Der Ebro führt zu wenig Wasser. Teilweise ist der Wassermangel in einem der größten Flüsse Spaniens klimabedingt. Der Eingriff der Menschen in die Naturlandschaften tut aber sicher ein Übriges. Die Straße, auf der wir stehen, gab es vor ein paar Jahrhunderten noch gar nicht. Im frühen Mittelalter verlief das Ufer des Ebros noch direkt an den Gebäuden entlang. Gegenüber der Plaça Paiolet befand sich im Mittelalter ein wichtiger Anleger, an dem die mit Getreide beladenen Schiffe ihre Ladung löschten. Bis zur Entstehung des heutigen Deltas war Tortosa quasi ein Seehafen und wichtiger Handelsplatz.

tortosa

tortosa blick von der burg auf den ebro

Schon seit Urzeiten kreuzten sich an dieser Stelle die Wege verschiedener Kulturen. Als Karthager und Römer die Iberische Halbinsel für ihre Zwecke entdeckten und zu nutzen begannen, übernahmen sie den Namen des Flusses von den Einheimischen und machten aus ibar (Baskisch für Tal, Flusstal) iberus. So wurde der Ebro zum Namensgeber der gesamten Halbinsel.

tortosa historischer stadtplan
Die iberische Siedlung der Ilercavons befand sich vermutlich an der Stelle, an der sich heute das Castell auf einem Hügel über der Stadt erhebt. Doch davon ist wenig erhalten geblieben. Die Römer nannten ihre Siedlung Dertosa, die Mauren nannten sie Turtuixa. Im zehnten Jahrhundert entwickelte sich die zum Emirat von Cordóba gehörende Stadt zu einer bedeutenden Werft. Aus dem Holz der hiesigen Kiefern entstanden die schnellen und wendigen Schiffe der maurischen Flotte. Als das Emirat im elften Jahrhundert langsam zerfiel, wurde Tortosa eine eigene Taifa und verfügte sogar über ein arabisches Badehaus.

blick auf die historische altstadt tortosa

Im zwölften Jahrhundert eroberte Ramon Berenguer IV, Graf von Barcelona, die Stadt. Die maurische Burg und verschiedene Ländereien verschenkte er an die Templer, die ihm bei der Eroberung zur Seite gestanden hatten. Unter katalanischer Herrschaft blühte und wuchs das mittelalterliche Tortosa, strategisch günstig gelegen, mit Zugang zum Meer. Die Wege der Händler, Juden, Mauren und Christen kreuzten sich hier. Sogar eine Variante des Jakobswegs führte schon vor vielen Jahrhunderten von Tarragona über Tortosa in Richtung Logroño. Dort stieß die Ruta del Ebro dann auf den Camino Frances, den traditionellen, in Frankreich startenden Jakobsweg.

tortosa jakobsweg

Der Sage nach zog Ramon Berenguer nach der Eroberung der Stadt weiter nach Lleida. Prompt kehrten die vertriebenen Mauren zurück, sobald die christlichen Truppen außer Reichweite waren. In ihrer Not griffen die Frauen von Tortosa zu einer List. Sie kleideten sich als Männer, trugen Waffen und marschierten so zahlreich auf der Stadtmauer hin und her, dass es ihnen gelang, die maurischen Truppen bis zur Rückkehr Ramon Berenguers in Schach zu halten. Als Belohnung für ihre mutige und kluge Aktion durften die Frauen Tortosas fortan Hosen tragen und im Stadtrat sitzen. Diese ungewöhnlichen Privilegien wurden ihnen leider ein paar Jahrhunderte später wieder aberkannt.

tortosa kathedrale
tortosa kathedrale
tortosa kathedrale rueckseite

Paco führt uns bei einem Stadtrundgang zu den alten Palaus, zeigt uns die Straße der Wechsler, weist uns auf hebräische und arabische Inschriften an den Gebäuden hin und erklärt, dass nicht nur viele Steine recyecelt wurden, sondern auch viele Häuser „umgezogen“ sind und ihren angestammten Platz gewechselt haben. Selbst heute noch kann man an manchen Gebäuden die Einschusslöcher aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs erkennen. Spannend sind die tunnelartigen Gänge, die unter der Kathedrale hindurchführen und früher als Luftschutzbunker dienten.

