Es ist Ebbe, als wir uns früh am Morgen mit dem Boot auf den Weg zu den Inseln der Ria Formosa machen. João der Bootsführer sucht sich geschickt einen Weg zwischen den Sandbänken hindurch. Er weiß genau, wo bie Niedrigwasser die Fahrrinne verläuft. Bei Flut ist das hier alles nicht mehr zu sehen, dann ist alles Blau. Doch jetzt hat sich das Meer für ein paar Stunden zurückgezogen und die Sandbänke liegen nackig und bloß im morgendlichen Sonnenschein. Als hätte ihnen jemand die wärmende Decke weggezogen. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu und wickle mir das Tuch um den Kopf, das ich vorsichtshalber mitgebracht habe, denn es weht ein frischer Wind. Wir haben Februar. Im Sommer ist so eine frische Brise sicher total angenehm, aber im Winter kuschle ich mich doch lieber ein.
Auf den Sandbänken, an denen wir vorbeifahren, sind die Muschelsammler schon bei der Arbeit. Bisher dachte ich, das seien einzelne Spaziergänger, die sich hier Muscheln für das Mittagessen suchen. Ich hatte ja keine Ahnung. Die Sandbänke bestehen aus vielen, mit langen Stöcken und Bojen markierten Parzellen. Um hier auf einem bestimmten Stückchen der Ria Muscheln suchen zu dürfen, vergibt die Stadt Lizenzen und verpachtet das Land an die Leute, die zu dieser frühen Morgenstunde in gebückter Haltung arbeiten. Denn es sind professionelle Muschelsucher:innen, die sich mit dem Sammeln und dem Verkauf der Amêijoas ihren Lebensunterhalt verdienen.
Amêijoas, die kleinen feinen Venusmuscheln, sind vermutlich die wichtigsten Muscheln in der Ria. Natürlich gibt es noch andere Sorten. Sogar Austernbänke, die mich sofort an die Normandie erinnern, kommen hier ab und zu in Sicht. Doch während die Austern fast komplett nach Frankreich verkauft werden, sind die Venusmuscheln hingegen ein ganz typischer Bestandteil vieler traditioneller Gerichte der Algarve.
In Portugal gilt die Amêijoa da Ria als besonders lecker. Durch die Gezeiten findet ein ständiger Wasseraustausch statt und die Schalentiere sind hier nicht den tosenden, brausenden Wellen des Meeres ausgesetzt, wie an der Westküste der Algarve. Das Wasser in dem sie heranwachsen, ist nicht wild, eher still – und das macht sich offenbar auch im Geschmack bemerkbar.
Als wir die alte Gezeitenmühle, in der früher das Getreide mithilfe von Ebbe und Flut gemahlen wurde, hinter uns gelassen haben, kommt auch schon die Ilha Armona in Sicht. Armona ist die von Olhão aus am schnellsten erreichbare Insel der Ria Formosa.
Die Inselkette der Ria erstreckt sich von Faro bis Tavira und umfasst neben Armona, Culatra, der Ilha Deserta (oder Ilha da Barreta) auch die Ilha de Faro (die eigentlich eine Halbinsel ist), die Ilha de Tavira, Cabanas und die Halbinsel vor Cacela Velha. Entstanden ist diese schützende Lagune bei dem großen Erdbeben, das 1755 nicht nur Lissabon, sondern weite Teile der Algarve traf und die Landschaft nachhaltig veränderte. In Olhão hat man allerdings eine poetische Erklärung für die Entstehung der Lagune (Der Legendenweg).
Das erste Ziel unserer Bootsfahrt durch die Ria Formosa ist heute die Insel mit dem Leuchtturm, Farol. Genau genommen ist Farol keine eigene Insel, sondern die Verlängerung der Ilha da Culatra. Aber die meisten Einheimischen nennen dieses Stück der Lagune so, weil hier eben der Leuchtturm steht.
Vier kleine Hunde kommen aufgeregt zum Zaun gelaufen, als ich mich dem Gelände des Leuchtturms nähere. Sie gehören den Familien der Leuchtturmwärter, die hier das ganze Jahr über leben. Normalerweise sind die meisten Leuchttürme in Portugal einen Tag in der Woche für Besichtigungen geöffnet. In der Regel ist das mittwochs. Auf dem Weg zu dem beeindruckenden Turm komme ich an den Häusern der Leuchtturmwärter vorbei. Einer seiner Kollegen sitzt auf einer Bank vor einem der Häuser. Er trägt eine Arbeitslatzhose und Gummistiefel und schnitzt an etwas herum. Die Brille ist ihm dabei etwas auf die Nase gerutscht. Vor ihm auf dem kleinen Platz zwischen den Häusern spielt ein kleines Mädchen und hüpft fröhlich herum. Das Leben auf einem Leuchtturm ist sicher nicht leicht, doch mir zeigt sich hier bei schönstem Sonnenschein so ein idyllisches Bild, dass ich fast neidisch sein könnte auf diesen friedlichen, ruhigen Job.
