Wenn wir schon im Naturpark Cilento sind, dann will ich hier auch wandern. Meine Gastgeberin Petra begleitet mich. Gemeinsam machen wir uns zu Füßen des Monte Licosa in dem kleinen Dorf San Marco auf den Weg.

Lost Place Hotel Castelsandra

Zunächst geht es eine Weile bergauf. Je höher wir kommen, umso besser kann man Castellabate auf dem gegenüberliegenden Hügel erkennen. Immer wieder drehen wir uns um und bestaunen den Ausblick. Als wir ungefähr die Hälfte des kleinen Bergs erklommen haben, gelangen wir zu den Überresten des Hotel Castelsandra. Ein altes Luxushotel im Flachbaustil der 70er Jahre.

blick auf castellabate vom monte licosa Nationalpark Cilento

An dieser schönen Stelle des Monte Licosa, von der aus man eigentlich einen der besten Ausblicke auf die Küste genießen könnte, steht heute nur noch eine Ruine. Das Ungetüm aus grauem Beton und grünen Pflanzen, die hier überall wild wuchern und üppig gedeihen, muss Anfang der siebziger Jahre wirklich schön gewesen sein. Petra erzählt, dass sie hier sogar mal gearbeitet hat. Sie zeigt mir wo der schöne Pool, die kleinen Boutiquen und all die bunten Blumenbeete waren, die das blühende Hotel damals umgaben.

Gebaut wurde die Anlage ursprünglich von belgischen Investoren, die das Anwesen jedoch ziemlich bald wieder verkauften. Und so ging das Luxusetablissement in die Hände eines lokalen Mafia Bosses über, der das Castelsandra lange Zeit äußerst erfolgreich führte. Hier kehrten die wirklich Reichen und Schönen ein. Für die illustren Gäste wurden alle nur erdenklichen Annehmlichkeiten eingeführt. Sogar einen Fahrstuhl direkt an den Strand gab es, einen klobigen Klotz aus Beton, der direkt in den Sand gebaut wurde.

Während Petra mir all diese Geschichten erzählt, entstehen sofort Bilder in meinem Kopf. Von Zigarre rauchenden Männern im Anzug, die aussehen wie Marlon Brando und Andy García. Schmuck behangene Damen in schönen Kleidern und elegante Herren mit gepflegten Schnurrbärten.

hotel castelsandra monte licosa Nationalpark Cilento

Als der geschäftige Don irgendwann vor Gericht kam und verurteilt wurde, ging die Hotelanlage in den Besitz der Stadt über. Schon kurz darauf blieben die Gäste weg. Die eleganten Zeiten des Castelsandra waren vorbei und das einst so moderne Gebäude verfiel zusehends. Heute ist das alte Hotel ein echter Lost Place. Angeblich soll man in vielen privaten Gärten der Umgebung noch heute Liegestühle des Castelsandra finden. Die Leute nahmen einfach alles mit, was sie schön oder nützlich fanden, bis schließlich nur noch die Ruine übrig blieb. Auch der Betonklotz am Strand, der Fahrstuhl mit dem die Gäste schnell und ungesehen vom Hotel an die Küste gelangten, wurde in den 90er Jahren gesprengt.

Wir lassen diese geschichtenumwobene Ruine hinter uns und wandern weiter. Nun führt der Weg durch einen angenehm schattigen Pinienwald. Es duftet nach Sommer und nach Kindheit. Durch die Bäume kann ich weit unter uns das blaue Meer schimmern sehen.

