Schwangere Frauen, Mütter mit kleinen Kindern, alte und kranke in dicke Mäntel gehüllte Menschen schleppen sich durch die Gassen von La Jonquera. Lange Schlangen haben sich vor der Grenze nach Frankreich gebildet. Die Menschen wickeln sich in Decken ein und tragen nur das Nötigste bei sich, einen Koffer, eine Tasche, mehr konnten sie nicht mitnehmen.

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Der Winter 1939 ist bitterkalt. Alle frieren und haben Hunger. Die faschistischen Truppen Francos haben die Republikaner im ganzen Land vernichtend geschlagen. Tausende Flüchtlinge, unglaubliche Menschenmassen, treibt das Heer immer weiter gen Norden vor sich her. Einige versuchen illegal über geheime Wege zu fliehen, denn noch ist die Grenze dicht. Erst in der Nacht zum 28. Januar öffnen die Franzosen schließlich die Grenzübergänge. Zunächst dürfen Frauen und Kinder passieren, erst ein paar Tage später werden die entwaffneten, ehemaligen Kämpfer der republikanischen Seite durchgelassen. Dann erreichen die heranrückenden Soldaten Francos diese letzte, nördlichste Ecke Spaniens und die Grenze wird wieder geschlossen.

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Das Museu de l‘exili in La Jonquera dokumentiert die Geschichte des Exodus. Miquel begleitet mich heute durch die Ausstellung und führt mich später noch zu einer Gedenkstätte und einem Bunker im Wald.

Museu de l’Exili

Der Spanische Bürgerkrieg verwüstete zwischen 1936 und 1939 nicht nur das ganze Land, sondern zwang Tausende Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Als Barcelona am 26. Januar fällt, hat der Faschismus gesiegt. Kurz danach erreichen Francos Truppen die französische Grenze.

Drei Jahre lang kämpften neben den Republikanern auch Anarchisten, Gewerkschafter, Kommunisten und Intellektuelle aus aller Welt an der Seite der Francogegner. Später berühmt gewordene Schriftsteller wie Hemingway oder George Orwell schrieben ihre Erlebnisse aus dieser Zeit nieder. Militärische Unterstützung erhielten die Republikaner von den Sowjets, die gegen Zahlung, mit Flugzeugen aushalfen. Franco auf der anderen Seite wurde von Hitler und Mussolini tatkräftig unter die Arme gegriffen. Die Legion Condor zum Beispiel bombardierte den Norden Spaniens und machte Dörfer wie Guernica dem Erdboden gleich.

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Nachdem die republikanischen Kräfte immer weiter zurückgedrängt worden waren, befanden sich auch immer mehr Spanier auf der Flucht. Die Fliehenden hofften, auf der anderen Seite der Grenze nicht nur dem politischen Gegner zu entkommen, sondern auch Hunger und Leid hinter sich zu lassen. In einem Dokumentarfilm, der im Museum gezeigt wird, berichtet ein älterer Mann: „Wir erwarteten zwar nicht, wie Helden empfangen zu werden, aber wir hofften doch auf einen würdigen Empfang, nach den Kämpfen und allem, was wir erlitten hatten. Wir dachten, nun seien Kälte und Hunger vorbei.“

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Doch stattdessen wurden die Flüchtlinge, sobald sie in Frankreich angekommen waren, in minimalistisch ausgestattete Auffanglager gesteckt. Oft bestanden diese Lager nur aus einem Stacheldrahtzaun am Strand. Häufig gab es nicht einmal Latrinen. Statt als tapfere Helden, wurden die Spanier wie „Abfall“ behandelt (O-Ton einer Zeitzeugin). Nun kämpften sie nicht mehr nur um ihre Freiheit, sondern auch um ihre Würde. Die viel zu dünne Kleidung fiel ihnen bald in Fetzen vom Leib. Es gab keine Hütten, keine Betten, keine Decken. Die Mütter hatten längst keine Milch mehr, um ihre Babys zu stillen. In ihrer Verzweiflung gruben sie die Kleinen bis zum Hals im Sand ein, um sie gegen die Kälte zu schützen. Doch viele der Kleinkinder starben. Die Bedingungen waren einfach zu hart.

