Sitges liegt von mir aus auf der anderen Seite Barcelonas, also im Süden. Irgendwie komme ich viel zu selten dorthin, obwohl die Fahrt mit der Bahn total unkompliziert ist. Heute bin ich aber mit Gemma verabredet. Wir wollen einen kleinen Stadtbummel machen und Tapas essen.

sitges altstadt

Zweimal im Jahr gibt es nämlich diese „Tapa a Tapa“ Woche, d.h. rund zehn Tage lang bieten verschiedene Bars und Restaurants jeweils eine ganz bestimmte Tapa und dazu ein kleines Bierchen für 2,50 Euro an. Insgesamt machen in Sitges über dreißig Bars mit. Die Auswahl ist also größer als das, was mein Magen schaffen kann. Die Idee dabei ist, gemütlich von Bar zu Bar zu ziehen, und dabei die verschiedenen Tapas zu probieren. Da heute die Sonne schon sommerlich scheint, kann ich mir gerade kaum etwas Angenehmeres vorstellen, als von einer Terrasse zur nächsten zu spazieren, kleine Leckereien zu essen und ein kühles Bierchen gegen Durst zu trinken.

Unsere erste Anlaufstelle ist das Izarra. Wie der Name schon vermuten lässt, erwartet uns dort eine baskische Tapa: ein Mini-Hamburger mit süßen Tomaten, Zimt, Idiazabal Käse und Bacon. Gemma und ich prosten uns fröhlich zu und mampfen unsere baskische Babyboulette.

tapas sitges izarra

Während wir so durch die Straßen von Sitges laufen, kommen wir an verschiedenen modernistischen Häusern vorbei und Gemma erzählt mir, wie Sitges früher ausgesehen hat.

casa indianos hotel sitges

casa modernista sitges

Als so um 1860 die Reblaus von Amerika nach Europa eingeschleppt wurde, vernichtete sie zuerst in Frankreich, dann auch in Katalonien sämtliche Weinstöcke. In Katalonien lebte damals ein großer Teil der Bevölkerung vom Fischen oder vom Weinanbau. Diese kleine Reblaus sorgte also für eine verheerende Katastrophe. Die Weinbauern gingen Pleite, die gesamte Wirtschaft erlitt eine harte Krise.

In dieser Zeit zog es viele Katalanen nach Übersee. Einige machten ihr Glück in Puerto Rico, Panama, Argentinien oder in Kuba. Die Überfahrt war hart, das Leben in der neuen Welt ebenso. Manche dieser Auswanderer kehrten nie zurück, entweder, weil sie es nicht geschafft hatten, dort Fuß zu fassen oder gar heil und gesund dort anzukommen, oder weil sie es geschafft hatten und in der neuen Heimat blieben. Diejenigen, die es zu Ruhm und Reichtum gebracht hatten und irgendwann wieder nach Katalonien zurückkehrten, nannte man Indianos oder Americanos.

Wie auch in Barcelona und in vielen Dörfern und Städten an der Costa Brava, bauten diese Rückkehrer meist prächtige Paläste, unterstützten die Infrastruktur ihrer Heimatdörfer und ließen die angesagtesten Künstler ihrer Zeit schicke Monumente errichten. Geld war ja kein Problem.

casa indianos sitges

„In Sitges haben die meisten modernistischen Häuser der Indianos einen hohen Turm.“, meint Gemma. „Warum?“, frage ich. Feinde wurden ja wohl nicht erwartet. „Du musst dir vorstellen, dass Sitges damals noch ein Fischerdorf war. Kleine, weiße Häuser, flach und einstöckig gebaut, erstreckten sich an ein paar Straßen in der Nähe der Küste entlang. Alles darüber hinaus, auch hier, wo wir stehen, waren Weinreben. Heute stehen diese Prachtbauten zwar mitten im Ort, aber damals lagen sie außerhalb von Sitges.“ Ah, ich verstehe. Die neuen Reichen siedelten sich natürlich nicht mitten im Ort, zwischen den Handwerkern und Fischern an, sondern bauten ihre Häuser da, wo sie viel Platz und Ruhe hatten, vor den Toren der Stadt. Von den Türmen ihrer Paläste hatten sie also einen guten Blick auf das Meer und hielten nach den Schiffen Ausschau, auf denen die Waren, mit denen sie Handel trieben, Textilien, Wein, Kaffee, etc. transportiert wurden.

Die meisten dieser Indiano Häuser sind mittlerweile in Hotels umgewandelt worden. Fast alle haben einen schönen, kleinen Garten, Palmen – die die Rückkehrer aus der Neuen Welt mitgebracht hatten – und viel verschnörkeltes Eisen als Dekoration, ein typisches Element des katalanischen Modernismus.

tapas sitges granja sitges

Es ist höchste Zeit für die nächste Tapa. Unsere zweite Station ist la Granja de Sitges. Hier gibt es eine minikleine Eiswaffel mit einer Creme aus Gorgonzola und Pilzen. Das schmeckt nicht nur lecker, sondern sieht auch echt süß aus. Fast zu schade zum Essen. Mein zweites Bierchen trinke ich nur halb aus. Ich will ja schließlich nicht betrunken werden.