Der Faro de Cabo de Santa María ist der südlichste Leuchtturm der Sandküste der Algarve. Errichtet wurde der schlanke, weiße Turm 1851 wurde mit einer Höhe von 35 Metern. 1922, rund siebzig Jahre später erhöhte man ihn um weitere 12 Meter. Um weithin für die Schiffe sichtbar zu sein, muss der Leuchtturm, der hier auf Höhe des Meeresspiegels liegt, natürlich höher sein, als Türme, die auf Felsen oder Klippen errichtet wurden.
Etwas mulmig ist mir schon, als ich mich auf den Weg nach oben mache. Immerhin liegen 47 Meter Höhe vor mir. Tapfer stapfe ich los, dem Commandante hinterher. Immer im Kreis geht es 220 Stufen nach oben. Wegen der heftigen Krümmung der Wendeltreppe kann ich den Leuchtturmwärter schon nach wenigen Stufen nicht mehr sehen und folge den absolut gleichmäßig erklingenden Schritten seiner Stiefel. Zwischendurch muss ich eine kleine Pause machen und Luft schnappen. Die Schritte des Commandante verstummen, er hat gehört, dass ich stehen geblieben bin und wartet nun, bis ich weitergehe. Wie nett von ihm. Vermutlich ist er das Treppensteigen gewohnt, aber ich merke deutlich, dass ich das nicht jeden Tag mache.
Außer dem Commandante arbeiten hier vier bis fünf Männer in verschiedenen Schichten. Zwei der Leuchtturmwärter leben hier mit ihren Familien, die anderen fahren nach der Arbeit aufs Festland nach Hause. Früher war der Beruf des Leuchtturmwärters ein sehr harter und einsamer Job, denn die Arbeitsstätten liegen fast immer an entlegenen Plätzen, meist weit ab der Städte, an einsamen Küsten. In vielen Ländern sind Leuchttürme heute gar nicht mehr bemannt und werden vollautomatisch gesteuert. Doch in Portugal hält man trotz modernster Technik an diesem aussterbenden Beruf fest.
Auch dieser Leuchturm am Cabo Santa Maria ist seit 1949 elektrifiziert. Oben angekommen, darf ich die Fresnellinse bestaunen, die den ganz speziellen Code dieses Leuchtfeuers versendet. Viermal lang blinkt das Licht in der Nacht aufs Meer hinaus, um kleinen, alten oder in Not geratenen Schiffen, den Weg in den sicheren Hafen zu leiten.
Die Aussicht von hier oben ist wie nicht anders erwartet der Hammer und lohnt die Mühe der Treppenbesteigung. Von hier aus müssen die Männer schließlich auch einen ziemlich großen Abschnitt der Küste bewachen. Die Nenntragweite des Leuchtfeuers, also die Entfernung, in der das Licht zu sehen ist, beträgt 25 Seemeilen oder – für Landratten wie mich – etwas über 46 Kilometer.
Nachdem ich die 220 Stufen sehr viel schneller wieder hinunter, als vorher hinauf gestiegen bin, geht es zum Essen auf die Ilha da Culatra – die ja theoretisch noch dieselbe Insel ist wie Farol, aber irgendwie eben auch nicht. Culatra ist so etwas wie die Hauptinsel, denn dort leben ungefähr 1.000 Menschen. Culatra ist ein echtes kleines Fischerdorf. Im Hafen schaukeln echte Fischerboote und die Familien, die hier zu Hause sind, fahren zum Einkaufen mit der Fähre nach Olhão hinüber. Auf Culatra gibt es keine Autos. Die einfachen Wege sind schmal und nur für Fußgänger gedacht.
Im Café Janoca, nur wenige Schritte vom Fähranleger entfernt, essen wir mit Blick auf den Hafen zu Mittag. Es gibt natürlich Muscheln und Camarão, portugiesische Garnelen, denn wir sind auf einer Insel. An den Tischen um uns herum sitzen Einheimische zusammen und bestellen ebenfalls die Meeresfrüchte-Spezialitäten des Hauses. Es herrscht eine entspannte, chillige Atmosphäre auf Culatra. Die Wochenendbesucher, die hierherkommen um die Ruhe zu genießen, vermischen sich auf angenehm unproblematische Art mit den Fischerfamilien. Viele Leute setzen sich dafür ein, dass das auch so bleibt. Damit die Fischer weiter fischen und auch davon leben können, erhalten die einheimischen Familien einen Anteil von den Einnahmen aus touristischen Aktivitäten auf der Insel.
Ilha Barreta oder Ilha Deserta, einsame Insel, heißt das 7 km lange Eiland zwischen der Ilha da Culatra und der lha de Faro. Denn offiziell lebt hier seit vielen Jahren niemand mehr. In den 1970er Jahren war das anders, da standen auch hier kleine Ferienhäuser der Menschen aus Faro, doch als die Insel zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, ließ man alle Gebäude abreißen. Damals, in den 80er Jahren verirrten sich noch kaum Touristen in diese Ecke der Algarve.
