Das erste, was mir in Lagos auffällt, ist eine merkwürdig androgyn wirkende Statue inmitten eines großen Platzes. Im Zentrum der Kreise auf der Praça Gil Eannes steht eine Skulptur, die mich auf den ersten Blick eher an fantasievolle Disneygeschöpfe aus dem Meer erinnert, als an einen portugiesischen König. Und doch ist das hier das Denkmal Königs Sebastians, der im 16. Jahrhundert über Portugal herrschte. Rei Dom Sebastião war ein besonderer Herrscher, lang ersehnt und vom Volk geliebt, obwohl er eigentlich eine tragische Figur war. Sein Vater verstarb noch ehe Sebastian das Licht der Welt erblickt hatte. Seine Mutter Juana de Austria, Infantin von Kastilien und Aragón, kehrte schon wenige Monate nach der Geburt des Kindes nach Madrid zurück, um dort stellvertretend für ihren Bruder zu regieren (denn Philipp II. hielt sich als Gemahl der Tudor-Queen Mary I in England auf).

Es scheint, der kleine Sebastian genoss nicht gerade eine liebevoll umsorgte Kindheit. Von Jesuiten und seiner gestrengen Großmutter erzogen, wuchs er zu einem weltentrückten jungen Mann heran, der davon träumte, als tapferer Kreuzritter Nordafrika zu christianisieren. Schon mit 14 Jahren übernahm er die Regierungsgeschäfte. Das Volk setzte große Hoffnungen in den jungen König und gab ihm den Beinamen el Desejado, der Ersehnte. Doch als der unerfahrene Herrscher 1578 gegen den Willen seiner Ratgeber nach Marokko zog, um den Menschen das Christentum zu bringen, endete sein Feldzug bei der Schlacht von Alcácer-Quibir dramatisch. Das portugiesische Heer wurde vernichtend geschlagen. Der junge König starb noch auf dem Schlachtfeld.

lagos dom sebastiao

Da der junge Sebastian kinderlos war, fiel Portugal in der Folge schon bald in die Hand der Habsburgerr, die von ihrem Thron in Madrid aus nun über die Iberische Halbinsel herrschten. Portugal hatte seine Unabhängigkeit verloren. Doch das Volk glaubte an die Rückkehr des jungen Königs. Einer Legende nach, soll er bei der Schlacht in Afrika nur verschwunden sein und eines Tages, wenn starker Nebel herrsche, zurückkehren, um seinem Volk beizustehen.

Weil die Stadt Lagos Sebastian besonders dankbar dafür war, dass er ihr 1573 die Stadtrechte verliehen hatte, gab man zum 400-jährigen Geburtstag eine Skulptur des Königs in Auftrag. 1973 entstand daher diese ganze besondere Arbeit des Künstlers João Cutileiro. Bis 1974 lebte Portugal noch in den autoritären Strukturen des von Salazar entworfenen „Estado Novo“. Nach Salazars Tod 1970 führte sein Nachfolger die Politik des Regimes fort, doch in der Bevölkerung begann es bereits zu brodeln. Niemand wollte den seit Jahren andauernden Krieg in Angola, damals noch die größte Kolonie Portugals. Die Menschen sehnten sich nach Ruhe und Frieden.

lagos dom sebastiao

1973, ein Jahr vor der Nelkenrevolution, nutzte João Cutileiro die Gelegenheit, um in Lagos mit seiner Darstellung Sebastians ein Zeichen zu setzen. Statt den geliebten König würdevoll auf einem Pferd sitzend in Bronze zu gießen, entschied sich Cutileiro für etwas völlig Neues. Aus Marmor und Kalkstein fertigte er eine Figur, die nicht mächtig oder respekteinflößend daherkommt. Weder männlich noch weiblich wirkt Sebastian vielmehr wie ein futuristischer Ritter, ein Held aus der Zukunft. Die Skulptur war ein Zeichen des Aufbruchs. Es war Zeit für einen Neuanfang Portugals. Nicht nur politisch, auch künstlerisch markiert diese Darstellung des legendären Dom Sebastião einen Umbruch. Das Werk gilt als Meilenstein der portugiesischen Kunst und veränderte die Kulturszene des Landes.

