Ein Geheimtipp ist auch Olhão nicht mehr, aber der kleine Ort an der östlichen Algarve hat es bis heute geschafft, seinen dörflichen Charme zu bewahren. Die vorgelagerte Ria Formosa, die Lagune mit den Inseln Culatra und Armona, hat lange Zeit dafür gesorgt, dass sich sonnen- und strandhungrige Tourist:innen an den leichter zugänglichen Stränden im Westen der Algarve sammelten. Nur samstags, wenn Markttag in Olhão ist, dann füllen sich auch hier die Straßen und Gassen mit Menschen.

Fischmarkt
Bis heute ist der Hafen von Olhão der größte der Algarve, auch wenn die Fischindustrie seit der Erfindung des Kühlschranks und durch die Billigkonkurrenz aus afrikanischen Ländern schwer gelitten hat. Michi und ich sind hier im Hafen mit Lina Santos verabredet, die uns den Fischmarkt und ihren Heimatort zeigen will. Wir treffen uns in einem der Cafés vor den hübschen Markthallen und trinken erst einmal Café, bzw Chai, denn morgens um acht ist es auch im Sonnenschein noch ziemlich kalt. Lina kennt sich bestens aus und spricht perfekt Deutsch. Seit einer gefühlten Ewigkeit ist sie in Olhão zu Hause. Es ist November und Weihnachten steht quasi schon vor der Tür. Während wir über den Markt bummeln und all die verschiedenen Fische bestaunen, die hier frisch gefangen zum Kauf angeboten werden, erzählt Lina uns von einem ganz speziellen  Weihnachtsgericht, das bei ihren Eltern, und vielen anderen Familien, an den Feiertagen auf den Tisch kommt: der Litão.

Fischmarkt Olhão Markthalle

Litão ist eigentlich ein Katzenhai. Ich wusste gar nicht, dass man den überhaupt essen kann. Kann man, versichert Lina, und er sei sogar sehr lecker. An einem der Fischstände vor uns wird er angeboten, allerdings getrocknet und kaum als Fisch zu erkennen. Während in anderen Teilen Portugals an Weihnachten traditionellerweise Bacalau, erklärter Lieblingsfisch portugiesischer Haushalte, serviert wird, gibt es hier eben getrockneten Katzenhai. Der ist immerhin ein einheimischer Fisch und musst nicht erst – wie der Kabeljau – von weit her importiert werden. Das macht ihn günstiger und für alle erschwinglich. Obwohl sich heute vermutlich alle Bacalau leisten könnten, halten viele Familien an dem Litão zu Weihnachten fest. Lina schwört auf das Rezept ihrer Mutter, für das der eingeweichte Trockenfisch mit Paprika, Zwiebeln und Kartoffeln zubereitet wird.

markt Olhão

Mittlerweile haben wir die Fischhalle hinter uns gelassen und sind in der Obst- und Gemüsehalle angelangt. Die ziemlich nagelneu aussehenden Markthallen wurden schon 1916 gebaut und stehen auf über 80 Pfählen, die tief in den Untergrund gerammt wurden. Die schönsten Verkaufsstände sind aber die der kleinen Bauern vor den Markthallen. Aus der ganzen Umgebung reisen die Leute an, um hier am Samstag ihr Obst und Gemüse zu verkaufen. Außer knackigen Tomaten, Kartoffeln und bunter Paprika in allen Größen und Schärfegraden, die an Schnüren aufgefädelt verkauft werden, gibt es hier Cherimoyas, Kakis, und andere bunte Früchte.

Bom Succeso

Direkt vor den Markthallen schwimmt ein hübsches altes Boot an einem Steg. Es ist der Nachbau eines ganz besonderen Schiffs, auf das die Menschen in Olhão sehr stolz sind, wie uns Lina erklärt, es ist die Bom Succeso. Und natürlich erzählt sie uns auch die Geschichte des Bootes und der heldenhaften Fischer. Als sich nämlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts napoleonische Truppen anschickten, auch die Algarve zu erobern, musste der durch Zwist und Intrigen der europäischen Herrscherfamilien eh schon geschwächte König von Portugal nach Brasilien fliehen. Dom João VI beherrschte damals nämlich nicht nur Portugal, sondern auch die überseeische Kolonie Brasilien.

