Die Siegesgöttin Nike ragt wie eine goldene Königin über Luxemburg. Ganz oben zwischen den weißen Wölkchen und dem blauen Himmel streckt sie der Stadt ihren Lorbeerkranz entgegen.
Robert, mein Guide, der mich durch die Altstadt begleitet, macht mich auf den geneigten Kopf der Nike aufmerksam. „Das war nicht immer so“, meint er. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Monument als Denkmal für die gefallenen Luxemburger errichtet, die als Freiwillige gegen Deutschland gekämpft hatten. Im Zweiten Weltkrieg missfiel dann den Nationalsozialisten dieses strahlende Denkmal so dermaßen, dass sie es einfach niederrissen. Die goldene Frau stürzte über 20 Meter in die Tiefe, zerbrach und wurde nie wieder gesehen. Jedenfalls nicht bis in die achtziger Jahre. Da fanden Bauarbeiter drei Müllsäcke mit den Einzelteilen der zerstückelten Statue unter dem Fußballstadion.
Die goldige Nike wurde restauriert und wieder aufgestellt. Allerdings war sie bei ihrem Sturz dreißig Jahre zuvor, so unglücklich auf den Kopf gefallen, dass sie im Nacken eingeknickt war. Die Luxemburger fanden das geneigte Haupt der goldenen Frau aber sympathisch und ließen sie einfach von da an mit gesenktem Kopf über ihre Stadt blicken.
Robert hat noch viele solcher Geschichten für mich parat. Zum Beispiel weiß er auch, dass die Kathedrale der Maria geweiht ist, weil Luxemburg im Mittelalter besonders schlimm von der Pest heimgesucht wurde. In der Oberstadt auf dem Felsen, war man zwar sicher vor Angriffen, aber es war sehr schwierig, an frisches Trinkwasser heranzukommen. In der ganzen Oberstadt gab es nur sechs Brunnen! Fünfzig Meter hohe Klippen teilen die Stadt nämlich in eine Ober- und eine Unterstadt, die heute aber praktischerweise mit einem Fahrstuhl verbunden sind.
Gleich hinter der Nike gibt es eine Art Balkon, von dem aus man einen wunderschönen Blick auf die unteren Stadtteile hat. Wie ein Grüngürtel ziehen sich dort Parks und Gartenanlagen um die auf dem Felsen errichtete Oberstadt herum. Besonders schön finde ich die Weinreben und die Kräutergärten, die da unter mir am Fuß der Klippen liegen.
Wir gehen oben am Rande der ehemaligen Befestigungsanlage entlang Richtung Kasematten. Die Aussicht von hier oben ist wirklich phänomenal. „Die gesamte Altstadt dort unten gehört zum Weltkulturerbe“, erklärt mir Robert. „Das Gibraltar des Nordens nannte man diese uneinnehmbare Festung in Luxemburg früher“, berichtet er stolz. Angesichts der steilen Felswände kann ich mir das schon gut vorstellen. Die Festung, von der heute nur noch eine Turmruine erhalten ist, wurde praktisch in den Stein hineingebaut. Zur Verteidigung konnte man in den Tunneln unter der Burg, also im Felsen, wie in einem Schweizer Käse zu allen Seiten Kanonen aufstellen und die Angreifer in die Flucht schlagen. „So eine Kanone konnte allerdings nur einmal etwa alle zwanzig Minuten abgefeuert werden“, weiß Robert und erklärt mir, wie aufwendig das Laden dieser schweren Dinger gewesen sein muss. „Darum stand hinter jeder Kanone immer noch eine Zweite. Damit die sich abwechseln konnten.“ Ein Nachteil der Kasematten war aber, dass sie ziemlich feucht und kalt sind. Sie waren daher nicht ständig, sondern nur im Verteidigungsfall besetzt. Das Schwarzpulver würde ja nicht mehr funktionieren, wenn es dort gelagert und feucht werden würde.
