Früh am Morgen stehen Carmen und ich in dem Zweihundertseelendorf Boí. Viel Betrieb ist um diese Uhrzeit noch nicht. Nur eine ältere Dame, ganz in Schwarz gekleidet, schleppt Gemüse in einer Tüte nach Hause. Aber genau hier sollen die Taxis in den Nationalpark Aigüestortes abfahren. Mit dem eigenen Auto kommt man da nämlich nicht so ohne Weiteres rein. Nur zu Fuß, mit dem Rad oder eben mit einem Guide. Und auf den warten wir gerade.
Dann entdecken wir sie auch schon, Judith, mit der wir gestern bereits Waldbaden waren. Bevor sie uns heute durch den Nationalpark Aigüestortes führt, statten wir dem kleinen Infozentrum noch einen kurzen, aber interessanten Besuch ab. Anschließend geht es dann hoch hinauf in die Berge. Um die Flora und Fauna zu schützen, fahren die Taxen von Boí aus bis zu einem bestimmten Punkt auf dem Plateau. Von dort aus geht es dann nur noch zu Fuß weiter. Die meisten Taxifahrer haben noch einen Hauptberuf und fahren nur in der Hauptsaison oder an den Wochenenden die Touristen in den Park. Unser Fahrer ist gut drauf, macht nette Musik an und scherzt mit Judith.
Oben angekommen drehen wir erst einmal eine Runde auf der Hochebene. Der Weg ist sogar für Rollstuhlfahrer geeignet, denn man hat einen Steg gebaut, damit die Leute nicht vom Weg abkommen und aus Versehen die Natur zertrampeln. Eine Rentnerreisegruppe kommt uns entgegen spaziert. „Die bleiben hier oben und gehen nur bis zum Estany Llong“, meint Judith. „Und wo gehen wir hin?“, will ich dann natürlich wissen. Zum See offenbar nicht. „Wir gehen einen anderen Weg, in Richtung zu dem Wasserfall, an dem wir auf der Herfahrt vorbei gekommen sind.“
Das klingt gut! Der Wasserfall war echt schön, soweit ich das aus dem Auto denn so schnell sehen konnte. Die Idee, den in Ruhe aus der Nähe zu betrachten, gefällt mir gut. Und so stiefeln los, zum Glück geht es bergab. Unterwegs finden wir wieder Pilze, die man hier natürlich nicht pflücken darf. Alle Pflanzen und Tiere im Park sind ja geschützt. Judith erklärt, was hier sonst noch so am Wegesrand wächst: Wacholder, Hagebutten, und ganz viele Bäume und Moose, deren Namen ich mir leider nicht gemerkt habe.
Unsere Wanderung führt uns vorbei an steinernen Hängen und über grüne Wiesen. Die sind allerdings meist voller Kuhmist. Da müssen wir schon aufpassen, wo wir hintreten, wenn wir nicht eine „Erinnerung“ mit ins Hotel schleppen wollen. Die hübschen braunen Kühe laufen relativ frei hier im Tal herum. Es gibt zwar ein paar Zäune, aber eigentlich wird hier im Park fast nichts angerührt. Die Parkverwaltung überlässt es der Natur selbst, Ordnung oder Unordnung zu machen. Nur die paar Bauern, die hier schon Kühe oder Ziegen hielten, bevor das ganze Tal unter Naturschutz gestellt wurde, dürfen ihre Tiere noch herumlaufen lassen.
Sobald der Mensch in den sensiblen Kreislauf eingreift, geht ja meist irgendetwas schief. Und so überstehen die Pflanzen hier heftige Stürme und Krankheiten ganz alleine. Umgefallene Bäume werden weder aufgerichtet oder weggeräumt. „Denn so ein Baum ist ja auch wieder Nahrung und Lebensraum für kleine Insekten oder Pilze“, erklärt Judith. Im Naturpark Aigüestortes soll die Natur selbst schalten und walten.
Total angenehm finde ich, dass ich dauernd Wasser plätschern höre. Das liegt wahrscheinlich daran, das wir mehr oder weniger in der Nähe des Riu Sant Nicolau ins Tal hinabsteigen. Weiter unten soll es ja noch den Wasserfall geben und noch weiter unten fließt das Wasser dann in den Estany de Llebreta.
