Im Süden werden um diese Jahreszeit gerade die Stiere zusammengetrieben erzählt mir Angelines, die Chefin der Casa del Tio Americano. Bald machen sich die Tiere ganz von allein auf den Weg in die Sierra de Albarracín. Sie setzen sich irgendwann einfach in Bewegung, wenn es ihnen unten in Andalusien zu warm wird. Es muss schon ein beeindruckendes Spektakel sein. Vor meinem inneren Auge sehe ich schon die großen Weideflächen mit Tausenden dieser kräftigen, schwarzen Stiere. Das würde ich mir zu gern einmal ansehen. Während ich noch überlege, wo genau die vielen Tiere denn dann im Sommer überhaupt bleiben, wenn sie hier oben, im kühleren Aragon, angekommen sind, ist Angelines schon bei einem anderen Thema. Unsere liebe Herbergswirtin ist wirklich ein Schatz und weiß viel zu erzählen.
Das kleine Hotel habe ich mehr oder weniger durch Zufall entdeckt. Megaviel Auswahl gibt es in Albarracín ja auch nicht. Zu meinem letzten Geburtstag hatte ich nämlich ein ganz besonderes Geschenk gekriegt: ein Wochenende mit der Familie, Zeit mit Michi und den Kindern. Das ist in den letzten Jahren nämlich ein seltenes Gut geworden. Klar, die „Kinder“ sind eben nicht mehr klein und gehen langsam ihre eigenen Wege. Eins ist schon ausgezogen, das andere steht in den Startlöchern. Jedenfalls war dieses Wochenende zu viert für mich eine echt tolle Überraschung. Und weil es gar nicht so leicht ist vier Meinungen unter einen Hut zu kriegen und das Budget für vier Leute die Entfernung, die man damit verreisen kann, ein wenig schrumpfen lässt, haben wir uns entschieden, das kleine Dörfchen Albarracín am äußersten Ende Aragóns, kurz vor Castillia La Mancha, zu erkunden.
Albarracín liegt wirklich sehr versteckt, in einem kleinen Tal, umgeben von Bergen. Von der Straße aus sieht man das Dorf erst im allerletzten Moment, hinter ein Kurve liegend. Auch die Mauren, die den kleinen Ort vor vielen hundert Jahren gegründet haben, schätzten diese Lage wohl als besonders günstig ein. Hinter den steil aufragenden Bergen errichteten sie dicke Mauern. Ein kleiner Fluss umzingelt plätschert das Dorf. Der diente als Schutzgraben und war für die Wasserversorgung der Dorfbewohner überlebenswichtig. Albarracín war also strategisch einfach perfekt gelegen und gut zu verteidigen. Die Männer und Frauen, die sich hier im elften Jahrhundert niederließen und eine richtige taifa, ein unabhängiges, kleines Königreich, gründeten, gehörten zur Familie Banu Razin und waren Berber vom Stamme der Hawwara. Der Name Albarracín erinnert noch heute an den maurischen Ursprung des Dorfes. Ganz oben auf dem höchsten Punkt des kleinen Dorfs thronen noch die Überreste der Alcázar de Albarracín, der einst mächtigen, maurischen Burg.
Weil die maurischen Stämme untereinander sehr zerstritten waren, ging die Alcázar de los Banu Razin gegen Ende des zwölften Jahrhunderts jedoch in christlichen Besitz über und wurde zum Castillo de Albarracín. Albarracín konnte noch ein paar Jahrhunderte lang seine Unabhängigkeit von den großen benachbarten Reichen Kastilien und Aragón bewahren. Wie so oft in der Geschichte wurde das kleine Reich dann irgendwann doch noch von den umliegenden Mächten geschluckt. Im Jahre 1300 eroberte Pedro III, Graf von Barcelona und König von Aragón die alte maurische Burg und vorbei war es mit der Unabhängigkeit Albarracíns.