tortosa kathedrale
tortosa kathedrale kapelle virgen cinta

Als wir aus den Katakomben Tortosas wieder auftauchen, stehen wir vor der Casa Grego, einem modernistischen Gebäude auf der Plaça Nostra Senyora de la Cinta. In der Kathedrale ist der Verge de la Cinta eine hübsche Kapelle gewidmet. Unter der blauen Kuppel sind ungewöhnlich viele Frauen aus den Geschichten der Bibel dargestellt: Debora, Judith, Rebecka, Abigal, Jael, Maria, Rahel und Esther. Eine cinta ist im Spanischen ein tuchartiges Band. In Tortosa soll sich ein Teil der Cinta der Heiligen Jungfrau als Reliquie befinden. Nun verstehe ich auch, warum man eine schwangere Frau „una mujer encinta“ nennt. Vermutlich trugen die Frauen früher eine Cinta, um von der Jungfrau eine leichte und glückliche Geburt zu erbeten.

tortosa verge de la cinta

casa grego modernisme tortosa

Die Fassade der Kathedrale wird gerade renoviert. Sie ist ohnehin nie so fertiggestellt worden, wie sie geplant war. Manche sagen es habe am Untergrund gelegen, aber vermutlich ist den Bauherren einfach nur wieder das Geld ausgegangen. In einem kleinen Laden am Ufer des Ebros kannst Du dafür aber ein beeindruckendes Modell der Kathedrale bewundern.

tortosa centre interpretacio renaixança

tortosa centre interpretacio renaixança

Kurz vor Ende unseres Rundgangs durch die Altstadt hat Paco noch etwas ganz Besonderes für uns. Gegenüber des Centre d’Interpretació del Renaixament betreten wir das Reial Col·legi de Sant Jaume i de Sant Maties. Ein Gebäude, das ursprünglich dazu vorgesehen war, Juden und zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime im christlichen Glauben zu unterrichten. Später waren hier Teile der Universität, eine Schule und schließlich das Historische Archiv untergebracht.

tortosa real colegio (
tortosa real colegio (
Der beeindruckende Fries, der den gesamten Innenhof umgibt, zeigt neunzehn Königspaare, anfgefangen mit Ramon Berenguer IV und Peronalla, die Begründer der catalanoaragonesischen Dynastie, die im Mittelalter weite Teile des Mittelmeerraums erobern sollte.

castell la suda burg tortosa

Den krönenden Abschluss unseres ersten Besuchs in Tortosa bildet der Blick vom Burgberg auf die Stadt. Das Dach der mächtigen Kathedrale erhebt sich direkt vor uns und der Ebro fließt zu unseren Füßen. In einiger Entfernung kann ich sogar die alte Eisenbahnbrücke erkennen, auf der heute die Radfahrer hinaus ins Grüne radeln.

tortosa blick vonder burg auf die kathedrale

Infos Tortosa

In dem kleinen Laden Conficon kannst Du ein Modell der Kathedrale bestaunen und regionale Produkte, wie die typischen pastissets de cabell d’angel, mit „Engelshaar“ gefüllten Küchlein, oder die garrofetes del papa probieren. Unseren Guide Pablo haben wir ebenfalls über die Website gefunden 🙂

Die Garrofetes del Papa erinnern übrigens an den Papa Luna (Pedro Martínez de Luna y Gotor, der als Gegenpapst Benedikt XIII in Avignon residierte). Dieser Papst hat das süße Gebäck aus Tortosa in großen Mengen genossen, weil er behauptete, es sei gut für seine Gesundheit. Und er wurde immerhin 90 Jahre alt. Wenn Dir also jemand eine Tüte Garrofes schenkt, schenkt er Dir Gesundheit und ein langes Leben.

pastissets tortosa

Conficon
Carrer Francesc Gimeno, 1
43500 Tortosa

Inmitten des Ebros erhebt sich (noch!) eine Statue, die Franco zur Erinnerung an den Spanischen Bürgerkrieg errichten ließ. Von den Einheimischen wird das Monument spöttisch das Monument der vier Biere genannt, weil hier die Symbole der vier großen spanischen Biermarken vereint sind. In wenigen Wochen soll das scheußliche Symbol des Sieges der Francotruppen endlich zurückgebaut werden.

Bei meinen nächsten Besuch in Tortosa will ich unbedingt an einer Führung zum Thema Hemingway und Spanischer Bürgerkrieg teilnehmen. Der amerikanische Schriftsteller kam 1938 als Kriegsberichterstatter nach Tortosa. Von hier aus schrieb er über das Herannahen der Truppen Francos und die blutige Schlacht am Ebro, la Batalla del Ebre.

tortosa franco monument guerra cvivil