Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, zu Fuß zum Castell auf den Montjuïc laufen zu wollen? Eine sehr lobenswerte, aber dennoch total blödsinnige Idee war das. Dieser und ähnliche Gedanken schwirren mir durch den Kopf, als ich über mir die schwebenden Gondeln des Telèferic erblicke. Es gibt wirklich bequemere Möglichkeiten, die Burg auf dem Berg zu erklimmen.
Nun gut. An einem Denkmal für den traditionellen Tanz der Katalanen, die Sardana, lege ich eine unauffällige Verschnaufpause ein. Ausgiebig fotografiere ich die schöne Aussicht. Schließlich kämpfe ich mich die letzten paar Meter bergauf, bis ich endlich vor der Burg stehe. Ich habe Glück und erwische sogar noch eine Führung, der ich mich anschließen kann.
Belén erklärt gerade den Grundriss des mächtigen Bollwerks, dessen Kanonen aufs Meer hinaus zeigen. Das war nämlich nicht immer so. Viel zu oft in der Geschichte Barcelonas zielten die Geschosse auf die Stadt! Das Castell auf dem Montjuïc hatte wirklich nicht den besten Ruf bei den Einwohnern Barcelonas. Viele jahrhundertelang war die wehrhafte Festung für sie ein Ort des Grauens.
Küstenbatterie auf dem Montjuïc
Die Geschichte der Burg:
Aber ich fange besser von vorn an. Lange bevor die Römer die Halbinsel eroberten, siedelten vermutlich schon die Iberer hier oben. Da der Montjuïc viele Generationen hindurch als Steinbruch benutzt wurde, sind aus dieser Epoche jedoch nur sehr wenige Fundstücke erhalten geblieben. Aus dem Sandstein, der hier aus dem Fels gehauen wurde, sind unzählige Gebäude in Barcelona entstanden, wie zum Beispiel die Santa Maria del Mar. Die Errichtung der „Kathedrale des Meeres“ inspirierte den katalanischen Schriftsteller Ildefons Falcones sogar zu einem Buch.
So direkt am Meer gelegen, ist natürlich die Aussicht nicht nur schön, sondern vor allen Dingen auch sehr nützlich. Früher war es für die Menschen lebenswichtig, herannahende Feinde möglichst schnell zu erkennen. Also errichtete man auf dem Montjuïc Wehr- und Wachtürme. Eine größere Siedlung entstand jedoch nicht. Die Menschen fanden es vermutlich wesentlich praktischer, am Fuß des Montjuïcs, direkt am Wasser zu leben.
Im siebzehnten Jahrhundert erweiterten die Einwohner Barcelonas die Wachtürme zu einer kleinen Wehranlage. Doch als der spanische König Felipe IV die Festung angriff, verloren die Katalanen die Schlacht (Batalla de Montjuïc) und Felipe IV übernahm die Burg auf dem Montjuïc. Von hier oben hatten seine Soldaten Barcelona gut im Blick.
Belén erklärt bei unserem Rundgang auch, wie wichtig die Wasserspeicher der Burg waren. Im Falle einer Belagerung war es überlebenswichtig für die Bewohner ausreichend Wasser zu haben. Je länger sich die Burgbewohner ohne Hilfe von außen selbst versorgen konnten, umso länger konnten sie einer Belagerung standhalten. Das Castell Montjuïc verfügte daher über drei große Tanks, in denen Wasser aufbewahrt wurde. Eines dieser drei Reservoirs ist bis heute mit Wasser gefüllt. Da sich die Zisterne hinter verschlossenen Türen befindet, kriegt man sie normalerweise nicht zu sehen. Die Guides der geführten Tour haben aber natürlich einen Schlüssel.
In dem Gewölbe, durch das wir zur Zisterne gelangen, kann ich sehen, wie dick die Mauern sind. Mindestens zwei Meter massiver Stein bis zum Fenster. Da die Festung zu einer Zeit errichtet wurde, zu der Burgen längst nicht mehr mit Katapulten, sondern mit Kanonen und Bomben angegriffen wurden, mussten die äußeren Mauern den neuen Waffen entsprechen. Während Katapulte Wurfgeschosse in hohem Bogen abfeuern, schießen moderne Feuerwaffen weniger hoch, reißen dafür aber heftigere Löcher ins Mauerwerk. Also wurden die Mauern nicht mehr hoch, sondern vor allen Dingen dick gebaut. Daher wirkt die ganze Anlage so massiv und kompakt.