In dem kleinen Informationszentrum in Boí haben wir auf dem Modell des Naturparks schon gesehen, dass die Berge komplett mit kleinen Seen überzogen sind. Über zweihundert solche „estanys“ sollen es insgesamt sein. Einige von ihnen sind sogar richtig tief, bis zu hundert Meter! Alle diese Seen stammen im Grunde genommen aus der Eiszeit. Als sich die Gletscher zurückzogen, entstanden diese Löcher. Doch langsam aber sicher füllen sie sich mit Sedimenten. In ein paar Tausend Jahren werden diese Karseen alle verschwunden sein.
Als wir uns nach fast zwei Stunden dem Estany Llebreta nähern, ziehen ein paar Geier über unseren Köpfen ihre Kreise! Es sind Trencalòs, auf Deutsch Bartgeier oder Lämmergeier, wie ich sie neulich schon im Lozère gesehen habe (den Artikel schulde ich Euch noch). Jedenfalls kann man vom katalanischen Namen dieses Vogels schon ableiten, wovon er sich ernährt. Wörtlich übersetzt ist das nämlich ein Knochenbrecher. Das heißt, dieser Geier frisst keine Innereien, sondern wirklich die Knochen der verendeten Tiere. Irgendwie kann er die im Magen wohl zersetzen. Sind die Stücke zu groß, lässt er sie aus großer Höhe auf den Boden fallen und zerbricht sie so in kleinere Stücke.
Aber zum Glück sind die Geier nicht an uns interessiert. So kaputt sind wir nun auch nicht. Auf dem See kommt eine Ente ganz zutraulich angeschwommen. Ich wundere mich ein wenig, dass sie ganz allein unterwegs ist. Angeln und Jagen sind im Park natürlich streng verboten. Ihre Familie muss sich also irgendwo herumtreiben.
Langsam macht sich der Hunger bemerkbar. Nach unserem kleinen Marsch kann ich jetzt aber wirklich etwas Gutes zu Essen vertragen! Heute darf es auch ruhig ein wenig mehr sein. Unten in dem kleinen Dörfchen Boí kehren wir also in ein nettes Restaurant ein und füllen unsere Energiereserven wieder auf.
Infos zum Nationalpark Aigüestortes i Estany de Sant Maurici:
Der Park wurde 1955 eingerichtet und ist der einzige Nationalpark in Katalonien. Der Name Aigüestortes bedeutet so viel wie „krumme, gebogene, sich windende Wasser“ und kommt von den durch die Täler mäandernden Flüssen.
Wir sind von Boí aus in den Naturpark Aigüestortes gefahren, es gibt aber auch noch einen anderen Zugang in der Nähe von Espot. Dort gelangt man auch zum Estany Sant Maurici,
Nützliche Infos zum Nationalpark findest Du hier:
www.vallboi.cat
Sehr lecker gegessen haben wir im:
Hostal Restaurant Pey
Plaça el Treio 3
25528 Boí – Lleida
Website: www.hostalpey.com
Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips, zu dem wir vom Patronat de Turisme de la Vall de Boí und dem Patronat de Turisme de Lleida eingeladen worden sind.
Oh, Aigüestortes – wunderbar. Nach einer kurzen Stippvisite vor einigen Jahren (allerdings vom Osten her; inkl. Weihnachts-Los-Kauf in Sort :-D) stehen die Pyrenäen und der Nationalpark ganz, ganz weit oben auf meiner Liste. Danke für die Erinnerung. 🙂
Dort oben gibt es wunderbare Wanderwege!! echt schön!!!
Liebe Grüße!
Wundervoll geschrieben. Es macht direkt Lust dorthin aufzubrechen und alles zu erkunden. Auch die Fotos sind einfach toll. Danke für den schönen Reisebericht.
Hallo Ingrid,
freut mich, dass Dir der Bericht gefällt 🙂 Wenn Du mal dort hinfährst, wirst Du es sicher nicht bereuen! Eigentlich gibt es noch so viel mehr Wanderwege dort, aber dann hätte ich echt ein paar Tage länger da bleiben müssen …
Liebe Grüße