Es ist Februar, doch der Frühling fängt schon im Winter an. Ich habe mein Saatgut bereits in vielen recycelten Pappformen und kleinen Dosen ausgesät. Die Sprösslinge der Tomaten genießen die warme Sonne und auch die Paprika sprießen langsam. Wenn sie eines Tages so groß sein werden, dass sie draußen, im echten Leben Wind und Wetter überstehen können, wenn es wirklich Frühling geworden ist, und keine Frostgefahr mehr besteht, dann kommen sie in den Garten.
Paprika -Sprößlinge
Erst vor ungefähr zwei Jahren habe ich meinen grünen Daumen entdeckt. Es macht einfach mega viel Spaß mit den Pflanzen zu „spielen“. Man kann sie essen, mit ihnen würzen oder sogar dekorieren. Angefangen hat es damit, dass ein Freund meiner Eltern zu Besuch war. Bei einem gemeinsamen Spaziergang kamen wir an einem Hibiskus mit prächtigen lila Blüten vorbei. Er knipste einfach einen kleinen Zweig ab und erklärte mir “Guck, wenn du diesen Zweig hier zwei bis drei Wochen lang in Wasser steckst, dann wächst daraus ein neuer Hibiskus!”.
Granatapfel- Sprößling
Das habe ich dann auch ausprobiert. Und tatsächlich, nach einigen Wochen wuchs eine kleine weiße Wurzel an meinem Zweig. Mit diesem ersten Ableger hatte sich mir eine neue Welt aufgetan. In Naturkunde habe ich nicht gelernt, dass man Pflanzen auch auf diese Weise vermehren kann. Ich wusste nur, dass es bei Seesternen funktioniert, wenn sie einen Arm abwerfen, aber nicht, dass man Pflanzen auch so multiplizieren oder auch kreuzen kann, indem man einen Zweig an einer fremden Pflanze anbringt.
Vielleicht ist es generationsbedingt. Meine Generation weiß, wie man photoshopt, tindert, tumblert, und auf TikTok tanzt. Wir folgen uns gegenseitig auf Instagram, schicken uns DMs, aber wissen nicht, ob Kiwis auf einem Baum oder an einem Busch wachsen. Oder eine Paprika. Die meisten Pflanzen kennen wir nur aus dem Gemüseregal. Da sind sie alle glatt und glänzend, fleck- und faltenlos. Aber wie, wann und wo das Gemüse heranwächst… Keine Ahnung! Ich frage mich ernsthaft, wie es passieren konnte, dass sich unsere Gesellschaft so sehr von der Natur und ihren natürlichen Zyklen entfernt hat.
Cilantro – Koriander
Ich hatte jedenfalls genug davon und wollte mehr wissen. Also habe ich mich dazu entschlossen, diese “Wissenslücke” selbst zu “füllen”. Mit dem Ableger des Hibiskus, der heute übrigens schon 2 Meter hoch ist, habe ich angefangen und ihn eingepflanzt. Danach habe ich von allen möglichen Pflanzen Zweige abgeknipst und sie ins Wasser gesteckt. Inzwischen weiß ich, dass dieser Trick nicht mit jeder Pflanze funktioniert. Wahrscheinlich habe ich mehr aus dem gelernt, was nicht geklappt hat, als aus den Experimenten, aus denen etwas geworden ist. Aber dafür bin ich dann mega happy.
Seit letztem März haben wir ein kleines Stück Acker gemietet, auf dem wir seitdem unser eigenes, frisches Gemüse anbauen. Das Schöne am Garten ist die Gemeinschaft. Die Parzellen liegen alle nebeneinander, sodass man immer jemandem dort trifft. Man kann sich austauschen und fragen. Besonders die Älteren freuen sich, wenn sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben können. Und ich freue mich, wenn ich etwas lerne.
Es macht unendlich viel Spaß, die Hände in die Erde zu stecken, den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen, zu beobachten, wann und wie sich kleine Wurzeln verästeln. Dabei zu sein, wenn die ersten Knospen schüchtern anfangen, ihre Blätter zu zeigen. Diese kleinen Fallschirmchen, die die Samen der Pusteblumen, vom Wind forttragen lassen sind doch ein mega cleveres packaging-Design von Mutter Natur, oder? Es macht mich glücklich, wenn die ersten Blüten kommen und pummelige kleine Bienen anlocken. Und wenn daraus kleine Früchte heranwachsen. Richtig cool ist es, wenn man dann im Sommer mit einem Korb voll frischem Gemüse aus dem Garten nach Hause kommt.