Spanischer Erbfolgekrieg:
Nachdem sich die Katalanen im Spanischen Erbfolgekrieg auf die falsche Seite, nämlich auf die des österreichischen Thronprätendenten gestellt hatten, kam der Festung wieder eine größere Bedeutung zu. Der bourbonische Felipe hatte schließlich den Erbfolgestreit gewonnen und übernahm den Thron in Madrid. Die Katalanen hatten lange Widerstand geleistet, doch am Ende war Katalonien unterworfen. 1714 fiel Barcelona. Die Stadt wurde in Schutt und Asche gelegt.
Als Strafe für die Jahrzehnte andauernde Rebellion wurde die bislang eher kleine Festung auf dem Montjuïc zu einem mächtigen Bollwerk ausgebaut. Der neue Regent in Madrid nahm Barcelona geradezu in die Zange: Von Westen zielten die Kanonen des Castell Montjuïc auf die Straßen Barcelonas, im Osten ließ Felipe eine weitere imposante Festung errichten. Für den Bau der neuen Ciutadella wurden weite Teile der Altstadt einfach abgerissen. Über die folgenden Jahrhunderte blieb La Cituadella daher eines der meistgehassten Gebäude Barcelonas, ein Symbol der Unterdrückung. Als die Mauern der Zitadelle endlich fielen, entstand an ihrer Stelle eine der wenigen Grünflächen Barcelonas.
Die tragische Woche:
Ende des neunzehnten Jahrhunderts macht die Burg auf dem Berg wieder von sich reden. Es ist in ganz Europa eine Zeit der sozialen Umwälzungen. Die Lage der Arbeiter in Barcelona ist jedoch besonders schlimm. Die Stadt platzt aus allen Nähten. Die mittelalterlichen Stadtmauern halten Barcelona im eisernen Griff gefangen. Die Menschen sind bettelarm, die Sterblichkeitsrate erschreckend hoch.
Kommunisten, Sozialisten und Anarchisten werben in den Straßen Barcelonas um Anhänger. Sie kämpfen gegen Ausbeutung durch das reiche Bürgertum, die Besitzer der Industriebetriebe und gegen die katholische Kirche. Die Gewalt nimmt immer mehr zu. Bald explodieren Bomben. Eine Zeit lang fast täglich. Im Liceu, dem Treffpunkt der Reichen und Schönen, wirft ein Anarchist während der Vorstellung zwei Bomben ins Parkett. Die erste Bombe explodiert sofort und verursacht großes Chaos. Die zweite Bombe landet auf den dicken Röcken einer beleibten Besucherin am Boden und explodiert zum Glück nicht.
Doch der angerichtete Schade ist immens. Zwanzig Menschen verlieren ihr Leben. Wenige Tage später wird der Attentäter gefaßt und ins Gefängnis auf den Montjuïc gebracht. Barcelona ist entsetzt und noch viele Wochen lang sprachlos.
Ein paar Jahre später kommt es erneut zu einem Attentat. Dieses Mal ist die katholische Kirche das Ziel. Eine Bombe explodiert mitten in einer Fronleichnamsprozession. Manche Leute vermuten schlampige Planung der Anarchisten, andere behaupten, es sei ein organisiertes Attentat gewesen, um endlich gegen die Anarchisten durchgreifen zu können. Da die Kirchenoberen am Ende des Zuges gehen, bleiben sie unverletzt. Bei diesem Attentat sterben vor allem unschuldige Kinder.
Doch die Regierenden nehmen jetzt alles und jeden fest. Besonders häufig sozial engagierte, rebellische junge Menschen. Hunderte unschuldige Männer und Frauen werden in die Kerker des Montjuïc gesperrt und gefoltert. Ganz Barcelona spricht von einer neuen „Inquisition“. Angeklagte werden verurteilt, oft ohne jegliche Beweise.
Ein Skandal, der auch die ausländische Presse erreicht und in ganz Europa von sich reden macht. Am Ende muss die Regierung nachgeben. Zu groß ist der Druck aus dem Ausland. Die Gefangenen werden nach langen Wochen der Inhaftierung freigelassen. Der wirkliche Täter wurde nie gefasst.
Spanischer Bürgerkrieg:
Auf einem abseits gelegenen Hof des Castell Montjuïc befindet sich die Fossa Santa Elena. Während des Spanischen Bürgerkrieges hatten antifaschistische Milizen an dieser Stelle gefangene Falangisten erschossen. Nach dem Ende des Bürgerkriegs ließ Franco ein Denkmal errichten, dass ausschließlich den für sein Regime Gefallenen gewidmet war. Nach dem Ende der Diktatur entfernte man die Symbole der Falange und änderte Namen und Texte der Gedenkstätte. Nun ist dieser Ort allen spanischen Gefallenen gewidmet. Vor dem kleinen Altar mit dem großen Kreuz ruht eine Statue am Boden. Die leidende Pose und der Palmenzweig erinnern an einen Märtyrer. Das war wohl auch die Absicht der damaligen Auftraggeber.