In der Nähe der zentralen Plaça, auf der sich alle fünf Straßen der Altstadt treffen, zeigt Gemma auf eine ganze Reihe handgemalter Keramikschildchen, die in eine Hauswand eingemauert sind. Zu Corpus Christi, wenn alle Wege mit Blumenteppichen geschmückt sind, gibt es wohl einen Wettbewerb der Einwohner, welche Straße die schönsten Dekorationen gebastelt hat. Diese Straße hier hat in den letzten Jahrzehnten wohl besonders viele Preise gewonnen.

sitges corpus christi

uhrenturm modernista sitges

Auf der Plaça Cap de Vila steht der Uhrenturm, auch ein Indiano-Haus. Erst als ich den Kopf weit in den Nacken lege, erkenne ich ganz oben das Türmchen mit der Uhr. Mit bunten Mosaiken geschmückt erkennt man sofort die Ähnlichkeit zu anderen modernistischen Bauten, wie man sie in Barcelona oft findet.

Sitges uhrenturm

Unsere nächste Tapasbar ist eines der ältesten Cafés in Sitges. Im Café Roy bieten sie als Tapa einen „Arros pirata“, also Piratenreis, an. Genau das Richtige für mich. Als unsere Teller gebracht werden, staune ich nicht schlecht: ein kleines Bambusschiffchen mit Reis beladen. Obendrauf thront ein schwarzer Tupfer Sepia (Tintenfisch). Njami! So mag ich das!

cafe bar roy sitges
cafe roy sitges tapas arros pirata

Früher bestand Sitges ja vorwiegend aus kleinen, weißen Häusern. Viele von ihnen hatten einen kleinen Hof. Damit das Licht nicht so sehr blendete, bemalte man die Wände oft in einer ganz bestimmten blauen Farbe, dem Sitges-Blau. Noch heute kann man in den Farbenläden hier genau diese Farbe kaufen. Leider ist nur ein einziger pati blau, also einer dieser Hinterhöfe, erhalten geblieben. Gemma zeigt ihn mir. Den modernistischen Maler und Dichter Rusiñol, der sich so in Sitges verliebt hatte, dass er sich hier ein Häuschen kaufte, hat dieser Innenhof sogar zu einem Theaterstück inspiriert.

pati blau sitges
schuhladen sitges blau
sitges merceria blau

Die vorletzte Station unserer Tapastour ist ein schöner Hinterhof eines alternativen Veranstaltungsclubs, der Cañateca Prado. Die Tapa, die wir serviert bekommen, sieht richtig lecker aus und hat auch noch einen fast poetischen Namen „Mar endins se’n va la barca“ (das Boot fährt aufs Meer hinaus). Schafskäse und Mousse de Foie auf einer Blätterteigschicht, mit einem Segel aus Karamell und einer blau marmorierten Creme, die wohl die Wellen darstellen soll. Allerdings sieht das Ganze wesentlich besser aus, als es dann schmeckt. Aber nun gut, wir probieren weiter. Nicht jede Tapa kann ja ein Höhepunkt sein. „Dabei kann man hier eigentlich total gut essen“, meint jedenfalls Gemma, die den Laden kennt. Aber vielleicht sollte man sich dann doch lieber was aus der traditionellen Küche bestellen.

tapas sitges cañateca

sitges Promenade Strand
tapas sitges pic nic

So langsam beginnt sich dann auch ein Sättigungsgefühl einzustellen. Jede Tapa für sich ist zwar klein und leicht, aber wenn man mehrere davon ist, wird man eben irgendwann auch satt. Ein letztes Restaurant wollen wir aber noch besuchen. Im Pic Nic, direkt am Strand, gibt es Mar i Muntanya, Meer und Berge. Das ist ein Klassiker der katalanischen Küche, der aus Tintenfisch mit Hackbällchen besteht. Der einzige Schnickschnack ist hier ein schwarzer Schaum aus Tintenfischtinte. Sehr lecker und ehrlich. Ich kaue genüsslich die letzten Happen, und dann bin ich echt satt. Leider. Mit den Augen könnte ich noch stundenlang so weiter essen. Diese Tapas sind echt genau mein Ding.

sitges strasse

Gemma bringt mich noch zum Zug und ich fahre wieder nach Hause. Aber ich weiß jetzt schon, was ich nächstes Jahr machen werde. Da nehme ich meinen Schatz mit, zum Tapas essen.

Zum Nachessen hier die Adressen der Tapas-Bars, alle in Sitges:

Izarra
C/ Major 22

Granja de Sitges
C/ Parellades, 4

Café Roy
C/ Parellades, 9

Cañateca Prado
C/ Francesc Gumà 6-14

Pic Nic
Passeig de la Ribera s/n