Reste der Alcazaba – Castillo de Albarracín
Im späten Mittelalter blühte der Handel und den Menschen hier ging es gut. Doch irgendwann begannen die Leute das Dorf zu verlassen. Sie zogen weg, in die großen Städte. Die alten Häuser in den schönen mittelalterlichen Gassen verfielen. Erst Ende des neunzehnten Jahrhunderts begann eine wohlhabende Familie die alten Gebäude der kleinen Siedlung zu restaurieren. Bald schon lebte das kleine Dörfchen wieder auf. Plötzlich kamen viele Künstler, Maler und Dichter hierher, denn sie erkannten schnell die märchenhafte Schönheit der alten Mauern.
Infos Albarracín:
Das Hotel betreibt Angelines mit ihrem Bruder Isa. Angelines erklärt uns, woher der Name ihres kleinen Hotels kommt. Isa und Angelines haben das niedliche kleine Haus mit den Gästezimmern nämlich nach einem Onkel benannt, der vor langer Zeit nach Argentinien ausgewandert ist. Auf Spanisch nannte man lange Zeit alle Länder des nord- und des südamerikanischen Kontinents einfach „las Americas“, darunter fällt also Argentinien genauso wie die USA. Als der Onkel dann längst verstorben war, machten sich die beiden Geschwister irgendwann daran, hier alles zu renovieren und ein kleines Hotel einzurichten, im Haus des Onkels aus Amerika „la casa del tio americano“.
Hotel La Casa del Tío Americano
Carrer Palacios 9
44100 Albarracín (Teruel)
Website: www.lacasadeltioamericano.com
Unten am Fluss gibt es noch eine alte Mühle. Dort haben Angelines und Isa eine kleine Bar eingerichtet:
Bar de Copas: El Molino del Gato
Carrer San Antonio 4
44100 Albarracín (Teruel)
Naturlandschaften „Paisaje protegido de los Pinares de Rodeno“:
Gar nicht weit von Albarracín entfernt, spazieren wir auf der Suche nach alten Steinzeitmalereien durch einen Wald. Alle paar Meter kommen uns Leute mit einer Matratze auf dem Rücken entgegen. Es dauert eine Weile, bis ich kapiere, dass das Kletterer sind. Der ganze Naturpark ist offensichtlich unter Kletterern eine bekannte und beliebte Gegend, um sich mit bloßen Händen an den Felsen entlangzuhangeln. Doch wir suchen und finden steinzeitliche Felsmalereien und genießen einfach diese unglaubliche Landschaft.
Website: pinares de rodeno
Migas de Albarracín:
Am Abend probiere ich dann eine leckere Spezialität, die migas de Albarracín. Migas sind eigentlich Brotkrümel. Wie fast alle traditionellen Gerichte, waren migas also vermutlich früher einmal ein Arme-Leute-Essen. Dazu wird trockenes Brot zerkrümelt und mit etwas Wasser besprenkelt. Die über Nacht eingeweichten Krümel werden dann mit Knoblauch und Speck oder Schinken in der Pfanne ausgebraten. Dazu isst man am besten frische Weintrauben. Köstlich!
Die Liebenden von Teruel
Nachdem wir uns von Albarracín und einem wunderschönen, ruhigen Familienwochenende verabschieden, machen wir auf dem Weg nach Hause noch kurz Halt in Teruel. Dort soll es eine ganz eigene Liebesgeschichte à la Romeo und Julia geben, der ich gern noch schnell nachspüren will. Und angeblich habe Teruel auch noch viele maurische Einflüsse. Ich bin also echt gespannt, denn ich liebe diese Architektur total.
In Teruel angekommen, müssen wir zunächst einmal die Stufen einer steilen Treppe erklimmen, um überhaupt in die Altstadt zu gelangen. So maurisch wie erhofft, ist es dann leider doch nicht. Dafür thront auf einem großen Podest auf dem zentralen Platz ein winziger Stier! Erst wundere ich mich ein wenig, doch bald erfahre ich – twitter sei dank – warum so ein kleines Tier diesen Ehrenplatz innehat. Der Legende nach wurde nämlich Teruel einst von den Soldaten Alfons II gegründet, der im zwölften Jahrhundert auf einem Eroberungszug hier in der Gegend war. Als das Heer einen Stier erblickte, der von einem leuchtenden Stern geleitet wurde, gehorchten sie dem Befehl des Königs nicht mehr, sondern folgten dem Stier und ließen sich dort nieder, wo der Stier stehen blieb. Aus dieser ersten Festung entstand Teruel.
