Jeden Samstag arbeiten Silvio und Germain an einem der steilen Hänge, die sich in dem gebirgigen Gelände rund um die kleine Siedlung Le Morne-Vert erstrecken. Lasotè nennt sich die Tradition, nach der die Arbeiter auf Martinique ihre Felder gemeinschaftlich bearbeiten.
Mit schweren Spitzhacken bewaffnet, stehen die Männer und Frauen, Junge und Alte, in einer Reihe am Rande des stark abschüssigen Feldes. Allein das Stehen an dieser Böschung ist schon nicht leicht. Ich muss Halt suchen und genau aufpassen, wohin ich meine Füße setze, um nicht kopfüber bergab zu purzeln. Nachdem die Sklaverei auf Martinique abgeschafft wurde, erhielten die Martinikaner ein Stückchen Ackerland, das sie bewirtschaften durften. Allerdings überließ man den ehemaligen Sklaven kein gutes, fruchtbares Land, sondern gab ihnen kleine Parzellen an nur schwer zugänglichen Berghängen. Der Einsatz von einfachsten, technischen Hilfsmitteln kam auf diesen Feldern nicht infrage. Es blieb also nur die Möglichkeit, sie von Hand zu bewirtschaften. Die ehemaligen Sklaven, nun freie Bauern, organisierten sich und begannen ihre Äcker in Gemeinschaftsarbeit zu hacken und zu bepflanzen.
Während sich die Arbeiter ganz unten am Rande des Feldes aufstellen, beziehen die Musiker weiter oben, etwa auf halber Höhe des Ackers, ihre Posten. Musik spielt beim Lasotè nämlich eine wichtige Rolle. Sobald die Trommeln, Muscheln und Bambusrohre in einem monotonen Rhythmus erklingen, heben und senken sich die Spitzhacken der Arbeiter, symmetrisch im Einklang zur Musik. Die Männer und Frauen scheinen die schweißtreibende Arbeit wie in einer Art Trance zu verrichten. Seite an Seite hacken sie sich ihren Weg nach oben. Schritt für Schritt, Reihe um Reihe rücken sie vorwärts.
Die Musik besteht aus merkwürdig hohen und tiefen Tönen. Die Trommeln geben mit ihren tiefen Tönen das Tempo vor, die Muscheln, die als Blasinstrumente eingesetzt werden, sorgen für hohe Töne. Die Monotonie der sich stets wiederholenden Tonfolgen trägt ebenfalls dazu bei, dass die Arbeiter fast automatisch in diesen Rhythmus verfallen und synchron den Boden mit ihren Hacken bearbeiten.
Die Trommler nehmen ihren Job sehr ernst. Es ist eine rituelle, fast schon meditative Angelegenheit.
Es ist eine schwere, schweißtreibende Arbeit, ein Knochenjob. Aber durch die Trommeln, durch das Miteinander wird es leichter. Die gleichmäßigen Bewegung erfolgen fast automatisch. Wie gebannt schaue ich zu. Einerseits tun sie mir leid, weil sie bei der Hitze so hart arbeiten müssen. Aber andererseits bewundere ich diese Menschen auch. Sie scheinen sogar Spaß zu haben und erledigen den harten Job mit einem freundlichen Lächeln. Die monotonen Trommelschläge versetzen auch mich langsam aber sicher in einen Zustand, in dem der Geist einfach abschweift. Statt zu arbeiten, lasse ich meinen Blick über die grünen Berge gleiten. Leichte Nebelschwaden überziehen die steilen Hänge auf der anderen Seite des Tals, das sich weit unter uns erstreckt.
Irgendwann fängt einer der Arbeiter an zu singen. Eigentlich ist es eher ein Rufen, so als wolle er mit den Trommeln reden oder die Gruppe anfeuern. Vom Rande des Feldes antworten die Frauen in einem ähnlichen Sprechgesang. So gesellt sich zum Klang der Trommeln nun auch noch der Klang der Stimmen.
Sobald die Arbeitsgruppe die Stelle erreicht hat, an der sich die Musiker aufgebaut haben, dürfen sie eine kurze Pause einlegen. Früher gingen Frauen mit Kalebassen durch die Reihen und verteilten Wasser. Heute gibt es Plastikflaschen. Während die Musiker weiter nach oben ziehen, um an einer höher gelegenen Stelle des Feldes ihre Instrumente wieder aufzubauen, können die Arbeiter verschnaufen.
Dieses Prozedere wiederholt sich so lange, bis die Arbeiter ganz oben angekommen sind und das Feld fertig beackert haben. Dann muss noch gesät werden, aber das ist einfacher, und dann endlich wird Essen verteilt. Gemeinschaftlich tafelt man zusammen direkt auf dem Feld. Lasotè bedeutet einen ganzen Tag harte Arbeit, aber es bedeutet auch, in der Gruppe schaffen wir das.
Lasotè ist viel mehr als nur eine Arbeitstechnik. Werte wie Solidarität und Hilfsbereitschaft sind die Grundlage dieser Tradition. Mit dieser rituellen Art zu Arbeiten geben die Martinikaner so auch ein Bewusstsein für das Miteinander und den Sinn für das Gemeinschaftswesen an die jüngere Generation weiter.
Infos zu Lasotè
Tambour / Bélé
Die Trommelmusik brachten die Sklaven auf Martinique einst aus ihrer Heimat mit. Auf Martinique mischten sich afrikanische mit indischen, und karibische mit französischen Traditionen. Aus diesem Mix der Kulturen entstanden schließlich ganz neue, eigene Bräuche und Traditionen.
Über das mit Tierhaut bezogene Tambour, das beim Lasotè eingesetzt wird, ist eine Schnur gespannt. Unter dieses Band werde feine Nadeln geklemmt, die den Klang der Trommel verändern. Die bélés werden nicht stehend, sondern sitzend gespielt. Der Trommler legt sein Instrument leicht schräg auf den Boden und setzt sich auf die Trommel drauf, um sie zu spielen.
Ti-Bois
Die ti-bois (tibwa) sind dicke Bambusrohre, die auf improvisierte Holzstützen gelegt werden, so dass mehrere Personen gleichzeitig mit ihren Stöcken darauf spielen können.
Conques de Lambis
Die wunderschönen Gehäuse der Großen Fechterschnecke (Kòn Lambi) werden als Blasinstrument eingesetzt. Diese Wasserschnecken können bis zu 2,5 kg schwer werden und zählen leider mittlerweile in vielen Teilen der Welt zu den gefährdeten Arten. Hier auf Martinique ist die Kòn Lambi seit Jahrhunderten ein wichtiger Bestandteil des Lasotè.
Dieser Artikel entstand dank einer Pressereise, zu der ich von Atout France, CMT Martinque und Condor Airlines eingeladen wurde. Vielen Dank!
Schöne Bilder!!! Karibik passt ja sehr gut zu Freibeuter.. „Piraten der Karibik“
danke Dir! Stimmt! Das ist echt noch ein Thema, zu dem ich was schreiben müsste. vielleicht sollte ich als Freibeuter mal eine Reise zu sämtlichen Inseln der Karibik starten … vielleicht fände ich sogar einen Schatz! 🙂 🙂
LG
Nicole