La Casa Verde

Von diesem denkwürdigen Platz aus bummle ich weiter durch die hübschen Straßen und stehe bald auf der Praça Luís de Camões vor einem leuchtend grünen Gebäude. La Casa Verde ist eigentlich keine besondere Sehendwürdigkeit. Aber das Privathaus, in dem sich lange Zeit eine kleine Papierwarenhandlung befand (oben lebte die Familie, unten befand sich das Geschäft), ist allein wegen der Kacheln ein Hingucker. Gegen Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts konnten sich mit dem Beginn der industriellen Herstellung immer mehr Menschen die beliebten azulejos leisten. Besonders in Küstenorten, wo Meer und Wind das Material angreifen, sind die leicht zu reinigenden Kacheln ein guter Schutz. Und schön sind sie auch noch. Angeblich kamen die Azulejos im 16. Jahrhundert zwar über Spanien, wo sie im andalusisch-maurischen Stil wunderschöne Paläste schmücken, nach Portugal, trafen hier dann aber auf den niederländischen Stil der Kacheldekoration, sodass sich eine ganz eigene, besondere Stilmischung entwickelte.

casa verde lagos

Heinrich der Seefahrer

Lagos ist eine alte Stadt. Wie viele andere Orte an der Algarve blickt sie auf Siedlungsspuren aus der Zeit der großen Handelsvölker des klassischen Altertums zurück. Angezogen vom Fischreichtum kamen nach Phöniziern und Griechen erst die Römer, anschließend die Mauren an diese Küste. Besondere Bedeutung gewann Lagos jedoch erst im 15. Jahrhundert, während der portugiesischen Entdeckungsfahrten. Von Lagos aus zogen die Karawellen auf alle Weltmeere hinaus, Portugal entwickelte sich zu einer der wichtigsten Seemächte und eroberte ferne Länder auf entlegenen Kontinenten. Einer, der bei dieser Entwicklung eine ausschlaggebende Rolle spielte, war Heinrich der Seefahrer.

Heinrich der Seefahrer Lagos

Als fünfter Sohn König Joãos de Portugal und Philippa von Lancaster, strebte er nicht nach Thron und Krone und überließ das Regieren seinem Bruder. Als Königssohn war Heinrich ein einflussreicher und mächtiger Mann. Er interessierte sich für die Wissenschaft, ließ Gelehrte an seinen Hof holen und plante Expeditionen. Von Lagos aus finanzierte und organisierte er viele der großen portugiesischen Entdeckungsreisen. Mithilfe seiner in Brügge lebenden Schwester Isabel de Portugal, einer klugen und gebildeten Frau, vereinte er das Wissen der Schiffsbauer aus Brügge und Gent mit der Erfahrung der portugiesischen Zimmerleute. In Anlehnung an die wendigen Schiffe der Mauren, die Dhaus, ließ er einen ganz neuen, verbesserten Schiffstyp entwickeln, die flinken Karawellen, die ab 1440 die Weltmeere beherrschten.

Heinrich soll ein guter Redner und Manager gewesen sein. Man hörte auf sein Wort und gehorchte seinen Befehlen. Er war nicht nur ein portugiesischer Prinz und Geograf, sondern auch Gouverneur des Christusordens, dem direkten Nachfolgeorden der Tempelritter. Im Gegensatz zum Rest Europas hatte man die Templer Anfang des 14. Jahrhunderts nicht vernichtet, sondern ihnen Unterschlupf gewährt. Viele der aus Frankreich geflohenen Tempelritter kamen 1319 in dem neu gegründeten Christusorden unter. Statt Großmeister zu werden und sein Vermögen dem Orden zu überschreiben, entschied Heinrich sich dafür, den Titel eines Gouverneurs anzunehmen. So konnte er das Wissen und die Struktur des Ordens nutzen und seine privaten Reichtümer behalten. Kein Wunder also, dass das rote Templerkreuz die portugiesischen Karawellen bei ihrer Eroberung der Weltmeere zierte.