Natürlich haben wir viele Anfängerfehler gemacht, wie zum Beispiel, viel zu viel von einer Sorte anzupflanzen. Letztes Jahr kam ich eine Zeit lang jeden Tag mit zwanzig Gurken nach Hause. Der Kühlschrank war voll und wir haben täglich neue Rezepte ausprobiert. Alle Nachbarn wurden mit Gurken versorgt, bis wir sie einfach nicht mehr sehen konnten. Nächstes Jahr pflanzen wir definitiv wieder Gurken, aber weniger! Man lernt eben dazu.
Was mich am meisten motiviert, ist das Gefühl von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, das man beim Gärtnern bekommt. Wenn ich aus der eigenen Ernte die Samen für das nächste Jahr sammele, schließt sich ein Kreislauf. Denn wenn ich die dann später aussäe, ist der Zyklus komplett, ohne dass ich etwas gekauft habe. Es ist heute einfach extrem wichtig, nachhaltig zu denken. Wenn man sich bewusst wird, dass man aus dem Obst und Gemüse, das man selbst gepflanzt hat, wieder etwas Neues machen kann, fühlt man sich sehr unabhängig, so als könne man alles überleben.
Ich kann es gut verstehen, dass Leute, die in einer winzigen Stadtwohnung leben und von grauem Asphalt umgeben sind, sich auf dem Balkon eine grüne Oase einrichten. Sich mit Grünpflanzen zu umgeben, beruhigt einfach. Kein Plastik und kein Beton, sondern eine natürliche, lebendige Substanz, die wächst, atmet und sich vermehrt. Auch die fraktalen Formen der Natur, wie die sich immer wiederholenden geometrischen Formen die zusammen eine neue ergeben, wie bei einem Romanesco-Blumenkohl, sollen ja einen beruhigenden Einfluss auf uns haben. Gerade Linien sind wohl eher eine Erfindung des Menschen und kommen in der Natur gar nicht vor.
Vor ein paar Jahren habe ich noch vage davon geredet, mir einmal die Zeit zu nehmen, um “einer Blume beim Wachsen zuzusehen”. Heute mache ich genau das tatsächlich jeden Tag, sobald ich meine Tasse Kaffee am Morgen in der Hand halte. Ich gehe von Pflanze zu Pflanze und begrüße die neuen Sprösslinge. Im Grunde genommen finde ich, dass es beim Gärtnern hauptsächlich um Achtsamkeit geht.
Ich glaube, dass auch spätestens durch Corona vielen Menschen die Nähe zur Natur wieder wichtiger geworden ist. Deswegen würde ich dich gerne dazu einladen, vorausgesetzt du hast die Lust und Laune dazu, dabei mitzumachen, die Natur um dich herum ein bisschen näher zu betrachten. Sei es, indem du beim nächsten Spaziergang schaust, welche Bäume kleine Knospen haben, oder indem du dir darüber Gedanken machst, wie, wo und wann das Obst und Gemüse aus deinem Kühlschrank gewachsen sein mag.
Gefällt mir sehr, dass so viele junge Menschen wieder das Bewusstsein für
die Natur entdecken.
LG
Wielecker, wie schön, wie nachhaltig!
Ich traue hier dem Moorburger Acker nicht. Vielleicht ein Hochbeet?
oh wieso denn nicht? Hochbeet ist auf jeden Fall eine super Idee!
Ich habe mir aus einer Palette auch ein kleines Beet gebaut für die Terrasse hinten:)
Lina
Ein wunderschöner Artikel! Liebe Grüße aus Apulien (wo gerade die Favabohnen im Garten blühen:-)) Claudia
Danke Dir Claudia! 🙂 Es lebe die #Gartenliebe
Bei uns auch!! 🙂 Ich habe nur ein kleines bisschen Angst wegen Blattläusen, die scheinen die auch zu mögen… Irgendwelche Tipps?
Huerto!!!
Einfach nur schön.
🙂