Olhão BomSucceso

Und so schlugen eines schönen Tages im Jahre 1808 die französischen Streitkräfte ihr Lager in Quelfes, ganz in der Nähe von Olhão auf. Die Fischer aus Olhão sahen gar nicht ein, sich den überlegenen Truppen kampflos zu ergeben und griffen das Lager des Nachts an. Die Soldaten waren so überrascht, dass sie schließlich die Flucht ergriffen. Von dem Erfolg der Fischer motiviert, wagten auch die Menschen in Lagos, Faro und Loulé den Franzosen Widerstand zu leisten. Und sie waren erfolgreich. Die Algarve hatte sich von Napoleon nicht bezwingen lassen. Der kleine große Feldherr zog seine Männer ab und Portugal jubelte.

Um Dom João VI, der noch immer in Brasilien weilte, die gute Nachricht vom Sieg, der ja seine Rückkehr ermöglichte, zu überbringen, stachen 17 mutige Männer mit einem traditionellen Fischerboot in See. Mit einem kleinen Caíque machten sie sich am 9. Juli von Olhão aus auf den gefährlichen Weg über den Atlantik. Erst nach mehreren, entbehrungsreichen Wochen auf See, erreichten sie am 24. September sie Brasilien. Dort angekommen, war der König so froh über die Nachricht des Sieges gegen die Truppen Napoleons, dass er dem Städtchen Olhão einen Ehrentitel verlieh. Von nun an durfte sich der kleine Fischerort Olhão da Restauração nennen, die Stadt, die den Frieden und die Ordnung wiederhergestellt hat.

Der 16. Juni, der Tag der Schlacht bei Quelfes 1808, an dem die Fischer die Franzosen besiegten, wurde zum offiziellen Feiertag Olhãos erklärt. Und seit ein paar Jahren schaukelt der originalgetreue Nachbau des kleinen Bootes, mit dem die Männer über den Atlantik segelten, im Hafenbecken. Nomen est Omen, denn der Name „Bom Sucesso“ bedeutet so etwas wie viel Erfolg.

Der Legendenweg – O Caminho das Lendas

Vom Hafen aus spazieren wir mit Lina durch das ehemalige Fischerviertel. Damit die vielen Sagen und Legenden, die die Menschen sich hier seit Jahrhunderten erzählen, nicht in Vergessenheit geraten, hat die Stadt einen Caminho das Lendas, den Weg der Legenden eingerichtet. Auf mehreren Plätzen des Bairro da Barreta wurden Skulpturen aufgestellt, die die alten Geschichten in Erinnerung rufen. Lina kennt natürlich alle Sagen und hat schon als Kind mit großen Augen auf dem Schoss ihrer Großmutter den alten Geschichten gelauscht.

Olhão fischerviertel
Da ist zum Beispiel die Legende der nordischen Prinzessin, die einen maurischen Kalifen geheiratet hatte. Eines Tages bekam sie Heimweh und sehnte sich nach den kühlen, weißen Schneelandschaften des Nordens. Weil der Kalif seine Frau so sehr liebte, dass er es nicht ertrug, sie traurig zu sehen, kam ihm eine Idee. Schnell ließ er überall in seinem Reich Mandelbäume pflanzen. Als die Bäume zu knospen begannen und die Landschaft sich in ein Meer aus weißen Blüten verwandelte, zeigte er der Prinzessin die strahlende Pracht. Die fiel ihm glücklich um den Hals und erfreute sich so sehr an dem schönen Anblick, dass sie alles Heimweh vergaß.

