Das Museu d’Art Prohibit ist einer sehr speziellen Kunstsammlung gewidmet. Gezeigt werden moderne und zeitgenössische Installationen und Skulpturen aus aller Welt, aber auch Gemälde und Zeichnungen berühmter Klassiker wie Francisco Goya, Gustav Klimt oder Pablo Picasso. So unterschiedlich die hier gezeigten Werke auch sind, allen gemeinsam ist die Tatsache, dass sie aus Ausstellungen, Galerien oder Museen verbannt wurden. Was in diesem Museum Säle füllt und an den Wänden hängt, will nicht schön sein oder gefallen. Viele Exponate provozieren, schockieren, wollen Aufmerksamkeit. Schnell wird klar, dass „Zensur“ kein Problem vergangener Jahrhunderte ist, sondern alle Kulturen betrifft.

goya zensurLos Caprichos – Francisco Goya

Gleich im Eingang erwartet mich „Der Zuschauer der Zuschauer“, die personifizierte Darstellung der franquistischen Zensur. Bei einem avantgardistischen Kunstfestival in Pamplona 1972 erweckten diese im Publikum platzierten Figuren der grauen Schergen der Diktatur den Unmut der Menschen. So viel Wut und Hass entluden sich auf diese Symbole des Franco-Regimes, dass die Spione letztendlich vor den Attacken der Zuschauer geschützt werden mussten.

der zuschauer museu art prohibit barcelonaEl espectador de los espectadores

Im lichtdurchfluteten Treppenaufgang des modernistischen Gebäudes blicke ich in ein strenges, aber auch leuchtendes Augenpaar, das den Blick scheinbar direkt auf mich gerichtet hält. In traditionell afrikanisch anmutende Stoffe gewandet, zeigt Zanele Muholi in ihren beeindruckenden Fotos vornehmlich schwarze, lesbische Frauen und Transfrauen aus Südafrika. Das Anliegen der nonbinären Fotografin ist es, den Menschen Sichtbarkeit zu geben, die gleich mehrfach aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden: wegen ihres Geschlechts als Frau, wegen ihrer Hautfarbe und wegen ihrer sexuellen Orientierung. Nicht nur in Südafrika riskieren Personen, die ihre Identität offen ausleben, täglich beschimpft und körperlich angegriffen zu werden.

Zanele Muholi Fotos LGTB+ Lena, London

Viele Ausstellungsstücke provozieren mit sexualisierten Darstellungen einflussreicher Persönlichkeiten. Die auf diese Weise ridikülisierten Revolutions- und Religionsführer, Politiker und Könige, beziehungsweise ihre einflussreichen Gläubigen, Fans oder Anhänger, sorgten dafür, dass diese „schockierenden“ Werke aus Galerien und Museen entfernt wurden. Doch nicht nur umstrittene Persönlichkeiten können sich durch Kunstwerke verletzt oder provoziert fühlen. Auch in Ländern, in denen Meinungsfreiheit herrscht, können verletzte religiöse Gefühle zu einem Verbot führen, wie die Zensur der Installation Silence Rouge et Bleu zeigt.

Silence Rouge et bleu Barcelona

Die Gebetsteppiche, in deren Mitte jeweils ein Paar glitzernder Stöckelschuhe platziert wurde, wirken auf den ersten Blick zwar provokant, aber nicht so schockierend wie andere Ausstellungsstücke. Bedenkt man den Kontext, in dem das Werk aus einer Galerie entfernt wurde, wird schnell klar, was zur Ablehnung führte. Im Januar 2015, kurz nachdem bei den Anschlägen auf Charlie Hebdo in Paris zwölf Menschen gestorben waren, weil die satirische Zeitung Karikaturen Mohammeds veröffentlicht hatte, sollte in Clichy eine Ausstellung zur Infragestellung des Frauenbildes unterschiedlicher kultureller Identitäten stattfinden. Die für diesen Rahmen vorgesehene Installation Silence Rouge et Bleu wurde zwei Tage vor der Eröffnung aus der Ausstellung entfernt.

Anders erging es dem Werk Cajita de fósforos, von dem sich christliche Kirchen bedroht fühlten. In einer Ausstellung in Madrid 2014 sorgten Streichholzschachteln mit der Aufschrift “nur eine brennende Kirche erleuchtet”, die sich auf den Ausspruch des Anarchisten Buenaventura Dutti bezogen, für Aufruhr. Kirchliche Gruppierungen und ihre Anwälte forderten ein Verbot und bedrängten den Direktor des Museums Reina Sofia. Doch im Gegensatz zu Silence Rouge et Bleu wurden die Zündhölzer nicht entfernt.

MCjesus Museu art prohibit BarcelonaMcJesus

Oft verletzen gesellschaftskritisch gedachte Kunstwerke nicht nur religiöse Gefühle, sondern werfen schlicht und einfach politische oder ökonomische Interessenkonflikte auf. Beim Anblick des gekreuzigten Ronald McDonald, der anstelle einer Christusfigur am Kreuz hängt, steht die Frage im Raum, ob sich unsere Konsumkultur längst zu einer neuen Religion entwickelt hat. Verstörender wirkt ein ebenfalls zensierter Auftritt des Fastfood-Konzerns in der Videoinstallation eines mexikanischen Künstlers.