Lluís Companys, linker Politiker (ERC) und Ministerpräsident Kataloniens, wurde im Spanischen Bürgerkrieg abgesetzt und musste wie viele andere, nach Frankreich fliehen. Im französischen Exil nahmen ihn deutsche Nationalsozialisten fest und lieferten ihn an Franco aus. Nach wenigen Tagen im Gefängnis des Castell de Montjuïc wurde Companys im Schnellverfahren verurteilt. Am 15. Oktober 1940 wurde er unten im Festungsgraben, an der Mauer des Castell Montjuïc erschossen.
Zum Abschluss der Besichtigung dürfen wir noch den Turm über dem Patio de Armas erklimmen. Von diesem höchsten Punkt des Berges, ist die Aussicht der Hammer!
In der Burg findet gerade eine Ausstellung zum Thema „Nazis und Faschisten“ statt. Im Innenhof erhebt sich eine beklemmend wirkende Installation, die mit ihren engen Zäunen und dem Stacheldrahtzaun doch sehr an KZs erinnert. Um den Hof zu überqueren, muss ich mich durch die scheinbar willkürlich angeordneten Pfosten zwängen. Erst von oben ergibt sich ein ganz anderes Bild: Die einzelnen Zäune formen das Wort WELCOME.
Infos zum Castell Montjuïc
Castell Montjuïc
Carretera de Montjuïc, 66
08038 Barcelona
Offizielle Website
Während der Zeit des Francoregimes war das Castell eine Kaserne und ein militärischer Stützpunkt. Erst 2008, lange nach dem Ende der Diktatur, zog das Militär ab. Seither soll das Castell Montjuïc den Einwohnern und Besuchern Barcelonas als Gedenkstätte und Grünfläche zur Verfügung stehen.
Name und Aussprache Montjuïc:
Den Namen hat der Hügel und damit auch die Burg vermutlich von einem jüdischen Friedhof, den man hier in den vierziger Jahren fand. Es gibt eine weitere Theorie, nach der bereits die Römer den Berg Monte Jupiter nannten. Möglich wäre das, aber dafür gibt es keine Beweise. Da ich schon die verrücktesten Versionen gehört habe, ein kleiner Tipp zur Aussprache: Man spricht Montjuïc ungefähr „Monschuik“ aus.
Eintritt Castell Montjuïc:
Der Preis beträgt 4 Euro für Erwachsene (Stand Januar 2018). Führungen in verschiedenen Sprachen starten zu bestimmten Uhrzeiten und kosten noch einmal 3 Euro zusätzlich. So eine „Guided tour“ lohnt aber total, da man dabei in den Wassertank und auf den Turm kommt. Nach der Vierzig Minuten dauernden Tour kann man anschließend noch selbst auf der Burg herumbummeln. Belén, mein Guide, war super nett und macht Führungen auf Spanisch, Katalanisch, Englisch und Deutsch.
Noch ein paar Tipps:
Mein wichtigster Tipp ist: Den Berg hoch fahren, runter zu Fuß laufen! Die Aussicht ist dieselbe und der Weg nach unten ist weit weniger anstrengend!
An der Metrostation Parel.lel, halten die lila (L2) und die grüne Linie (L3). Dort kannst Du unterirdisch direkt in den Funicular umsteigen. Der Funicular ist eine U-Bahntrasse, die zwar auf den Berg führt, aber von der aus man keine Aussicht hat. Oben angekommen kann man dann mit dem eher teuren Telefèric weiter zum Castell de Montjuïc hoch schweben oder man nimmt den wesentlich günstigeren Bus Nummer 150. Mit einem Metroticket kann man sowohl Funicular als auch Bus nutzen. Auf dem Rückweg kannst Du dann bergab laufen und entspannt die Aussicht genießen und jede Menge tolle Fotos von den Dächern Barcelonas machen. Einen ganzen Artikel über Telefèric, Funicular und Trasbordador Aereo findest Du unter: Die Seilbahnen in Barcelona.
Auf dem Friedhof des Montjuïc erinnert an einem der schönen, modernistischen Grabstellen eine in Stein gemeißelte Orsini Bombe an die „tragische Woche“ und das Attentat auf das Liceu. Der Cementiri del Montjuïc befindet sich unterhalb der Burg, der Haupteingang ist aber nur von der „Rückseite“ des Bergs aus, mit dem Bus zu erreichen.
Hinterlasse einen Kommentar