Obwohl er heftig unter Seekrankheit litt und nach einem ersten Ausflug fortan an Land blieb, ging Heinrich als „der Seefahrer“ in die Geschichte ein. Unter seiner Hand vereinigte sich jüdisches und maurisches Wissen mit modernster Technik und Wissenschaft. Eine Legende wurde Heinrich jedoch erst zu Zeiten König Manuels. Heinrich hatte seinen Neffen, den zweitgeborenen Sohn des Königs, adoptiert und ihn zu seinem Erben gemacht. Als dessen Sohn Manuel unerwarteterweise zum König gekrönt wird, versucht er seine Herrschaft mit dem heldenhaften Großvater zu legitimieren.

igreja santa maria lagos

In Lagos steht ein Denkmal für Heinrich auf der Praça do Infante Henrique. Hinter ihm steht rechts die Igreja Santa Maria, links ein Museum das an den Sklavenhandel erinnert (leider vorübergehend geschlossen). Sklavenhandel ist eines der unschönen Kapitel der Geschichte, nicht nur in dieser Stadt. Lagos war ein „Hauptumschlagplatz“ für aus Afrika geraubte Menschen. Mittlerweile soll es sogar eine „Route des Sklavenhandels“ durch die Stadt geben. Nächstes Mal werde ich mich rechtzeitig schlau machen, denn ich finde es wichtig, immer auch die harten und traurigen Seiten der Geschichte zu kennen. Nur indem wir uns an falsche Entscheidungen und Fehler der Vergangenheit erinnern, können wir für die Zukunft zu lernen.

altstadt lagos

Museum Dr. José Formosinho 

Nur wenige Hundert Meter weiter erhebt sich eine andere Kirche, die Igreja do Santo Antonio ist sogar Nationaldenkmal. Seit der Wiedereröffnung ist die Kirche Teil des Museums für Stadtgeschichte. Das Museum zeigt Lagos ab 1460 (alles vorher, soll in einem eigenen, noch in Planung befindlichen Museum gezeigt werden). Grundstock der Ausstellung ist die umfangreiche Sammlung des Hobbyarchäologen Dr. José Formosinho. Jahrelang trug er ein buntes Sammelsurium aus Fossilien, Gemälden, traditionellen Werkzeugen, Kirchenglocken und afrikanischer Kunst zusammen, aus dem 1930 das Museum gegründet wurde. Nach der Renovierung und Umstrukturierung sollen Schautafeln und Filme dabei helfen, die Geschichte der Stadt und ihre Entwicklung anschaulich zu zeigen.

kirche santo antonio Lagos Museum stadtgeschichte

Forte da Ponta da Bandeira

Nun geht es wieder hinunter zum Meer. Durch ein altes Stadttor schreitend, erkenne ich erst von außen die dicken Mauern der mittelalterlichen Stadtmauer. Damals ging das Meer noch direkt bis vor die Mauern. Die breite Straße, die ich überquere, um zu der kleinen Festung zu gelangen, gibt es erst seit den 60er Jahren. Das Forte da Ponta da Bandeira lag ursprünglich auf einer kleinen Insel und war nur über eine Zugbrücke erreichbar. Als die Stadtmauer aufgrund der Erfindung neuer Kriegstechnik keinen ausreichenden Schutz mehr vor den modernen Feuerwaffen bot, errichete man einen Befestigungsring aus drei kleineren Burgen, von denen allerdings nur die Forte da Ponta da Bandeira erhalten geblieben ist.

