Grüne Berge und Täler erstrecken sich um uns herum. Wir sind in Okzitanien, im Land der Katharer. Hohe Gipfel wie der schneebedeckte Pique d’Estats ragen an der Grenze zu Spanien in den Himmel. Eigentlich geht es hier in der Gegend ziemlich ruhig zu. Nur heute, am Samstag, ist Markttag in Tarascon sur Ariège. Am Ufer des Flüsschens Ariège erhebt sich ein kleiner Hügel mitten im Ort, obendrauf thront ein Turm. Von unten sieht der Turm fast unerreichbar aus, so steil fällt der Hügel zum Fluss hin ab. Doch unser Guide Mélanie kennt einen Weg nach oben. Sie führt uns durch kleine Gassen den Hügel hinauf.

altstadt tarascon sur ariège

An den bunten Häusern leuchten blaue, grüne und gelbe Fensterläden. Hell und farbenfroh strahlen die alten Gebäude in der Mittagssonne. Überall stehen kleine und große Blumenkübel, liebevoll bepflanzt – fröhliche rote Farbtupfer. Diese freundlichen Häuser, die heute die kleine Altstadt ausmachen, stammen aus der Zeit nach dem 17. Jahrhundert. Von der mittelalterlichen Siedlung sind nur noch die steinernen Eingangstore übrig.

gasse tarascon sur ariège

pforte altstadt tarascon sur ariège

Während wir die engen Gassen zum Turm hinauf spazieren, erzählt Mélanie von dem großen Viehmarkt, der schon seit dem Mittelalter in Tarascon stattfindet. Früher kamen die Hirten und Bauern mehrmals im Jahr von ihren einsam gelegenen Höfen herunter ins Tal, um hier Vieh zu kaufen oder zu verkaufen. Die einheimischen Kühe waren wegen ihrer Trittfestigkeit in den Bergen besonders begehrt und wurden auch auf der anderen Seite der Pyrenäen gern gekauft. Für die kleinen Bergbauern war es extrem wichtig, dass ihre Kühe auf den hügeligen Weiden der Pyrenäen nicht umknickten. Denn der gebrochene Knöchel einer Kuh konnte schnell die Existenz einer kleinen Familie bedrohen. Verletzte Tiere in den Bergen dienen oft nur noch den Geiern als Festmahl.

Dieser traditionelle Viehmarkt, laut Mélanie einer der ältesten in Frankreich, findet sogar heute noch statt. Jedes Jahr am 8. Mai herrscht festliche Stimmung in Taracson sur Ariège. Mit Musik und gutem Essen beobachten und feiern die Einwohner dann das Wetteifern der Züchter, um die schönsten Schafe, Pferde und Rinder.

turm tarascon sur ariège

 tarascon sur ariège ausblick

blick vom turm auf fluss tarascon sur ariège

Mittlerweile stehen wir oben auf dem kleinen Hügel und blicken auf die grüne Landschaft hinab. Direkt unter uns vereinigt sich das Wasser des Vicdessos mit dem Ariège, der von hier aus bis nach Toulouse weiterfließt. Wie an einer Straßenkreuzung konnte man von der Burg, die einst hier oben stand, gleich vier Täler der Umgebung im Auge behalten. Im Mittelalter war Tarascon sur Ariège daher auch ein strategisch wichtiger Kreuzungspunkt der Verkehrswege durch die Pyrenäen.

Doch trotz der dicken Schutzmauern und der Wassergräben, die den Ort schützen sollten, fiel die Burg des Grafen von Foix den religiösen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts zum Opfer. Während der Religionskriege ließ Kardinal Richelieu fast alle Burgen der Gegend schleifen, so auch die Burg in Tarascon. Es dauerte über Hundert Jahre, bis man auf den Ruinen des Châteaus dann einen Turm errichtete, la Tour de Castella.

