Josefina ist jeden Tag hier. Sie kümmert sich um ein ganz besonderes Grab, oder besser gesagt um eine ganz besondere Nische auf dem Friedhof im Poblenou. Santet, den kleinen Heiligen, nennt man hier im Volksmund einen Mann, der mit 22 Jahren verstorben ist, der aber noch immer kleine und große Wunder für die Menschen vollbringt. Ein Schrein der Verehrung, ein richtiger Altar, ist auf seinem Grab entstanden. Es gibt sogar ein Fach für die vielen Briefe und Zettel, die die Leute mit ihren Wünschen an den Santet richten. Und Josefina pflegt die Blumen, zündet die Kerzen an und sorgt dafür, dass alles hübsch und aufgeräumt ist, Tag für Tag.

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El Santet

Francesc Canals Ambrós hieß der junge Mann. Er war freundlich und hilfsbereit, ein bescheidener Mensch, ein einfacher Angestellter. Mit nur 20 Jahren starb Francesc 1899 und wurde hier auf dem Friedhof Poblenou beigesetzt. Bald nach seinem Tod munkelten die Leute im Viertel. Geschichten von Wunderheiligungen kursierten in ganz Barcelona. Selbst Menschen, die ihn zu Lebzeiten gar nicht gekannt hatten, kamen nun an Francescs Grab, zündeten Kerzen an und baten ihn um Hilfe.

Eigentlich wollte ich mir die Statuen auf dem Friedhof ansehen. Oft sind auf alten Friedhöfen wunderschöne Kunstwerke versteckt. Und es sind Orte der Geschichte. Hier kann man viel über das Denken und Fühlen der Leute erfahren, der Reichen und der Armen. Und man kann sehen und lesen, was ihnen im Leben wichtig war. Ein Besuch auf dem Friedhof kann wie ein Zeitfenster sein. Die Architektur, die Statuen, die Pantheons spiegeln die Gedanken und die Mode einer bestimmten Epoche wieder. Fast so, als wäre die Zeit hier eingefroren.

Aber zunächst zieht mich Josefina total in ihren Bann. Diese einfache kleine Frau, die so inbrünstig von ganzem Herzen den Santet verehrt. Sie erzählt mir, dass er vor vielen Jahren nicht nur ihrer sterbenskranken Tochter geholfen hat, sondern auch sie selbst von einem Krebs geheilt habe. Daher ist sie ihm unendlich dankbar und hat versprochen, sich hier um alles zu kümmern. Und das macht sie seit vielen, vielen Jahren. Auch an Weihnachten. Nichts ist wichtiger, als dass der Santet es hübsch und ordentlich hat.

El Santet Friedhof Poblenou Barcelona
Santet Friedhof Poblenou Barcelona
Santet Friedhof Poblenou Barcelona votivgaben

Manchmal verteilt Josefina kleine Bilder ihres Santets. Sie hat immer ein paar der plastifizierten Kärtchen mit einem Foto des kleinen Heiligen dabei. Viele Leute seien schon gekommen und hätten sie um ein Bildchen des Santet gebeten, damit er ihnen auch helfe. Josefina ist so eine Art Sprachrohr geworden. Sie hat Autorität hier auf dem Friedhof. Aber nicht jeder bekommt einfach so ein Heiligenbildchen. Josefina achtet sehr genau darauf, wem sie ein Bild anvertraut. Manchmal, so verrät sie mir, sage ihr der Santet auch, der oder diejenige habe es nötig und brauche seine Hilfe. Sie solle doch ein Bildchen verschenken. Dann gibt sie einen ihrer Schätze her, aber nur weil ER es gesagt hat. Denn sie hütet die Kärtchen wie ihren Augapfel.

Nach über einer halben Stunde kenne ich nicht nur ihre Lebensgeschichte, sondern auch diverse andere Geschichten, die Josefina auf dem Friedhof schon erlebt hat. Sie kennt hier jeden und weiß alles. Sie gehört irgendwie zum Friedhof dazu. Zum Abschied küsst sie eines ihrer Bildchen, lässt es vom Santet segnen. Dann überreicht sie es mir und umarmt mich. Nun halte ich auch ein plastifiziertes schwarz-weiß Foto in den Händen und bin ich echt gerührt.

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Engel Barcelona
Engel Friedhof Barcelona

Hundert Jahre Kunstgeschichte

Dann setzen Adrià, der mich über den Friedhof begleitet, und ich unseren Spaziergang durch die Kunstgeschichte Barcelonas fort. Der Cementiri del Poblenou war 1775 der erste Friedhof außerhalb der Stadtmauern. Vorher begrub man die Toten fast überall in Europa direkt neben der Kirche. Doch Barcelona, eingezwängt in die viel zu engen Stadtmauern, platzte aus allen Nähten. Allein aus hygienischen Gründen musste man die Verstorbenen außerhalb der Stadt beisetzen.

In einem der zahlreichen Kriege gegen Frankreich wurde der Friedhof von den Soldaten der napoleonischen Truppen niedergebrannt. 1813 wurde der Architekt Antonio Ginesi mit dem Neubau der gesamten Anlage beauftragt. Der junge Italiener stieß mit seinem Entwurf auf wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung. Der neoklassizistische Stil, angelehnt an italienische Friedhöfe, teilweise mit ägyptischen Motiven, war den Menschen zu fremdartig.

