Jeder der schon mal in Barcelona war, kennt die Pedrera, den zur Jahrhundertwende als “Steinbruch” verspotteten Entwurf Gaudís. In und auf der Casa Milà, wie sie ganz offiziell heißt, findet in diesem Sommer eine besondere Ausstellung statt, La Poesia del Silenci, in der die Werke des katalanischen Künstlers Jaume Plensa vorgestellt werden.
Wer ist Jaume Plensa?
Jaume Plensa ist einer der bekanntesten katalanischen Künstler der Gegenwart. Seine Plastiken finden sich in der ganzen Welt, von Paris über Chicago bis Singapur. Die Ausstellung in der Pedrera ist nicht die erste in Barcelona. Vor einigen Jahren fand bereits eine große Exposition im MACBA statt. Außerdem sind vor dem Palau de la Música und an vielen anderen Plätzen seine Skulpturen kostenlos im Freien zu bewundern. In Barcelona kann man die Kunstwerke des Katalanen bei einem Spaziergang* bewundern. Denn ein wichtiges Thema, auf das Jaume Plensa in Interviews immer wieder zu sprechen kommt, ist die Kunst im öffentlichen Raum.
Dabei geht es ihm nicht darum, dass ein Objekt an sich schön zu sein hat, sondern darum, dass seine Kunst den Raum, bzw. seine Umgebung verschönert, verbessert und belebt. Plensa ist es wichtig, erlebbar, anfassbar zu sein, wie seine Installation Crown Fountain, die von den Einwohnern Chicagos gelebt wird, besonders gut zeigt.
Was aber macht nun sein Werk aus? Worum geht es Plensa, dessen riesige Köpfe und durchscheinende Figuren im Gedächtnis bleiben? Ich muss zugeben, dass ich mich dank der Ausstellung zum ersten Mal näher mit diesem in Barcelona allseits bewunderten Künstler auseinandersetze – denn die Ausstellung hat mich wirklich begeistert. Zusammen mit meiner Freundin Céline, mit der ich in den letzten zehn Jahren schon viele Museen in Barcelona besucht habe, sehe ich mir die Poesia del Silenci in der Pedrera an.
Zu den ersten Werken, auf die man stößt, gehört eine Version von Plensas Sitting Tattoo Skulpturen. Der Audioguide erläutert die Idee dahinter: Das Leben selbst sei der größte Tätowierer, denn es hinterlässt seine Zeichnungen auf unseren Körpern. Und manchmal haben wir das Glück, jemanden zu treffen, so Plensa, der unsere Tattoos lesen kann.
Ein Vorhang aus in der Luft schwebenden Lettern nennt sich Song of Songs. Doch ein Buchstabe allein sagt noch nicht viel aus. Zusammen mit anderen Buchstaben kann er jedoch Bilder und Gedanken formen. Wer genau hinsieht, kann die Schattenbuchstaben lesen und sie zu Wörtern und Texten zusammensetzen. Etwas weiter sind einzelne kleinere Gegenstände zu sehen, die ebenfalls mit Buchstaben spielend, Gefühle oder Zustände ausdrücken. Das Spiel mit Licht und Schatten, das Verknüpfen von Buchstaben, das er den Betrachtenden überlässt, übt eine ganz eigene Faszination aus. Man wird gezwungen, genauer hinzusehen und ist schnell gefangen von der Ausdruckskraft seiner Werke.
Besonders schön ist Grace, eine überdimensionale, sitzende Figur, bei der es kein Innen und Außen gibt, keine schützende Haut. Hier spielt Plensa nicht nur mit lateinischen Buchstaben, sondern mit unterschiedlichen Schriften, Zeichen und Symbolen. Für ihn sind Lettern nicht nur jeder für sich einzigartig und schön, sondern sie stehen auch für Diversität, für verschiedene Kulturen und Lebenswelten. In Verbindung mit anderen Buchstaben bzw. Symbolen können sie so viel mehr vermitteln, als allein stehend.
Zwei Frauenköpfe, die Flora, dem vor der Pedrera aufgestellten Kopf, ähnlich sehen, stehen sich gegenüber. Ein anderer Frauenkopf hält einen Zeigefinger vor die Lippen, als ob sie Psst! sagen wollte: Silenci!
Jaume Plensa ist ein Dichter, der nicht mit Texten, sondern mit seinen Skulpturen Poesie erschafft. Wörter sind für ihn ein Grundstoff, ein Material wie Eisen, Holz oder Stein. Er spielt mit einzelnen Buchstaben, die er, statt sie in Abhandlungen auf Papier zu bringen, in Figuren, Gegenständen und Installationen, Gedanken und Gefühle übermitteln lässt. Es ist unglaublich, wie er mit Licht und Schatten spielend, ganz unterschiedlichen Materialien Leben einhaucht. Man merkt, wie wichtig Plensa Worte und Literatur sind, aber er hat einen ganz eigenen Weg gefunden, Poesie plastisch darzustellen.
Um das In-Sich-Gekehrte, die Idee der inneren Betrachtung auszudrücken, haben die Skulpturen Plensas fast immer geschlossene Augen oder werden in hockender, beinah fötaler Position dargestellt, verrät uns der Audioguide. Er liebt es, mit Gegensätzen zu arbeiten, mit Brüchen, aus denen Neues hervorgeht. Es sind die Kontraste, die uns helfen zu wachsen. Ohne sie würden wir gar nicht existieren. Für Jaume Plensa kann und soll Kunst Fragen stellen, nur so kann sie helfen, die Welt um uns herum zu verstehen.
„Poesia del Silenci“ – Jaume Plensa:
Die „Poesia del Silenci“ geht noch bis zum 23. Juli 2023. Man kann entweder ein Ticket nur für die Ausstellung im ersten Stock oder ein Kombiticket für die Ausstellung + einen Besuch der Pedrera kaufen. Das zweite ist natürlich teurer, aber hat den Vorteil, dass man auch die im Haus und auf dem Dach verteilten Werke Plensas sehen kann, die im Eintrittspreis der Exposition leider nicht enthalten sind (… und die ich daher nicht gesehen habe).
Eintritt Ausstellung : 12 Euro
Eintritt Ausstellung + Pedrera: 33 Euro
Website Jaume Plensa: Poesia del Silenci
*Die Route, auf der man Plensas Werke im öffentlichen Raum findet, kann man sich über den QR Code mit dem Audioguide der Ausstellung (auch auf Englisch verfügbar) auf das Smartphone laden. Den Audioguide findet Ihr auf der Website der Fundació La Pedrera:
Website Fundació La Pedrera fundaciocatalunya-lapedrera.com
Céline hat ihre Eindrücke vom Besuch der Ausstellung auf www.museos.com ganz ausführlich geschildert.
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