Zeichnungen aus den Lagern: ein totes Kind

Die Menschen froren bitterlich und das wenige Essen, das vom Roten Kreuz und ähnlichen Hilfsorganisationen verteilt wurde, reichte nicht für alle. „Oft wurde das Brot schon in der Luft zerbrochen und zerfetzt. Wir lasen die Krümel auf und steckten sie mit dem Sand in den Mund, um wenigstens etwas im Magen zu haben.“ Eine Frau versucht, ihr Gefühl während der Flucht zu beschreiben: „Mir wurde klar, dass ich alles verloren hatte. Meine Familie, mein Haus, meine Heimat. Und da wusste ich, jetzt bin ich ganz allein.“

Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs brach der Zweite Weltkrieg über Europa herein. Für die in Frankreich eingefallenen Deutschen waren alle geflüchteten Spanier „Rote“, potenzielle Kommunisten und damit automatisch Feinde. Aus den französischen Auffanglagern wurden viele von ihnen direkt in Konzentrationslager wie das KZ Mauthausen abtransportiert. Doch viele derer, die ins Exil gegangen waren, versuchten auch in Frankreich weiterhin gegen die Faschisten zu kämpfen, andere flohen bis nach Südamerika oder in die Sowjetunion.

Die Enttäuschung

1945 sind der italienische und der deutsche Faschismus endlich besiegt. Hitler und Mussolini sind tot. Hoffnungsvoll erwarten die im Exil lebenden Spanier nun auch das Ende des faschistischen Francoregimes. Doch stattdessen begrüßt der amerikanische Präsident Eisenhower General Franco herzlich bei einem Besuch in Madrid. Franco wird akzeptiert und bleibt an der Macht – bis zu seinem Tod 1975. Ein Schock für viele Flüchtlinge, die nun nicht, wie erhofft, nach Hause zurückkehren können, sondern sich auf ein ganzes Leben im Exil einrichten müssen. Spanische Intellektuelle wie Maria Zambrano und viele andere mussten damit rechnen, ihre Heimat nie wiederzusehen.

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Es gibt viele Arten von Exil, erklärt mir Jordi, der Direktor des Museums in La Jonquera. Exil kann ein paar Tage oder Wochen oder auch ein ganzes Leben dauern, es kann nah dran sein oder sehr weit weg. Es kann sogar recht bequem, mit der Familie und in relativem Wohlstand oder in Einsamkeit und unter ärgsten Lebensbedingungen stattfinden.

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Memorial de l’Exili

Nach dem Besuch des Museums fahre ich mit Miquel zum Memorial de l‘Exili. Nach einem der bekanntesten Fotos, das diese Massenflucht dokumentiert, wurde in dem kleinen Dorf La Vajol ein Denkmal errichtet. Es stellt einen Vater mit seiner Tochter dar. Das Mädchen hatte während des Krieges ein Bein verloren und ist an der Hand des Vaters auf dem Weg ins Exil. Die Mutter war bereits bei einem Bombenangriff gestorben. Hier in der Stille des Waldes, so kurz vor der französischen Grenze, stehen die beiden nun, mahnend und irgendwie auch hoffnungsvoll und trotzig. Frankreich ist nicht mehr weit und auch mit einem Bein schafft das tapfere kleine Mädchen den steinigen und beschwerlichen Weg.

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Viele der Routen, auf denen die Menschen zu Tausenden damals flohen, sind heute gut gekennzeichnete Wanderwege. Gedenksteine erinnern an die Ereignisse, die nun schon fast achtzig Jahre zurückliegen. Doch die Geschichte wiederholt sich auch heute noch jeden Tag auf der Welt, nur an einem anderen Ort.

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Lluís Companys

An einer anderen Stelle des Waldes kommen wir zu einem Gedenkstein aus Granit, der dem katalanischen Präsidenten Lluís Companys gewidmet ist. Gemeinsam mit seinem baskischen Kollegen Aguirre floh Companys von hier aus nach Frankreich. Nur wenige Schritte entfernt steht ein Schlagbaum, leicht verloren wirkend, mitten im Weg. Genau hier im Nichts verläuft die Grenze.

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Eigentlich, so erzählt Miquel mir, wollten die Vertreter der regionalen Regierungen gemeinsam mit den Vertretern der spanischen Zentralregierung ins Exil gehen. Alle republikanischen Kräfte hatten sich in den letzten Wochen und Monaten des Krieges hierher in die Berge zurückgezogen und so lange wie möglich ausgehalten. Doch als Companys und Aguirre am 5. Februar um sechs Uhr morgens zum verabredeten Ort bei Can Barris kamen, hatten sich die Vertreter der spanischen Regierung schon auf den Weg gemacht.

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Nach seiner Flucht arbeitete Companys von Frankreich aus in der Exilregierung, bis er von der Gestapo verhaftet und an das Francoregime ausgeliefert wurde. 1940 wurde er auf dem Montjuïc erschossen.

