Romina nimmt mich mit auf einen Bummel durch den Raval. Sie zeigt mir den etwas anderen Teil der Altstadt. Dieses noch immer eher verruchte Viertel galt bis Anfang der achtziger Jahre noch als eine No-go-Area, nicht nur für Besucher Barcelonas. Auch die Einwohner machten damals einen großen Bogen um das Hafenviertel, in dem Dealer und Zuhälter das Straßenbild beherrschten. Noch bei meinen ersten Besuchen in Barcelona 1987 und 1993 bestand das Zentrum des Ravals aus einem engen Gassengewirr mit düsteren kleinen Arbeiterwohnungen.
Nachdem die Stadt diverse stadtplanerische Aufräumaktionen zu den Olympischen Spielen 1992 veranlasst hatte, fand Mitte der neunziger Jahre schließlich auch im Raval ein Großreinemachen statt. Man beschloss endlich mehr Licht und Luft in das Viertel zu bringen und bescherte nach jahrelangen Bauarbeiten, den Anwohnern eine wunderschöne neue Grünfläche: die Rambla del Raval.
Es dauerte nicht lange, da entwickelt sich das Viertel dann auch zu einem angesagten Teil der Altstadt. Touristen bummelten bald schon durch die Straßen, Studenten zogen in die Gegend, Hotels eröffneten und kleine Boutiquen ließen sich hier nieder. Noch immer treiben sich hier natürlich auch Taschendiebe herum und Prostituierte suchen auf der Straße nach Arbeit. Der Anteil der ärmeren Bevölkerungsschichten ist im Raval vermutlich höher als in anderen Stadtteilen. Doch seinen schlechten Ruf hat das ehemalige barri xino zum Glück verloren. Jedenfalls fast.
Ein Werk des Kolumbianers Fernando Botero: El gato del Raval
Zusammen mit meiner Freundin Romina, die seit Jahren als Guide in Barcelona arbeitet, mache ich mich auf die Suche nach den letzten versteckten Plätzen des Raval. Wenn Du öfter hier im Blog vorbeikommst, weißt Du auch schon, dass ich ab und zu mit ihr in Barcelona auf Entdeckungsreise gehe. Da Romina nicht nur in der Nähe des Raval wohnt, sondern ihr Job sie tagtäglich durch die Straßen Barcelonas führt, kennt sie wirklich jede Ecke der Stadt. Für mich ist das natürlich echt praktisch, da ich mit ihr zusammen auch nach so vielen Jahren hier immer noch etwas Neues entdecken kann.
Eine ruhige, friedliche Insel in diesem brodelnden Ausgehviertel ist das Kloster Sant Pau del Camp. Schon seit über tausend Jahren steht es genau an dieser Stelle, mitten im Raval. Eigentlich ist es echt ein Wunder, das es bis heute überlebt hat.
Capella Sant Llàtzer
An der Font de Santa Eulàlia erhebt sich eine Statue der Stadtpatronin oben auf der Säule des Brunnens. Eulàlia, nach der auch die Kathedrale Barcelonas benannt worden ist, hält das Andreaskreuz in der Hand. An dieser Wegkreuzung soll die Märtyrerin einst hingerichtet worden sein. Hinter dem Brunnen kann man auf der anderen Seite der Plaça del Pedró die Überreste einer weiteren romanischen Kirche erkennen.
Von dem Sankt Lazarus Krankenhaus, in dem Leprakranke untergebracht waren, sind leider nur noch ein paar Wände der Kapelle erhalten. Die halbrunde Apsis kannst Du von der anderen Seite aus gut sehen. Eine Zeit lang muss an dem Platz noch ein weiteres Gebäude gestanden haben, denn die alte Fassade der Kirche fehlt zur Hälfte und wurde einfach nachgebaut. Heute befindet sich der Sitz der religiösen Vereinigung Sant Egidio in den historischen Mauern. Wo einst bunte Malereien die Wände verzierten, hängen heute orthodoxe Ikonen.
Hospital de Santa Creu
Durch den Carrer Hospital, der sich fast komplett durch das Raval Viertel zieht, kommen wir zum ehemaligen Hospital de Santa Creu, dem die Straße ihren Namen verdankt. Im Jahr 1401 wurden mehrere kleine Krankenhäuser Barcelonas zu einem neuen „modernen“ Zentrum zusammengelegt. Bei diesem Projekt arbeiteten Kirche und Stadt zum ersten Mal in der Medizingeschichte Hand in Hand. Die Kranken sollten von der Straße geholt werden, wo sie ohne staatliche oder kirchliche Hilfe immer wieder landeten. Der neue Gebäudekomplex wurde wie ein Kloster angelegt, mit viel Licht und Luft und einem zentralen Innenhof, von dem die Räume abgingen. Da es im tief religiösen Mittelalter Geistliche waren, die sich um die Versorgung der Kranken kümmerten, gab es natürlich auch eine Kirche in diesem neuen Hospital.
Aber nicht nur Kranke, auch Alte und kleine Kinder wurden hier regelrecht abgeliefert und in die Obhut der Mönche und Nonnen gegeben. Viele arme Familien konnten es sich nicht leisten, ein Baby oder pflegebedürftige Alte, die nicht selbst arbeiten konnten, zu versorgen. Jeder musste mitarbeiten, damit man sich das tägliche Brot überhaupt leisten konnte. Das Hospital Santa Creu war ein Krankenhaus für die Armen, für alle, die sich keine Behandlung eines Arztes leisten konnten.
