken. Als ich noch klein war, hat meine Großmutter mir nämlich einen schaumigen Mix aus Rotwein und Eigelb mit viel Zucker – gegen Erkältungsbeschwerden – eingeflößt. Wenn ich heute so darüber nachdenke, war das schon etwas merkwürdig, aber damals fand ich das immer sehr lecker.

Der Eiergrog hier in Nordfriesland wird natürlich nicht mit Rotwein, sondern mit Rum zubereitet. Es schmeckt fast wie eine Zabaione, dieses italienische Dessert. Und so schlürfen wir ganz gemütlich zwischen Delfter Kacheln und alten Singer Nähmaschinen sitzend unseren Grog, bis uns richtig warm ist.

Eiergrog

Husum

Am nächsten Tag entdecke ich gemeinsam mit meiner Mama das kleine Städtchen Husum. Heinz ist unser Guide, sein Spezialgebiet ist Theodor Storm. Der ältere Herr, Heinz ist immerhin schon 83 Jahre alt, führt uns auf einer kleinen Route durch die Welt des Schimmelreiters.

Husum Hafen   Husum Hafen moewe
Husum Hafen
Da es schon eine Weile her ist, dass ich den Schimmelreiter in der Schule gelesen habe, kann ich mich nicht mehr an allzu viele Details erinnern. Immer wieder zitiert Heinz den großen Dichter. Er kennt all seine Gedichte und viele Passagen der Novellen auswendig. Heinz zeigt uns den alten Viehmarkt in Husum, wo er sich als Kind ein paar Groschen verdient hat und erklärt uns die Entstehung der heutigen Nordseeküste.

Mittlerweile habe ich verstanden, warum Storm seinen Geburtsort „die graue Stadt am Meer“ genannt hat. Sicher gibt es hier im Sommer bestimmt auch schöne Tage, wenn das Meer blau und die bunten Häuser im Hafen in den schönsten Bonbonfarben leuchten. Doch an Tagen wie heute scheint Husum vollständig grau zu sein.

Husum Hafen in grau

Der Himmel hängt in grauen Tönen über den Dächern und der Blick in die Cafés und Schaufenster zeigt ebenfalls nur gedecktes Weiß, unauffälliges Grau oder maximal ein sandiges Beige. Rot oder Gelb wirkt hier fast schon schrill. Selbst die traditionellen Regenmäntel sind hier nicht leuchtend gelb, sondern schlicht weiß. Die graue Pracht hat aber definitiv auch etwas Beruhigendes. Vielleicht sind die Menschen hier im Norden deswegen so gemächlich? Sie wirken, als könnte nichts und niemand sie je aus der Ruhe bringen. Irgendwie fühle ich mich in diesem grauen Nebel sogar beschützt, fast geborgen. Hier reicht die Welt eben nur so weit, wie man gucken kann. Um den Rest muss man sich hier erst mal nicht sorgen.

Heinz zeigt uns auch einen kleinen Friedhof neben dem sich die „Kirche auf der Warft“ erhebt. Ein Denkmal erinnert an Hauke Haien. Direkt daneben liegt das Grab des tatsächlichen Deichgrafen, der Storm als Vorbild für seine dramatische Geschichte gedient haben soll. Wir umrunden Husum und gelangen schließlich an den Hafen und den großen Deich. Hier stoßen wir endlich auf bunte Farben. Still vor sich hin kauende Schafe zieren die grüne Wiese des schützenden Erdwalls.

Deich Husum

 

Storm Museum

Nachdem Heinz uns bei dem Spaziergang noch die „revolutionäre“ Bauweise der damals neuen Deiche des Stormschen Deichgrafen erklärt hat, gehen Mama und ich noch in das Storm Museum. In Husum wimmelt es praktisch an allen Ecken und Enden von Theodor Storm Gedenkstellen. Beinahe jedes Haus hat irgendwie mit dem großen Dichter zu tun. In dem einen wohnten seine Eltern, in dem anderen die Groß- oder Schwiegereltern und in wieder einem anderen hat er selbst gelebt oder gearbeitet. Mit dem sehr realistischen und menschlichen Bild, das unser Guide uns von Storm gezeichnet hat, gehen wir nun also durch die alten Räume.

Theodor Storm Musum

Theodor Storm Haus Museum Husum

Heinz hatte uns schon erzählt, dass Storm neben seiner ersten Frau Constanze noch eine andere Liebe hatte, nämlich die leidenschaftliche Beziehung zu Dorothea, die er nach Constanzes Tod dann auch als zweite Frau heiratete. Als der berühmte Dichter schon schwer krank war und an Magenkrebs litt, wollte er den gerade erst angefangenen Schimmelreiter gar nicht mehr beenden. Doch ein Freund und seine Frau hatten das Material bereits gesehen und griffen zu einer List. Sie liessen eine zweite, falsche Diagnose erstellen, nach der das Magenleiden nur vorübergehend sei und der erste Arzt sich geirrt hätte. Im Glauben an eine baldige Genesung war Storm wieder hoch motiviert und vollendete sein wohl bekanntestes Werk. Nur wenige Tage nachdem er die Geschichte über den Deichgrafen, der sich in die Fluten stürzte, an seinen Verlag geschickt hatte, starb der Dichter.