Über dem Tor des kleinen Turms prangen noch die Reste eines Wappens. Das Wappen des Grafen von Foix, das ursprünglich aus zwei Kühen und gelb-roten Streifen bestand, wurde  während der Französischen Revolution mit Hammer und Meißel entfernt.

la tour castella tarascon sur ariège

blume tarascon sur ariège

Weiter hinten zeigt Mélanie auf eine kleine Kirche, Notre Dame de Sabart, ist schon seit dem neunten Jahrhundert ein Wallfahrtsort der Pilger. Der Legende nach soll der Bau der Kapelle auf Karl den Großen zurückgehen. Weniger legendär ist hingegen die Umgebung der Kirche. Zwischen der alten Kapelle und der Altstadt entstand am rive gauche des Ariège die Arbeitersiedlung einer Aluminiumfabrik. Denn das Wasser, das in Tarascon reichlich vorhanden ist, machte den kleinen Ort zu einem idealen Standpunkt der Aluminiumindustrie.

Auf dem Weg hinunter ins Dorf zeigt mir Mélanie noch die Notre Dame de la Daurade. In dieser kleinen Kirche mit den eleganten Wandmalereien hat man 2016 bei Restaurierungsarbeiten etwas ganz Besonderes entdeckt. Während der Französischen Revolution wurde die Kirche wie viele andere Gotteshäuser auch, von den Revolutionären zu einem temple de la raison, einem Tempel der Vernunft, umfunktioniert. Die ursprünglichen Gemälde der Apsis wurden mit weißem Papier übertapeziert und mit roten und blauen Streifen verziert, ein Vorgänger der Trikolore.

 tarascon sur ariège

Etwas Mittelalterliches entdecken wir dann aber doch noch in Tarascon sur Ariège. Hier gibt es nämlich einen ganz besonderen Aperitif, den Hyprocras. Jean François Séguélas, viel gereister Spross einer alteingesessenen Winzerfamilie, hat sich nicht wie seine Vorfahren dem Wein, sondern diesem traditionellen Gebräu gewidmet. Gemeinsam mit seinem Vater hat er sich vor vielen Jahren auf die Suche nach dem Ursprung dieses Getränks gemacht.

Im Mittelalter war Hypocras weit verbreitet und sogar am Hof des Königs sehr beliebt. In einer der Geschichten Alexandre Dumas soll der Musketier D‘Artagnan sogar einen Hypocras bestellen, um den Diener seines Freundes Aramis betrunken zu machen und ihn auszuspionieren. Doch bei seiner Recherche fand Monsieur Séguélas viele unterschiedliche Rezepturen. Es war also gar nicht so leicht, die Spuren dieses Trankes zurückzuverfolgen. Doch Jean François gab nicht auf und tauchte tief hinab in die Geschichte. Stolz erzählt er, dass dieses Gebräu nicht nur bis Hippokrates zurückgehe, von dem sich ja vermutlich der Name ableitet. Der griechische Arzt wiederum soll diesen Kräutertrunk schon von den Ägyptern übernommen haben.

Die Geschichte des Hypocras geht also wirklich sehr weit zurück. Ursprünglich war es allerdings gar kein erfrischender Aperitif, sondern eine Medizin. Der mit Honig gesüßte Wein sollte dank der Zugabe von Nelken, Zimt, Ingwer und Kardamom eine wohltuende Wirkung auf den Körper haben. Nachdem der Hypocras vermutlich mit den Kreuzrittern, Pilgern und Händlern seinen Weg aus dem Orient in die Pyrenäen gefunden hatte, waren die Leute hier so begeistert von dieser wohl schmeckenden Arznei, dass sie sie bald dem meist schlechten Wein vorzogen. Monsieur Séguélas forschte und probierte immer wieder neue Rezepte aus, bis er schließlich eine eigene, sehr köstliche Version des Hypocras fand. Getrunken wird er am besten gut gekühlt – aber ohne Eiswürfel!

hypocras

hypocras Aperitif
hypocras

Infos zu Tarascon sur Ariège

Hypocras
1 bis, chemin de la croix de Quié
09400 – Tarascon sur Ariège
Website: hypocras.com

Lesetipps:

  • 111 Orte in den französischen Pyrenäen, die man gesehen haben muss
    von Evelyn Pschak von Rebay
    Verlag: Emons
    ISBN 978 37408 0562 3
  • L´Ariège
    von Mélanie Saves (unsere Stadtführerin)
    Verlag: Jean Paul Gisserot Editions
    ISBN : 978 27558 0709 7