Während Michi und die Kinder in einer Bar mit Blick auf den Torico schon mal einen Tisch gesichert haben und etwas Eisgekühltes bestellen, will ich mir unbedingt das Mausoleum der Amantes de Teruel ansehen. Die ruhen dort nämlich gemeinsam in einem modernen Neubau. Für eine komplette Führung habe ich zwar leider keine Zeit mehr, aber in dem kleinen Museum erfahre ich endlich die Geschichte dieser Romeo-und-Julia-Liebe.
Der Legende nach lebte im dreizehnten Jahrhundert ein junges Mädchen in Teruel. Ihre Eltern waren sehr reich und wohlhabend, doch der junge Mann, den sie schon seit Kindheitstagen kannte und liebte, war arm. Als der junge Juan Martínez de Marcilla dennoch um die Hand seiner geliebten Segura anhielt, verweigerte der Vater den beiden Liebenden jedoch seinen Segen und verbot die Hochzeit. Er hoffte auf eine bessere Partie für seine Tochter. Die sozialen Unterschiede der beiden Familien waren einfach zu groß.
Doch die Liebenden gaben nicht auf und drängten den Vater so lange, bis der schließlich einwilligte, Juan dürfe Segura heiraten, wenn er es innerhalb von fünf Jahren schaffe, ein kleines Vermögen zu erwirtschaften. Juan willigte ein und zog in die Welt hinaus, um Geld zu verdienen. Er wurde Soldat und war damit beschäftigt, sein Versprechen zu erfüllen. Segura hörte nie auf an den Geliebten in der Ferne zu denken. Doch sobald die fünf Jahre um waren, verheiratete Seguras Vater das junge Mädchen mit einem reichen Adeligen.
Als Juan endlich mit einem Vermögen zurückkehrte und erfuhr, dass seine Segura bereits verheiratet sei, war er natürlich untröstlich. Er schlich sich in ihre Kammer und bat sie wenigstens um einen letzten Kuss. Die brave Segura war hin- und hergerissen. Bei aller Liebe zu Juan, doch nun war sie eine verheiratete Frau – ihn zu küssen wäre Sünde – und so verweigerte sie ihrem Liebsten diesen Kuss. Juan starb kurz darauf an gebrochenem Herzen. Segura erschien zur Beerdigung. Dem Toten schenkte sie schließlich, was sie dem Lebenden verweigert hatte, sie küsste den verstorbenen Geliebten auf den Mund und brach tot auf seinem Grab zusammen.
Man beschloss die Liebenden von Teruel wenigstens im Tode zu vereinen und begrub sie zusammen. Als man viele Jahrhunderte später die Skelette fand und sich dieser Geschichte erinnerte, fertigte man sogar richtig prachtvolle Sarkophage an. Doch wenn Du genau hinsiehst, reichen sich die beiden Figuren auf den Särgen zwar die Hände, doch sie berühren sich gar nicht! Segura und Juan sind also noch immer so nah beiander und doch voneinander getrennt.
Infos Teruel
Mausoleo de los Amantes de Teruel
Calle Matías Abad, 3
44001 Teruel
Website:www.amantesdeteruel.es
Öffnungszeiten:
Mo – So 10 bis 14 Uhr und 16 bis 20 Uhr
Eintritt:
nur Mausoleum 4 Euro/ Conjunto Mudéjar: 7 Euro/ Visita completa: 9 Euro/ Es gibt auch Führungen!
Unsere kleine Familienreise fand im Mai statt. Die Stiere sind im Sommer längst in den kühleren Bergen …
Wunderschöne Geschichte, super erzählt und spannend geschrieben
danke!