Als ich am Morgen aufwache, fällt mein erster Blick auf die Berge. Die Morgensonne taucht die Hügel in ein rötliches Licht. Von dem kleinen Balkon meines Hotelzimmers aus sehe ich rund um mich herum nur die grünen Gipfel und darüber ein klein wenig Himmel. Für ein Meerkind wie mich ist es ungewohnt, nicht weit gucken zu können. Dann ist auch der Schatz wach und wir gucken zusammen auf die Berge da draußen. Viele Jahrhunderte lang waren die Bewohner der abgelegenen Dörfer hier oben ziemlich für sich. Ehe die große Bundesstraße gebaut wurde, kam man praktisch nur mit Mauleseln hier hoch. Das Leben in den Pyrenäen ist schon anders, als im flachen Land oder an der Küste. Aber ich finde es gerade irgendwie sehr gemütlich und fühle mich fast ein wenig beschützt von den Bergen.

ca l'amagat bagà

pedraforca(Pedraforca)

Gestern noch hat es ganz schön gewittert, doch heute sieht der Himmel sehr friedlich aus. Wir hoffen, dass das auch so bleibt, denn wie wir gestern gelernt haben, kann das Wetter hier schnell umschlagen. Nach dem Frühstück erklimmen der Schatz und ich dann aber keinen Berg, sondern die an einem Hang gelegene Altstadt. Steile Stufen führen zum Palau von Bagà hinauf, dem ehemaligen Palast des Burgherrn. Freundlich grüßen uns eine Nachbarin und ihr Mann, die auf den obersten Treppenstufen in der warmen Sonne sitzen und einfach gemütlich in die Gegend gucken. Hier geht es wirklich entspannt zu. An Eingang der Burg treffen wir Oscar, unseren Guide, der uns heute durch das kleine Museum und die Altstadt führen wird. Weil wir wie immer ein wenig zu früh dran sind, dürfen wir uns noch eine Ausstellung über Troubadoure und die Wandmalereien des Palaus ansehen, bevor es losgeht.

Bagà Altstadt Platz
Treppe zum Palau     Altstadt Bàga

Die Geschichte der Troubadoure ist spannend und reicht von Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide bis zum Höhepunkt der Troubadourkultur im Languedoc und Roussillon. Aber so richtig die Sprache verschlägt es uns, als wir etwas später durch die leeren Säle des alten Palastes streifen. Die von Oscar erwähnten Wandmalereien sind nur zum Teil restauriert. Manche sind noch leicht verfallen, aber dafür einfach atemberaubend! Es ist wirklich unglaublich, was diese Bilder an den Wänden mit den alten Räumen machen. Gerade das leicht kaputte, eben nicht perfekte dieser Wandmalereien verzaubert die Räume richtig.

wandmalereien im palau pinos baga

wandmalereien Palau Bagà

wandmalereien Palau Bagà
wandmalereien Palau Bagà

Schließlich beginnt die Führung, und zwar im Verlies der Burg. Hinter dicken Gitterstäben ist ein Katharer eingesperrt. Der ist überraschenderweise richtig dankbar dafür, dort zu sein. Für die aus Frankreich geflohenen Katharer, die als Ketzer verfolgt und verbrannt wurden, war das Gefängnis eine Art Rettung. Immerhin blieben sie im Verlies am Leben! Wer hingegen von der Inquisition gefangen genommen wurde, landete nämlich nach grausamer Folterung auf dem Scheiterhaufen.

Der Glaube der Katharer beruhte auf einem Dualismus, der Trennung zwischen einer rein geistlichen Welt und der materiellen Welt des Bösen. Sie ernährten sich vegetarisch und aßen kein Fleisch von Tieren – jedenfalls nicht von Tieren, die sich durch Kopulation vermehrten (Fisch war jedoch erlaubt). Die sexuelle Vereinigung, selbst bei Tieren, sahen sie als einen Teil der materiellen Welt, die es zu überwinden galt.

Nur wenn ein nach spiritueller Reinheit strebender Katharer auf natürliche Weise starb, verließ seine Seele den Körper und wurde Teil der göttlichen Welt im Jenseits. Starb ein Katharer jedoch durch Krankheit oder Gewalt, wie zum Beispiel auf dem Scheiterhaufen, so war er nicht rein und seine Seele konnte nicht erlöst werden. Dann musste er wiedergeboren werden und war noch immer Teil der korrupten und chaotischen Welt des Materiellen. Oscar erklärt uns diese komplizierte dualistische Religion der Katharer. Wir lauschen beide ganz gebannt und sind total fasiziniert von seinen Geschichten.

Museum Burg Palau Bagà

Museum

Der Burgherr von Bagà, Galceran de Pinós, war den Katharern zugetan und wollte ihnen helfen. Wer es sich nicht mit dem Papst verscherzen wollte, konnte natürlich offiziell keine Katharer verstecken oder beherbergen. Also erließ der Baron ein Gesetz, nach dem die „Ketzer“ ins Gefängnis gesperrt werden mussten. Mit dieser Strafe war dem Verlangen der katholischen Kirche Genüge getan. Dass die meisten Katharer schon nach ein paar Tagen entkommen konnten oder gar freigelassen wurden, stand auf einem anderen Blatt.

