Mein GPS kennt geheime Schleichwege. Wege, von denen sonst niemand weiß. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich ganz allein mitten durch eine unglaublich schöne Landschaft fahre, ohne irgendjemanden zu treffen. Die Felder sind grün, der Himmel knallblau mit kleinen, weißen Wolken. Das Licht strahlt so sauber, als wäre die Welt gerade frisch gewaschen. Alles leuchtet in den schönsten Farben. Dann taucht er plötzlich auf, der Mont Saint Michel. Wie eine Fata Morgana erscheint der Berg auf einmal vor mir.
Der steht dort im Übrigen, weil einem französischen Geistlichen im Jahr 708 der Erzengel Michael erschien. Der Engel befahl dem Diener Gottes, eine Kirche zu errichten. Das war etwas kompliziert und mit einigen Verzögerungen und Komplikationen verbunden. Doch die Kirche wurde gebaut. Erst eine Kleine, später dann eine Größere. Das dauerte natürlich alles seine Zeit, ein paar Jahrhunderte mindestens.
Doch selbst während des Hundertjährigen Krieges bauten die Leute immer noch an dem Klosterberg und wo sie schon dabei waren, machten sie gleich eine Festung aus der kleinen Insel. Aus allen Teilen Europas pilgerten die Gläubigen zum Mont Saint Michel. Er galt als ein wahres Wunder menschlicher Baukunst.
Ich nähere mich also diesem Wunderberg auf Schleichwegen und genieße die überraschende Ruhe. Ich hatte erwartet, von regelrechten Touristenscharen zum Berg begleitet zu werden. Doch die lauern prompt schon hinter der nächsten Kurve. Als ich um eine Hausecke in eine Landstraße einbiegen will, sind sie da, die Massen auf dem Weg zum Mont Saint Michel. Ein Auto nach dem anderen, Taxis, Busse, fahren an mir vorbei. Nun bin ich wohl wieder auf dem offziellen Weg gelandet. Schade. Aber es ist lange nicht so schlimm, wie erwartet.
Auf einem kleinen Parkplatz halte ich kurz an, um den Berg ganz in Ruhe zu bestaunen. Kann ich von hier aus zu Fuß dorthin laufen? Ich suche, doch finde keinen richtigen Weg. Es sei denn, ich liefe querfeldein, was wohl aber den Bauern nicht sonderlich gefallen würde. Also steige ich wieder ins Auto. Mal sehen, ob ich noch näher an den Berg herankomme.
Doch hinter dem ersten Kreisverkehr werde ich schon von winkenden Wächtern auf einen mega Parkplatz geleitet. Es geht zu, wie bei einem großen Festival, nur ohne Musik. Es geht nur eine Richtung. Das ist mir dann doch zu viel. Ich nehme Reisaus und fahre wieder zu meinem beschaulichen Parkplatz zurück. Dort trinke ich erst mal eine Tasse Kaffee und schicke dem Schatz daheim ein Foto vom Berg.
Eigentlich würde ich so gern zum Berg laufen. Nur einmal direkt davor stehen. Dann würde ich auch gleich wieder zurückgehen, denn ich bin ja eigentlich schon auf dem Weg zum Flughafen. Mittlerweile ist das whatapp mit dem Mont Saint Michel beim Schatz zu Hause angekommen. Er schreibt nur: „Hin da!“ – „Das ist viel zu voll und bestimmt auch teuer“, antworte ich. Ich habe ja auch gar nicht mehr so viel Zeit. „Doch, hin da. Los. Für mich – bitte“, textet er unbarmherzig zurück.
Naja eigentlich würde ich ja schon gern näher ran. Die Sonne scheint und strahlt, als wolle sie mich anspornen. Nach all dem Nebel der letzten Tage hat sich der Himmel heute wirklich in Schale geworfen. Ich nehme das als ein Zeichen und gebe mich geschlagen. Es wäre schon fast eine Sünde bei dem Licht nicht hinzufahren. So knapp wird es mit der Zeit schon nicht werden. Zum Flughafen müsste ich es eigentlich auch mit einem kleinen Besuch am Mont Saint Michel noch schaffen.
Geduldig reihe ich mich also wieder in den Strom der parkplatzsuchenden Pilger ein. Brav folge ich den Handzeichen der immer noch winkenden Wächter, die versuchen das Chaos zu beherrschen. Anders ginge es vermutlich auch gar nicht. Dann stelle ich das Auto ab und bin ein Teil des Ameisenvolkes, das sich auf den Weg zum Berg macht. Aus allen Ecken kommen die Menschen. Alle laufen in dieselbe Richtung. Ich laufe einfach mit. Dahin, wo alle hinlaufen. Prompt werde ich in einen Bus gedrängt. Der fährt hoffentlich zum Mont Saint Michel, denke ich noch, doch da fahren wir schon. Wie eine Sardine in der Dose lasse ich mich also bis kurz vor den Zauberberg fahren.
