Bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts war Lloret ein kleines Fischerdorf. Die meisten Fischer lebten in einem kleinen Viertel, das Venedig genannt wurde. Die einen sagen, der Name „Venedig“ komme daher, dass die engen Gassen hier oft Unterwasser standen und die Einwohner sich über Bretter und kleine Stege fortbewegen mussten. Andere hingegen behaupten, dass dieses Viertel von italienischen Fischern gegründet worden sei, die sich im vierzehnten Jahrhundert nach kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Katalanen und den Genuesern hier im Dorf niedergelassen hätten. Auf diese Fischer aus Genua sollen auch verschiedene Bräuche und Traditionen zurückgeführt werden, wie zum Beispiel die Verehrung der Santa Cristina de Bolsena.
Llaguts – die traditionellen Fischerboote Llorets
Aber egal woher das Viertel nun seinen Namen hatte, aber fest steht, dass ein ganz bestimmter Ort die Seele, das Zentrum Venedigs war, nämlich Es Tint. Die kleine Färberstube war mehr als nur ein Arbeitsplatz, sie war immer auch ein sozialer Treffpunkt. Hierher kamen die Fischer um ihre eigenen Netze zu färben oder anderen bei der Arbeit zu helfen, aber auch um zu reden oder einfach um beisammen zu sein. Floriano, ein portugiesischer Fischer hat mir mal erzählt, dass die Männer, die viele Jahre zur See gefahren sind, dazu neigen, sich auch an Land sich mit anderen Fischern zusammen zu tun. Ähnliche Erfahrungen und das harte Leben auf See schaffen wohl so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Hier in Lloret trafen sich die Seeleute jedenfalls in der Färbestube. Zur Arbeit der Fischer gehörte nicht nur das Fischen selbst, sondern auch das Instandhalten der Netze. Diese weißen Netze mussten regelmäßig geflickt und einmal im Monat gefärbt werden. Heute sind Fischernetze fast immer aus Nylon, aber früher waren sie aus weißer Baumwolle. Teilweise war wohl auch ein wenig Aberglaube dabei, wenn manche Fischer behaupteten, die Fische würden einfach nicht so gut anbeißen, wenn die Netze weiß seien. Tatsächlich aber diente das Färben der Haltbarmachung der Baumwollnetze.
Anna, die mir hier erklärt, wie das mit dem Färben funktionierte, kann das sogar beweisen. Sie hat einen Wattebausch dabei, den sie in flinken, kleinen Bewegungen zerpflückt. Einen anderen Wattebausch taucht sie in einen kleinen Behälter mit einer flüssigen, rötlichen Farbe. Den durchtränkten Wattebausch zu zerreißen erfordert nun plötzlich richtig viel Kraft! „Das Geheimnis ist die Pinienrinde“, erklärt Anna das anschauliche Experiment. Denn mit der fein gemahlenen Baumrinde der Pinien färbten damals auch die Fischer.
In einem großen Bottich wurden die weißen Netze eine ganze Nacht lang in einem Sud aus gemahlener Pinienrinde und Wasser gekocht. Die rötliche Farbe der Baumrinde zog so richtig gut ein. Dann wurden die Netze ausgespült, ausgewrungen und am Strand zum Trocknen ausgelegt. Einmal gefärbt, waren sie durch diese Behandlung viel reißfester. Gleichzeitig waren sie unter Wasser auch noch unauffälliger, besser an die Farben des Meeres angepasst, als in dem doch relativ hell leuchtendem Weiß. Der einzige Nachteil des Färbens mit Baumrinde war, dass diese Prozedur alle paar Monate wiederholt werden musste.
Bis in die fünfziger Jahre hinein funktionierte Es Tint als Färbestube und Treffpunkt der Fischer. Während damals noch rund hundertfünfzig Familien vom Fischfang lebten, waren es 2012 nur noch zehn. „Heute sind es sogar nur noch drei“, sagt Anna und klingt fast ein wenig wehmütig. Der Beruf der Fischer ist in Lloret praktisch schon ausgestorben.
Denn mit dem Auftauchen der Nylonetze in den fünfziger Jahren war Es Tint bald überflüssig. Niemand musste mehr in diesem aufwendigen Prozess seine Netze färben und Jahr für Jahr fuhren weniger Männer aufs Meer hinaus um Fische zu fangen. Irgendwann wird Es Tint dann schließlich geschlossen. Man nutzte den Raum als Stall als Lager und sogar als Wohnraum. Erst 2012 erinnerte sich jemand bei Aufräumarbeiten an die ursprüngliche Funktion all der Becken und Feuerstellen und so wurde hier ein kleines Museum eingerichtet.
Infos Es Tint:
An der ganzen Küste ist Es Tint ziemlich einmalig. Also fast jedenfalls. Nur in Palafrugell soll noch eine ähnliche Färbestätte erhalten geblieben sein. Die befindet sich im Touristenbüro von Calella de Palafrugell und nennt sich dort Sa Perola.
Es Tint
Carreró de Sant Miquel, 2
17310 Lloret de Mar
Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips, zu dem ich von Lloret Turisme eingeladen wurde.
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