Punta Licosa

Auf dem höchsten Punkt des Hügels, der Punta Licosa, erreichen wir einen verfallenen Wehrturm. Die alte Torre ist von kleinen Graffitis und Sprüchen übersät. Eine angenehm frische Brise weht mir um die Nase. Ich strecke beide Arme aus und genieße den Wind. Von hier aus kann ich auf meiner rechten Seite die Bucht von San Marco erkennen. Auf der anderen Seite liegt Oligastro Marina. Geradeaus vor uns liegt ein weiterer alter Wachturm, den die Einheimischen Semaforo, die Ampel, nennen. Vermutlich wurde von hier aus einst die Bevölkerung vor den Angriffen der Piraten gewarnt.

torre monte licosa Nationalpark Cilento

blick auf punta licosa isola monte licosa Nationalpark Cilento

Direkt vor der Küste liegt eine winzige kleine Insel im Wasser, die Isola Licosa. Dieses winzige Eiland mit einem Leuchtturm in der Mitte ist nur rund 160 Meter lang und 40 Meter breit. Früher habe sich dort eine griechische Siedlung befunden, erzählt Petra. Doch bei einem heftigen Seebeben sei das Dorf völlig zerstört worden und nur noch die Insel blieb davon übrig. Ich stelle mir so etwas Ähnliches wie in Paestum vor. Nur, dass hier die Überreste der ehemaligen Siedlung unter Wasser zu finden sein müssen. Tauchen wäre hier ganz sicher eine mega spannende Aktion! Doch dazu reicht die Zeit mal wieder nicht.

Von nun an geht es auf schmalen Pfaden durch dichtes Gestrüpp bergab. Macchia nennt Petra dieses dichte Buschwerk, dass den Hang fast bis zur Küste hinunter bedeckt. Wir laufen durch Büsche und Sträucher, Brombeeren, Wacholder, Myrte, Rosmarin und jede Menge Stechginster bergab. Im Frühjahr, wenn der Ginster blüht, muss hier alles gelb leuchten.

flora monte licosa Nationalpark Cilento  suesser pfeffer flora monte licosa Nationalpark Cilento

Auf Korsika, das ja klimatisch ungefähr in derselben Zone liegt, nennt man diese von Dornenbüschen dicht bewachsenen Flächen ebenfalls Macchia. Die Büsche wachsen hier so dicht, dass sie für Menschen fast undurchdringlich  zu sein scheint. In dem berühmten Asterix und Obelix Heft über Korsika hatte sich ein unbeugbarer Korse jahrzehntelang in dieser Macchia versteckt.

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Die Briganti

Prompt erzählt Petra davon, wie sich einst die Briganti hier in den Hügeln des Cilento versteckt hielten. Die Geschichte der Briganti ist ein eng verwobenes Geflecht an Legenden mutiger Rebellen und Geschichten wüster Räuberbanden. Während der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war das Cilento noch ein Teil des Königreichs beider Sizilien. Dazu zählte neben der Insel Sizilien das gesamte südliche Festland Italiens mit der Hauptstadt Neapel. Immer wieder kam es jedoch zu Aufständen. Männer und Frauen griffen im Cilento zu den Waffen, um sich gegen den regierenden Bourbonenkönig aufzulehnen. Immer wieder versuchten diese reaktionären Herrscher nämlich die ersten liberalen Errungenschaften der politischen Mitbestimmung, wie die Verfassung und das Parlament, rückgängig zu machen.

Erst als der Revolutionär Garibaldi in seinem Kampf für die Einheit Italiens schließlich Sizilien eroberte, brachte er auch die Herrschaft der Bourbonen zu Fall. Mit seinem Sieg war der Weg für einen neuen, demokratischen Nationalstaat geebnet. Doch viele der Männer und Frauen, die wie italienische Robin Hoods im Risorgimento für die Republik gekämpft hatten, fühlten sich von der neuen Einheit ausgeschlossen. Unter der Regierung des Piemonteser Königs Vittorio Emanuele II. schienen die Regionen des ehemaligen Königreichs der beiden Sizilien benachteiligt zu werden. Viele Briganti waren enttäuscht und gingen erneut in den Widerstand. Jetzt kämpften sie gegen den modernen Einheitsstaat.