In dem kleinen Katharermuseum hören wir dann zum ersten Mal die Legende des berühmten Burgherrn von Bagà, Galceran de Pinós und den Hundert Jungfrauen.

Im dreizehnten Jahrhundert war es üblich, dass sich die christlichen Könige der Iberischen Halbinsel von Zeit zu Zeit mit den maurischen Herrschern verbündeten. Mal kämpften sie Seite an Seite, dann wieder gegeneinander. Die Konstellationen wechselten oft. Die Herrscher der kleinen Taifas waren untereinander so zerstrittenen, dass es eigentlich ständig zu irgendwelchen Schlachten kam, in denen die christlichen Herrscher ebenfalls mitmischten. Um die maurische Hafenstadt Almeria zu erobern, hatte König Alfonso VII von Kastilien und León eines Tages also christliche Herrscher zu Hilfe gebeten. So zog auch der Graf von Barcelona Ramon Berenguer IV als Verbündeter mit in die Schlacht gegen die Mauren.

Galceran de Pinós, Burgherr aus Bagà, Baron und Vasall des Grafen, begleitete seinen Herren Ramon Berenguer. Doch das Gefecht ging verloren. Galceran wurde von den Mauren gefangenen genommen. Und die forderten ein Lösegeld. Nur gegen Gold, hundert weiße Pferde, 100 trächtige Kühe und 100 christliche Jungfrauen wollten sie den Burgherrn wieder freilassen. Die Bewohner Bagàs stöhnten. Sie waren nicht reich, doch ihnen blieb nichts anderes übrig. Um ihren Herren zu retten, brachten sie nach einiger Zeit endlich das Gold und die Tiere zusammen. Nur die Jungfrauen fehlten noch. Die Familien Bagàs, die mehrere Töchter hatten, einigten sich. Wenn eine Familie zwei, drei oder mehr Töchter hatte, durfte das jüngste Mädchen zu Hause bleiben. Alle anderen Jungfrauen sollten zur Rettung des Burgherrn in den Süden geschickt werden.

Unter Tränen verabschiedete man den Zug, der sich kurz darauf in Richtung Almeria auf den Weg machte. Doch in Salou, kurz hinter Sitges, geschah ein Wunder. Galceran de Pinós hatte in seiner Gefangenschaft zum Heiligen Stephanus gebetet. Der Heilige erhörte schließlich den Burgherrn und befreite ihn auf wundersame Weise. Galceran traf den Zug am Strand von Salou und konnte mit seinen treuen Gefolgsleuten wieder in die Berge zurückkehren. Der Burgherr war so gerührt über die Treue seiner Leute, dass er den Familien, die bereit gewesen waren ihre Töchter herzugeben, ein Geschenk machte. Als alle wieder heil und gesund in Bagà angekommen waren, verkündete er zum Dank, dass diese Familien von nun an besondere Privilegien erhalten sollten.

 denkmal galceran de pinos

Bagà Zentrum

altstadt bagà

Irgendwie klingt die Legende der Hundert Jungfrauen und die wundersame Rettung des Barons für unsere Ohren etwas merkwürdig. Oscar muss uns den Zusammenhang mit den Katharern erst erklären. Die Geschichte stammt sehr wahrscheinlich aus der Feder eines Troubadours, die zu dieser Zeit des Mittelalters oft als Lehrer fungierten und von Hof zu Hof zogen. Unter dem Deckmantel dieser christlichen Legende verbarg sich gewissermaßen eine gefährliche Wahrheit, nämlich die Tatsache, dass sich zahlreiche Katharer Familien hier versteckten. Die Geschichte diente dazu, den Schergen der Inquisition die besondere Behandlung einiger Familien zu erklären, ohne Verdacht zu wecken.

 musmuseum katharer troubadour   instrumente

Auch der Vicomte Arnau de Castellbò und seine Tochter Ermessenda zählten zu den Adeligen, die den Katharern sehr nahe standen. Durch die Heirat Ermessendas mit Roger Bernat II, dem Comte de Foix, wurde diese Verbindung noch unterstrichen. Nur wenige Menschen wagten es in dieser Zeit, sich offen zum Glauben der Katharer zu bekennen. Aber die katharische Kirche konnte auf Tausende Anhänger und Unterstützer zählen. Wie die meisten Gläubigen erhielt Arnau de Castellbò erst auf dem Sterbebett das Consolamentum, die Geisttaufe, die seine Aufnahme in die Kirche Gottes besiegelte. Nach seinem Tod ging seine Ländereien an seine Tochter und den Comte de Foix über, zu dessen Familie Ermessenda nun zählte. Der Familie des Comte de Foix  gehörten bald viele Burgen und Paläste auf beiden Seiten der Pyrenäen. So auch das kleine Château in Tarascon sur Ariège.

ermessenda de castellbo katharer museum

altstadt bagà

Nachdem Galceran de Pinós im 13. Jahrhundert eine Burg errichtet hatte, war zu Füßen seines Palastes bald schon das kleine Dorf Bagà entstanden. Direkt am Marktplatz baute die Familie des Grafen von Foix eines der größten und prächtigsten Häuser. Die zentrale Lage der Casa Foix zeugte von der Bedeutung der Familie. Direkt gegenüber des eleganten Wohnhauses führt noch heute eine breite Treppe zum Palau de Pinós hinauf.