Isabel und ihr Mann Zé kannten und schätzten die Naturlandschaft der Inseln vor den Toren Faros seit ihrer Jugend und begannen Bootstouren durch ihre Inselwelt zu organisieren, bei denen sie die ganz besondere Flora und Fauna der Ria erklärten. 1986 erhielten sie die Erlaubnis für die touristische Infrastruktur ein kleines Café mit Toiletten und Duschen für Tagesbesucher einzurichten. Natürlich musste alles ökologisch verträglich und nachhaltig sein und so entstand das kleine Café-Restaurant Estamine.
Das einzige Gebäude der Insel ist aus Holz gebaut und steht auf Stelzen. Für die Wasser-, Abwasser- und Stromversorgung haben Isabel und Ze Pumpen und Filter gebaut, mit denen sie Meerwasser entsalzen. Solarpaneele beliefern das Restaurant mit der notwendigen Energie für Herde, Kühlschränke, Kaffeemaschine, Licht und was man eben alles braucht, um ein Café am Laufen zu halten. Die Leute, die hier arbeiten, sind schon seit vielen Jahren Teil des Teams. Morgens werden sie mit dem Boot zur Arbeit gefahren und am Abend geht es mit dem Boot für alle wieder nach Hause.
Leider mussten Isabel und Zé 2021, inmitten der Pandemie, eine böse Überraschung erleben. Eines Nachts brannte das Estaminé völlig überraschend ab. Auf Überwachungskameras musste Isabel das schreckliche Geschehen machtlos mit ansehen. Außer einem Haufen Asche blieb nichts von dem hölzernen Gebäude übrig. Doch das engagierte Ehepaar gab nicht auf. Sie begannen noch einmal von vorn und bauten alles wieder auf. Seit ein paar Monaten können die Gäste hier wieder einkehren und köstliche Gerichte der Algarve bei einem unglaublichen Blick über die Insel und das Meer essen.
Viele Menschen kommen nicht zum Baden auf die Insel, sondern um die Tiere und Pflanzen dieser besonderen Naturlandschaft zu bewundern. Zwischen den mit flachen Sträuchern und Gräsern bewachsenen Dünen nisten Vögel. Außer verschiedenen Möwen- und Reiherarten sind auch Basstölpel, Austernfischer zu Hause. Manchmal lassen sich auch Rohrweihe, Haubenlerchen oder Schwarzkehlchen zwischen den Seevögeln blicken.
Um das sensible Gleichgewicht der Natur möglichst nicht zu stören, bewegt man sich natürlich nur auf den vorgesehenen und markierten Wegen. Vorhin habe ich gesagt, offiziell lebe hier niemand mehr auf der Insel, denn eigentlich ist das verboten. Ein etwas eigenbrötlerischer Fischer, dem die drei kleine blaue Fischerhütten gehören, verbringt nicht nur seine Tage auf dem Eiland. Manchmal so sagt man, übernachtet der Tüftler, Bastler und Erfinder, der sich in den Hütten eingerichtet hat, auch hier.
Als wir wieder nach Olhão zurückkehren, sind alle Sandbänke verschwunden. Lediglich ein paar Stöcker udn Bojen weisen darauf hin, dass es sie weit unter uns gibt. Drei Meter tief liegen sie nun unter der Wasserobefläche, über die wir dahinbrausen. Am Abend blicke ich von meinem Hotelzimmer auf die nun still liegende Ria Formosa und entdecke einen hellen Lichtpunkt, der im Dunkeln leuchtet. Vier mal lang.
Infos zur Ria Formosa, Bootsfahrten und Ferry
Von Olhão, Fuseta und Faro verkehren Fähren täglich mehrmals zwischen dem Festland und den Inseln. Die Fahrt ist bequem, schnell und günstig. Um unabhängiger von den Abfahrtszeiten der Fähren zu sein, kann man auch Bootstouren mieten und selbst bestimmen, wie viel Zeit man wo verbringen will. Im Sommer ruhig ein paar Minuten mehr einplanen, für ein schnelles frisches Bad im Meer :-). Jetzt im Winter habe ich trotz Sonnenschein doch lieber darauf verzichtet.
Infos zu den Bootstouren Ria Formosa Website Passeios – Volta as Ilhas – Aqua Taxi
Olhão Markthalle – vom Wasser aus
Infos zum Farol auf der offiziellen Seite www.monumentos.gov.pt
Infos zur Ilha Deserta und dem Restaurant Estaminé findest Du hier: www.ilhadeserta.com/estamine-restaurant
Fähren zu den Inseln:
Abfahrtszeiten der Ferrys von Olhão aus Sommerfahrplan | Winterfahrplan
Abfahrtszeiten der Ferrys von Faro aus: barcos-para-as-ilhas
Hinweis: Die Bootstour fand im Rahmen einer Pressereise statt.
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