Sonst so – Tipps und Sehenswürdigkeiten in Husum

Richtig gute Tipps und Geschichten aus dem Norden findest Du natürlich auf dem Meerblog, wie zum Beispiel in dem Artikel über die Schankwirtschaft Andresen und den Eiergrog.

 husum storm

Husum Hafen Sehenswürdigkeiten

Theodor Storm Museum
Theodor-Storm-Haus
Wasserreihe 31
25813 Husum
Website: www.storm-gesellschaft.de
Eintritt für Erwachsene: 4 Euro,
Eintritt für Schüler und Studenten: 3 Euro

Storm Gesellschahft

Husum Storm

Unser Guide: Heinz Mühlenbeck
Stadtführungen – Stormführungen, Husum und Umland
hdmuehlenbeck@t-online.de

Schiffahrtsmuseum Nordfriesland
Zingel 15
25813 Husum
Website: www.schiffahrtsmuseum-nf.de
Eintritt Erwachsene 4,00 Euro
Eintritt Kinder 2,00 Euro

Das Schifffahrtsmuseum zeigt alles, was es über die Schiffe und Fischerei hier in der Gegend zu wissen gibt. Leuchttürme und ihre Signale werden genauso erklärt, wie die Entstehung der heutigen Küstenlandschaften. Denn die Nordseeküste ist eine der jüngsten Landschaften Deutschlands. Durch mehrere heftige Sturmfluten und Deichbrüche veränderte sich der Verlauf der Küste vom Mittelalter bis heute. So verschwand auch die Stadt Rungholdt in den Fluten und Husum erhielt Zugang zum Meer.

Der Schatz des kleinen Museums ist das Zuckerschiff. Ein im Schlick gefundenes Holzschiff, das dank einer Zuckerlösung, in die es jahrelang eingelegt war, haltbar gemacht und vor dem Zerfall geschützt werden konnte.

Weihnachtshaus
Westerende 46
25813 Husum

Das ganze Jahr über ist hier Weihnachten. Ein kleiner Laden, in dem bunter Kitsch für die dunkle Jahreszeit und viele niedliche Dinge, um sie an den Baum zu hängen oder zu Verschenken, angeboten werden. Oben gibt es gegen Eintritt noch eine Ausstellung zu sehen. Fotografieren verboten. Lustig: Grüne Gurken als traditioneller Weihnachtsschmuck. Dieser Brauch kommt, so die Inhaberin, angeblich aus Thüringen. Von dort ist er einst nach Amerika gelangt und kehrt nun als Kuriosität wieder zu uns zurück.

Das Ostenfelder Bauernhaus und das Nordseemuseum haben wir leider nicht mehr geschafft:

Ostenfelder Bauernhaus
Nordhusumer Straße 13
25813 Husum

Nordsee Museum Husum
Herzog-Adolf-Straße 25
25813 Husum
Website: www.museumsverbund-nordfriesland.de

Essen, Schlafen, Hin- und Wegkommen:

Künstler Café Husum

Künstler Café
Neustadt 18
25813 Husum
Website: www.künstlercafehusum.de

Sehr leckere Kuchen in großer Auswahl gibt es im Künstler Café. Dazu habe ich mir eine griechischen Bergtee bestellt: ein lustiges aber sehr wohlschmeckendes Kraut, das mit heißem Wasser aufgegossen wird (Eisenkraut).

Gaststätte Tante Jenny
Schiffbrücke 12
25813 Husum
Website: www.tante-jenny.de
Einfache Gaststätte mit einfacher Küche. Nichts besonders, aber nett und gemütlich an grauen Regentagen.

Nordsee-Hotel Hinrichsen
Süderstraße 35
25813 Husum
Übernachtet haben wir im Hotel Hinrichsen. Relativ zentral, nicht weit vom Hafen und zum Bahnhof gelegen, sauber, nicht so teuer.

Anreise:
Mit der Bahn von Hamburg aus gut und günstig erreichbar. Regionalzüge fahren den ganzen Tag über. Von Husum geht es per Bahn sogar noch weiter bis Sylt.

Husum  Husum Haus  Husum  Husum

Eiergrog Rezept

Sobald wir wieder zu Hause waren, hat meine Mama gleich das Rezept für Eiergrog gesucht und gefunden. Es ist eigentlich ganz einfach.

Zutaten pro Glas: 1 Eigelb, 4- 8 cl Rum, 100- 200 ml heißes Wasser und 1 Eßlöffel Zucker

Zubereitung: Der Eiergrog wird portionsweise zubereitet. Als Erstes musst Du das Eigelb mit dem Zucker verrühren, etwas heißes Wasser zugeben und das Ganze ordentlich schaumig rühren. Einen kleinen Moment stehen lassen, dann kannst Du  den Rum dazutun. Jetzt muss man nur noch das Glas mit dem übrigen Wasser auffüllen, fertig. Der Winter kann kommen!

Nachtrag:
Mittlerweile hat Mama sich zu einer wahren Eiergrog – Spezialistin entwickelt. Jedes Mal wenn ich sie besuche, darf ich bei ihr dieses schaumig süße Heißgetränk bestellen. Zusammengekuschelt auf dem Sofa sitzend, mit Blick nach draußen, wo es stürmt und regnet, schlürfen wir dann unseren Husum-Erinnerungsgrog. Eigentlich wird es bald mal wieder Zeit für einen neuen Ausflug in den hohen Norden. Gute Tipps für die nächste Entdeckungsreise habe ich schon in den Büchern meiner lieben Freundin Elke gefunden 🙂