Dann spukt der Bus seine Fahrgäste aus. Da stehe ich nun, hole tief Luft und kann es kaum fassen. Direkt vor mir erhebt sich die mächtige Insel, die Klosterkirche ragt in den Himmel, als wäre sie auf Leinwand gemalt. Oder wie eine überdimensionale … Sandburg. Es ist Ebbe, stelle ich erstaunt fest. Je nach Gezeiten ist der Mont Saint Michel nämlich eine Insel oder eben auch nicht.
Bis vor drei Jahren gab es hier noch einen Damm, der den Mont Saint Michel mit dem Festland verband. Den Damm hatte man 1879 gebaut, doch dieser Eingriff in die Natur hatte schwerwiegende Folgen. Im Laufe der Jahrzehnte versandete die Baie du Mont Saint Michel nämlich immer mehr. Viele Jahre lang schien der Berg regelrecht auf dem Trockenen zu liegen. Erst 2001 beschlossen die Franzosen, schlaue Ingenieure und geschickte Techniker mit einem genialen Projekt zu beauftragen. Die Insel sollte wieder eine Insel sein dürfen. Nach langer Planung und Beratung fand man schließlich eine geeignete Lösung. Der Verbindungsdamm wurde abgerissen und stattdessen ein Gezeitendamm an der Mündung des Flusses Couesnon errichtet.
Da das Watt in der Bucht mit gefährlichen Stellen tückischen Treibsands gespickt ist, sollte eine Brücke den Fußgängern auch weiterhin den Zugang zum Mont Saint Michel ermöglichen. Die moderne Brücke ist nicht nur schick gebogen, sondern auch so konzipiert, dass sie den Zu- und Abfluss des Wassers nicht hindert und sogar geflutet werden kann. Ein sehr kompliziertes System, aber es funktioniert. Der Mont Saint Michel ist wieder eine Insel. Jedenfalls wenn Flut ist.
Ich habe es also geschafft und stehe glücklich direkt vor dem Klosterberg. Hinauf bis zur Kirche werde ich allerdings jetzt nicht mehr gehen. Bis hierher wollte ich kommen. Nun bin ich glücklich und mache mich wieder auf den Rückweg. Der Flughafen wartet. Ich war ihm ganz nah dem Mont Saint Michel und ich werde noch mal wiederkommen, um ihn auch bei Flut zu sehen. Umgeben von Wasser, als Insel in der Bucht schwimmend. Das muss besonders schön sein.
Mehr Infos Le Mont Saint Michel
Elke war vor einiger Zeit im Herbst in der Baie du Mont Saint Michel unterwegs. Auf dem Meerblog kannst Du von ihrem Besuch dort lesen.
Bevor die erste Kirche auf der kleinen Insel gebaut wurde, nannten die Bewohner der Gegend den Mont Saint Michel ursprünglich Mont-Tombe („tombe“ bedeutet im frz ein Grab oder ein Hügel). Ohne die Abtei Mont Saint Michel ist die Insel 92 Meter hoch. Während der Französischen Revolution wurde das Kloster aufgelöst und die Mönche weggeschickt. Auf dem Klosterberg wurden Regimegegner gefangen gehalten. Es war ein Tiefpunkt in der Geschichte des Mont Saint Michel. Die Gebäude der alten Abtei verfielen und der Insel eilte der Ruf eines abscheulichen Gefängnisses voraus. Das änderte sich erst wieder, als im neunzehnten Jahrhundert eine romantische Bewegung die historische Bedeutung des Klosters erkannte und den Mont Saint Michel in Form von Gedichten und Erzählungen zu verehren (und zu verklären) begann.
Öffnungszeiten der Abtei Mont Saint Michel :
Im Frühjahr/ Sommer, also von Mai bis August: 9.oo h – 18.00 h
Im Herbst /Winter, also von September bis April: 9.30 h – 18.00 h
Eintritt 9 Euro, mit Führung 13 Euro (für Erwachsene)
Anreise zum Mont Saint Michel :
Meine Schleichwege kann ich dir leider nicht verraten, denn die weiß wirklich nur das GPS des Mietwagens. Beziehungsweise, wenn Du einfach sowohl die Anweisungen des GPS als auch die Ausschilderungen am Straßenrand ignorierst, dann findest Du vielleicht möglicherweise selbst einen Schleichweg.
Der Parkplatz hat mich 6,20 Euro gekostet. Vermutlich war es nur deswegen so günstig, weil ich nur sehr kurz da war. Wenn man länger bleibt, kann es bis zu 11 Euro kosten, wenn ich alles richtig verstanden habe. Für eine vierköpfige Familie, die mit einem Auto anreist, ist das also gar nicht so teuer. Der Shuttlebus ist in der Parkplatzgebühr inbegriffen. Diese Busse fahren von 8 Uhr morgens bis spät abends. Es gibt auch Pferdekutschen, die kosten allerdings extra.
Viel schöner als die Fahrt mit dem Shuttlebus muss es sein, wenn man den Weg zum Berg wirklich läuft. Das mache ich, wenn ich wieder komme. Bei Flut wie gesagt …
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