Hierher brachte man übrigens auch Antoni Gaudí, als er eines Morgens auf dem Weg zur Baustelle der Sagrada Familia von einer Trambahn überfahren worden war. Unerkannt starb er wenige Tage später in einem der Räume hier.
Viele Jahre später, nämlich 1929, zog das alte Hospital de Santa Creu in neue, größere Räumlichkeiten am Rande der Stadt um und wurde zum Hospital Santa Creu i Sant Pau.
Die alten Gebäude des ehemaligen Krankenhauses werden heute ganz unterschiedlich genutzt. In der früheren Kapelle des Krankenhauses finden Kunstausstellungen statt. Nur die Orgel erinnert noch daran, dass hier einmal Gottesdienste gefeiert wurden. Auf dem wunderschönen Innenhof schieben im Sommer ältere Herren konzentriert grübelnd überdimensionale Schachfiguren hin und her. Meistens trifft man hier auch auf den einen oder anderen Obdachlosen, der sich unter die schützenden Dächer der alten Bogengänge zurückgezogen hat. Und irgendwo hocken immer ein paar Studenten der Kunsthochschule in einer Ecke und trinken ihren Kaffee.
Casa de Misercordia
An der Plaça Vicenç Martorell steht ein Gebäude der Stadtverwaltung. Über der Eingangstür kann ich sogar noch die Schriftzüge Casa de Misercòrdia, Haus der Barmherzigkeit, lesen. In der Mitte der Außenwand befinden sich zwei merkwürdige Öffnungen. Drinnen auf der anderen Seite saß immer jemand bereit, der darauf wartete, dass durch diese große, runde Klappe ein Baby abgegeben wurde. Im sechzehnten Jahrhundert wurden also in der Casa de Misercordia vorwiegend Kinder und Waise versorgt. Wer helfen konnte und wollte, hatte die Möglichkeit, Geld in den Schlitz neben der Babyklappe zu werfen.
Babyklappe im Mittelalter
In demselben Gebäudekomplex der ehemaligen Casa Misercordia befindet sich ein netter Buchladen, La Central. Selbstverständlich gehen wir hinein, um einen Blick auf die Schätze in den Regalen dort zu werfen. Nachdem wir uns im Labyrinth der Säle eine Weile verlaufen, natürlich absichtlich, kommen wir schließlich zu einem anderen Ausgang, als den, durch den wir das Bücherparadies betreten haben. Romina lacht schon wieder und zeigt nach oben. Wir stehen in der einstigen Kapelle der Casa de Misercordia.
Die letzte der versteckten Kirchen auf unserer Route durch das Raval finden wir direkt neben dem Campus der Universität, ganz in der Nähe des MACBA. Vor dem Museum für zeitgenössische Kunst sind zu jeder Jahreszeit Skater unterwegs und flitzen auf ihren Brettern durch die Gegend. Im Carrer Montalegre steht neben einer Schule ein etwas heruntergekommen wirkendes Gebäude. Von der äußeren Form her sieht es schon wie eine Kirche aus. Im hinteren Teil des Gebäudes führt ein hässlicher Durchbruch zu einem Hof.
Mitten in diesem Gang, der wirklich quer durch das alte Kirchenschiff geht, kannst Du einen Blick in den langsam aber sicher zerfallenden Innenraum der Kapelle werfen. Die Tauben haben offenbar bereits einen Weg in das einstige Gotteshaus gefunden und hinterlassen ihren Dreck. Ob diese alte Kirche noch länger überleben wird? Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Abrissbirne hier Platz für Neues schafft.
Infos und Adressen im Raval
Auch wenn ich jetzt hauptsächlich von den Kirchen und historischen Schätzen berichtet habe, gibt es im Raval natürlich noch viel mehr zu entdecken. In der Ecke um den Carrer Tallers findest Du unzählige Second Hand und Vintage Läden, bei Bäcker Boix gibt es das leckerste Brot im Raval und „Muy Buenas“ ist eine legendäre modernistische Bar, die neu herausgeputzt wurde. Wenn Romina nicht gerade ausgebucht ist, macht sie sicher auch mit Dir einen Stadtbummel. Sie freut sich immer über nette Leute, die Interesse an ihrer Heimatstadt haben. Schreib ihr einfach 🙂 barcelona.entdecken@gmail.com
Hospital Santa Creu
Carrer del Hospital 56
08001 Barcelona (Raval)
Heute befindet sich in dem alten Gebäude die Hochschule für Kunst und Design Massana, die Biblioteca Nacional de Catalunya und das Institut d’Estudis Catalans.
Capilla de Sant Llàtzer
Comunitat Sant Egidio
Plaça del Pedró, 2, b
08001 Barcelona (Raval)
Monestir Sant Pau del Camp
Carrer Sant Pau 101
08001 Barcelona (Raval)
La Central
Carrer Elisabets, 6
08001 Barcelona (Raval)
Casa Misercorida – Oficina d’Atenció Ciutadana
(an der Plaça Vicenç Martorell)
Carrer de les Ramelleres, 17
08001 Barcelona (Raval)
Hola …
Somos un grupo de 8 amigos alemanes y nos gustaría visitar barcelona espontáneamente el viernes 24.09 … y si posible con un guía privado.
Es posible? Por favor contacte conmigo por email o por telef.
Muchas gracias de antemano!
Un saludo Virginia Krämer
Te he enviado un mail privado 🙂