Olhão legendenweg

Es ist wirklich spannend, mit Lina durch die wunderschönen, engen Gassen des verwinkelten Fischerviertels zu bummeln und dabei ihren Erzählungen von verzauberten Prinzessinnen, mutigen Riesen und verhexten Kindern zuzuhören. Wie so oft geht es in den alten Geschichten nicht zimperlich zu. Raue Sitten waren das früher und nicht alle Geschichten haben ein Happy End. Besonders trauig ist die Legende der armen Floripes, einer schönen blonden Maurin, die ihre Familie verloren hatte und versuchte, die Fischer zu betören, damit sie sie in ihre Heimat übersetzten.

Olhão Floripes legendenweg

Nicht ganz so deprimierend ist die Sage des Atlantiden Arraúl, einem Sohn des Wächters der untergegangenen Stadt Atlantis. Arraúl überlebte als einer der Wenigen die Katastrophe, die seine Stadt heimgesucht hatte, und wurde in Olhão an Land gespült. Sofort verliebte sich der Riese in die schöne Landschaft. Um seine neue Heimat zu schützen, schuf er die Ria Formosa und die Inseln vor der Küste, damit Olhão niemals, wie Atlantis, von den Fluten überspült werden konnte.

Olhão Legendenweg Arraul

Es ist wirklich aufregend und macht viel Spaß mit Lina durch die verwinkelten Gassen des Viertels zu bummeln. Auch wenn all diese Legenden erfunden sind, haben viele von ihnen einen kleinen, wahren Kern. Die Ria Formosa und die vorgelagerten Inseln schützen die Stadt tatsächlich vor Sturmfluten, aber entstanden sind sie vermutlich eher bei dem großen Erdbeben, als durch die Hand des Atlantiden. Und die maurischen Eroberer, die zwischen dem 8. und dem 13. Jahrhundert an der Algarve herrschten, brachten neben den Mandel- und Orangenbäumen auch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem mit auf die Iberische Halbinsel.

Casa Sete estrelas
In einer kleinen Gasse des Fischerviertels, führt Lina uns in eine unauffällige Taverne. Drinnen dominieren große Eichenfässer den kleinen Raum. Als Mobiliar dienen drei große Holztische und einfache kleine Hocker. Ein paar Männer undefinierbaren Alters, raubeinig und wettergegerbt, stecken hier ihre Köpfe über einem Glas Wein oder Bier zusammen. Das Gebäude, in dem die Besatzung der „Sieben Sterne“, früher ihre Netze färbte und flickte, wurde irgendwann verkauft. Ein Portugiese aus dem Norden richtete die Kneipe ein und das Sete Estreles wurde zum Treffpunkt der alten Fischer.

petiscos Olhão

Früher gab es in Olhão viele solcher Kneipen, in der die Männer sich trafen, um vor oder nach der harten Arbeit auf See oder in der Fischfabrik ein Gläschen in der Gesellschaft Gleichgesinnter zu trinken. Doch die Zeiten, in denen die Männer mit ihren Booten noch vor Sonnenaufgang losfuhren, um kurz vor der marokkanischen Küste ihre Netze zu füllen, sind längst vorbei. Obwohl Olhão noch immer einer der größten Fischereihäfen der Algarve ist, wurde es mit dem Ende der Fischkonservenindustrie auch hier ruhiger. Das Sete Estrelas ist eine der letzten dieser rustikalen Kneipen, die noch nicht angesagte vegane Bowls, sondern deftige, traditionelle petiscos zwischen Tonkrügen und den Flaggen des lokalen Fußballvereins servieren.

Die bunte República
Als wir weiter durch den kleinen Ort bummeln, vorbei an kleinen Kirchen, auf deren Dächern, wie überall an der Algarve, die Störche sitzen, erklingen plötzlich die rhythmischen Klänge eines Birimbao. Die Musik kommt aus einem ziemlich prachtvoll aussehenden alten Gebäude. Lina lächelt und wir gehen hinein. Ganz in weiß gekleidete Menschen singen und tanzen im großen Kreis stehend. Männer, Frauen und Kinder klatschen, während in ihrer Mitte die Kleinsten gerade die ersten Capoeiraschritten üben. Es ist rührend zuzusehen, wie ein erfahrener Mestre spielerisch und gut gelaunt mit einem Fünfjährigen tanzt. Als er sich wieder in den Kreis einreiht, übernimmt ein kleines Mädchen seinen Platz.