In Freedom Fries zeigt die Kamera eine nackte, schwer übergewichte Frau auf dem Tisch eines McDonald Restaurants liegend, während im Hintergrund ein Fensterputzer ungerührt seiner Arbeit nachgeht. Für mich persönlich ist dies das am schwersten zu ertragende Exponat der Ausstellung, weil die als Sozialkritik gedachte Installation den Körper einer Frau entmenschlicht und als fleischigen Berg darstellt.

Einige Kunstwerke sind schrill wie die Serie X-Portfolio, sadomasochistische Fotografien, mit denen Robert Mapplethorpe in den achtziger Jahren Amerika schockierte. Andere Künstler wollen durch den Einsatz von Urin oder Sperma in ihren Bildern einen Aufschrei bewirken.

not dressed for conquering museu art prohibit barcelonaNot dressed for Conquering 

Die Figuren der österreichischen Künstlerin Ines Doujak Not Dressed for Conquering erinnern an die bunten Umzugswagen der Rosenmontagsumzüge. Doch nicht nur in Brasilien, sondern auch bei einer Ausstellung in Barcelona sorgte das Werk für Wirbel, weil die penetrierte Person dem zurückgetretenen spanischen König ähnlich sieht.

Neben dem Foto Zanele Muholis im Eingang hat mich besonders eine Skulptur beeindruckt, die auf eine ganz leise Art skandalös ist. „Die Trostfrau“ zeigt ein friedlich auf einem Stuhl sitzendes junges Mädchen und erzählt in einer erschütternden Schlichtheit die aufrührende Geschichte junger Frauen, die von japanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg entführt und zur Prostitution gezwungen wurden. Selbst 2019 fühlte sich ein Teil der japanischen Öffentlichkeit von diesen Girls of Peace dermaßen bedroht, dass sie aus einer Ausstellung entfernt werden mussten. Die Skulptur steckt voller  leiser Symbole und ist stiller Schrei nach Aufarbeitung der Geschichte. Denn die meisten dieser Frauen sind inzwischen verstorben, ohne dass das Unrecht, das ihnen geschah, anerkannt wurde. Sexuelle Gewalt muss immer, auch im Krieg, verboten sein.

trostfrauen Museu art prohibit barcelona

Die Sammlung regt durch die oft brutale Direktheit der Installationen, Bilder und Filme zum Nachdenken an. Viele Inhalte können irritierend, verstörend oder schockierend wirken und werfen eine Frage auf, die jeder für sich selbst klären muss: Wie sensibel oder tolerant bin ich eigentlich? Gibt es für mich eine Grenze zwischen Kunst, Satire und banaler Geschmacklosigkeit? Manchmal scheint die Provokation das einzige Mittel, die Menschen wachzurütteln, ihnen die Ignoranz, Arroganz, Ungerechtigkeit und Brutalität unserer Gesellschaft als einen hässlichen Spiegel vorzuhalten.

Es geht um Kunstfreiheit, um Meinungsfreiheit, um das Anprangern von Unrecht, um Sichtbarkeit, um Gerechtigkeit, um das Recht auf Unversehrtheit. Es geht nicht nur um Kunst, es geht um mehr.

queer zensur

Infos zum Museu d’Art Prohibit

Der Journalist und Geschäftsmann Tatxo Benet, mit bürgerlichem Namen Josep Maria Benet Ferran, legte mit seiner Kunstsammlung den Grundstein des Museums. Außer dem gezeigten Inventar ruhen im Archiv noch mehrere Hundert Kunstwerke, die in zukünftigen Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Das Museum befindet sich in einem der zahlreichen modernistischen Paläste der Eixample, der Casa Garriga Nogués.

Museu d’Art Prohibit
Carrer Diputació, 250
08007 Barcelona
offizielle Website 

Eintritt Museu d’Art Prohibit: 
Am Schalter kostet ein Ticket 14 Euro (regulärer Eintrittspreis). Kauft man das Ticket online spart man 2 Euro, denn auf der Website beträgt der Preis nur 12 Euro.

Öffnungszeiten:
Das Museum ist Mo-So von 10 bis 20 Uhr geöffnet.

Hinweis: Neben den Informationstafeln der Kunstwerke liefert ein QR-Code ausführliche Hintergrundinformationen zum Kontext der einzelnen Exponate direkt aufs Handy. Die Applikation des Museums lädt sogar zu einem Spiel ein, sich noch weiter mit dem Thema Zensur auseinanderzusetzen und nach dem Besuch der Ausstellung zu überprüfen, wie man ganz persönlich mit dem Thema Zensur umgeht.

Einen sehr guten Bericht von Julia Macher findest Du auf Deutschlandfunkkultur.de. Mehr zu dem Projekt der Trostfrauen gibt es auf dieser Website: trostfrauen.de/friedensstatue/

arbeit macht frei zensur