Bagà marktplatz plaça galceran de pinos

Im Mittelalter war Bagà ein ziemlich bedeutender Markt, auf dem viele Händler aus dem nahe gelegenen Frankreich ihre Waren verkauften. Der einfachste Weg über die Pyrenäen führte allerdings über La Jonquera. Dort waren die Berge am flachsten und es gab weniger Verstecke für Schmuggler und Räuber. Je höher und unwegsamer das Gelände war, umso mehr mussten die reisenden Kaufleute Überfalle fürchten. Schnell konnten sie in einen Hinterhalt geraten. Hier in der Nähe von Bagà war die Überquerung der Pyrenäen zwar mühsamer als in Küstennähe, aber viele Kaufleute scheuten den weiten Umweg und nahmen lieber den Weg über die Berge. Bei Sonnenschein boten sie ihre Tuche und Leder mitten auf dem Platz an. Aber auch bei Regen und Schnee fand der Markt statt. Dann konnten die Händler ihre Stände unter den geschützten Arkaden aufbauen, um ihre Waren zu verkaufen.

 denkmal marktplatz plaça galceran de pinos

Heute toben Kinder auf dem mittelalterlichen Platz. Ausgelassen spielen sie Fangen, kichern, lachen und verstecken sich hinter den alten Säulen. Am Kopfende des von steinernen Bögen umgebenen Marktplatzes wacht ein imposanter Ritter über das Dorf und seine Einwohner. Mit einer Hand auf sein mächtiges Schwert gestützt, steht dort Galceran de Pinós, das Haupt stolz erhoben, den Blick zum Himmel gerichtet. Denn natürlich wurde dieser wichtigste und schönste Platz in Bagà nach keinem anderen, als dem Helden und Burgherrn benannt.

brücke Bagà
Infos zum Nachreisen:

Anfahrt nach Bagà: Von Barcelona auf der C16 Richtung Berga. Mit dem Auto fährt man etwa 1,5 Stunden. Alsa Busse fahren von der Busstation Barcelona Nord ab.

Das Castell de Bagà war sozusagen der Kern, um den herum Bagà im dreizehnten Jahrhundert entstand. Heute ist im Palau des Barons de Pinós ein kleines Museum untergebracht. Der Eintritt kostet 5 Euro pro Person, die anschließende Stadtführung 2 Euro. Anmelden kann man sich im Tourismusbüro in der Rambla von Bagà. Oscar, unserer Stadtführer, hat die Geschichte Bagàs und der Katharer nicht einfach runtergerattert, wie manche Guides das ja leider tun, sondern er hat uns wirklich mega abgeholt und alles genau erklärt. Ein ganz großes Dankeschön!

Katharermuseum – Centre Medieval i dels Càtars
Carrer de la Muralla
08695 Bagà (Barcelona)

Oscar Sanchez
Oficina d’Informació i Turisme de Bagà
Carrer del Raval, 18
08695 Bagà (Barcelona)
Website: turismebaga.com
Mailto: turismebaga@gmail.com
In dem kleinen Touristenbüro gibt es Infos zu allen Führungen und natürlich auch zu den Wanderwegen und Trails im Naturpark Cadí-Moixeró.

 altstadt bagà

Hotel Tipp:

Geschlafen haben wir im Hotel Ca l’Amagat, einem sehr kleinen, rustikalen Hotel mitten in Bagà. Praktischerweise gehört ein Restaurant zum Hotel. Dort gibt es neben den traditionellen Gerichten der lokalen Küche auch eine extra Karte für Vegetarier. Passend zu der Geschichte der Katharer gibt es heute einen Salat mit Nüssen. Das war angeblich ein sehr typisches Essen der Katharer.

Ca l’Amagat  
Carrer de la Clota, 4
08695 Bagà (Barcelona)
Website www.hotelcalamagat.com

Das kleine Hotel ist einfach und rustikal aber echt nett. Josep steht sowohl am Empfang, als auch in der Küche und hat viele gute Ratschläge und Tipps für seine Gäste. Das Ca l’Amagat gehört zum Camí dels Bons Homes, ein Zusammenschluss verschiedener Aktivitäten, Hotels und Restaurants, die alle längs der Route liegen, die die bons homes und die bones dones einst auf ihrer Flucht durch die Berge nahmen.