Lina erzählt mir, dass es hier im Kulturzentrum ganz verschiedene Veranstaltungen, wie Capoeira, aber auch Portugiesischkurse und Fado-Abende gäbe. Es herrscht eine angenehme, liebevolle Stimmung. Ein bunter Mix aus Jung und Alt, Groß und Klein, Einheimischen und Zugezogenen trifft sich hier zu den unterschiedlichsten Aktivitäten. Wenn ich Lina richtig verstehe, ist das Kulturzentrum tatsächlich ein toller Raum der Begegnung. Regelmäßig werden Biomärkte und Flohmärkte abgehalten, Ausstellungen werden organisiert, und in dem kleinen Café kann man lecker essen oder einen Café trinken. Toll!

Olhão kulturzentrum

Die Mühle am Meer
Bevor wir Olhão verlassen, will Lina uns noch etwas Besonderes zeigen. Etwas außerhalb der kleinen Stadt, in einem geschützten Teil des weiträumigen Naturparks, den man nur zu Fuß oder mit dem Rad erreicht, liegt eine der wenigen Gezeitenmühlen, die es hier im Süden noch gibt.

Viele Jahrhunderte lang lebten die Menschen hier mit dem Rhythmus des Meeres. Sie entwickelten ein ausgeklügeltes System, das die Bewegung der Wassermassen nutzte, um ihr Getreide zu Mehl zu mahlen. In dieser Moinho de Maré de Marim, der Gezeitenmühle, wurden die schweren Mühlsteine nicht mithilfe von Flügeln wie bei der Windmühle oder einem Wasserrad, sondern mit der Kraft der Gezeiten angetrieben. Bei Flut strömte das Meerwasser in ein großes Auffangbecken hinter der Mühle. Bei Ebbe konnte der Müller die angestauten Wassermassen wieder Richtung Meer strömen lassen, wobei das Wasser dann das Mühlrad in Gang setzte. Eine beeindruckende Erfindung! Gerade heute, wo alle von Nachhaltigkeit sprechen, scheint das doch eine ökologische und kostengünstige Methode der Energiegewinnung zu sein, die die Menschen damals schon nutzten.

Olhão gezeitenmühle

Praktische Infos Olhão

Bei unserem Winteraufenthalt im November 2021 haben wir zwar einen ganzen Monat lang wirklich viel gesehen, aber es war trotzdem wieder nicht „genug Zeit“. Irgendwie reicht sie nie, um alles zu sehen, egal wie lange wir bleiben. Aber eigentlich ist das ja auch gut so, denn so haben wir etwas, auf das wir uns beim nächsten Mal freuen können. Es gibt ja noch so viel mehr Geschichten aus Olhão zu berichten. Ich freue mich jetzt schon auf unsere nächste Reise.

  • Mercados Municipais, Av. 5 de Outubro, 8700-412 Olhão
  • Associação Cultural Re-Criativa República 14, Av. da República 14, 8700-310 Olhão Website: https://re-criativarepublica14.pt/
  • Caíque Bom Sucesso, Avinguda 5 de Outubro 95A, 8700-304 Olhão
  • Centro de Educação Ambiental de Marim, Moinho de Maré de Marim, Parque Natural da Ria Formosa, Quelfes, Olhão
  • O Caminho das Lendas, Bairro da Barreta, Largo João da Carma, 8700-304 Olhão
  • 7 Estreles, Tv. Alexandre Herculano 4, 8700-361 Olhão

Tipp: Lina Santos ist eine superliebe deutschsprachige Stadtführerin und weiß einfach alles über Olhão:  www.reiseleitung-portugal.com/lina-santos/

Olhão Fischmarkt