Isola Licosa

Unten angekommen stehen wir wieder zwischen duftenden Pinien. Sofort fühle ich mich wie in den Sommerferien am Mittelmeer. Mit Mama, Papa und meinem kleinen Bruder auf einem Campingplatz. Ganz ähnlich wie damals liegt das Meer auch heute kristallklar und traumhaft blau vor mir. Am liebsten würde ich sofort hineinspringen, so verlockend plätschern die Wellen an den Strand.

wandern punta licosa Nationalpark Cilento

seefenchel punta licosa Nationalpark Cilento

Hin und wieder liegt ein Fischerboot versteckt am Ufer. Ein paar Fischer scheinen im Nationalpark noch fischen zu gehen. Von nun an führt unser weg immer am Wasser entlang. Ich liebe es! Küstenwege sind sowieso die schönsten Wanderwege überhaupt – finde ich. Bald stehen wir vor der Insel Licosa, die ich schon von oben erspäht hatte. Von hier aus sieht sie relativ nah aus, doch Petra meint, es seien schon noch einige Kilometer bis dorthin. Ein paar Boote haben direkt vor der Insel geankert. Dort planschen und schnorcheln jetzt vermutlich die Leute, denen das Boot gehört. Oder vielleicht sind auch ein paar Fischerboote darunter, die versuchen etwas zum Mittagessen zu fangen. Ohne Fernglas bin ich mir da nicht so sicher.

kueste monte licosa Nationalpark Cilento

Die Einheimischen erzählen gern die Geschichte des Odysseus, die sich hier abgespielt haben soll. In der Geschichte von Homer geht es ja darum, dass der Seefahrer Odysseus die Sirenen überlisten konnte, die mit ihrem Gesang die Schiffe zu nah an die tödlichen Klippen lockten. Doch der kluge Odysseus verstopfte noch rechtzeitig die Ohren seiner Mannschaft mit Wachs. Er selbst jedoch ließ sich an einen Mast binden (ohne sich die Ohren zu verstopfen). Als die Sirenen ihren verführerischen Gesang anstimmten, konnte Odysseus so viele Befehle schreien, wie er wollte. Seine Männer segelten unbeeindruckt weiter und das Schiff konnte gefahrlos die Klippen hinter sich lassen.

isola licosa punta licosa Nationalpark Cilento

flysch punta licosa Nationalpark Cilento

Bruno, von dem ich Dir noch in einer anderen Geschichte berichten werde, hat mir jedoch erzählt, das sei nur eine Legende. In Wirklichkeit hätten hier keine Sirenen, sondern hübsche barbusige Frauen am Strand um Hilfe gerufen. Die angelockten Seeleute, die den leicht bekleideten Damen eifrig zu Hilfe eilen wollten, tapsten in die Falle. Sie wurden von hier lebenden Sarazenen gnadenlos ausgeraubt, denn die Insel sei in früheren Zeiten ein echtes Piratennest gewesen.

flora blume diestel punta licosa Nationalpark Cilento

fischerboot kueste monte licosa Nationalpark Cilento

Ob mir Bruno da einen Bären aufgebunden hat? Eine gemeine, aber doch durchaus mögliche List. Dass es hier an der Küste von Piraten nur so wimmelte, habe ich nun schon öfter gehört. Während ich noch überlege, wie viel Wahrheitsgehalt in der Geschichte stecken mag, erreicht der kleine Trampelpfad auf dem wir am Ufer entlang laufen wieder bewohntes Gebiet. Schon kommen die ersten Häuser und der Hafen von San Marco in Sicht.

blick auf san marco punta licosa Nationalpark Cilento

Mehr Infos zu Licosa

Die Wanderung habe ich als einen der vielen Ausflüge gemacht, die Petra und Marko von Azzurro Reisen ihren Gästen anbieten. Der Rundweg startet und endet in San Marco. Petra und ich waren insgesamt rund drei Stunden unterwegs. Sicherlich könnte man auch nur ein Stückchen an der Küste entlang laufen, aber dann verpasst man natürlich die tolle Aussicht. Viele gute Infos zur Isola Licosa findest Du auf der italienischen Wikipedia Seite. Die deutsche Version ist leider ziemlich knapp gehalten.

Mehr über die Briganti findest Du hier: Brigant

Website des Nationalparks Cilento: www.cilentoediano.it

Hinweis: Während unseres Aufenthalts im Cilento waren wir in der Ferienwohnung von Petra und Marko eingeladen. Natürlich ist die hier dargestellte Meinung wie immer meine eigene.