Wir durchlaufen einige der felsigen Gänge in den Kasematten. Robert immer vorneweg, ich so gut es geht hinterher. Ohne meinen Guide hätte ich mich hier sicher verlaufen. Es ist wirklich wie in einem dunklen Schweizer Käse, bzw. in einem luxemburgischen 🙂
Aus einem dicken Ringhefter, den Robert unter dem Arm mit sich herumträgt, zaubert er zu jedem Thema, über das er berichtet, altes Kartenmaterial, Stadtansichten und andere wichtige Dinge hervor. Natürlich gibt es auch Fotos von der Familie des Großherzogs. Die zeigt er uns, als wir vor dem Palast stehen, der ganz früher, als die Spanier hier zwischendurch auch einmal das Sagen hatten, eine Art Rathaus war. Irgendwie hatten sie alle hier in Luxemburg mal ihre Finger drin, die Niederländer, die Franzosen, die Spanier und die Österreicher … Jedenfalls kann ich am Palast durchaus maurische Muster erkennen, die mich an Spanien erinnern.
Auf dem Platz vor dem Rathaus findet heute gerade ein Wochenmarkt statt. Wir bahnen uns einen Weg durch Blumen und Gemüse, bis wir vor der Statue Wilhelm des II. stehen, dem Sohn des ersten Königs von Luxemburg. Robert erklärt ausführlich die Abstammungsgeschichte des Nassauer Großherzogsgeschlechts. Eine sehr komplizierte Familiengeschichte!
Ganz am Anfang stand jedoch Ermesinde, eine umsichtige Herrscherin, die Anfang des dreizehnten Jahrhunderts der Stadt Luxemburg den Freibrief erteilte. „Damals wurden die kleinen Mädchen ja schon mit drei oder vier Jahren versprochen und mussten aus politischen Gründen oft sehr jung heiraten“, meint Robert. „Ermesinde war mit 18 Jahren schon das erste Mal Witwe. Sie heiratete noch ein zweites Mal und wieder überlebte sie ihren Mann.“ Praktisch gesehen war es der klugen Ermesinde also durch diese Heiraten und geschickte Verwaltung gelungen, das Großherzogtum Luxemburg zu vergrößern und zu einem gewissen Wohlstand zu führen. Die Luxemburger danken es ihr noch heute mit dem Wappentier, dem Luxemburger Löwen: Der hat nämlich zwei Schwänze, die für die unter Ermesinde zusammengeführten Gebiete stehen.
Das Motto der Luxemburger: Mir wölle bleiwe wat mir sin
Während wir durch die Altstadt schlendern, grüßt Robert immer mal wieder einen Bekannten. Luxemburg ist klein. Hier kennt man sich. „Moien, Moien“ – begrüßen sich die Luxemburger. Überhaupt sind die Luxemburger alle dreisprachig – mindestens. Französisch und Deutsch sind offizielle Amtssprachen. Lëtzebuergesch, wie Luxemburgisch hier heißt, ist genau genommen eine Varietiät des Westmitteldeutschen. Linguistisch gesehen gehört es damit zu den Ausbaudialekten des Hochdeutschen. Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts wurde Luxemburgisch nur mündlich benutzt. Eine schriftliche Form gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten. Seit Mitte der achtziger Jahre hat das Luxemburgische aber den Status einer Amtssprache erhalten, der dritten Amtssprache des Landes. (Für Linguisten ein sehr spannendes Thema – wo fängt Sprache an, wo hört Dialekt auf …)
Gesetze erlassen die Luxemburger übrigens ausschließlich in französischer Sprache. Die herrscht auch im Europaviertel vor, also da wo die aus Glas und Stahl glänzenden Hochhäuser stehen, und sich Institutionen wie der Europäische Gerichtshof, der Europäische Rechnungshof und das Sekretariat des Europäischen Parlaments befinden. Aber um den modernen Bauten des Luxemburger Politzentrums noch einen Besuch abzustatten, reicht die Zeit heute leider nicht mehr. Stattdessen muss ich dringend noch einmal zurück zum Palast des Großherzogs. Direkt gegenüber habe ich nämlich das Chocolate House entdeckt, von dem mir Yaya und Lloyd (Getting lost in Luxembourg …) schon vorgeschwärmt haben. Außer Schokolade gibt es hier allerleckerste Kuchen – und die auch noch in XXL Size!
Wichtige Info: 🙂
Chocolate House
20 rue du Marché-aux-Herbes
1728 Luxembourg
Direkt vor dem Chocolate House stehen ein paar Säulen mit Masken, die einem nachsehen, egal von wo man guckt 🙂
noch ein Kopf, irgendwo an einer Hauswand
Vielen Dank an Visit Luxembourg, die mich zu diesem Stadtbummel eingeladen haben und an Robert, für seine vielen Geschichten!
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