Stadtmauer Lagos Stadttor

Stadtmauer Lagos

Forte da Ponta da Bandeira Lagos Festung

gonçalo Lagos

Oberhalb des Fortes liegt ein kleiner Platz mit dem Denkmal des Schutzpatrons der Stadt. São Gonçalo war ein in Lagos geborener Augustinermönch. Der Legende nach soll er bei einer großen Hungersnot die Stadt gerettet haben. Als den Fischern keine Fische mehr ins Netz gingen und es in der ganzen Stadt nur einen einzigen Thunfisch gab, soll er die Menschen zu sich gerufen haben. Aus dem Fass, in dem sich der einzige Thunfisch befand, holte er einen Fisch nach dem anderen und verteilte sie an die hungrigen Menschen. Das Fass wurde nicht leer, bis alle etwas zu essen hatten. Daran erinnert das Denkmal mit den vier Thunfischen auf jeder der drei Seiten.

Strände und Ponte de Piedade

Neben dem Fort liegt die Praia de Batata, der Kartoffelstrand, durch einen kleinen Tunnel im Felsen vom Hafen aus zu erreichen. An diesem Kartoffelstrand traf sich zur Jahrhundertwende gern die Elite der Stadt. Allerdings badeten die Damen und Herren, die in Lagos etwas auf sich hielten noch nicht im Meer, sondern picknickten hier. Ob der ungewöhnliche Name des Strandes von diesen Picknicks oder daher stammt, dass die von Kantine der Festung ins Meer geworfenen Kartoffelschalen hier angeschwemmt wurden – man weiß es nicht.

Auf den Klippen über der Praia Estudiantes befand sich früher eines der drei kleinen Forts die zum Befestigungsring Lagos gehörten. Die kleine Brücke dort wird zwar Ponte Romano, also römische Brücke genannt, ist aber in Wirklichkeit sehr viel jüngeren Ursprungs. Von der Praia Estudiantes kann man zu Fuß bis zur Praia Camilo laufen, wo eine lange Treppe hinunter zum Meer führt.

ponte de piedade lagos

ponte de piedade lagos
ponte de piedade lagos

Auf der Spitze der kleinen Landzunge erhob sich bis zur Errichtung des Leuchtturms eine kleine Kappelle. Der Legende nach sollen zwei Fischer, die in einem Sturm in Seenot geraten waren und von der Muttergottes gerettet wurden, aus Dankbarkeit eine Kappelle errichten haben und regelmäßig dorthin gepilgert sein. Die Ponte de Piedade ist sicher eine der schönsten Landzungen dieser Felsenküste und vermutlich auch eine der meistbesuchten. Seit 2004 gibt es einen Weg mit Treppe, die zu den Grotten, steinernen Fenstern und abstrusen Felsgebilden hinunterführt.

ponte de piedade lagos

Infos und Tipps zu Lagos

Restaurant Tipp: Gegessen habe ich im Restaurante Don Sebastiao in der Rua 25 de Abril. Zwischen Cafés und Souvenirshops stehen die Tische und Stühle des traditionellen Restaurants auf der den Hügel hinaufführenden Straße. Es gibt leckere klassische Gerichte und einen ganz besonderen Weinkeller, in den man – wenn man danach fragt – auch einen Blick werfen darf. Dort liegt eine unglaubliche Sammlung an Rot- und Weißweinen, Champagner, Portweinen und anderen „historischen“ Flaschen.

restaurant sebastio lagos

weinkeller Lagos Restaurant Don Sebastiao

Restaurante Don Sebastião
Rua 25 de Abril 20-22
8600-763 Lagos – Portugal
Website www.restaurantedonsebastiao.com/

wein lagos

Mercado de Escravos https://www.sulinformacao.pt/2016/06/lagos-abre-nucleo-museologico-para-que-nao-se-apague-memoria-do-legado-terrivel-da-escravatura/

Museu de Lagos Dr. José Formosinho: Webseite des Museums

Forte da Ponta da Bandeira Lagos Festung