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Die Friedhofsanlage war ursprünglich in vier gleichgroße Flächen mit viel Grün und gleich viel Platz für alle Gräber bzw. Nischen geplant. Diese Aufteilung (mit abgerundeten Ecken) soll angeblich auch Ildefons Cerdà i Sunyer zu seinem Entwurf der Eixample inspiriert haben. Aber wie das so ist, einige sind immer gleicher als gleich, auch nach dem Tod. Und so gab es bald eine Erweiterung des Friedhofs für die Bourgeoisie, die besser gestellten Bürger. Hier findet man nicht die  typischen, kleinen Nischen, sondern aufwendig gestaltete Monumente, Statuen und so genannte Panteons.

An vielen Gräbern gibt es Symbole und Nachrichten, manchmal sogar kleine Anekdoten. In einer Kapelle sind zum Beispiel Züge, Schiffe und Seefahrermotive zu erkennen. An einem anderen Grab sieht man Kapseln der Mohnblumen. Adrià erklärt mir, dass der Schlaf-Mohn, aus dem auch Opium gewonnen wird, für den „ewigen Schlaf“ steht. Auch Eulen und Sanduhren sind offenbar wichtige Symbole für das Leben und den Tod.

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Das Familiengrab oder panteon der Familie Milà wurde erst vor Kurzem aufwendig renoviert. Die modernistischen Elemente sind hier nicht zu übersehen.

Ganz bescheiden hingegen hat sich der Erfinder des ersten U-Boots, Narcis Monturiol, in einer kleinen schlichten Nische beisetzen lassen. Auch Anselm Clavé, ein Dichter, Politiker und Komponist, der sich zeit seines Lebens für die armen und einfachen Leute eingesetzt hatte, ist auf dem Friedhof Poblenou bestattet. Da viele Menschen weder Zeit noch Geld hatten ein Instrument zu lernen, gründete er viele Chöre, um jedem die Möglichkeit zu geben, musikalisch am kulturellen Leben der Stadt teilzunehmen.

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Anselm Clavé

Inmitten eines der vier Innenhöfe des Friedhofs erhebt sich das Gelbfieber-Gedenkkreuz, das an die vielen Verstorbenen der Gelbfieber Seuche 1821 erinnern soll. Die Epidemie raffte einen Großteil der Bevölkerung Barcelonas dahin. Hier wird zum ersten Mal auch der Ärzte gedacht, die sich um die Erkrankten gekümmert hatten und schließlich selbst am Fieber gestorben sind.

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Adrià macht mich auf eine Nische aufmerksam, die eine kleine Geschichte erzählt. Frei übersetzt steht dort: „Ich war krank und habe den Arzt gerufen. Der sagte mir, nimm dieses Mittelchen hier und am nächsten Tag war ich tot.“ Schon ein wenig makaber, aber den Namen des Doktors verrät der Tote nicht.

An einer entlegenen Ecke des Cementiris befanden sich früher ein Massengrab und eine Ecke für die nicht katholischen Toten. Protestanten, Gitanos, Muslime und Atheisten durften ja nicht auf dem Friedhof begraben werden. Heute hat sich das alles vermischt, aber es gibt schon noch einige Unterschiede zu sehen, besonders bei den Gräbern der Gitanos. Eine Grabfigur sieht eher wie ein Tourist oder ein Gangsterboss aus: Sonnenbrille, Flasche in der Hand und Zigarettenpackung in der Hemdtasche. Davor ein wahres Blumenmeer. Letzten Sonntag war Allerheiligen. “Die Gitanos kommen immer mit der gesamten, großen Familie her und feiern mit Gitarrenmusik” meint Adrià. Eine ganz andere Art zu trauern.

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Ganz am Ende des Spaziergangs kommen wir zu einem Grab mit einer besonderen Skulptur. Hier ruht ein junger Mann, den der Tod viel zu früh holte. Die trauernden Eltern haben keine Kosten gescheut und den Bildhauer Jaume Barba 1930 mit dieser Statue beauftragt. Es ist der Beso de la Muerte, der Todeskuss. Kein hübscher Engel, keine liebliche Gestalt, sondern der Tod als Skelett mit Flügeln. Anfang der neunziger Jahre war ein Foto von genau dieser Figur sogar auf einer Ausstellung in Berlin zu sehen. Fast ein wenig unheimlich sind die „Augen“ des Todesengels. Geht man um die Statue herum, blicken sie einen direkt an, egal von welcher Stelle aus man ihn ansieht.

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Nützliche Infos: 

Cementiri de Poblenou
Avinguda Icària
08005 Barcelona
Website www.cbsa.cat

Plan des Friedhofs als pdf

Jeden ersten und dritten Sonntag im Monat finden geführte Spaziergänge über den Friedhof statt.
Am 1. Sonntag im Monat um 10.30 Uhr auf Katalanisch und um 12.30 Uhr auf Spanisch
Am 3. Sonntag im Monat um 10.30 Uhr auf Spanisch und um 12.30 Uhr auf Katalanisch

Wenn man allein, ohne Führung, über den Friedhof gehen will, kann man sich die App „Cementiri de Poblenou“ auf das Handy laden!

auf dem Friedhof Poblenou Barcelona.  Stoffblumen Friedhof Poblenou Barcelona.

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