In Jerez de la Frontera besuchen Michi und ich ein Tabanco, ein kleines Lokal, das an einer langen Theke Getränke serviert. Hinter der Theke stapeln sich alte Fässer, aus denen trockene Weine, die typischen Finos und Sherrys gezapft werden. Schließlich sind wir hier in der Heimat dieser ganz besonderen Weine und haben natürlich schon bei unserem letzten Besuch eine der vielen Bodegas besichtigt. Das Besondere an dieser kleinen Bar ist aber die winzige Bühne. Denn El Pasaje ist einer der wenigen Orte, an denen man echten, guten Flamenco live sehen kann. Keine Show nur für Touristen, sondern ein Ort, an dem auch die Andalusier guten Flamenco genießen. An wenigen kleinen Tischen kann man sich ein Plätzchen reservieren und während der Vorführung ein paar Happen essen.
Dann geht es los. Drei Personen nehmen auf dem Podest vor uns Platz, Alberto der Gitarrist, ein Sänger und Carmen, die Tänzerin. Ich muss zugeben, dass ich nicht nur keine Ahnung von Flamenco hatte, sondern diesem Tanz auch ein wenig skeptisch gegenüberstand. Eigentlich war dieser Abend ein Geschenk zu Michis Geburtstag, denn er liebt die klassische spanische Gitarre und wollte gern einmal eine Flamenco-Gitarre live erleben. Das Bild, das ich bisher zu diesem Thema im Kopf hatte, war hauptsächlich von kitschige Souvenirs und bunten, gepunkteten Kleidern in den Andenkenläden geprägt. Aber es dauerte keine fünf Minuten, da hatte Carmen uns beide mit ihrem Tanz völlig in den Bann gezogen.
Begeistert folgen wir ihren Bewegungen, beobachten ihre ausdrucksvolle Mimik und lauschen Albertos flinken Fingern auf der Gitarre. Wir waren begeistert! Mal langsam, mal schnell, mal traurig, mal frech, ein ganzes Feuerwerk an Gefühlen wirbelt da vor uns über die Bühne. Während ihre Füße in schnellen Schritten über das Parkett trommeln, vollführt sie mit ausschweifenden Bewegungen bedeutungsvolle Gesten. Selbst ihre Augen, der Blick und die Mimik sind Teil dieses ausdrucksstarken Tanzes. Mit jeder ihrer Bewegungen erzählt Carmen eine Geschichte, tritt mit dem Publikum in ein sehr emotionales Gespräch.
Als ich mich später mit ihr lange und ausführlich unterhalte, erzählt Carmen mir, was sie an diesem Tanz, den sie schon als kleines Mädchen lernte und immer fleißig übte, so sehr fasziniert. Denn der Flamenco ist viel mehr als eine festgelegte Abfolge an Tanzschritten. Es ist eine ganze Welt, ein komplexes Universum an Rhythmen und Takt und unzähligen, unterschiedlichen Stilen. Carmen sagt, was sie am meisten liebe, sei, dass man im Flamenco alle, wirklich alle Gefühle ausdrücken könnte. Eine Salsa zum Beispiel könne man nicht traurig tanzen. Das Tolle am Flamenco sei, dass er so echt sei, so wahr und so lebendig. Um diese großen Gefühle ganz ohne Worte auszudrücken, bedarf es schon einer gewissen Erfahrung. Nach so vielen Jahren muss sie sich nicht mehr auf die einzelnen Schritte konzentrieren, sondern kann ihren Emotionen freien Lauf lassen. Deswegen sei sie auch auf der Bühne ganz sie selbst, und dadurch werde auch jeder Tanz anders.
Natürlich gibt es strenge Regeln an die man sich halten muss, Schrittfolgen und Rhythmen, aber je nach Tagesform kann man mal expressiver, mal zurückgenommener tanzen. Während einer Aufführung steht Carmen in ständigem Austausch mit den anderen Musikern, die mit ihr auf der Bühne stehen. Sie verstehen sich ohne Worte, kommunizieren über kleinen Nuancen im Gesang, Variationen auf der Gitarre, oder in Carmens Fall eben mit den Bewegungen ihres Körpers. Selbst die Farben der Kleidung spielen eine Rolle. Um freudige, stolze oder leidenschaftliche Emotionen darzustellen, trägt sie rot, spielt mit Fächer oder schmückt sich mit einer Blume im Haar. Zu trauer, Einsamkeit Musik passt besser gedeckte Farben oder schwarz.
Ich bin völlig fasziniert von diesem Tanz, der Kultur, Geschichte, Lebensphilosophie und alles in einem zu sein scheint. Als Carmen dann noch erzählt, dass sie auch online Tanzkurse gibt, bin ich Feuer und Flamme. Menschen aus ganz Spanien und aus allen Winkeln der ganzen Welt, sogar aus Japan und Australien, und vielleicht bald auch ich, lernen bei ihr ganz privat, mit viel Humor und noch mehr Herzenswärme, die Grundlagen des Flamencos. Mich hat der Besuch dieser kleinen Bar in Jerez echt gefangen und meine Einstellung zum Flamenco von grundauf geändert. Während ich ihn bisher als als bedeutende Tradition eher unbeteiligt zur Kenntnis genommen hatte, bin ich nun rettungslos begeistert.
Informationen zum Flamenco
Wo kommt der Flamenco her? Was sind seine Ursprünge?
Man geht heute davon aus, dass dieser Tanz und diese spezielle Musik aus einer Mischung der unterschiedlichen Kulturen, die in Andalusien lebten, entstanden sind. Traditionen der „Gitanos“ , aber auch jüdische, maurische, afrikanische Elemente sollen im Flamenco zu finden sein. Carmen zeigt dir in ihren Kursen nicht nur, wie du Flamenco tanzt. Angefangen beim richtigen Klatschen, was schon eine Kunst an und für sich ist, erklärt sie auch die verschiedenen Stile und Variationen und woher sie kommen. Dieser Tanz kann so viel ausdrücken.
Du findest Carmen Moncada im Tabanco oder hier: www.instagram.com/carmenmoncada14 Wenn du wie Michi an der Flamenco Musik interessiert bist, den Gitarristen Alberto Franco findest du hier: www.instagram.com/a.franco_guitarrista
Tabanco El Pasaje
Calle Santa María, 8
11402 Jerez de la Frontera, Cádiz
Wer keinen Tisch reservieren möchte, kann auch an der Theke stehend das Geschehen auf der Bühne verfolgen. Das kostet keinen Eintritt. (Trotzdem bitte die Musiker respektieren und während des Auftritts nur leise unterhalten.)
(privat bereist im November 2023)
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