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La Mina Canta – ein Bunker für die Goldreserven

Direkt vor dem Landgut Can Barris stehen die Reste eines von Pflanzen überwucherten Wachturms. Ganz in der Nähe befindet sich nämlich eines der wohlgehütetsten Geheimnisse der damaligen Zeit.

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In einer alten Mine, der Mina Canta, oder nach dem Ex-Präsidenten auch Mina d’en Negrín genannt, versteckte die fliehende Regierung Goldreserven und Kunstschätze, die sie aus Madrid mitgenommen hatten, um sie im Ausland in Sicherheit zu bringen. Über der alten Mine errichteten sie also mitten im Wald einen mächtigen Bunker. Auch von oben getarnt, war er aus der Luft nicht zu sehen, alle Arbeiter waren zum Schweigen verpflichtet. Der Wachturm sollte zusätzliche Sicherheit bieten.

Nach dem Krieg fiel die Mine wieder an die 1937 enteignete Familie zurück, doch vom Talkumabbau konnte sie nicht mehr leben. Nur einige Schatzsucher treiben sich gelegentlich noch in der verlassenen Gegend herum, um vielleicht doch noch ein Stück Gold zu finden.

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La Jonquera

Zwischen dem Dreitausend-Seelen-Dorf La Jonquera und Le Perthus verläuft seit dem Pyrenäenfrieden im siebzehnten Jahrhundert die Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Vorher lag die Grenze weiter nördlich bei Salses und schloss die bis dahin katalanische Provinz Perpignan mit ein, die seitdem zu Frankreich gehört.

la jonquera im WInter blick auf le perthus Freibeuter reisenHauptstraße La Jonquera – Blick auf die Burg Le Perthus im Hintergrund

Mit einer Schule und ärztlicher Versorgung ist La Jonquera heute das Zentrum der umliegenden Dörfer im Grenzgebiet. Der kleine Ort selbst liegt ruhig und verschlafen etwas abseits vom Trubel der Grenze. Im gleichnamigen Industriegebiet La Jonquera decken sich LKW-Fahrer und Touristen, vor allem französische, mit billigen Zigaretten, Alkohol und anderen Artikeln ein. Doch lässt man das geschäftige Treiben hinter sich, gelangt man schnell in den kleinen Ort mit einer netten alten Kirche, umgeben von den Überresten einer mittelalterlichen Stadtmauer und ihren Wachtürmen.

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Zwischen dem 5. und dem 9. Februar 1939 strömten zweihunderttausend bis zweihundertfünfzigtausend Menschen hier entlang nach Frankreich. Im ganzen Monat Februar schätzt man sogar zwischen vierhundertfünfzig- und fünfhunderttausend Flüchtlinge.

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Damals gab es noch keine Autobahn und die längs der römischen Via Augusta verlaufende Nationalstraße N-II, die von hier aus bis Madrid führt, war zu dieser Zeit eine Umgehungsstraße. Die Hauptroute des Fluchtstromes bewegte sich also mitten durch La Jonquera. Die Einwohner beherbergten die Menschen und versorgten sie mit Lebensmitteln, so gut sie es konnten. Aber es gab noch mehr Strecken, auf denen die Menschen unterwegs waren. Weitere Routen verliefen durch Portbou oder über kleine Waldwege in den Bergen.

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Das Museum als Gedenkstätte 

MUME – Museu Memorial de L’exili
Carrer Major, 43-47
17700 La Jonquera, Girona
Website: www.museuexili.cat

Das Museum wurde als gemeinsames Werk eines spanischen und eines französischen Architekten entworfen: Rafael de Cáceres und Philippe Pous.

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Über einem der Säle schwebt eine aus unzähligen Fußstapfen bestehende Schräge. Die labyrinthartig angelegte Ausstellung unterstreicht den Eindruck der Suche und der Verlorenheit der Menschen im Exil. Während der erste Saal des Museums den Spanischen Bürgerkrieg thematisiert und zeigt, wie es zu dem Massenexodus kommen konnte, sind die übrigen Räume dem Gedenken an die Menschen auf der Flucht gewidmet. Reflexionen über die Schicksale der Männer und Frauen, die fern der Heimat Widerstand leisteten, sich für Freiheit und Frieden einsetzen oder in Konzentrationslagern ums Überleben kämpften. Neben Fotos und filmischen Dokumenten gehören auch persönliche Gegenstände wie ein Koffer, ein Dominospiel, private Fotos und verschiedene Dokumente zum Erbe dieser Zeit.

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Außer den Berichten zu den Lagern in Argelès und Rivesaltes findest du hier im Blog auch noch Artikel über den Spanischen Bürgerkrieg.